Nachhaltige Schuhmarke Think!: „Wir haben nicht die gleichen Marketing-Budgets wie die Modemarken“
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Wer sich die Lederschuh-Industrie ansieht, könnte den Eindruck bekommen, nachhaltige Schuhe sind Mangelware. Doch es gibt durchaus Pioniere, die in den letzten Jahrzehnten wichtige Vorarbeit geleistet haben. Think! aus Österreich gehört dazu.
Auch die Schuhindustrie muss nachhaltiger werden. Das gilt besonders für die klassische Lederschuh-Industrie, in deren Produkten eine Vielzahl von unterschiedlichsten Materialsorten aus einer weit verzweigten Lieferkette zusammenkommen. Aber im Vergleich zur textilen Bekleidungsindustrie hört man von dort weit weniger nachhaltiges Engagement. Das liegt nicht zwingend daran, dass dort weniger passiert. Das österreichische Schuhlabel Think! wurde bereits 1991 als nachhaltige Schuhmarke gegründet und ist seit 2000 Teil der Legero United Gruppe, zu der auch die Schuhmarken Legero und Superfit gehören. Think! gehört damit zu den nachhaltigen Schuh-Pionieren und zu den ganz wenigen Marken der Bekleidungsindustrie überhaupt, deren Produkte mit dem Blauen Engel zertifiziert werden.
Wir haben mit Produkt-Chef Christoph Mayer darüber gesprochen, warum die Marke mit dem Blauen Engel zusammenarbeitet, was nachhaltige Produktion schwieriger macht und wie Nachhaltigkeit der Marke aktuell Aufwind beschert.
Wie kam es dazu, dass Think! nachhaltig Schuhe produzieren wollte?
Wir sind wirklich Pioniere, was nachhaltige Schuhproduktion angeht. Als unser Gründer Martin Koller vor 31 Jahren die Schuhfabrik seiner Eltern übernommen hat, die schon lange Herrenschuhe produzierte, hatte er die Idee, den Schuhmarkt zu revolutionieren, und zwar mit nachhaltigen, bequemen, aber schönen Schuhen. Man muss aber wissen, dass Pionier sein damals schwer war. Es gab noch gar nicht die Materialien. Er wollte chromfreies, vegetabil gegerbtes Leder und das Angebot war minimal. Seither ist Nachhaltigkeit unser Markenkern.
Wie ist das mit dem vegetabil gegerbten Leder? Welche Gerbmethoden gibt es noch und warum lehnen Sie mache davon ab?
Es gibt drei Hauptgerbarten: Erstens Gerben mit Chromsalzen. Zweitens Weißgerbung, das ist eine chemische Gerbung ohne Chrom. Und drittens gibt es die vegetabile Gerbung, die mit pflanzlichen Gerbstoffen arbeitet. Wir verwenden in der Kollektion zu 85 Prozent chromfrei gegerbtes Leder und der Rest ist aus technischen Gründen mit Chrom gegerbtes Leder. Alles, was mit der Haut direkt in Kontakt kommen kann, ist aber immer chromfrei gegerbt, da sind wir 100 Prozent kompromisslos, auch bei den Lammfellen.
Warum arbeiten nicht mehr Firmen mit vegetabil gegerbtem Leder? Was sind die Nachteile?
Das liegt an der größeren Herausforderung in der Produktion, das Leder hat mehr Charakter. Man hat nicht dieses ewig glatte, makellose, butterweiche Leder. Auch das Färben ist aufwendiger, es gibt höhere Farbtoleranzen und unsere Kühe und Kälber dürfen sich natürlich auch bewegt haben, es gibt also auch Narben und Unebenheiten. Die Gerbung dauert außerdem länger, und das heißt, sie ist teurer und erfordert am Ende mehr Handwerkskunst. Die Chromgerbung geht schneller und die Leder lassen sich oft leichter verarbeiten, was vor allem für modegetriebene Brands interessant ist.
Wie ist es mit den Farben? Gibt es da Unterschiede zur Chromgerbung?
Mittlerweile gibt es Leder in allen Farben auch chromfrei. Da hat uns der Trend auf alle Fälle in die Hände gespielt. Früher waren die vegetabilen Leder beispielsweise weniger lichtecht. Wenn ein Schuh länger im Schaufenster stand, war er ausgeblichen, das war für Händler natürlich ein Problem. Deshalb hatten einige Vorbehalte gegenüber diesem Leder. Inzwischen hat sich da aber sehr viel geändert und immer mehr Händler suchen nachhaltige Kollektionen.
Was halten Sie davon, wenn jetzt immer mehr Marken ihrem Beispiel folgen? Spüren Sie beispielsweise eine Verknappung an nachhaltigen Ledern?
Nein, wir spüren keine Verknappung bei den nachhaltigen Ledern. Es ehrt uns natürlich, dass viele jetzt auch damit anfangen – fast alle haben inzwischen ein nachhaltiges Modell als Highlight im Programm. Das schafft neue Konkurrenz, aber letztlich erhöht es auch die Aufmerksamkeit für das Thema. Inzwischen haben manche großen Händler für ihre Sortimente schon eigene Standards definiert, um den nachhaltigen Anteil zu steigern, das hilft uns natürlich auch.
Grundsätzlich kann man bestimmt sagen, dass die Ausrichtung auf Nachhaltigkeit unsere Umsätze in den letzten Jahren jenseits der Normalität stabilisiert hat. Wenn wir das Thema nicht hätten, wäre das sicher anders.
Think! war die erste Schuhmarke überhaupt – und gehört bis heute zu den ganz wenigen – deren Produkte mit dem Blauen Engel zertifiziert sind. Warum der Blaue Engel?
Think! war 2015 der erste Schuhhersteller, der das Österreichische Umweltzeichen erhielt, das noch strenger ist als der Blaue Engel. Aber das Umweltzeichen ist über die Grenzen hinaus nicht bekannt, der Blaue Engel hat dagegen einen sehr hohen Bekanntheitsgrad. Außerdem: Anders als bei den Textilien, gibt es bislang keine Schuh-spezifischen Zertifikate. Schuhe haben zwischen 20 und 40 verschiedene Komponenten. In diesem Umfang gibt es bislang nichts. Natürlich sind bei uns alle Lieferanten LWG [Leather Working Group; Anmerkung der Redaktion] zertifiziert, aber Leder ist eben nur eine Komponente von vielen.
Was zertifiziert der Blaue Engel und was macht Think! noch darüber hinaus in Sachen Nachhaltigkeit?
Es wird der komplette Produktionsprozess von der Kläranlage der Gerberei bis zur Auslieferung des Schuhs geprüft. Wir lassen alle Produktionsstätten auditieren, wir verwenden recycelte Nähfäden, reduzieren Kunststoff wo immer es möglich ist, verwenden recycelte, FSC-zertifizierte Kartons bis hin zum nachhaltigen Klebeband. All das fließt in das Zertifikat ein.
Gibt es Bestrebungen in der Schuhbranche für ein eigenes Siegel?
Davon habe ich noch nichts gehört, aber wir haben uns im Legero United Markenverbund die höchsten Standards im Zuge der Legero United Nachhaltigkeitsagenda gesetzt.
Welchen Anteil haben die mit dem Blauen Engel zertifizierten Schuhe an der Gesamtkollektion?
Bei Think! wurden bisher 40 Modelle zertifiziert. Und jede Saison kommen zwischen vier und sechs neue Varianten mit dem Blauen Engel hinzu. Allerdings würden auch andere Modelle die Kriterien erfüllen, wir lassen aber nicht jede einzelne Farbvariante zertifizieren, weil das zu aufwändig für uns wäre. Die Zertifizierung ist so zeitaufwändig, weil in Schuhen eine wahnsinnige Anzahl von unterschiedlichen Materialien zusammenkommen.
Warum weiß man so wenig über nachhaltige Schuhe? Die Textilbranche ist da wesentlich kommunikativer…
Wir arbeiten schon immer mit Nachhaltigkeit, aber wir haben leider nicht die gleichen Marketingbudgets wie die Mode- und Textilmarken. Das war schon immer ein wesentlicher Unterschied zwischen der Schuh- und der Modebranche! So kann durchaus der Eindruck entstehen, dass in der Schuhbranche weniger passiert, was aber nicht stimmt.
Wie können Sie noch besser werden, welche Ziele haben Sie, um noch nachhaltiger zu werden?
Das Hauptproblem sind die Preise. Nachhaltigkeit macht ein Produkt nicht gerade günstiger. Auch Regionalität ist eine Herausforderung, weil es nicht leichter wird, die Materialien hier zu sourcen. Wir gehören zur Legero United Gruppe und verfolgen das Ziel, bis 2030 CO2-Neutralität bis auf Produktebene zu erreichen. Hier ist Leder natürlich der größte Verursacher von CO2.
Was halten Sie von veganem Leder oder recyceltem Leder?
Zunächst mal: Das Positive am Leder ist ja, dass keine Tiere gezüchtet werden, um Leder herzustellen, solange Fleisch gegessen wird. Leder ist ein Abfallprodukt der Fleischindustrie. Gerade mit Blick auf eine Kreislaufwirtschaft wäre ja nichts schlimmer, als die Tierhäute wegzuwerfen, anstatt sie zu verarbeiten.
Was sagen Sie zu recyceltem Leder?
Woran ich da aktuell noch scheitere, ist die Gerbung. Diese Leder sind nicht chromfrei, weil hier alles zusammengeworfen wird. Ich werde auch kein Kaktusleder aus Südamerika importieren, das ist aus meiner Sicht keine bessere Alternative zu echtem Leder aus Europa. Schuhe aus veganem Leder, und das heißt nunmal aus Kunststoff, machen aus Sicht der Atmungsaktivität, Flexibilität, Langlebigkeit und damit auch der Nachhaltigkeit und Gesundheit meiner Meinung nach noch keinen Sinn.
Woher beschaffen Sie Ihre Leder?
Unsere Leder kommen schwerpunktmäßig aus Italien und auch aus Deutschland. Die Sohlen stammen vor allem aus Italien und Spanien. Wir arbeiten mit Produktionspartnern zusammen, die fast ausschließlich für Think! produzieren. Diese sitzen in Italien, Bosnien, Rumänien und Ungarn. Am Standort im Kopfing machen wir nach wie vor unsere Prototypen selbst und bieten auch einen Reparaturservice an. Reparaturfähigkeit wird bei uns schon beim Design mitgedacht, das gehört zur nachhaltigen Philosophie, und wird auch sehr stark nachgefragt. Wir reparieren im Jahr an die 1.000 Paar Schuhe.
Wie gehen Sie mit der Frage um, was am Ende des Lebenszyklus mit den Schuhen passiert? Kann man Ihre Schuhe recyceln?
Das ist ein wahnsinnig komplexes Thema. Fakt ist, dass es bislang keine Lösung für Schuh-Recycling gibt. Recycling funktioniert vor allem bei sortenreinen Produkten, und das geht bei Lederschuhen einfach nicht. Soweit wir wissen, gibt es da aktuell noch keine Lösung. Was wir aber beeinflussen können: Kaputte Schuhe sollten laut Abfallverordnung im Hausmüll entsorgt werden, das heißt, etwa 80 bis 90 Prozent der Schuhe landen in der Verbrennung. Wenn das schon so ist, dann sollten beim Verbrennen wenigstens keine Schadstoffe entstehen. Und das denken wir immer mit, bereits im Design und bei der Auswahl der Materialien.
Think! wird schwerpunktmäßig in der DACH-Region verkauft, aber auch in den Benelux-Ländern, Skandinavien und anderen EU-Ländern, sowie in Japan, USA, Kanada und Südafrika. Think! selbst betreibt keine eigenen stationären Geschäfte, aber es gibt 16 Partner-Stores in Deutschland und zwei in Österreich.