IFM Fashion Reboot: Recycling und Secondhand-Mode, der letzte Ausweg für die Branche?
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Politische und wirtschaftliche Bedingungen, Statistiken zur Entwicklung der Modebranche, das Potenzial von Recycling und Second-Hand-Mode und noch vieles mehr. Im Dezember war die französische Modewelt zum jährlichen Seminar des Institut Français de la Mode (IFM) eingeladen, um "Mode neu zu denken".
„Covid, der Krieg in der Ukraine, die Energiekrise...Können wir heute so weitermachen wie bisher?“, fragt der ehemalige Journalist Lucas Delattre, der heute Professor am IFM ist und dieses Seminar moderiert. „Nein“, antwortet der erste Gast, Alain Frachon, ein Journalist der französischen Zeitung Le Monde. Es ist das Ende des goldenen Zeitalters der Globalisierung, die Erkenntnis, dass wir von bestimmten Produkten abhängig sind, und damit auch der Aufstieg des Protektionismus. Reicht das aus, um das Modegeschäft zu verändern, das bisher auf Verlagerungen und Importen beruhte? Möglicherweise schon.
„Die Idee, dass alles, überall, jederzeit, sofort möglich ist, hat wahrscheinlich ausgedient, und wir müssen uns auf zwei Jahre Rezession einstellen“, erklärte der zweite Redner, Denis Ferrand, Generaldirektor von Rexecode*, der schonungslos auf eine sehr aktuelle Sorge einging: die Inflation. „Während der Lockdowns hat die ganze Welt aufgehört zu produzieren, aber die Gehälter wurden weitergezahlt. Infolgedessen wollten die Menschen nach der Wende Geld ausgeben, die Unternehmen wollten investieren, aber es gab, wenn überhaupt, nur noch wenige Produkte auf dem Markt. Die Spannungen auf der Angebotsseite führten zu einem Preisverfall, der sich mit der Energiekrise in einen Schock verwandelte.“ Denis Ferrand wies jedoch darauf hin, dass die Preise heute bei stagnierender Nachfrage und steigendem Angebot zwangsläufig wieder sinken werden. Seiner Meinung nach ist daher nicht mit einer Inflation nach 2023 zu rechnen.
Welche Lehren können Modefachleute aus der geopolitischen und wirtschaftlichen Situation ziehen?
Der Bekleidungsmarkt hat sich 2022 verlangsamt: 26 Milliarden Euro gegenüber 27,8 Milliarden Euro im letzten zuverläsigen Vergleichsjahr, 2019. Bevor Gildas Minvielle, Direktor des IFM-Wirtschaftsobservatoriums, Überlegungen für die Zukunft anstellte, nannte er die Ergebnisse quantitativer Studien, die den Menschen in der Modebranche als Orientierung dienen können. Zu den positiven Fakten, auf die der Experte hinwies, gehören: die wiedererwachte Vitalität der Kaufhäuser (+35 Prozent), was angesichts der Rückkehr der internationalen Kundschaft verständlich ist; der Anstieg der Nachfrage nach Herrenmode (30 Prozent des Marktanteils gegenüber 50 Prozent bei der Damenmode); und ein durchschnittlicher Warenkorb, der sich nach Angaben von 53 Prozent der Einzelhändler:innen erhöht hat.
Dieser Enthusiasmus sollte durch andere Daten ausgeglichen werden. Die Kundschaft in den Geschäften und die Konversionsraten sind rückläufig (47 Prozent beziehungsweise 50 Prozent). Unabhängige Multibrandstores, Kaufhäuser und SB-Warenhäuser sind stark rückläufig (19,4 Prozent, 11,1 Prozent und 17,8 Prozent), auch wenn die Umsätze von Pure Playern und großen Einzelhandelsunternehmen gestiegen sind (+1,7 Prozent für beide).
Die Jahre des Wachstums vergessen, Widerstandsfähigkeit zeigen, sich neu erfinden und Solidarität zeigen
Unter den neuen Perspektiven verweist Gildas Minvielle auf den Anstieg von Secondhandmode (+38 Prozent der Einzelhändler:innen haben diese integriert), upgecycelter Kleidung (+36 Prozent) und Mietkauf (+9 Prozent): „Im Jahr 2022 haben 44 Prozent der Verbraucher:innen ein umweltfreundliches Produkt gekauft, 42 Prozent sind besorgt über die mögliche Giftigkeit von Produkten und acht Prozent haben Umweltbedenken. Ist der Weg des Nearshorings der richtige Weg? Nein, denn auch wenn Gildas Minvielle einen Rückgang der Importe aus China feststellt, sind sie die Nummer zwei (19 Prozent), knapp hinter Bangladesch (28 Prozent) und vor der Türkei (13 Prozent). In Wirklichkeit ist die Erklärung einfach: Die französischen Verbraucher:innen sind voller guter Absichten, aber wenn es ans Bezahlen geht, verlieren sie das Interesse. Ein geflügeltes Wort besagt, dass „die Französ:innen ihr Herz auf der linken und ihre Brieftasche auf der rechten Seite haben“, es scheint hier bestätigt.
Franck Lehuédé, Direktor für Studien und Forschung bei Credoc**, zufolge bleibt die Kaufkraft die Hauptsorge. Die finanzielle Situation hat sich verschlechtert, vor allem bei den unteren Bevölkerungsschichten (-1.500 Euro pro Monat), bei Alleinerziehenden, aber auch, und das beunruhigt den Fachmann, bei Familien, Handwerker:innen, Ladenbesitzer:innen und Unternehmensleiter:innen. Die Menschen, die Fragen zur Einkommenspolitik stellen, und die sozialen Netzwerke, die mit Beiträgen über die hohen Lebenshaltungskosten überschwemmt werden, bezeugen den Trend.
Der bekannte Ratschlag „weniger konsumieren“ bedeutet nicht unbedingt „besser konsumieren“, sondern leider auch „noch billiger konsumieren“. Der Beweis? In der Modebranche macht das Label ‚Made in France‘ drei Prozent der Einkäufe aus, während die Discounter immer mehr Marktanteile gewinnen. All dies kann dazu führen, dass man die aktuelle Konsumgesellschaft hinterfragt und eine Beobachtung macht: Die Menschen setzen auf Secondhand-Produkte, 38 Prozent davon, um genau zu sein. Eine Realität, der das Ökosystem der Mode Rechnung tragen muss.
Vom Zeitalter des Besitzes zum Zeitalter der Wiederverwendung durch Upcycling und Second Hand
Um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass Upcycling kein glamouröses, traumhaftes Image hat, lud das IFM Leopolda Contaux-Bellina, Gründerin des Sed Nove Studio***, ein. Mit ihrer poetischen Präsentation wollte sie den immateriellen Wert des Upcyclings aufzeigen. „Das upgecycelte Kleidungsstück ist Zeuge einer Geschichte, es stützt sich auf die Summe der Werte, die ihm vorausgehen (das Original mit dem Rohstoff, das Know-how, das Prestige einer Marke...)“. Und sie verweist auf Modephänomene wie Bootlegging, ein Begriff, der die illegale Herstellung, den Verkauf oder den Vertrieb von Waren beschreibt. Der Begriff kann alles, von gefälschten Logos bis hin zur Kreuzung von Marken in einem Kleidungsstück oder Accessoire mit oder ohne deren Zustimmung bedeuten. Auch Logomania oder den Eventcharakter und daher begehrenswerten Aspekt einer upgecycelten Kapsel-Kollektion spielen hierbei eine große Rolle.
Zu diesem Thema äußerte sich Jean-Marc Bellaiche, Präsident der Printemps-Gruppe, zur ‚Second Life‘-Fläche von Printemps für Secondhand-Kleidung am Boulevard Haussmann in Paris. „Man nennt mich Mr.Wow, weil ich der Meinung bin, dass wir den Wow-Effekt des Einkaufserlebnisses in den Geschäften wieder entdecken müssen“, sagt er. Um die Magie neu zu erfinden, setzt er auf das Secondhand, aber auch auf die Gastronomie, die Vermenschlichung des Kundendienstes und einen Live-Shopping-Kanal, der vom Personal-Shopping-Team von Printemps geleitet wird.
Das Seminar behandelte natürlich auch den digitalen Aspekt – die richtige Nutzung von Tik Tok und dem Web 3.0 – sowie die Verbindung der Beauty-Branche mit der Mode als auch die Auswirkungen der Null-Covid-Politik in China. Dennoch wurde Fanny Moizant, Gründerin und Präsidentin von Vestiaire Collective, die Ehre zuteil, das diesjährige Seminar zu schließen. Sie lud dazu ein, darüber nachzudenken, dass die Kreislaufwirtschaft der Weg ist, den die Mode einschlagen muss, um sich neu zu erfinden.
*Rexecode: Forschungszentrum für wirtschaftliche Expansion und Unternehmensentwicklung.
CREDOC: Forschungszentrum für die Untersuchung und Beobachtung von Lebensbedingungen.
* Sed Nove Studio steigert den Wert ruhender Lederbestände durch Erfahrungsworkshops.
Dieser Artikel wurde ursprünglich auf FashionUnited.fr veröffentlicht. Übersetzung und Redaktion: Barbara Russ.