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Deshalb kritisiert Greenpeace die Ideen zur Kreislaufwirtschaft

Von Regina Henkel

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Business |INTERVIEW

Normalerweise beanstandet Greenpeace das mangelnde ökologische Engagement der Modeindustrie. Diesmal aber nicht. In der neuen Studie „Fashion at the crossroads“, die zur Milan Fashion Week vorgestellt wurde, kritisiert die Umweltorganisation Modemarken für die Entwicklung kreislauffähiger Produkte. Genau diese fordern aber viele Nachhaltigkeitsexperten, um den enormen Ressourcenverbrauch der Modeindustrie in den Griff zu bekommen. Wie kommt dieser Widerspruch zustande?

Tatsächlich ist die Idee der Kreislaufwirtschaft für die Industrie verlockend: Durch endloses Recycling der Produkte wird der Verbrauch an Rohstoffen reduziert ohne den Konsum einschränken zu müssen. Nachhaltigkeit und Wachstum werden so vereinbar. Yannik Vicaire, einer der Autoren der Greenpeace Studie, erklärt, was an dem Engagement vieler Modemarken nicht stimmt und warum diese Studie notwendig war.

Sie kritisieren, dass sich einige große Modebrands für die Kreislauffähigkeit ihrer Produkte engagieren. Warum diese Kritik und warum die Studie?

Greenpeace sah die Notwendigkeit, die besten Beispiele dafür zu finden, wie Modeunternehmen und andere Organisationen den Materialkreislauf verlangsamen und schließen - um damit einen Richtungswechsel anzuregen. Denn nach wie vor dominiert das Muster des Überkonsums von Mode, und genau dort liegt unsere Kritik. Der neue Bericht ist meistens eine positive Bestätigung der Initiativen, aber die Forschung ergab einige Beispiele, in denen Marken das Recycling - vor allem von Polyester - betonen, ohne die Schließung des Kreislaufs oder die Verlangsamung des Materialflusses ernsthaft einzubeziehen. Ein kleiner Teil des Greenpeace-Berichts (also anderthalb Seiten von 48) widmet sich zudem der Kritik am Bericht „Pulse of the Fashion Industry“ wegen seines begrenzten Umfangs und seiner Vision, die die weitere Expansion, insbesondere von Polyester, fördert.

Der Bericht befasst sich mit vielen Aspekten und versucht, sich einen ganzheitlichen und integrativen Ansatz der Zirkularität vorzustellen. Er unterstreicht die lebendige Biodiversität von Mode-Initiativen jenseits der vorherrschenden Vorstellungen der großen Marken. Er soll in erster Linie Raum für eine breitere Debatte schaffen, in der es gewagt wird, all die Kehrseiten von Überproduktion und Überkonsum zu hinterfragen und Best Practices und einige Leads zu identifizieren, von denen einige weitere Untersuchungen erfordern, andere aber Unterstützung für die Skalierung benötigen.

Welches Engagement für Zirkularität oder Kreislaufwirtschaft ist Ihrer Meinung nach schlecht?

Viele Kommentatoren teilen unsere Besorgnis über die unvollständige und unreife Darstellung von Zirkularität, und einige Player haben auch ausdrücklich den Ansatz des Pulse-Berichts kommentiert, und unseren ganzheitlichen Ansatz begrüßt. Wie unsere Analyse zeigen auch jüngste akademische Studien, wie Recycling-Initiativen die Reaktion der Großunternehmen auf die Kreislaufwirtschaft dominieren, während andere Aspekte, wie die Verringerung des Verbrauchs oder die Verlängerung der Lebensdauer, weniger Aufmerksamkeit bekommen.

Was fehlt den Unternehmen genau?

Die Zirkularität wird von der falschen Ausgangslage aus angegangen, indem zuerst auf das Recycling eingegangen wird. Dabei sieht die Abfallhierarchie vor, dass vor dem Recycling erstmal die Vermeidung von Abfall und die Wiederverwendung vorrangig behandelt werden sollten. Im Allgemeinen engagieren sich große Modemarken viel weniger für andere entscheidende Aspekte, wie die Haltbarkeit von Kleidungsstücken zu verlängern oder die Änderung ihrer Geschäftsmodelle, um das Teilen oder die Reparatur ihrer Produkte zu fördern.

Welche Unternehmen sind Ihrer Meinung nach besonders unglaubwürdig bei der Entwicklung einer geschlossenen Kreislaufwirtschaft?

Die Details zu den Unternehmen entnehmen Sie bitte dem Bericht. Generell gibt es einen Widerspruch in der Förderung des Zirkularitätsansatzes um eine bessere Ökoeffizienz bei Materialien zu erzielen, während die Welt gleichzeitig mit zu vielen Produkten überschwemmt wird. Das Maß geht längst weit über die realistischen Bedürfnisse der meisten Menschen hinaus. Viele dieser Produkte sind qualitativ minderwertig und auf ein kurzes Leben ausgelegt. Besser wäre es, ein Modell voranzutreiben, das manche als Öko-Sparsamkeit bezeichnen, womit das Tempo des Materialflusses durch viele Maßnahmen verlangsamt werden kann.

Die Ideen für die Kreislaufwirtschaft basieren auf dem „Cradle to Cradle“-Prinzip, das von Michael Braungart schon vor 20 Jahren entwickelt wurde. Hat Kreislaufwirtschaft Ihrer Meinung nach eine reale Chance oder ist sie eine Utopie?

Es gibt eine Vielzahl von Definitionen des „Cradle to Cradle“-Prinzips und der „Kreislaufwirtschaft“ – sehen Sie z.B. auch die Ellen McArthur Foundation. Greenpeace hat diese verschiedenen Ansätze nicht bewertet oder verglichen. Aber das Erreichen einer Kreislaufwirtschaft ist in der Tat schwierig beim gegenwärtigen Ausmaß des übermäßigen Verbrauchs von Ressourcen durch die Modebranche, was unweigerlich zu Verschwendung führt.

Die meisten Definitionen der Zirkularität schließen die Idee ein, dass Produkte und Materialien so lange wie möglich verwendet werden müssen und dass sie ihren Wert nicht verlieren dürfen. Dies ist ein wesentlicher Teil des Fortschritts in Richtung einer Kreislaufwirtschaft, um den Materialfluss zu verlangsamen und die negativen Auswirkungen auf die Umwelt kontinuierlich zu reduzieren.

Sie kritisieren besonders das Tempo der Modebranche und propagieren Slow Fashion. Damit kommt auch der Verbraucher ins Spiel: Wie soll er lernen, mehr Qualität statt Quantität zu schätzen?

Ja, die Verbraucher spielen eine große Rolle, aber es ist unfair, sie zu kritisieren und sie gleichzeitig in einen schuldfreien Konsum zu versetzen mit einem kontinuierlichen Strom von Anzeigen, Verkaufs- und Online-Tools, die alle nur dazu dienen, zwanghaftes Kaufen zu fördern. Die Konsumenten müssen ihren Konsum von Kleidung in Bezug auf das Preis-Leistungs-Verhältnis bewerten und nicht auf den Preis. Sie müssen lernen sich zu fragen, welche Art von Produkten eher zu wahrem Glück führen anstatt zu unmittelbarer - aber vorübergehender – Befriedigung. Auch dazu haben wir eine Umfrage gemacht.

Trotzdem arbeitet Greenpeace parallel auch daran, die Denkweise zu verändern und die Menschen positiv in Richtung Selbstreflexion und Alternativen zum Überkonsum zu bringen. Wir veranstalten oder fördern z.B. Swopping-Partys und Reparatur- oder Upcycling-Workshops.

Sehen Sie die mögliche Gefahr, mit Ihrer Kritik am „Closing-the-Loop“-Engagement einiger Modeunternehmen gleich die ganze Idee der Kreislaufwirtschaft in Misskredit zu bringen?

Nein, im Gegenteil. Wir sehen darin eine Chance, weil wir den Weg hin zu wahrer Zirkularität verbessern helfen, bevor zu viel in den falschen Ansatz investiert wird, der zum Scheitern verurteilt ist. Wir wollen ein vorhersehbares Versagen verhindern. Wir arbeiten mit Detox-engagierten Marken und anderen daran, eine realistische und ganzheitliche Vision von Zirkularität zu erreichen. Fortschritt erfordert einen kritischen Dialog. Das zeigen unsere Fortschritte bei der Verbesserung des Chemikalienmanagements in den letzten sechs Jahren. Ohne gefährliche Chemikalien zu eliminieren, wäre auch keine Kreislaufwirtschaft denkbar.

Die Herausforderung von Greenpeace besteht nun darin, die Modebranche von der Grundannahme abzubringen, dass Gewinne nur durch endloses Wachstum zu erzielen sind. Ihre Aufmerksamkeit muss stattdessen darauf gelenkt werden, wie man das Wachstum und den Materialfluss verlangsamen kann um die ökologischen und sozialen Auswirkungen zu senken.

Wie wurde mit den Unternehmen zusammengearbeitet, um die Studie vorzubereiten? Wie kommen Sie zu den Ergebnissen?

Der Bericht basiert auf Recherchen über öffentlich zugängliche Informationen über Praktiken, Pläne, Forschung und Entwicklung von Unternehmen jeglicher Größe und Art. Wir haben 385 Beispiele aus 183 verschiedenen Unternehmen gesammelt. Jedes Beispiel wurde in fünf Interventionsbereiche eingeteilt, dazu gehören alternatives Geschäftsmodell, Design für Langlebigkeit, Design für reduzierte Umweltauswirkungen, Design für Recyclingfähigkeit und Recyclingsysteme. Jeder Bereich wurde auf sein Potenzial untersucht, den Fluss der Warenströme zu verlangsamen und den Kreislauf zu schließen. Mit einbezogen wurden auch größere Umweltprobleme wie Meeresverschmutzung durch Plastikmikrofasern, Abfall, gefährliche Chemikalien und Kohlenstoffabhängigkeit.

Zwei Mode- und Designspezialisten, Anne Prahl und Karen Miller, halfen uns, unseren Ansatz zu gestalten und unsere Forschung und Schlussfolgerungen zu überprüfen. Der Bericht wurde während einer Veranstaltung veröffentlicht, wo auch einige Beispiele von unseren Best Practices-Unternehmen vorgestellt wurden.

Foto: Yannik Vicaire; Greenpeace Studie "Fashion at the Crossroads"

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