Erweiterte Herstellerverantwortung: Was deutsche und niederländische Unternehmen voneinander lernen können
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Wie gehen niederländische Unternehmen mit der dort bereits in Kraft getretenen erweiterten Herstellerverantwortung (EPR) um und wie bereiten sich deutsche Unternehmen darauf vor? Was können deutsche und niederländische Modeunternehmen voneinander lernen, um Lösungen für die vielfältigen Anforderungen des Green Deal der EU zu finden? Die Textilbranche in allen EU-Ländern steht derzeit vor den gleichen Herausforderungen und ist gefordert, über ihre bisherigen Lieferketten hinweg neue Branchen und Sektoren in ihr Geschäftsmodell miteinzubeziehen. Da kann es sich lohnen, über die Grenzen zu schauen und voneinander zu lernen.
Das war auch die Motivation hinter der Initiative Circular Circuit, die im Rahmen der Messe Neonyt in Düsseldorf erstmals einen mehrtägigen Workshop und Austausch zwischen Unternehmen aller Sektoren beider Länder organisiert hat. FashionUnited hat mit den Gründer:innen von Circular Circuit, Rosan Van Boven aus den Niederlanden und Nils Bader aus Deutschland, darüber gesprochen, welche Erkenntnisse sie aus dem Event gezogen haben.
Übrigens: In Zukunft wird es weitere Veranstaltungen von Circular Circuit und auch Kooperationen mit anderen Ländern geben.
Sie haben einen dreitägigen Workshop zum Thema Kreislaufwirtschaft im Zeichen der Green New Deal Regularien durchgeführt. Das Spannende: Es ging um den Austausch zwischen Unternehmen aus den Niederlanden und Deutschland. Wie war das Event?
Nils Bader: Es war unglaublich. Vielleicht ist es zuerst gut zu wissen, dass das Event nicht der Anfang war. Wir haben im Vorfeld über 200 Interviews in allen Sektoren, über die wir beim Thema Kreislaufwirtschaft immer sprechen, durchgeführt. Von Designer:innen, über Marken, Retail, Fulfillment, Materialherstellern bis hin zu den Recycler:innen. Und bei jedem Interview ging es für uns darum, Input zu sammeln, den wir in die Gruppe der 30 Menschen in Düsseldorf einbringen konnten. Es war also ein langer Weg dorthin.
Das Event selbst bestand dann aus drei Komponenten: Den 'Round Table Workshops' am Freitagnachmittag, wo auch besprochen wurde, wie in Zukunft (zusammen-)gearbeitet werden kann. Am Samstag gab es dann das Matchmaking rund um unsere Ausstellung und der dritte Teil war die Präsentationen von Best-Practices.
Wie kam es dazu, diese Veranstaltung zu starten?
Rosan van Boven: Diese Veranstaltung wurde vom niederländischen Fashion- und Textilverband Modint und der niederländischen Regierung finanziert, und von dort kam auch die Anregung, die Niederlande und Deutschland zusammenzubringen, da wir Nachbarn sind und vielleicht voneinander lernen können. So haben wir angefangen.
Welche Firmen waren beispielsweise dabei?
Nils Bader: Wir hatten große Firmen dabei wie beispielsweise Brax und Hama, die Recyclingfirma I-did oder den Etikettenspezialist EE Labels aus den Niederlanden, den Avocadostore, und junge Start-ups wie Turns, Floria Collective. Wir wollten bewusst ein Szenario schaffen, wo alle miteinander ins Gespräch kommen, Fragen stellten und Tipps geben können.
Rosan van Boven: Ich sehe so etwas immer wieder: Ich leite ein Produktionsunternehmen in den Niederlanden und bringe auch anderen Firmen bei, wie man zirkulärer werden kann. Es ist immer wieder interessant zu sehen, dass Unternehmen es besser machen wollen. Sie wollen den nächsten Schritt machen, haben aber all die offenen Fragen, wie man das eigentlich angeht. Und während des Events konnten alle voneinander lernen, der Austausch war sehr offen.
Welche interessanten Projekte wurden vorgestellt?
Nils Bader: Die Marke Step by Step aus der Hama-Gruppe hat die erste Schultasche für ein zirkuläres System hergestellt, und zwar im großen Maßstab. Für sie war es im Vorfeld interessant zu sehen, wie weit sie ihre Produkte tatsächlich verändern konnten. Und jetzt verbreitet sich das neue Wissen schrittweise in der Unternehmensgruppe.
Rosan van Boven: I-did aus den Niederlanden ist ein großes Recyclingunternehmen, das gebrauchte Kleidung annimmt und daraus Filz herstellt. Bisher wurde der Filz vor allem für den Interior Bereich oder Accessoires verwendet, aber jetzt entwickeln sie auch ihren ersten Filz für Bekleidung. Das ist interessant und eine wirklich effiziente Methode, weil beim Recycling normalerweise Fasern zu Garn verarbeitet werden, das dann gewebt oder gestrickt wird, um daraus Kleidungsstücke herzustellen. Sie überspringen all diese Schritte, weil sie aus den zerkleinerten Fasern direkt den Filz herstellen.
Das Spannende bei EE Labels war eine neu entwickelte Jacquard-Webtechnologie, mit der 3D-gewebt werden kann, ähnlich wie beim Stricken. Dabei entsteht fast kein Abfall. Und diese Technologie steht jetzt nicht irgendwo, sondern direkt nebenan, in den Niederlanden.
In welchem Transformations-Stadium befanden sich die Unternehmen? Konnte man Unterschiede zwischen deutschen und niederländischen Unternehmen erkennen?
Nils Bader: Das war ganz unterschiedlich, aber die Eingeladenen hatten das nötige Mindset. Man kann allerdings klar sagen, dass die deutschen Brands hinsichtlich der Richtlinien des EPR noch ziemlich am Anfang stehen.
Rosan van Boven: Ja, weil die Regeln für die EPR in den Niederlanden bereits seit Juli 2023 in Kraft sind, beschäftigen wir uns damit natürlich schon intensiver. Es entstehen neue Projekte, wo untersucht wird, wie man produzieren und welche Infrastruktur zum Recycling aufbaut werden muss. Es gibt noch viel zu tun, bevor wir das im großen Rahmen umsetzen können.
Abgesehen von den Brands, die sich auf Ihrem Event präsentiert haben, sehen Sie Unterschiede in der Vorbereitung auf künftige Gesetze zwischen Deutschland und den Niederlanden?
Nils Bader: Meiner Meinung nach besteht der größte Unterschied darin, dass mittlere und große Marken die gesetzlichen Anforderungen - Recyclinganteil, Repair, Recycling - der EPR noch gar nicht auf dem Schirm haben. Das ist erschreckend, wenn man bedenkt, dass die gesetzlichen Vorgaben ab Januar 2025 in Kraft treten. Bei den Recyclern hingegen stehen die großen Firmen in den Startlöchern und kleinere decken wirklich interessante Nischen ab, wo Sammlung und Recycling einfacher sind. Daher finde ich es interessant zu sehen, was in den Niederlanden passiert und was wir übernehmen können.
Wie will die Niederlande die EPR umsetzen, welche gesetzlichen Regelungen stehen an, die in Deutschland noch nicht gelten?
Rosan van Boven: Im Moment sind wir in den Niederlanden noch in der Phase, in der wir herausfinden wollen, wie wir das umsetzen können. Aber ab 2025, also in sechs Monaten, wird es eine deutliche Verschärfung geben, denn bis dahin müssen 50 Prozent der weggeworfenen Textilien gesammelt und für die Wiederverwendung und das Recycling aufbereitet werden. Das ist eine ganze Menge. Und bis 2030 sollen es bis zu 75 Prozent sein.
Nils Bader: In Frankreich geht die Umsetzung deutlich über die EU-Richtlinien hinaus, die Planung und Registrierung sind dort schon weit. Neben pauschalen Abgaben und Reparaturzuschüssen sind auch Strafen von 20.000 Euro/Tag im Katalog verankert. Belgien hat auch schon Lösungen gefunden. Belgien ist interessant, weil es dort sehr viele Teppichherstellende gibt, die viel mit Fasern arbeiten. Beaulieu, einer der größten Faserproduzenten für Teppiche weltweit, hat schon vor vielen Jahren auf recycelte Fasern und Monomaterialien umgestellt. Damals waren sie extrem früh dran, aber heute ist das ein Riesenvorteil.
Wie sieht das niederländische Finanzierungsmodell fürs Recycling aus?
Rosan van Boven: In den Niederlanden zahlt der Hersteller/Importeur ein paar Cent pro Artikel, der auf den Markt gebracht wird. Es handelt sich um Artikel, die auf den Markt gebracht werden, Lagerbestände und nicht verkaufte Artikel werden schließlich abgezogen.
Wo steht hier Deutschland?
Nils Bader: Auch in Deutschland gibt es die Idee, Geld über die Zahl der Produkte oder des Gewichts einzusammeln und dieses in Forschung und neue Recyclingsysteme zu investieren. Daher sind die Recycler:innen im Moment sehr aktiv. Aber wir haben auch festgestellt, dass das bestehende System nicht funktionieren wird. Es gibt keine Chance, das Thema Recycling allein durch manuelle Sortierung voranzubringen, selbst wenn wir nur einen Recyclinganteil von 15 Prozent bräuchten. Welchen Betrag Hersteller:innen zahlen müssen, ist noch offen. Manche reden von drei Cent, andere von sechs, wieder andere fordern 25 Cent pro Artikel. Während also noch über den Geldbetrag diskutiert wird, ist klar, dass dieses Geld reinvestiert werden muss in neue Infrastrukturforschung und -entwicklung.
Rosan van Boven: Die gleichen Regeln gelten übrigens auch für die Recycler:innen. Die niederländische Regierung fordert auch die Recycler auf, einen festen Prozentsatz zu recyceln, unabhängig davon, was sie erhalten.
Ich höre immer wieder, dass der Input-Stream noch zu inhomogen zum Recyceln ist, eine gute Sortierung aber zu teuer.
Rosan van Boven: Wir arbeiten als Produktionsunternehmen auch mit Recyclingunternehmen zusammen und es ist wirklich schwierig, denn die Feinsortierung ist die teuerste Sortierung, aber auch die einzig geeignete für das Recycling. Die Mengen an gut sortiertem Material reichen einfach nicht.
Nils Bader: In Deutschland landen mehr als 60 Prozent der Kleidungsstücke im Hausmüll. Und nur elf Prozent werden irgendwie recycelt, das allermeiste davon ist Downcycling. Nur ein Prozent wird tatsächlich wieder zu textilen Fasern recycelt. Die Lösung besteht derzeit darin, das meiste nach Afrika zu schicken.
Aber natürlich wird auch hier geforscht, um Misch- und Kunststofffasern chemisch, enzymatisch, mechanisch und so weiter, zu recyceln. Und auch der Automatisierung der Sortierung gilt natürlich ein Augenmerk.
Wird in den Niederlanden gefordert, Lösungen für das Faser-zu-Faser-Recycling zu finden, oder ist der Gesetzgeber auch offen für andere Arten des Recyclings? Gerade bei Kunstfasern könnte auch etwas anderes, qualitativ hochwertiges daraus entstehen.
Rosan van Boven: Nun, die Regel lautet, dass Fashion Fashion bleiben sollte, also keine PET-Flaschen in den Modekreislauf eingebracht werden sollten. Wir als Unternehmen recyceln beispielsweise unsere Abfälle aus der Produktion zu Platten. Aber das ist der niederländischen Regierung schon schwieriger zu vermitteln, weil deren Fokus auf dem Faser-zu-Faser Recycling liegt. Und wenn man etwas anderes daraus macht, fällt es automatisch unter Downcycling, was ich falsch finde, weil wir auch recyceln und ein neues Produkt herstellen. Außerdem sind nicht alle Fasern geeignet für das Faser-zu-Faser Recycling, also schließt man einen großen Teil aus dem Recyclingsystems aus. Sinnvoll finde ich hingegen, dass ein Fokus auf Monomaterialien und mehr Naturfasern gelegt wird.
Was ist die Konsequenz für Sie, wenn Sie kein Faser-zu-Faser Recycling betreiben können, sondern in deren Augen „downcyceln“?
Rosan van Boven: Dass man keine Fördermittel erhält. Die niederländische Regierung ist meiner Meinung nach ziemlich gut darin, Innovationen zu fördern und Projekte zu finanzieren. Wenn man also Faser-zu-Faser-Recycling macht, stehen dafür schnell Mittel zur Verfügung. Wenn man Recycling außerhalb dieses eng definierten Rahmens macht, hält sich die Begeisterung in Grenzen. Aber ich glaube, dass wir hier insgesamt erst am Anfang stehen. Da tut sich ein riesiges neues Feld auf, um neue Dinge anzustoßen.
Wenn Sie jetzt Unternehmen eingebunden haben, die schon bereit sind für die Transformation, wie erreichen Sie diejenigen, die es noch nicht sind?
Nils Bader: Deshalb haben wir diese Initiative, Circular Circuit, ins Leben gerufen, und das Feedback auf unsere erste Veranstaltung war hervorragend. Wir haben von vielen Interviewten und Teilnehmenden gehört, dass wir damit weitermachen sollen, und dass sie schon Ideen haben, wer noch daran teilnehmen sollte. Wir haben auch Beispiele dafür gesehen, wie sich innerhalb der drei Tage Einstellungen verändert haben, wie Leute, die zu Anfang ihr klassisches Produktionsmodell verteidigten und am Ende verstanden haben, dass sie falsch lagen. Ich denke, die Offenheit und Hilfsbereitschaft innerhalb der Gruppe waren extrem wichtig und gleichzeitig auch überraschend für viele, weil normalerweise niemand über Lieferant:innen spricht.
Das klingt so, als müsse tatsächlich jeder auf einer persönlichen Ebene überzeugt werden, an der Veränderung des Modesystems mitzuarbeiten. Sehen Sie das so?
Nils Bader: Es ist wirklich eine große Veränderung, die da auf uns zukommt. Und es ist wie in vielen anderen Bereichen: Es gibt das Zuckerbrot und die Peitsche. Während viele nun die neuen Richtlinien als Peitsche wahrnehmen, denke ich, dass es auch reichlich Süßes im Angebot gibt, denn neben dem Innovationspotential, Material- und Kosteneinsparungen ist dies wohl der letzte Versuch, den negativen Impact der Fashion-Industrie auf die Umwelt zu reduzieren. Ich sehe, dass es viel Arbeit ist, denke aber, dass es mit Aufklärung, Begleitung und guten Beispiele gelingen kann. Denn wenn man zeigen kann, dass andere ihr System ändern, ist die Bereitschaft erfahrungsgemäß höher, ebenfalls etwas zu ändern. Es ist also nicht nur eine Herausforderung, es ist auch eine Chance.
Stellen Sie so etwas wie eine Nachhaltigkeitsmüdigkeit fest?
Rosan van Boven: Die Verbraucher:innen sind das ganze Greenwashing leid, weil man nicht mehr weiß, was man glauben soll.
Nils Bader: Es ist auch ziemlich schwierig, gute Beispiele in die Presse zu bringen, weil jeder misstrauisch ist. Keiner will das Risiko eingehen, sich am Greenwashing zu beteiligen. Ich habe vor 15 Jahren mit einer großen Tageszeitung gesprochen, und die sagte mir, um ehrlich zu sein, werden wir nie Gutes über ein Unternehmen schreiben, denn dann können sie eine Anzeige buchen. Das ist nicht unsere Aufgabe. Dieses Denken ist heute immer noch tief verankert. Es besteht Bedarf an besseren Produkten und nicht an mehr Behauptungen. Und es wird in den nächsten Jahren super interessant werden, weil jetzt Lösungen kommen.
Welche Kategorien oder Branchen sind Ihrer Meinung nach schon am weitesten?
Rosan van Boven: Dessous sind es nicht, weil das super schwierig ist. Bekleidung ist am einfachsten zirkulär zu gestalten. Dort kann ich mich wirklich auf Monomaterialien konzentrieren. Auch Denim ist schon weit. Allerdings forderte der Denim-Deal nur sieben Prozent Recycling-Anteil. Das entspricht nicht den neuen Standards. Und auch hier kommen gute Beispiele aus den Niederlanden. Mud Jeans vermietet Jeans, man kann sie nicht kaufen. Die gebrauchten Jeans werden zurückgenommen und am Ende auch recycelt. Sie waren auch Teil des Denim-Deals und können die sieben Prozent erfüllen.
Das war Ihre erste Veranstaltung, Ihr erster Pit Stopp, wie Sie es nennen. Wie geht es weiter?
Nils Bader: Beim nächsten Mal können natürlich auch andere Länder mitmachen. Im November gibt es zum Beispiel die Greener Manufacturing Show in Köln, dort werden wir sicher mit einer Veranstaltung teilnehmen. Wir glauben, dass wir eine Vermittlungsplattform, eine Lernplattform brauchen. Wo Unternehmen Informationen finden und Leute treffen, die weiterhelfen können. Diese Pit Stopps sind wie Zwischenstationen auf dem Weg, wo man hinkommt, um Input einzuholen, wieder raus muss, und wieder kommt. Damit am Ende ein kreislauffähiges System entsteht.
Unser Netzwerk vergrößert sich stetig, gerade sind zwei weitere Verbände hinzugekommen, deren Mitglieder über unsere Website begonnen haben, Fragebogen auszufüllen und den Match-Making Prozess zu starten. Für die nächste Veranstaltung werden sie also auch ihre Leute einladen.
Wie viele dieser Veranstaltungen werden Sie in einem Jahr durchführen?
Nils Bader: Im Idealfall haben wir alle ein bis zwei Monate eine Veranstaltung. Demnächst wird auch etwas für die Schuhindustrie kommen. Wichtig ist immer, dass wir mehrere Sektoren zusammenbringen, nicht nur Brands und Materialherstellende, sondern auch darüber hinaus bis hin zu den Verpackungsfachleuten.
Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel wurde um 00.15 Uhr am 19. August 2023 aktualisiert, um die Bestimmungen des UPV zu korrigieren.