Klimaresiliente Baumwolle: Aid by Trade Foundation-Chefin über nachhaltige Anbaumethoden und Transparenz
Mit dem Nachhaltigkeitsstandard Cotton made in Africa (CmiA) unterstützt die Aid by Trade Foundation (AbTF) hunderttausende Kleinbäuer:innen und ihre Familien in zehn Ländern Subsahara-Afrikas. Die AbTF ist bekannt dafür, Entwicklungszusammenarbeit und Privatwirtschaft zusammen zu bringen, also nachhaltige Entwicklung durch Handel zu schaffen. So konnten etwa in der Côte d’Ivoire Baumwollerträge durch klimaresiliente Anbaumethoden auf Demoflächen um bis zu 37 Prozent gesteigert werden, und dies trotz zunehmender Wetterextreme.
Genau vor zwei Jahren, im November 2023, stellte die AbTF den Regenerative Cotton Standard (RCS) vor, der Kleinbäuer:innen dabei helfen soll, widerstandsfähiger gegenüber den Folgen des Klimawandels zu sein, und Unternehmen eine Lösung bieten soll, die Produktion von Baumwolle als wesentlicher Rohstoff ihrer Textilien zukunftssicherer zu machen.
FashionUnited wollte genauer wissen, wie nachhaltige Lieferketten als Brücke zwischen Entwicklungszusammenarbeit und Handel funktionieren können. AbTF-Geschäftsführerin Tina Stridde sprach im Interview darüber, was eine Lieferkette überhaupt nachhaltig macht, den Brückenbau zwischen Entwicklungsarbeit und Handel und wie Baumwollbäuer:innen statt zu Opfern der Klimakrise zu Schlüsselakteur:innen der Klimaanpassung werden können.
Die Klimaresilienz von Baumwolle wird oft in Frage gestellt – Stichwort Wasserverbrauch, Monokulturabanbau, Mineraldünger, Unkrautvernichtungsmittel, Insektizide und Fungizide. Wie antworten Sie darauf?
Baumwolle ist immer noch ein sehr wichtiger Rohstoff für die Bekleidungsindustrie. Und was genauso wichtig ist: Baumwolle hat eine sehr bedeutende soziale Aufgabe zu erfüllen — man denke eben an die Kleinbäuer:innen in Indien sowie in afrikanischen und vielen weiteren Ländern weltweit, die von der Baumwolle leben. Die Einnahmen aus dem Baumwollanbau ernähren häufig die ganze Familie, ermöglichen den Schulbesuch, Mobilität, ein Dach über dem Kopf und mehr.
Gleichzeitig hat sie sehr positive ökologische Eigenschaften, wenn sie richtig angebaut wird. Hier ist es wichtig, dass diese hinreichend berücksichtigt und richtig kommuniziert werden. Um dies zu unterstützen sind wir der Initiative Make the Label Count im letzten Jahr beigetreten. Diese stellt sicher, dass unter anderem an Verbraucher:innen die richtigen Informationen über Baumwolle vermittelt werden. Wenn im Vergleich plötzlich Manmade-Fibers ökologisch besser bewertet werden als Baumwolle, hat man ihre Recyclingfähigkeit und die Tatsache außer Acht gelassen, dass es sich um einen natürlichen Rohstoff handelt. Produkte aus Baumwolle sind kompostierbar und komplett abbaubar. Ein Plastikprodukt hingegen – man muss es ja so nennen – niemals; Microplastics bleiben für immer in der Umwelt. Inzwischen wissen wir alle, was für ein gewaltiges Problem das darstellt.
Sie betonten den richtigen Anbau.
Genau, es geht um den nachhaltigen Anbau wie es bei CmiA und auch bei RCS der Fall ist. Stichwort Wasserverbrauch - so wird zum Beispiel in Afrika, südlich der Sahara, nicht bewässert. Wir unterstützen die Bäuer:innen, indem wir mit ihnen erarbeiten, wie man den Regen bestmöglich nutzen kann. Es gibt Rückhalte- oder Auffangmöglichkeiten, man muss die Felder in einer gewissen Weise und zum richtigen Zeitpunkt bearbeiten, so dass das vorhandene Wasser optimal genutzt werden kann. Auch die Bodengesundheit hat eine besonderen Stellenwert vor allem bei unserem regenerativen Standard RCS. Insgesamt hat sich bei unseren Partner:innen die Erkenntnis durchgesetzt, dass nachhaltige Anbaumethoden einen positiven Impact haben, so dass wir mittlerweile auf Zustimmung zu unseren nachhaltigen und innovativen Ideen stoßen.
Es gibt zudem klare Vorgaben bei CmiA und RCS, welche Pestizide erlaubt sind, welche nicht. Es gibt eine Liste von Inhaltsstoffen, die wir nicht erlauben und da gibt es auch keine Grauzone. Viele gesundheitsgefährdende und umweltschädliche Produkte lassen wir nicht zu. Leider werden diese immer noch vertrieben und mancherorts akzeptiert. Wir halten klar an unseren Werten fest, um die Toxizität für die Umwelt und für die Menschen, die sie verwenden zu vermeiden. Hier haben wir in den letzten 20 Jahren gute Fortschritte erzielt.
Was ist in Ihrer langjährigen Erfahrung der größte Durchbruch bei Cotton made in Africa gewesen?
Es hat sich vieles im Laufe der vergangenen 20 Jahre verändert. Ein klares Ziel bei der Gründung unserer Stiftung war es, eine wirklich relevante Nachfrage von Textilunternehmen und Modemarken zu erzeugen, Lizenzeinnahmen zu realisieren und so ausreichend Mittel zur Finanzierung unserer Aktivitäten einzunehmen. Den Durchbruch hatten wir dann erreicht, als wir unsere Aktivitäten erstmals rein aus der Aktivierung von Marktkräften finanzieren konnten und nicht auf öffentliche Mittel oder Spenden angewiesen waren. Wir agieren hier nach dem System eines Social Business, das heißt, wir nutzen unsere Einnahmen, um unsere Aktivitäten in den Projektregionen wie Schulungsmaßnahmen für die Kleinbäuer:innn, die Verifizierungmaßnahmen und die Community Projekte zu finanzieren. Außerdem können wir unsere Initiative eigenfinanziert weiterentwickeln, indem wir weitere Partner:innen aufnehmen und größere Projekte aufsetzen. Das ist für mich der größte Durchbruch und beweist, dass das Aid by Trade Prinzip funktioniert.
So konnten wir genügend Mittel aufbringen, um ein spezielles Projekt, was uns sehr am Herzen liegt, ins Leben zu rufen, die Förderung von Biodiversität. Das ist ein wichtiges Thema, dessen Umsetzung jedoch für viele Baumwollgesellschaften erst einmal schwer zu greifen ist. Mit dem neu geschaffenen Biodiversity Fund, den wir initial mit einem Budget von einer halben Million Euro ausgestattet haben, sind wir in der Lage, lokale Akteur:innen wie NGOs zu unterstützen, die dieses Thema mit uns in den Projektgebieten angehen.
Wie entwickelt sich die Ausweitung auf Indien, also die regenerative Landwirtschaft?
Damit sind wir sehr zufrieden. Das Projekt wächst organisch, wir überstürzen nichts. Es gibt viel Interesse von Unternehmen und auch von Baumwollgesellschaften, die sich gerne beteiligen möchten. Der Regenerative Cotton Standard (RCS) steht dabei in einem gewissen Wettbewerb mit Biobaumwolle. Immer dann wenn diese preislich attraktiv ist, wird sie zunächst noch die erste Wahl für Unternehmen sein. Das liegt sicher auch daran, dass Organic etwas ist, das Unternehmen und Verbraucher:innen bereits kennen, wohingegen RCS ein ganz neuer Standard ist.
Die ungefähr 5.000 Farmer:innen, die in Indien Teil des Projekts sind, haben schon mit Biobaumwolle gearbeitet. Das ist eine gute Ausgangslage, da sie ein sehr gutes Verständnis für alternative Anbaumethoden mitbringen. Beeindruckt sind wir zum Beispiel, wie weit das Thema Pyrolyse bereits bekannt und entwickelt ist. Es hat sich in Indien bereits in vielen Gebieten durchgesetzt und vielerorts sind professionelle Pyrolyse-Öfen im Einsatz, um Pflanzenreste in Biochar umzuwandeln.
Pyrolyse:
Beim thermochemischen Prozess der Pyrolyse werden Baumwollabfälle in vielseitig verwendbare Ressourcen umgewandelt. Bei hohen Temperaturen und in Abwesenheit von Sauerstoff werden die langen Molekülketten der Baumwollfasern in kleinere Moleküle wie Gase, Öle und Kohlenstoff zerlegt. Diese werden dann zu neuen Materialien oder Energie weiterverarbeitet. Der Prozess erfordert spezialisierte Anlagen und sorgfältige Prozesskontrollen.
Alles in allem entwickelt sich RCS gut, und wir arbeiten bereits daran, ihn auf weitere Länder auszuweiten und in Europa und den USA zu vermarkten.
Werden in Indien die Bäuerinnen besonders gefördert, wie es bei CmiA der Fall ist?
Wir arbeiten bei jedem unserer Standards eng mit unseren Partner:innen vor Ort zusammen, um die Bäuer:innen mit Schulungen und Weiterbildungsmaßnahmen zu unterstützen – so stärken wir auch explizit die Rolle von Frauen und trainieren sie gezielt in nachhaltigen Anbaumethoden. Bei Cotton made in Africa setzen wir gemeinsam mit unseren Partner:innen vor Ort Community Projekte um. Diese gehen über den reinen Baumwollanbau hinaus und fördern zum Beispiel Schulinfrastruktur, Gesundheits- oder Frauenprojekte. Die Förderung von Frauenkooperativen oder Frauenprojekten gibt es im Moment in Indien noch nicht, aber das ist für die Zukunft auch denkbar.
Idealerweise übernehmen Retailer und Brands einen Teil der Kosten für diese Projekte. Im Gegenzug profitieren sie von vielen Möglichkeiten einer authentischen Kommunikation über ihr Engagement. Aktuell ist spürbar, dass viele Unternehmen auf die Budgets achten müssen, das heißt die Finanzierung der Community Projekte liegt vor allem bei der Aid by Trade Foundation.
Welche Einflüsse hat die Regulatorik dabei auf die Unternehmen?
Erst wurde etwas entschieden oder angekündigt, dann wieder zurückgezogen. Diese Unsicherheit ist nicht hilfreich. Der AbTF haben Vorgaben für mehr Transparenz, vor allem das Lieferkettengesetz, in den letzten Jahren Rückenwind gebracht, da Unternehmen nach Lösungen für ihre Supply Chains gesucht haben. Aber ich denke, bei manchen Aspekten sind die Vorgaben tatsächlich über das Ziel hinausgeschossen. Ich kann verstehen, dass die Umsetzung vor allem für kleinere Unternehmen schwierig ist. Es herrscht eine große Unsicherheit und das ist für niemanden hilfreich.
Wir hoffen, dass es bald eindeutige Vorgaben gibt, die für alle gelten. Dies würde es für uns als Standardorganisation für nachhaltige Rohstoffe einfacher machen, Unternehmen konkret darin zu unterstützen, Auflagen in Kooperation mit uns zu erfüllen.
Anfang des Jahres hatte AbTF einen neuen Transparenzstandard eingeführt...
Wir haben sehr viel in das Thema investiert und den neuen AbTF-Transparenzstandard eingeführt. Er gewährleistet Transparenz, Sicherheit und Verlässlichkeit über den Einsatz und die Rückverfolgbarkeit nachhaltiger Baumwolle gemäß Cotton made in Africa beziehungsweise Regenerative Cotton Standard. Dabei überprüfen unabhängige Auditor:innen regelmäßig, ob die Transparenzanforderungen des neuen Standards verlässlich in der Lieferkette eingehalten werden. Ein wesentlicher Bestandteil des neuen Standards stellt die Durchführung von risikobasierten Desktop Audits durch unabhängige Prüfer:innen dar.
Diese kontrollieren auf allen Produktionsstufen die in das Trackingsystem eingegebenen Daten und dazugehörigen Dokumente wie beispielsweise Produktionsreporte und Lieferscheine. Sie stellen damit die Einhaltung der Standardanforderungen sicher und sorgen für zusätzliches Vertrauen in die Integrität des Systems und die Transparenz der CmiA- oder RCS gelabelten Produkte. Durch diesen neuen AbTF-Transparenzstandard haben wir viel dafür getan, um die Textilproduktion bis runter zur Entkörnungsfabrik rückverfolgbar zu machen.
Was ist für Sie eine nachhaltige Lieferkette?
Es wird manchmal vergessen, wenn man nur auf Systeme und Datenbanken, digitale Tools und Tokens und Blockchain schaut, dass eine Lieferkette nur dann nachhaltig ist, wenn auch ein nachhaltiger Rohstoff am Anfang steht.
Das heißt, dieser Rohstoff wurde nach bestimmten Sozial- und ökologischen Kriterien erzeugt und durch Dritte verifiziert. Zudem muss die Rückverfolgung vom Endprodukt bis zum Rohstoff sichergestellt werden können. Auch dürfen natürlich in den vielen weiteren Wertschöpfungsschritten keine Menschenrechtsverletzungen geschehen und es müssen auch Umweltkriterien eingehalten werden.
Und was sind die größten Schwierigkeiten beim Aufbau dieser nachhaltigen Lieferketten?
Am Ende hängt alles an der Nachfrage der Unternehmen. Sie bestimmen damit das Tempo und am Ende auch die Durchsetzungsfähigkeit solcher Themen. Momentan gibt es Unsicherheiten darüber, welche Vorgaben tatsächlich in Zukunft Bestand haben werden. Aber ich bin überzeugt, dass alle Akteur:innen der Supply Chain verstanden haben, dass nachhaltige Lieferketten ein zentrales Thema sind und dass sie auch bereit sind, an der Umsetzung mitzuarbeiten.
Das Wichtige ist, dass es von Anfang an gut organisierte Prozesse gibt; die bereits beim Rohstoff anfangen und dann lückenlos bis zum Endprodukt weitergehen. Zum Beispiel schließen wir bei Cotton made in Africa ausdrücklich die Überprüfung der Entkörnungsanlagen ein, um sicherzugehen, dass hier Arbeitsschutzgesetze eingehalten werden.
Und die Länge der Lieferketten macht es nicht leichter?
Natürlich ist die textile Lieferkette enorm fragmentiert. Aber wenn allen Akteur:innen klar ist, was von ihnen erwartet und dies gut kommuniziert wird, kann es funktionieren. Problematisch wird es nur dann, wenn niemand bereit ist, für Transparenz und Nachhaltigkeit zu bezahlen. Externe Überprüfungen kosten Geld und das kann nicht am Standardgebenden hängen bleiben oder womöglich an denjenigen, die sie überprüfen lassen müssen. Dann wird das Endprodukt zu teuer und Nachhaltigkeit bleibt in der Nische.
Ich glaube, das ist der größte Hemmschuh. Wenn ein Produkt mit hohen Mehrkosten auf den Markt kommt, gewinnen am Ende nur die, die Kleidung zu extremen Billigpreisen auf den Markt bringen. Das ist kein Level-Playing-Field. Diesen Trend kann man aktuell leider beobachten.
Anbieter digitaler Lösungen wie Textile Genesis, mit denen wir bei unserem Good Cashmere Standard zusammenarbeiten, bieten gute und vor allem skalierbare Lösungen an. Auch das ist nicht umsonst. Aber die Unternehmen haben die Notwendigkeit verstanden und wollen in gute Lösungen investieren.
Wie funktionieren nachhaltige Lieferketten als Brücke zwischen Entwicklungszusammenarbeit und Handel?
Die Aid by Trade Foundation mir ihren inzwischen vier international etablierten Nachhaltigkeitsstandards ist dafür ein gutes Beispiel. Sie wurde vor 20 Jahren von einem Unternehmer gegründet, der darüber nachdachte, wie die Nachfrage seines und weiterer Unternehmen einen maßgeblichen Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung für die afrikanischen Kleinbäuer:innen leisten kann. An dieses Prinzip von „Aid by Trade“ glauben wir noch heute – und die Vision unseres Gründers hat sich erfüllt: wir können Mittel im Handel generieren, die wir in den Erzeugerländern des Rohstoffs in eine nachhaltige Entwicklung investieren.
Die internationale Entwicklungszusammenarbeit steckt in einer Krise und ungefähr ein Drittel der internationalen Unterstützung ist in den letzten drei Jahren weggebrochen. Gleichzeitig gibt es durch Kriege, Konflikte und vor allem auch den Klimawandel einen sehr großen Unterstützungsbedarf. Umso wichtiger sind daher Initiativen wie unsere, die Marktkräfte zur Verbesserung von Lebensbedingungen und zum Schutz der Umwelt aktiveren können.
Was ist besonders wichtig für den Brückenbau zwischen Entwicklungsarbeit und Handel?
Für eine langfristige Unterstützung müssen nachhaltige Lieferketten aufgebaut und nachhaltige Rohstoffe geschaffen werden. Alle müssen von der Zusammenarbeit profitieren, nur dann wird sie Bestand haben und es muss allen Beteiligten klar sein, dass dies nur in einem Miteinander auf Augenhöhe funktionieren kann. Unrealistische Forderungen werden eine dauerhafte Partnerschaft genauso scheitern lassen wie mangelndes Vertrauen.
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