Primarks Deutschland-Chefin: “Eine Inflation geht auch an uns nicht vorbei.”
Wird geladen...
Primark steht seit der Gründung 1969 für erschwingliche Bekleidung. In diesem Zusammenhang gerät der irische Bekleidungsanbieter oft in die Kritik, besonders wenn es um das Thema Nachhaltigkeit geht. Das Unternehmen will diesen schlechten Ruf loswerden und hat im vergangenen September seine Nachhaltigkeitsstrategie vorgestellt. Diese sieht unter anderem vor, dass bis 2030 alle Kleidungsstücke aus recycelten oder nachhaltigeren Materialien hergestellt sowie Frauen in der Lieferkette gefördert werden.
Damit diese Ziele auch bei den Endverbraucher:innen ankommen, wirbt der Textildiscounter, der zum Mischkonzern Associated British Foods Plc gehört, mit gezielten Aktionen auf den Verkaufsflächen und veranstaltet Influencer-Events wie vergangene Woche in Berlin.
Beim ”Primark Cares Corner”-Event waren Influencer:innen wie Maria Maksimovic, die auch schon in TV-Sendungen wie “Bachelor” und “Temptation Island” zusehen war, sowie Musikerin Rola dabei. Neben Upcycling- und Repair-Workshops, bei denen die Berühmtheiten selbst Nadel und Faden schwingen mussten, gab ihnen Thomas Ahlers, Manager Corporate Responsibility, auch eine Einführung in die Nachhaltigkeitspläne von Primark.
„Total geflashed” wie kreativ die Workshop-Teilnehmenden seien, war Primarks Deutschland-Chefin Christiane Wiggers-Voellm. Die Tochter einer Schneidermeisterin hätte am liebsten selbst teilgenommen. Genauso überzeugt erklärt sie im Interview Primarks Bemühungen um Nachhaltigkeit und wie diese mit den Gesetzesentwürfen gegen das Greenwashing harmonieren. Außerdem erzählt sie, warum Primark jetzt doch Preise anhebt und Läden in Deutschland schließen müssen.
Im September hat Primark die Strategie “Primark Cares” vorgestellt. Kam da erst der Startschuss Richtung Nachhaltigkeit?
Wir haben – lange bevor wir im September unsere Strategie präsentiert haben – mit Primark Cares angefangen. Dadurch waren wir dann zu dem Zeitpunkt, als wir damit an die Öffentlichkeit gegangen sind, in der Situation, es als ganze Strategie präsentieren zu können. Als wir es gelauncht haben, wurden schon 25 Prozent unseres kompletten Bekleidungssortiments aus recycelten und nachhaltigen Materialien hergestellt. Ein Viertel ist bei der Größe von Primark mit weltweit über 400 Filialen und der Menge an Produkten bemerkenswert.
Und jetzt polieren Sie auch das Image von Primark in Deutschland auf?
Wir freuen uns unglaublich, dass wir die Möglichkeit bekommen haben, die Cares Corner nach Deutschland zu holen, es war vorher in Großbritannien. Dadurch haben wir die Möglichkeit mit unseren Kund:innen in Kontakt zu treten, um darüber zu sprechen. Wir haben es davor nicht genug getan, weshalb im September 2021 dieser Eindruck entstanden ist: ‘Oh, Primark fängt erst jetzt damit an’. Was aber nicht der Fall ist. Es ist aber wichtig im Zuge der Glaubwürdigkeit Kund:innen es auf diesem Weg zu erzählen.
Konnten Sie bis jetzt schon weitere Fortschritte verbuchen?
Die Strategie, die wir kommuniziert haben, ist nicht darauf ausgelegt, nach ein paar Monaten beendet zu sein. Die Ergebnisse und Zielsetzung sind langfristig. Wir sind ein großer, globaler Textileinzelhändler, der nicht alles alleine erreichen kann. Wir haben keine eigenen Fabriken. Wir haben Supplier, die für uns produzieren. Daher geht es nur gemeinsam. Und für alles was gemeinsam ist, muss man mehrere Leute – NGOs, Mitbewerber:innen, Regierungen, Gewerkschaften – an den Tisch kriegen und das dauert.
Nichtsdestotrotz können wir schon jetzt – nicht mal sechs Monate nach der Ankündigung – weitere Fortschritte feststellen. Die 25 Prozent der verkauften Kleidungsstücke, die recycelt, nachhaltiger oder Bio-Baumwolle sind, sind auf 39 Prozent angestiegen.
Also nur Fortschritte im Sortiment?
Wir haben ja auch andere Ziele kommuniziert wie unser Primark Sustainable Cotton Program. Da hatten wir das Ziel 160.000 Farmerinnen bis Ende 2022 zu schulen und da werden wir auch hinkommen. Und dann werden wir einmal im Jahr einen Bericht veröffentlichen, bei dem wir uns darauf fokussieren werden, was die Ziele waren und was wir erreicht haben.
Was macht Primark dagegen, dass die Stücke aus nachhaltigeren Materialien nach zwei Tagen im Müll landen?
Wir möchten Kund:innen eine Möglichkeit bieten, ihre gebrauchte Kleidung zurück zu bringen und vermeiden, dass es im Müll landet. Das haben wir in Deutschland im Oktober ausgerollt. Es wird gut angenommen, es ist aber auch nicht so, dass wir in Plastiktüten ersticken. In Großbritannien wurde das Programm ein Jahr zuvor ausgerollt und da waren es nach den ersten sechs Monaten 23 Tonnen, die zurückgegeben wurden. Damit gehen wir einen Schritt näher zur Kreislaufwirtschaft.
Welche Rolle spielen die Arbeiter:innen aus der Lieferkette in Ihrer Strategie?
Wir haben drei Säulen bei Primark Cares: Das eine ist das Produkt, das andere ist unsere Welt – welchen Abdruck hinterlassen wir – und die dritte ist Mensch. Da gehört der Punkt ‘Lebensbedingungen und finanzielle Sicherheit schaffen’ mit rein.
Die Menschen in der Lieferkette arbeiten für unsere Supplier und nicht für uns direkt. Daher ist es für uns ein ganz großer ‘Effort’ zu sagen: Wir wollen vor Ort präsent sein und kooperieren, zusammenarbeiten, Einfluss nehmen. Aber es sind natürlich eigenständige Fabriken. Daher können wir nicht sagen: ‘Wir machen das jetzt so.’ Wir müssen das Management der Fabriken an Bord haben, was wir zum Glück haben.
Wie helfen Sie dabei die Lebensbedingungen zu verbessern?
Das Sustainable Cotton Programme ist ein tolles Beispiel dafür, wie mehrere Dinge auf einmal bewegt werden können. Ein Punkt dabei ist es, die Lebensbedingungen vor allem für Frauen vor Ort zu verbessern. Das Programm zielt besonders auf Baumwollfarmerinnen ab. Eine Hilfe zur Selbsthilfe, um ihnen eigene Einkünfte zu geben und unabhängig zu sein. Wir arbeiten vor Ort mit der Self-Employed Women's Association (SEWA), die sich auch sehr stark für Women Empowerment einsetzt. Bei 160.000 Frauen, die wir mit dem Projekt erreichen, ist das ein unglaublich großer Wirkungskreis.
So will Primark grüner werden:
- 100 Prozent der Bekleidung soll bis 2030 aus aus recycelten Fasern oder nachhaltigeren Materialien gefertigt werden
- CO2-Ausstoß bis 2030 halbieren
- Einwegplastik bis 2027 abschaffen
- Der Designprozess wird angepasst, sodass Kleidungsstücke recycelt werden können
- Landwirt:innen für nachhaltigeren Anbau schulen
- Zusammenarbeit mit Lohn-Initiative ACT für existenzsichernde Löhne der Arbeitenden in der Lieferkette sowie Chancengleichheit für Frauen
Und mit der Nachhaltigkeit kommt der Preisanstieg?
Arthur Ryan hat Primark 1969 gegründet. Seit dem ersten Tag geht es darum, Mode erschwinglich zu machen – das ist unser Grundanspruch, unsere DNA und da sind wir auch unglaublich emotional, bei dem Thema. Wir glauben, dass es möglich sein muss, nachhaltige Mode für alle erschwinglich zu machen. Es geht nicht einfach zu sagen: ‘Dann zahlt halt 20 Euro mehr.’
Gerade jetzt mit der Inflation, mit den Benzin- und Energiepreisen, ist die Schere noch viel größer. Menschen möchten aber dennoch schön aussehen, das ist einfach ein Grundbedürfnis. Sie möchten trotzdem, dass ihre Babys neue Strampler kriegen. Jetzt haben wir gerade das Ende des Ramadan, ein Fest, wo die Kinder traditionell neu eingekleidet werden.
Wie schaffen Sie es aber trotz nachhaltigeren Angebots, Ihre Preise zu halten?
Es war von Anfang an klar, dass wir nicht einfach sagen können: Wir werden nachhaltiger und dann wird alles teurer. Das ist nicht was wir wollen und nicht unser Daseinszweck. Die fast 40 Prozent der Bekleidung, die aus recycelten, nachhaltigeren oder Organic Cotton gefertigt werden, zeigen, dass es möglich ist – denn wir sind in diesem Zusammenhang nicht teurer geworden. Nachhaltigkeit muss nicht immer teurer werden. Beim Sustainable Cotton Programme geht es darum, den Ertrag auf gleicher Fläche mit weniger Pestiziden sowie einem gezielteren und geringeren Wasserverbrauch zu steigern. Der Ertrag geht hoch, aber die Kosten steigen nicht. Es gibt unheimlich viele Möglichkeiten, die wir ausreizen.
Stichwort ‘Inflation’. Auch Primark scheint hier – anders als zunächst angekündigt – nicht um Preiserhöhungen herumzukommen. Können Sie uns mehr verraten?
Wir sind ein unglaublich effizientes Unternehmen, was ganz viel damit zu tun hat, was mit der Ware passiert, von dem Moment wo sie die Fabrik verlässt bis zu dem Moment, wenn sie über den Kassentresen geht. Da sind wir sehr schlank, effizient und kostenbewusst aufgestellt. Was dazu führt, dass wir die Preise relativ niedrig halten können, auch im Vergleich zu den Mitbewerbenden. Aber eine Inflation geht auch an uns nicht vorbei. Wir bewegen uns in einem Gesamtkontext, aus dem wir uns nicht rausnehmen können. Energiepreise, die so in die Höhe schnellen, gehen an uns nicht vorbei. Deshalb haben wir uns entschieden, mit der Herbst/Winter-Kollektion ausgewählte Produkte etwas im Preis zu erhöhen. Das ändert allerdings nichts daran, dass unsere Kund:innen von uns günstige Preise erwarten und auch brauchen. Das bleibt weiterhin unser Credo und das verändern wir auch nicht.
Primark kündigt „gezielte Preiserhöhungen“ an:
Denken Sie, dass die Nachhaltigkeits-Botschaften von Primark angesichts der Gesetzesentwürfe der EU-Kommission gegen das Greenwashing Bestand haben werden?
Wir begrüßen die Gesetzentwürfe, weil wir ja schon selber in die Richtung arbeiten. Es ist unglaublich wichtig, wenn man sich Ziele setzt, dass man die auch einhält. Unsere Primark Cares Strategie ist genau darauf ausgerichtet, dass wir gegenüber Kund:innen transparent und ehrlich kommunizieren.
Der Begriff Primark Cares steht für unser Herzensanliegen. Wir sehen den Impact, den wir haben und die Verantwortung, die wir haben. Es ist nicht nur etwas, was wir müssen oder weil es ein Gesetz sagt, sondern wir machen es, weil wir daran glauben.
Neben dem Thema Nachhaltigkeit haben Sie auch eine langfristige Expansionsstrategie…
Die USA sind der große Expansionsmarkt, bei dem eine starke Expansion für die nächsten fünf Jahre geplant ist. Und auch global planen wir für die nächsten fünf Jahre eine starke Expansion.
Und für Deutschland?
In den letzten zwei Jahren habe ich gelernt, nicht mehr zu sagen: Das machen wir oder das machen wir nicht. Hätte mich vor drei Jahren jemand gefragt: ‘Glaubst Du es kommt eine Pandemie und ihr müsst alle Stores schließen?’ Hätte ich gesagt: ‘Im Leben nicht.’ Hätte mich vor einem Jahr jemand gefragt, ob ein Krieg in Europa kommen wird, 800 Kilometer von Berlin entfernt, hätte ich genauso geantwortet. Deshalb bin ich vorsichtig geworden. Natürlich gucken wir immer: ‘Wo sind die Locations, habe ich noch weiße Flecken auf der Landkarte und was machen die Mitbewerbenden.’ Aber ich kann jetzt kein ‘Announcement’ machen, dass ein neuer Store kommt.
Gibt es rote Flecken auf der Karte?
Wir haben die zwei Store-Schließungen Weiterstadt und Berlin-Steglitz bekannt gegeben. Auch hier werde ich nicht sagen: Wir werden nie wieder einen Store schließen. Der stationäre Einzelhandel und überhaupt die gesamte Weltwirtschaft bewegt sich gerade in eine Unsicherheit, die nicht vorhersehbar war.
Wie kam es zu der Entscheidung für die beiden Schließungen?
Die Gründe für die Schließungen waren sehr lokal. Das Center in Weiterstadt hat 50 Prozent Leerstand, ganze Mall-Teile sind im Dunkeln und die letzten Ankermieter sind gerade rausgegangen. Es gibt zwar Pläne seitens des Betreibers es umzubauen, das dauert aber alles und es gibt keine öffentliche Verkehrsanbindung. Deshalb mussten wir sagen, es macht für uns keinen Sinn mehr. Das hat aber nichts mit Primark Deutschland zu tun oder mit unserem Geschäftsmodell. Wenn da keine Kund:innen mehr hinkommen, ist es echt schwierig.
Der andere in Berlin-Steglitz, in der Schloßstraße, hat sich auch sehr verändert in den letzten Jahren. Auch in dem Center stehen Veränderungen an, die nicht zu unserem Geschäftsmodell passen. Wir haben noch drei Stores in Berlin. Wir haben [den Store in der] Gropiuspassage 2020 eröffnet. Die Kund:innen können Eins zu Eins woanders bei Primark shoppen gehen und daher ist der Store kommerziell einfach nicht mehr sinnvoll.
Neben dem stationären Handel gibt es auch digitale Veränderungen: Eine neue Website.
Die neue Website ist bereits in Großbritannien gelauncht, in Deutschland allerdings noch nicht. Die Kund:innen wollen uns online erreichen und das sagen sie uns auch. Bis jetzt war es allerdings schwierig, weil wir auf der alten Website nicht alle Produkte hatten. Die neue Website zeigt ein Riesen-Produktsortiment, die Produkte werden anders dargestellt, es sind mehr Produktinformationen verfügbar und man sieht die Größen-Verfügbarkeit in den Stores.
Das wird vor allem für uns in Deutschland mit unseren 32 Filialen toll, weil es Kund:innen gibt, die einen längeren Fahrtweg haben. Und bevor ich mich mit drei Kindern ins Auto setze, weil sie neue Sommerklamotten brauchen, kann ich vorher gucken und abschätzen, ob es sich lohnt zum Store zu fahren. Eine weitere Option, die die Website bekommen wird, aber aktuell noch nicht live ist, ist eine Sign-in-Option, mit der man sich personalisiert anmelden und Wunschlisten erstellen kann. Nach Deutschland kommt die neue Website dann voraussichtlich im Sommer.
Soll die Verbindung zwischen physischem Store und digitalem Auftritt weiter ausgebaut werden?
Momentan rollen wir erstmal die Website aus, was ein großer Schritt nach vorne wird, was die Klicks der Kund:innen in Großbritannien beweisen. Click & Collect oder ähnliches kann kommen, aber erstmal geht es jetzt um die neue Website und zu schauen, wie die Kund:innen darauf reagieren.
Auch bei Primark in den Niederlanden gibt es Umstrukturierungen, bei denen mehr als 240 Stellen gestrichen werden sollen. Gibt es ähnliche Pläne für den hiesigen Markt?
Zum Thema Niederlande gab es ein Announcement, kann ich aber nichts zu sagen. Primark ist ein globales Unternehmen, aber was Primark auszeichnet ist, dass wir in der Lage sind, trotz Globalität uns auf einzelne Länder anzupassen. Also was wollen die Kund:innen, was sind die gesetzlichen Regelungen in den Märkten und deshalb kann man nicht immer ‘copy and paste’ machen – wenn es dort gemacht wird, wird es woanders auch gemacht. Deutschland hat eine andere Situation. Wir haben zwei Filialschließungen bekannt gegeben, aber das heißt auch nicht, dass alle in anderen Märkte Filialschließungen bekanntgeben werden. Wir schauen in den [jeweiligen] Markt und was da gerade passt.
Und was passt gerade?
Wir gucken, dass wir die 32 Stores, die wir noch haben, und die 30 Stores, die wir nach dem 30. April 2023 haben werden, so erfolgreich wie möglich zu machen und die Primark Cares Strategie der Kundschaft nahe zu bringen. Wir haben jetzt erst mal wieder seit ein paar Monaten – nach zweieinhalb Jahren – die Möglichkeit die Stores kontinuierlich geöffnet zu haben und eine vernünftige Planung zu machen, weil wir von einer Normalisierung ausgehen. Bei der Größe unserer Filialen und der Anzahl der Mitarbeiter:innen wird nicht einfach mal der Schlüssel umgedreht und am nächsten Tag wieder aufgemacht. Das sind riesige operative Abläufe, die da im Hintergrund gemanaged werden müssen. Mein Ziel als Country Manager ist es, diesen Markt so erfolgreich wie möglich zu machen.