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Gewerkschaftsführerin: „Einige Veränderungen, aber noch ein weiter Weg für Bekleidungsarbeiter:innen“

Von Simone Preuss

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Business|Interview
Bild: Rukmini Puttaswamy von GLU / Munnade / Regina Weidental

Die indische Frauenrechtlerin und Gewerkschafterin Rukmini V. Puttaswamy erhielt den 17. Solidaritätspreis der Bremer Staatskanzlei. Die Frauenrechtsorganisation Femnet organisierte kürzlich ein Treffen mit Puttaswamy, als sie nach Deutschland kam, um den Preis am 20. Juni persönlich in Empfang zu nehmen. Grund genug für FashionUnited, der Präsidentin und Mitgründerin von Indiens einziger frauengeführter Gewerkschaft GLU (Garment Labour Union) zu gratulieren und einige Fragen zu stellen.

Zum Beispiel, was einige der größten Herausforderungen sind, mit denen Textilarbeiter:innen heute noch konfrontiert sind. Puttaswamy, die selbst 17 Jahre lang in der Bekleidungsindustrie tätig war, sagt, dass es viele Herausforderungen gibt, darunter niedrige Löhne, das Verbot von Gewerkschaften in den Fabriken und sexuelle und verbale Belästigungen.

Bedrohungen sind weit verbreitet

Vor allem Drohungen sind üblich, und auf die Frage, wer dahinter steckt, antwortet Puttaswamy: „Produktionsleiter, Vorgesetzte oder höher Positionierte. Sie sagen den Arbeitnehmer:innen vertraulich: ‘Hier ist jemand, der versucht, euch zu ernähren, und ihr versucht, ihm zu schaden’“, und stellen so die Fabriken als Wohltäter dar.

Dabei ist Panikmache an der Tagesordnung: „Sie sagen auch: ‘Da ist eine Frau, die von Gewerkschaften spricht, ihr folgt ihr alle und am Ende werdet ihr nichts haben’“, so Puttaswamy weiter. „Besonders wenn eine Gewerkschaft gegründet wird, sagen sie den Arbeiter:innen, dass dann bald die Fabrik geschlossen wird.“

Bild: Rukmini Puttaswamy bei der Preisverleihung / Femnet

Ihrer Erfahrung nach unterstützen Auftraggeber:innen die Arbeiter:innen auch nicht. „Wenn Unternehmen direkt mit Gewerkschaften sprechen, sagen sie: ‘Ja, es ist wichtig, eine Gewerkschaft zu haben, wir sollten eine gründen’, aber indirekt habe ich von Geschäftsleitungen gehört, dass Marken ihnen gedroht haben, indem sie sagten: ‘Wenn es in eurer Fabrik eine Gewerkschaft gibt, werden wir uns von euch abwenden, wir gehen zurück. Wir werden keine Aufträge mehr von euch annehmen’.“

Als ob das noch nicht genug wäre, gibt es auch Gruppen oder Schläger vor Ort, die angeheuert werden, um die Arbeiterinnen physisch zu bedrohen. „Sie gehen zu ihnen nach Hause und sagen den Ehemännern: ‘Sieh mal, deine Frau kümmert sich nicht um ihre eigenen Angelegenheiten, geht in die Gewerkschaft und anderes“, berichtet Puttaswamy davon, wie sie versuchen, eine Kluft innerhalb der Fabriken und Familien herbeizuführen.

Die 47-Jährige hatte selbst keine Ahnung, dass sie als Bekleidungsarbeiterin Rechte hat, bis sie an der Schulung einer Organisation teilnahm, die sich für die Rechte von Arbeiter:innen einsetzt. Von da an änderte sich alles, und Puttaswamy wurde von einer Hausangestellten und Bekleidungsarbeiterin ohne Schulbildung zur Gewerkschaftsvorsitzenden. Es war ein steiler und harter Kampf, der von Ausbeutung, Drohungen und Schikanen geprägt war. Doch allen Widrigkeiten zum Trotz setzt sie sich nun schon seit fast 20 Jahren für die überwiegend weiblichen Beschäftigten in der Textilindustrie ein.

Trotz zahlreicher Schulungen und Sensibilisierungskampagnen sind sich die Arbeiter:innen ihrer Rechte jedoch immer noch nicht oder nur wenig bewusst. Allein in Karnataka gibt es etwa 1200 Bekleidungsfabriken und 1 bis 1,2 Millionen Bekleidungsarbeiter:innen, so dass es schwierig ist, die Mehrheit von ihnen zu erreichen. Die Tatsache, dass die Fabriken von den Städten aufs Land verlagert werden, hilft ebenfalls nicht. „Es gibt keine Anerkennung von Gewerkschaften in den Fabriken, und wenn die Unternehmen oder das Management erfahren, dass es in diesen Fabriken Gewerkschaften gibt, werden sie angegriffen und bedroht“, erklärt Puttaswamy.

Bild: Rukmini Puttaswamy, GLU und Gisela Burckhardt, Femnet, beim Empfang / Femnet

Viele Herausforderungen

Was die täglichen Herausforderungen für GLU und die soziale Organisation Munnade betrifft, die ebenfalls von Puttaswamy mitgegründet wurde, so steht die Sensibilisierung der Beschäftigten an erster Stelle, da es sich bei den Frauen um Arbeiterinnen der ersten Generation handelt, die nichts über die Branche und ihre grundlegenden Rechte wissen. Daher sind wiederholte Schulungen und die Mobilisierung der Beschäftigten wichtig, vor allem wenn ihnen mit der vermeintlichen Schließung einer Fabrik nach Gründung einer Gewerkschaft Angst gemacht wird.

„Der Aufbau von Vertrauen (bei den Arbeitnehmer:innen) ist sehr wichtig“, erklärt die Aktivistin. „Es zu gewinnen dauert allerdings lange.“ Vor allem, wenn man bedenkt, dass Drohanrufe bei Gewerkschaftsmitgliedern häufiger vorkommen, als man denkt. „Ein Abgeordneter rief mich an und drohte mir persönlich: ‘Wenn du nicht mit deiner Gewerkschaft aufhörst, dann wirst du sehen, was passiert’“, erzählt Puttaswamy.

„Ich arbeite selbst seit 17 Jahren in der Bekleidungsindustrie und habe die Bedingungen in der Fabrik gesehen, so dass es etwas einfacher ist, die Situation zu verstehen, aber es gibt auch Arbeiter:innen von außerhalb, Wanderarbeiter:innen, und es gibt zusätzlich eine Sprachbarriere. Außerdem haben wir kaum Ressourcen, aber eine Gewerkschaft benötigt viele, sei es in finanzieller, kommunikativer oder personeller Hinsicht“, fügt Puttaswamy hinzu. So kommt der mit 10.000 Euro dotierte Solidaritätspreis genau richtig.

Auch das Sprechen mit den Regierungen, die häufig wechseln, und das Aufstellen von Forderungen nach besseren Bedingungen und der Umsetzung von Gesetzen gehören zu den Herausforderungen, denen sich die Gewerkschaftsmitglieder regelmäßig stellen müssen.

Marken und Einzelhändler zur Rettung?

Auf die Frage, was internationale Einkäufer:innen tun können, um diese Herausforderungen zu mildern, hat Puttaswamy eine ernüchternde Antwort: „Marken sind letztlich das Hauptproblem. So sehr sie in ihren langen Berichten über Nachhaltigkeit und Transparenz sprechen, am Ende steht alles nur auf dem Papier und in der Realität passiert nichts, vor allem nicht an der Basis.“

„Denn es hat sich nichts geändert - es gibt keine Vereinigungsfreiheit, keine Gewerkschaften in den Fabriken, die Arbeiter:innen dürfen sich nicht äußern, es gibt keine Beschwerdemechanismen, Marken sprechen weder mit den Arbeiter:innen selbst noch mit den Gewerkschaften, sie drängen nicht auf Vereinigungsfreiheit in den Fabriken“, fasst Puttaswamy zusammen.

Auch gib es keine zentrale Beschwerdestellen oder Ausschüsse, gerade solche für sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz oder geschlechtsspezifische Gewalt. Existenzlöhne scheinen auch noch in weiter Zukunft, so die Gewerkschaftsführerin.

„Was Marken tun, steht im Grunde nur auf dem Papier, wo gesagt wird, dass es Mechanismen und feste Anweisungen gibt, die befolgt werden, aber die Realität sieht anders aus. Was wir am häufigsten sehen, ist, dass Unternehmen Gewinne machen, aber sobald es ein Problem in der Fabrik gibt, finden die meisten den einfachsten Ausweg, nämlich die Fabrik zu verlassen und wegzugehen.“

Nach dieser ernüchternden Antwort fragte FashionUnited nach den Errungenschaften und Veränderungen, die im Laufe der Jahre erzielt wurden. „Ohne zu fragen, gibt dir niemand etwas“, fasst Puttaswamy zusammen, was sie über die Jahre gelernt hat. "Wir haben gesehen, dass Veränderungen eintreten, wenn wir anfangen zu fragen und zu hinterfragen. Es gibt einige Unternehmensleitungen, die zu Gesprächen bereit sind, wenn ein Problem von den Arbeiter:innen angesprochen wird. Einige von ihnen erkennen auch Gewerkschaften an.“

„In Zukunft werden wir sehen, wie weit unser Kampf geht, und wir werden mehr und mehr Veränderungen sehen. Aber das erfordert Solidarität und Unterstützung von vielen anderen beteiligten Akteur:innen. Einiges ist bereits erreicht worden, aber es liegt noch ein langer Weg vor uns“, schließt Puttaswamy.

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