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Nearshoring oder ‘Made in Asia’? Die Lieferkette zwischen Wunsch und Wirklichkeit

Von Regina Henkel

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Foto: Pexels / Pixabay

Immer mehr Bekleidungsunternehmen wollen weg aus Asien und wieder in Europa produzieren. Wie realistisch ist das? Und was passiert dann mit den bisherigen Produktionsstandorten? Der DTB hat dem Thema einen Infotag gewidmet und kommt zu recht eindeutigen Schlüssen.

Es gibt zahlreiche Gründe, warum aktuell viele Bekleidungshersteller nach Wegen suchen, zumindest Teile ihrer Produktion aus Asien zurück nach Europa zu verlagern. Die einen erhoffen sich vor allem stabilere Lieferketten, andere kürzere Lieferzeiten und eine flexiblere Logistik und wieder andere kürzere Transportwege und damit mehr Nachhaltigkeit. Wenn so viele Bekleidungsfirmen derzeit das gleiche Ziel haben, wird es dadurch vielleicht realistischer, dass wir künftig wieder unsere Bekleidung in Europa produzieren? „Das denke ich eher nicht“, sagt Susanne Paß, Geschäftsführerin des Dialog Textil-Bekleidung e.V. (DTB), in dem Firmen der gesamten textilen Kette, Bildungseinrichtungen, Instituten und branchenrelevanten Gremien organisiert sind. Gerade erst hat sich der DTB mit einem „DTB Infotag Sourcing“ dem Thema Nearshoring gewidmet und ein klares Fazit gezogen. Paß: „Die Menge an Bekleidung, die wir aktuell in Asien produzieren lassen, können wir in Europa gar nicht abbilden.“

Albanien & Bosnien-Herzegowina: Sourcing-Länder der Zukunft?

Das heißt aber nicht, dass es nicht doch für einzelne Produktgruppen, Volumina und Preisklassen vielversprechende Möglichkeiten für die Bekleidungsproduktion in Europa gibt. Beispielsweise in Albanien. Matthias Fröhling von Fröhling Textilconsulting GmbH beschreibt den EU-Mitgliedsstaat, der zu den ärmsten Ländern Europas zählt, als „aufstrebendes Land für die Bekleidungsindustrie“. Es ist nicht nur wegen seiner kurzen Transportwege interessant, sondern auch wegen der jungen Bevölkerung. Fröhling: „Das Durchschnittsalter in der Textilindustrie liegt bei 32 Jahren, in Rumänien bei 54.“ 827 Firmen sind derzeit in der albanischen Leder-, Textil- und Bekleidungsindustrie tätig mit rund 70.000 Näher:innen. Etwa 40 Prozent der Produkte werden nach Italien exportiert, 16 Prozent nach Deutschland.

Ganz ähnlich sieht es in Bosnien-Herzegowina aus. Auch Muris Pozderac von der Außenhandelskammer in Bosnien beschreibt die aktuelle Situation in der Bekleidungsindustrie des Balkanstaates als vielversprechend. Der Textilsektor in Bosnien-Herzegowina hat etwa 40.000 Beschäftigte in über 400 Unternehmen und eine lange Tradition in der Textilproduktion. Allerdings leide das Land noch immer unter den Folgen des Krieges. Pozderac: „Vor dem Krieg waren im Textilsektor 100.000 Menschen beschäftigt, außerdem haben wir keine Vorstufe mehr, alle Stoffe und Zutaten müssen heute importiert werden.“ Hauptabnehmer der Waren ist auch hier Italien mit einem Exportanteil von 35 Prozent. Nach Deutschland gehen 19 Prozent der Produkte.

Türkei: Hohe Wachstumsraten in den letzten Jahren

Schon vor der Pandemie war die Türkei ein wichtiges Produktionsland, das vom Baumwollanbau bis hin zur Konfektion die ganze Lieferkette der Textil- und Bekleidungsindustrie mit hohen Qualitätsstandards und großem Knowhow abbildete. Seit die Pandemie die Produktion in Asien in vielfältiger Weise erschüttert hat, interessieren sich immer mehr Hersteller für die Türkei als Sourcingland. „Wir im Jahr 2020/21 ein Wachstum von 15 bis 20 Prozent, das ist für uns enorm viel“, sagt Deniz Dikmen, Vice President der erst vor wenigen Jahren gegründeten türkischen Textile Exporters and Employees Association (TIHCAD). Aber auch die aktuelle Rezession spüre man in der Türkei. Ziel der Vereinigung und der türkischen Bekleidungsindustrie insgesamt sei es, auf einem hohen Qualitätsniveau weiter zu wachsen. Die TIHCAD und ihre Mitglieder engagieren sich daher besonders in den Bereichen Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Frauenrechte und Bildung.

Ukraine: Ein Hoffnungsträger nach Kriegsende

Auch in der Ukraine gibt es zahlreiche Textilunternehmen, und viele davon sind trotz Krieg nach wie vor in Betrieb, wie beispielsweise Produktionspartner der Hinrichs Bekleidungswerk GmbH. Die deutsche Firma sourct schon viele Jahre in der Ukraine und konnte die Geschäftsbeziehung bis jetzt aufrechterhalten. „Das ist ein bleibendes Risiko, nicht nur durch den Krieg, auch die Inflation liegt inzwischen bei 50 Prozent und die Energiekosten steigen“, sagt Voss. „Aber wir hören auch immer wieder die vehemente Bitte: bleibt da, zieht die Produktion nicht ab.“ Nach heutiger Einschätzung sieht er aber viel Potenzial in dem Land, sobald der Krieg beendet ist. Voss: Nach dem Krieg, wird die Ukraine sicher ein Land sein, das sehr attraktiv ist für Lohnkonfektion. Es ist nah an Polen und der Slowakei, es wird viel gebaut und investiert. Zudem sei der Wille da, sich der EU anzunähern:

Indien steigt als Sourcing-Land auf

Aber auch Asien bleibt attraktiv, wobei sich dort aktuell vielfältige Verschiebungen abzeichnen. Die einstige Sourcing-Supermacht China verliert immer mehr Aufträge an Indien, das eine wesentlich lockere Covid-Politik umsetzt und keine Lockdowns verhängt. Viele Risiken der letzten Jahre habe man inzwischen beseitigt, beispielsweise Kinderarbeit oder eine schlechte Infrastruktur. Auch bei den Zöllen besteht Hoffnung, dass sich demnächst die gesetzlichen Rahmenbedingungen für Indien verbessern und keine Zölle mehr gezahlt werden müssen – so, wie das heute bei Ländern wie Bangladesch und Sri Lanka der Fall ist.

Bangladesch: Fabriken ringen schon wieder um ihre Existenz

Dass Europa wieder zum wichtigsten Produktionsstandort für die Bekleidungsindustrie wird ist weder realistisch, noch wäre es aus sozialen Gründen verantwortungsvoll, die langjährigen Produktionsstandorte in Asien aufzugeben, sagt Susanne Paß vom DTB. Zudem würden viele osteuropäische Länder inzwischen auch mit einem Fachkräftemangel kämpfen. „Einige Mitgliedsunternehmen berichten, dass sie schon Fachkräfte aus Asien nach Osteuropa holen, weil sie dort nicht mehr genügend finden“, erklärt sie. Andere Produktkategorien, wie beispielsweise Funktionsbekleidung, spiele sich heute fast ausschließlich in Vietnam ab, dafür gäbe es in Europa gar keine Produktionsbasis mehr.

Und auch Christopher Veit, CEO der Veit GmbH und DTB Board Member, appelliert an die Branche, sich angesichts der aktuellen Konsumflaute fair zu verhalten. Veit: „Die aktuelle Situation ist ein Desaster für viele Fabriken in Bangladesch. Die meisten Marken und Einkäufer nehmen ihre bestellten Waren jetzt nicht ab oder zögern die Lieferung raus. Einige Fabriken mieten schon externe Lagerhallen, um die Ware irgendwo unterzubringen. Und das, während die Kosten auch dort steigen!“ Während in der Pandemie das öffentliche Interesse an der Situation in den Produktionsländern groß gewesen sei, höre man jetzt kaum etwas. „Dabei ist die Situation genauso dramatisch, viele Fabriken wissen nicht, ob sie den Winter überstehen“, erklärt Veit.

Dabei zeige gerade die Bekleidungsindustrie in Bangladesch eine tolle Entwicklung und enorm hohe Standards. Die Angst vor Bangladesch sei heute unbegründet, es gäbe inzwischen sehr viele gute Unternehmen. Seine Empfehlung: „Jetzt ist die perfekte Zeit, um in Bangladesch zu starten, wenn man große Stückzahlen produzieren will.“

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