EU-Vorschriften für die Modeindustrie: Was steht auf dem Spiel?
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Die Modeindustrie der Europäischen Union sieht sich mit einer Welle neuer Vorschriften konfrontiert und bereitet sich darauf vor, ihre Anliegen vorzubringen. Die nächsten Monate werden entscheidend sein, wenn Brüssel mit der Ausgestaltung einer Reihe grüner Richtlinien beginnt.
Im Juli wurde Ursula von der Leyen als Präsidentin der EU-Kommission wiedergewählt. In ihrer zweiten Amtszeit will die EU eine Reihe von Regeln für umweltfreundlichere Produkte einführen, die auf dem Binnenmarkt verkauft werden. Damit beginnt auch die Phase, in der Branchenvertretungen, wie die European Fashion Alliance, Vorschläge zur praktischen Anwendung der Regeln machen können.
„Noch viel zu tun“
„Ich zähle auf Ihre Unterstützung, die Gesetzgebung gemeinsam mit Unternehmen, Verbrauchern und der Umwelt zu gestalten“, sagte Jessika Roswall, die neue EU-Kommissarin für Umwelt, Wasserversorgung und eine wettbewerbsfähige Kreislaufwirtschaft, am Mittwoch in Brüssel.
„Als neue Kommissarin möchte ich Sie wissen lassen, dass meine Tür immer offen ist“, sagte sie vor fast hundert Vertreter:innen von 15 europäischen Modeverbänden, die diese Woche im Europäischen Parlament in Brüssel versammelt waren. Sie begrüßte die Bemühungen der Modeverbände, die negativen Auswirkungen der Mode auf die Umwelt durch eine nachhaltigere Beschaffung oder ein umweltfreundlicheres Produktdesign zu bekämpfen, wies aber auch auf die Herausforderungen hin.
Der europäische Bekleidungs- und Textilsektor erwirtschaftet zwar einen Jahresumsatz von 170 Milliarden Euro, erzeugt aber auch mehr als 12 Millionen Tonnen Textilabfälle, so Roswall in ihrer Rede. „Nur 22 Prozent werden getrennt gesammelt und 8 Prozent werden wiederverwendet. Diese Zahlen zeigen uns, dass wir noch viel zu tun haben.“
Mangelndes Bewusstsein
Das Problem der zunehmenden Textilabfälle ist nur eines von vielen, die die EU mit neuen Vorgaben angehen will. Im Rahmen des Green Deals strebt die Staatengemeinschaft an, bis 2050 klimaneutral zu sein, und bis 2030 müssen die CO2-Emissionen im Vergleich zu 1990 um 55 Prozent reduziert werden.
Die EU hat ein Maßnahmenpaket entwickelt, um ihre Klimaziele zu erreichen, von denen viele den Textilsektor betreffen werden. Unter diesen hat die Verordnung für Ökodesign-Anforderungen für nachhaltige Produkte (offiziell: Ecodesign for Sustainable Design Regulation, ESPR), die Richtlinien eines nachhaltigeren Design für physische Güter festlegt, das Potenzial, den Kern der Modeindustrie zu verändern: die gesamte Wertschöpfungskette, wie ein Kleidungsstück entworfen, hergestellt, gekennzeichnet und entsorgt wird.
Nachhaltigkeitsaspekte wie Langlebigkeit, Reparierbarkeit oder Wiederverwendbarkeit müssen bei der Produktentwicklung berücksichtigt werden, wie die EU-Website zeigt. Erwähnt werden auch ein höherer Anteil an recyceltem Material, die Begrenzung des Abfallaufkommens oder die Verbesserung der Produktreparatur.
Trotz der bevorstehenden Veränderungen ist sich ein Großteil der Modeunternehmen der künftigen Gesetzesänderungen nicht bewusst. Nur 52 Prozent der befragten Organisationen sind mit der ESPR vertraut, wie ein Bericht zeigt, den die European Fashion Alliance am Mittwoch vorgestellt hat.
Noch weniger der Befragten, 44 Prozent, sind mit dem digitalen Produktpass (DPP) vertraut. Dieser digitale Ausweis ist Teil der ESPR und wird Informationen enthalten, die die Transparenz und Nachhaltigkeit der Produkte verbessern sollen.
Bedenken
Die Ökodesign-Vorschriften (ESPR) sind am 18. Juli in Kraft getreten, aber spezifische Regeln für Produkte aus verschiedenen Sektoren, wie zum Beispiel Mode, müssen von der EU noch ausgearbeitet werden. Einige Vorschläge sorgen jedoch bereits jetzt für Unruhe unter Modeunternehmen.
Die italienische Luxusmarke Max Mara unterzog einen Mantel einem Haltbarkeitstest nach den in den Vorschriften dargelegten Richtlinien, sagte Constanza Maramotti, die Enkelin des Firmen-Gründers bei einem Roundtable der European Fashion Alliance am Mittwoch. Das Ergebnis war für sie eine negative Überraschung. Die aktuellen Kriterien der technischen Haltbarkeit würden dem Markenzeichen des Unternehmens nur eine Haltbarkeit von drei Monaten zugestehen.
„Das ist genau das Gegenteil von dem, was unsere Erfahrung ist“, sagte Maramotti, Mitglied des Nachhaltigkeitsausschusses von Max Mara. Sie fügte hinzu, dass Max Mäntel der Marke oft über Generationen von Frauen weitervererbt werden. Ihrer Ansicht nach berücksichtigen rein technische Kriterien nicht, was sie als „emotionalen Wert“ von Kleidung bezeichnete.
Komplexitäten
Ein Produkt wie ein BH mit mehr als 50 Bestandteilen muss zahlreiche Aspekte miteinander vereinbaren, wenn es darum geht, nachhaltiger zu werden, sagte Lieve Vermeire, Nachhaltigkeitsmanagerin beim belgischen Dessous-Hersteller Van de Velde. Das Unternehmen nutzt bereits mehr recycelte Materialien in seinen BHs, aber das dürfe weder die Qualität noch die Passform der Produkte beeinträchtigen. Die Anzahl der Bestandteile entspricht zudem der der Lieferant:innen, die ebenfalls nachhaltiger arbeiten müssten.
Die Anzahl der Komponenten und Zulieferer, die an einem einzigen Produkt beteiligt sein können, verdeutlicht die Herausforderungen, denen sich die Modeunternehmen nach wie vor stellen müssen. Der EFA-Bericht zeigt, dass 88 Prozent der Befragten finanzielle oder personelle Ressourcen in nachhaltigkeitsbezogene Aktivitäten investiert haben, aber 59 Prozent der Befragten fehlt es immer noch an Mitteln oder Unterstützung für „ anspruchsvolle Praktiken “, um den Übergang zu einem nachhaltigeren Geschäftsmodell zu bewältigen.
Die Befragten konzentrierten sich auf Produktqualität und Haltbarkeit (66 Prozent) oder innovative und verantwortungsvolle Materialien (64 Prozent). Die Massnahmen, die technische Lösungen oder ein besseres Verständnis der Lieferkette erfordern, sind jedoch noch begrenzt. Weniger als 30 Prozent der Aktivitäten beziehen sich auf Pflege und Reparatur, Zertifizierung, Kennzeichnung oder Recyclingfähigkeit, so die Befragten. 79 Prozent geben an, dass sie keine innovativen Lösungen einsetzen, um die Rückverfolgbarkeit von Produkten zu gewährleisten.
Finanzielle Bürde
Die neuen Vorschriften der Europäischen Union greifen zu einer Zeit, in der die Branche mit sinkenden Konsumausgaben angesichts konjunktureller Unsicherheiten zu kämpfen hat. Ein Großteil der arbeitsteiligen Modeindustrie besteht aus kleinen und mittleren Unternehmen, von denen einige nicht über die finanziellen Mittel und die nötigen Arbeitskräfte verfügen, um die neuen gesetzlichen Anforderungen zu erfüllen.
„Dies ist eine enorme finanzielle Belastung für die kleineren Unternehmen. Es gibt eine Datenmüdigkeit, niemand kennt alle Daten, die wir melden müssen“, sagte Goulay. „Ich befürchte, dass wir vor lauter Belastungen durch das Wie das Warum aus den Augen verlieren.“
Und wie einige Vorschriften auf die Bekleidungsindustrie angewendet werden, ist noch nicht ganz klar.
Es bleibt beispielsweise abzuwarten, wie viele Informationen in den digitalen Produktpass aufgenommen werden müssen und ob es sensible Daten gibt, auf die beispielsweise nur die Aufsichtsbehörde zugreifen kann. Die European Fashion Alliance hofft auch auf einen ganzheitlichen Ansatz zur Haltbarkeit, der nicht nur die technische Haltbarkeit berücksichtigt.
Hausaufgaben
„In dieser Legislaturperiode geht es um die Umsetzung“, sagte Christian Ehlert, Mitglied des Bundestages und Parteimitglied der Christlich Demokratischen Union von der Leyens. Beim Runden Tisch am Mittwoch erwähnte Ehlert auch verschiedene Fördermittel, die der Modeindustrie bei der Umstellung helfen könnten, und bat die Branche um Vorschläge. „Was uns fehlt, ist ein konkreter Katalog von Vorschlägen, die wir in die Logik unserer Welt umsetzen können.“
„Die ESPR-Instrumente müssen nun mit Leben gefüllt werden, unter Berücksichtigung der modespezifischen Besonderheiten. Wir haben Hausaufgaben bekommen für die nächsten drei bis vier Monate, denn bis Ende 2025 will die EU definieren, welche Programme gegebenenfalls die Umsetzung des ESPR unterstützen können“, sagte Scott Lipinski, Vorsitzender der EFA und Geschäftsführer des Fashion Council Germany, in einem Interview.
Die European Fashion Alliance plant, im ersten Quartal ein auf die Modeindustrie zugeschnittenes Aktionspapier vorzulegen, fügte er hinzu. Dazu muss ein gemeinsamer Nenner zwischen den europäischen Modeverbänden gefunden werden, denn der Schritt von abstrakten Vorgaben zu konkreten Richtlinien könnte zu mehr Diskussionen führen.
„Das wird in den nächsten Monaten eine große Herausforderung sein“, sagte Lipinski. „Aber wenn wir auf die bisherigen Diskussionen zurückblicken, haben wir immer Lösungen gefunden.“
FashionUnited wurde von der European Fashion Alliance zum Fashion Policy Round Table eingeladen.