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Maren Barthel, Otto Group: “CSR hat sich in den letzten 10-15 Jahren gravierend geändert“

Von Simone Preuss

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Business |INTERVIEW

Die Modeindustrie ist eine vielseitige Branche, die neben Glamourjobs wie Designer, Model und Kreativchef auch viele ungewöhnliche Berufe erfordert. Dann gibt es auch noch den Bereich Produktion und Lieferkette, dem sich dieser Beitrag widmet, für den Nachhaltigkeit und Unternehmensverantwortung zu immer wichtigeren Schlagworten geworden sind.

FashionUnited hat mit Maren Barthel gesprochen, die als Corporate Responsibility-Managerin für den weltweit aktiven Handels- und Dienstleistungskonzern Otto Group das ganze Jahr über in den asiatischen Produktionsländern unterwegs ist. Dort implementiert und überprüft sie die Einhaltung der Sozialstandards in den Produktionsstätten, unterstützt die Lieferanten dabei, sozialverträgliche Arbeitsbedingungen sicherzustellen und umweltschützende Maßnahmen umzusetzen. Außerdem engagiert sich Maren Barthel im Dialog mit Zivilgesellschaft, Politik und anderen Unternehmen, um Verbesserungen in der globalen Lieferkette voranzutreiben.

August ist Themenmonat bei FashionUnited und es geht bei „Work in Fashion“ darum, unseren Lesern und Abonnenten verschiedene Aspekte der Modebranche als Arbeitgeber näher zu bringen. Vielleicht könnten Sie uns erzählen, wie Sie zu Ihrer jetztigen Position gekommen sind und ein bisschen über Ihren Werdegang erzählen; auch ob es ein direkter Weg war.

Nein, es war auf keinen Fall ein direkter Weg. Ich hatte zunächst keine Intentionen und auch kein Interesse, in den Textil- oder Modebereich einzusteigen; die Fashion-Seiten in Modemagazinen habe ich immer überschlagen. Ich fing Mitte der 80er Jahre an, Politikwissenschaft, Wirtschaft und Chinesisch zu studieren und habe mein Studium 1990 abgeschlossen. Mein Ziel war China, das Mitte der 80er Jahre begann, sich als Land zu öffnen. Allerdings hatte ich damals noch keine konkrete Vorstellung davon, was ich in China genau machen wollte, aber ich war sehr offen. Durch das Massaker auf dem Tiananmen-Platz in Peking im Jahr 1989 wurden meine Pläne zunächst auf Eis gelegt, und um die Zeit zu überbrücken, habe ich eine betriebswirtschaftlich orientierte Zusatzausbildung im Messe- und Veranstaltungswesen gemacht.

Ein Kommilitone gab mir dann eines Tages den Hinweis, dass Karstadt jemanden mit Chinesisch-Kenntnissen suche, um das China-Direktgeschäft auszubauen. Hongkong-Lieferanten ließen damals die Textilien in China produzieren und man wollte die Hongkong-Schleife vermeiden. Ich stellte mich also vor, wurde eingestellt und ging als Mitarbeiterin im sogenannten China Coordination Department nach Asien mit der Aufgabe, den Einkäufern das China-Direktgeschäft schmackhaft zu machen. Einkäufer hatten nämlich keine großen Ambitionen, nach Mainland China zu reisen. Hongkong war schön, aber China extrem mühsam, was Wege, Hotels, Entertainment, aber vor allem das Geschäft anging. Wenn z. B. Muster abgegeben wurden, dauerte es einige Zeit bis die Gegenmuster kamen und die entsprachen meistens nicht den Erwartungen, da den Lieferanten in China die Erfahrung fehlte. Während meines einjährigen Aufenthaltes in Hongkong wurde beschlossen, eigene Einkaufsbüros in Peking und Shanghai zu eröffnen, und mir wurde die Leitung eines dieser Büros angeboten. Also ging ich nach Shanghai und bin so über Umwege in die ganze Modegeschichte hineingeraten.

Was waren einige der Herausforderungen, denen Sie gegenüberstanden?

Teilweise war der fehlende Modehintergrund schwierig, aber die Merchandiser vor Ort haben viel erklärt und ich habe mir im Laufe der Zeit auch viel technisches Wissen angeeignet; ich konnte aber zum Beispiel selber keine Qualitätskontrollen machen.

Ende 1996 ging es wieder zurück nach Deutschland, wo ich in Essen eine interne Ausbildung zur Geschäftsführerin machte. Von 1999 bis 2002 war ich wieder in China. Nachhaltigkeit war inzwischen ein großes Thema geworden, auch bei den NGOs, und ich wurde nach meiner Rückkehr nach Deutschland 2002 gefragt, ob ich das Thema übernehmen wolle. Ich stimmte zu. 2005 ging es dann abermals nach Shanghai, wo ich erneut die Leitung des Büros übernahm, das inzwischen sehr gewachsen war, u. a. durch die Fusion mit Quelle. Anfang 2007 bin ich schließlich zu meinem jetzigen Arbeitgeber, der Otto Group gewechselt.

War es anfänglich schwer, das Thema Nachhaltigkeit durchzusetzen?

Anfang der 90er Jahre war das Thema Nachhaltigkeit noch nicht sehr verankert und stellte uns alle vor große Herausforderungen. Ich selbst habe damals z. B. bei Fabrikbesichtigungen in China unter den Nähmaschinen Decken gesehen, so dass wir wussten, die Arbeiter übernachten dort. Das war natürlich ein Problem, sowohl aus Qualitätsgesichtspunkten als auch in Bezug auf das Wohlergehen der Arbeiter, denn sie lebten quasi an und unter ihrer Nähmaschine. Seinerzeit war aber das Bewusstsein insgesamt noch ganz anders und Vieles wurde noch nicht als Problem erkannt.

Bei der Otto Group blicken wir heute auf eine lange Historie im Bereich Nachhaltigkeit zurück. Bereits in den 1980er Jahren wurde der Umweltschutz als Unternehmensziel ausgegeben, und in den 1990er Jahren mit einem Verhaltenskodex (Code of Conduct) die Grundlagen dafür geschaffen, dass es weltweite Richtlinien für den sozialen Umgang mit den Beschäftigten in Produktionsbetrieben gibt. Um die Jahrtausendwende herum verständigte sich dann erstmals eine ganze Branche auf bestimmte Sozialstandards in der Lieferkette und entwickelte auf Initiative der Otto Group das AVE-Sektorenmodell. Die Durchführung von Fabrikkontrollen und Schulungen war anfänglich schwierig, da die Einsicht und das Bewusstsein der Fabrikbesitzer einfach fehlten. Das Sektorenmodell und ein gemeinsames Vorgehen verschiedener Unternehmen haben allerdings sehr geholfen, hier ein Verständnis seitens der Fabrikbesitzer aufzubauen. Das wurde natürlich nicht immer mit Jubel aufgenommen, sondern war ein relativ neues Konzept für viele Fabrikbesitzer.

Sie müssen bedenken, dass der Textilbereich ja auch eine klassische Einsteigerindustrie ist. So haben viele Leute in China in diesen Aufschwungjahren statt z. B. Reis anzubauen eben eine Textilfabrik eröffnet. Sie haben sich dabei auch echt Mühe gegeben und ihre Fabrik stolz gezeigt. Und dann kommt eine Person daher und sagt „das geht nicht, und das geht nicht“. Da muss man die andere Perspektive auch verstehen. Ich kann aber sagen, dass sich in den letzten 10-15 Jahren wirklich gravierend etwas geändert hat.

Wie ist es als Frau in ihrer Rolle, war das mit Schwierigkeiten verbunden?

Dass ich eine Frau bin, war für mich in China nie mit Schwierigkeiten verbunden. Mao hatte ja bereits gesagt, dass Frauen den halben Himmel stützen. Daher ist es nichts Ungewöhnliches, Frauen in Führungspositionen vorzufinden. Ein größeres Problem war allerdings mein damaliges Alter mit 28 Jahren. Denn das Alter spielt eine große Rolle in China; es verleiht Glaubwürdigkeit und Autorität. Natürlich fanden die Chinesen es gut, dass ich ihre Sprache sprach, aber das Alter blieb eine Herausforderung. Es gab einmal eine Situation, einen großen Auftrag, bei dem einfach schlecht genäht worden war. Was folgte war eine Riesenreklamation und wir besprachen, wie alles gehandhabt werden solle. Da kam dann auch die Frage 'Ja, aber, musst du das nicht erst noch mit deinem Chef in Hongkong absprechen?' Woraufhin ich sagte 'Nein, ich bin für den Bereich verantwortlich und kann und werde das entscheiden'. Da war der Bann gebrochen, als sie merkten, die kann entscheiden, die darf entscheiden, und das was entschieden wurde, wird dann auch entsprechend umgesetzt. Das Alter war in dem Fall nicht mehr ausschlaggebend, sondern meine Position. Es ist in China wichtig, dass bei Verhandlungen beide Partner auf derselben Hierarchieebene stehen.

Ist der „westliche Blick“, mit dem man ja ohne Zweifel ankommt, hinderlich oder legt man ihn im Laufe der Zeit ab?

Ich glaube, es geht weniger um den „westlichen Blick”, sondern vielmehr um die Einhaltung bestehender Regularien und Vorgaben. Jedes Land hat eine Gesetzgebung, die Themen wie Löhne, Berufsrisiken und Sicherheit regelt, nur ihre Einhaltung ist oft das Problem. Es gibt natürlich immer Situationen, in denen die Vermittlung dieser Themen schwierig ist und man ungeduldig wird und innerlich die Augen rollt, aber grundsätzlich sehe ich bei Lieferanten und in den Fabriken durchaus die Bereitschaft, die Vorgaben umzusetzen.

Sie beschreiben im Otto Group Unterwegs-Blog die „Cha bu duo“-Einstellung - „Passt schon!“, mit der alles irgendwie passend gemacht wird. Haben Sie sich die im Lauf der Jahre auch angeeignet?

Im Privatleben ja, da bin ich lockerer geworden, aber wenn es um die Einhaltung von Standards geht, kann und will ich keine Kompromisse eingehen. Arbeits- und Sozialstandards gibt es aus guten Gründen zum Schutz der Menschen; sie sind nicht verhandelbar. Zum Beispiel Altersbeschränkungen: laut der Internationalen Arbeitsorganisation ILO ist das Mindestalter, um arbeiten zu dürfen, 15 Jahre. Nach indischer Gesetzgebung sind es 14 Jahre und in China 16. Also gelten für Indien 15 Jahre und für China 16, da wir immer den strengeren Standard anwenden. Wenn Schulabgänger also darauf warten, ein bestimmtes Alter zu erreichen, damit sie arbeiten können, muss dieses Alter definitiv erreicht werden. Da darf man nicht bei 2 Monaten oder bei 2 Tagen einknicken, sonst fangen sie auf einmal 6 Monate oder ein Jahr früher an. Da kann man sich nicht drauf einlassen und keine Kompromisse machen.

Was würden Sie jemandem raten, der ebenfalls im Bereich CSR arbeiten möchte?

Machen Sie sich ein Bild vor Ort! Das ist zwar schwierig, aber man muss einfach möglichst viele Fabriken von innen gesehen haben. Das ist unabdingbar, wenn man in diesem Bereich arbeiten möchte. Wichtig ist es, so viele Informationen wie möglich zu sammeln und sie dann zu filtern. Als Quelle sollten man sowohl Unternehmen als auch Nichtregierungsorganisationen und Fabriken nehmen und so verschiedene Perspektiven einholen.

Wieviel muss man von der Produktion verstehen?

Je mehr, desto besser. Ich sehe ganz oft, dass Konflikte bei Nachhaltigkeitsthemen entstehen, wenn das Wissen über Produktion und Lieferkette extrem begrenzt ist. Das erleben wir u. a. auch in der Zusammenarbeit mit Stakeholdern, von denen manche nicht viel von der knallharten Business-Umgebung wissen. Natürlich muss man sich als Unternehmen sehr ehrgeizige Ziele setzen, aber sie sollten auch realistisch sein.

Und wahrscheinlich muss man bereit sein, viel zu reisen?

Ja, man ist viel unterwegs. Und man muss über Veränderungen und Entwicklungen in den Ländern Bescheid wissen und viel mit den Leuten vor Ort sprechen.

Könnten Sie einen typischen Tag als CSR-Managerin beschreiben, falls es das gibt?

Einen typischen Arbeitsalltag gibt es in der Tat nicht. Es ist eine bunte Mischung aus Strategieentwicklung, Lobbying, Marktreisen und Fabrikbesuchen. Operatives Klein-Klein gehört auch dazu; z. B. Auditberichte müssen sehr sorgfältig gelesen und interpretiert werden.

 

Im August wird FashionUnited sich auf das Thema "Work in Fashion" konzentrieren. Für alle Artikel hierzu, klicken Sie bitte hier.

 

Fotos: mit freundlicher Genehmigung der Otto Group (von oben nach unten: Frau Barthel in Bangladesch; beim Audit einer Fabrik; im Gespräch mit Arbeitern, im Gespräch mit dem Fabrikmanagement; beim Audit einer Fabrik)

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