„Kreisläufe von Produkten schließen, sonst ist man weg vom Markt“
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Kreislaufwirtschaft ist in der Modebranche derzeit ein sehr gefragtes Wort. Von H&M bis Sympatex, alle investieren in kreislauffähige Prozesse. Aber was ist das genau? Wir haben eine echte Expertin gefragt. Dagmar Parusel ist Biologin und seit 1998 im Hamburger Beratungs- und Entwicklungsinstitut EPEA Internationale Umweltforschung tätig, dessen Gründer Michael Braungart das „Cradle to Cradle“ (C2C) Konzept mitentwickelt hat. Auf dem C2C Konzept fußt die Idee der Kreislaufwirtschaft. Als Senior Scientist hat sie in den letzten Jahren viele textile Projekte betreut - darunter auch Puma InCycle, die erste (und leider auch einzige) kompostierbare Kollektion von Puma, die das Thema Kreislaufwirtschaft 2013 in der Mode erst populär machte. Inzwischen können auch Zertifizierungen nach dem Cradle to Cradle Certified Produktstandard durchgeführt werden und immer mehr Textilunternehmen interessieren sich für ihre Kreislauffähigkeit. Dagmar Parusel erklärt, wo wir stehen.
In kurzen Worten: Was ist Cradle to Cradle?
Cradle to Cradle ist ein wissenschaftliches Lösungskonzept für Produkte, und die Zertifizierung sozusagen eine positive Einladung an die Textilbranche, sich zertifizieren zu lassen und damit Produkte und deren Prozesse für Kreisläufe zu optimieren. Dabei untersuchen wir nicht die Kreislauffähigkeit von Produkten allein, sondern betrachten die ganze Zulieferkette, schließlich betrifft es alle Bereiche. Wenn alle zusammenkommen, wird es ein Netzwerk, mit dem man arbeiten und die Dinge positiv und nützlich verändern kann. Dazu gehört auch, dass man die textile Kette nicht als Bittsteller versteht, sondern als Partner, mit dem man gemeinsam nach neuen Wegen sucht.
Biologisch abbaubare und kompostierbare Stoffe werden gerade als neuer Trend vorgestellt. Geht das in die richtige Richtung?
Wenn sich Produkte in unproblematische Teilstoffe zersetzen und kompostiert werden können, ist das grundsätzlich eine positive Entwicklung. Sinnvoll ist aber auch die Weiterverwendung. Alle Stoffe sollten biologisch kompatibel sein, aber einen Turnschuh nach einer Saison auf den Kompost zu werfen ist auch keine sinnvolle Lösung. Man muss von Beginn an im Auge behalten, was am Ende des Lebenszyklus mit dem Produkt passieren soll. Und wir brauchen weitere Forschung, um besser entscheiden zu können, bei welchen Fasern es Sinn macht, sie zu recyceln und wo z.B. eine Kompostierbarkeit nützlich wäre. Generell geht es darum, die Produkte für bestimmte „ewige“ Nutzungsszenarien zu entwickeln.
Worauf kommt es an, wenn man kreislauffähig werden will?
Entscheidend ist, dass man sich schon beim Design Gedanken darüber macht, wie das Produkt verwertet werden soll. Viele der heutigen Textilien sind, selbst nach einer langen Lebensdauer, in der Nachnutzung leider nur Sondermüll. Selbst ein Baumwoll-T-Shirt ist aufgrund seiner undefinierten Ausrüstung oft nicht kompostierbar – es stecken zu viele problematische Inhaltsstoffe darin. Das heißt, der Designer muss in Zukunft ein noch besserer Materialkenner sein und mit der Wissenschaft eng zusammenarbeiten. Designer sind hier die wichtigsten Personen in diesem Zusammenhang.
Welche Rolle spielt der Preis, wenn man kreislauffähig werden will?
Fast alle Hersteller haben ihre textile Kette ausgelagert in Billiglohnländer, von Hugo Boss bis Aldi. Der Preisunterschied basiert nicht auf dem Produkt und seiner Herstellung. Deshalb stimmt es auch nicht, dass ein positiv definiertes Textil teurer sein muss. Wir haben gerade verschiedene Cradle to Cradle Projekte, auch im Textil-Niedrigpreissegment, begonnen. Gerade hier steht man auf dem Standpunkt: Wer heute nicht beginnt, Kreisläufe für Produkte zu schließen, ist morgen weg vom Markt. Das sagt immerhin ein Discounter.
Wo stehen wir heute?
Wir wissen über Produktqualität und nützliches Design viel und versuchen viel Recycling. Aber es gibt noch zu wenige Ansätze für eine echte Kreislaufwirtschaft, für ein Netzwerkmanagement, in dem Produkte als Nährstoffe zirkulieren und diese immer wieder einsetzbar sind. Wir machen einen Schritt vor und zwei zurück, so kommt es mir manchmal vor. Aber immer mehr Leute haben verstanden die richtigen Dinge zu tun! Das merke ich vor allem bei den jüngeren Leuten, die jetzt in Entscheiderpositionen kommen und wirklich jetzt die Dinge umfassend ändern wollen. Wir haben keine Zeit uns auszuruhen!
Foto: EPEA