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Re’aD Summit: Virtual Fitting und simulierte Läden verheißen eine bessere Modewelt

Von Karenita Haalck

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Virtual-Fitting-Tool von Beawear. Bild: Verena Ziegler/ Beawear

Beim Re’aD Summit des Deutschen Modeinstituts drehte sich unter dem Motto “Digital x less” alles darum, wie digitale Lösungen Überproduktion und Verschwendung in der Modeindustrie verhindern können. Angefangen bei der Erstellung digitaler Stoffproben, über 3D-Programme zur Simulation von Visual Merchandising, bis zu virtuellen Fittings, die Retourenquoten verringern sollen – die vergangene Woche vorgestellten Innovationen zeigen das der Technologie innewohnende Potential für eine bessere Modeindustrie.

Digitale Stoffe für eine saubere Lieferkette

Ein zentrales Thema beim Re’aD Summit war die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit der Lieferkette. Die Digitalisierung von Stoffproben und Prototypen ist dafür essentiell – und kann Lieferzeiten, Kosten für Kollektionsentwicklungen und Umweltauswirkungen reduzieren.

Für die Digitalisierung von Stoffen wird verschiedene Soft- und Hardware benötigt. Das Kölner Unternehmen DMIx hat eine Software für Farbstandards entwickelt, mit der Farben physischer Stoffe einheitlich digital umgesetzt werden können. Dadurch können Fehler und Missverständnisse zwischen Stoffhersteller:innen, Bekleidungsproduzent:innen und kreativer Leitung vermieden werden, die bereits mit teils digitalisierten Prozessen arbeiten.

Der italienische Stoffhersteller Marzotto Group verwendet die DMIx Software bei dem Erstellen digitaler Stoffproben. In Kombination mit anderen Serviceleistungen, konnte die Marzotto Group bisher mehr als 20 Prozent der Stoffproben digitalisieren.

Marzotto verwendet beispielsweise Stoffscanner, die die Eigenschaften der Stoffe in einen “digitalen Zwilling” umwandeln. Die Daten werden mittels spezieller Software so verarbeitet, dass sie in Schnittmuster-Programmen wie Clo angewendet werden können. Diese Brücke schafft die Möglichkeit, auf der Produktentwicklungsebene digital zu arbeiten – eine Station in der textilen Produktionskette, die gewöhnlich enorme Umweltauswirkungen hat.

Visualisierung der Lieferkette mit und ohne digitalisierte Arbeitsschritte. Bild: Gary Plunkett/ PixelPool

Luca Bicego, IT-Spezialist bei der Marzotto Group, verdeutlicht die Vorteile digitalisierter Stoffe an einem Beispiel: wenn ein Produktentwickler einen Artikel in weiteren Farben und Größen anbieten möchte, kann er die Versionen vorerst in seiner 3D-Software simulieren. Durch Bewegungssimulation der digitalen Prototypen kann sogar Bewegungsfreiheit und Tragekomfort getestet werden. Durch diese digitalen Testläufe werden Fehlproduktionen verringert, die unnötige Transportkosten und Materialverbrauch nach sich ziehen würden. Hinzu kommt der Faktor Zeit: 3D-Sampling spart Arbeitsstunden und gegebenenfalls auch Mitarbeiter:innen.

Das beobachtet auch Gary Plunkett, Chief Commercial Officer bei PixelPool, einem Unternehmen, das ähnliche Tools anbietet. Er berichtet, dass ein Kunde statt mehrerer Wochen nur noch wenige Stunden für das Erstellen und Freigeben neuer Produktangebote braucht.

„Jeder Millimeter eingesparter Stoff macht einen Unterschied.”

Das Technologieunternehmen Lectra zitierte eine McKinsey-Studie von 2022: Etwas mehr als ein Drittel der befragten Modeunternehmen nannte Digitalisierung als eine der größten Chancen der Industrie, während Lieferketten, Logistik und Bestandsmanagement von einem Drittel als größte Herausforderung gewertet wurden. Dabei ließe sich Letzteres durch Digitalisierung vereinfachen.

Lectra entwickelt Software für eine Bandbreite an Prozessen: von Planung und Sourcing, über Design, Entwicklung und Produktion bis zum Verkauf. Lectras Computer-Programme erlauben es den Unternehmen ihre Prozesse zu digitalisieren und somit agiler zu werden. „Durch die Digitalisierung ihrer Prozesse können Modeunternehmen leichter auf die Marktnachfrage reagieren, Stoffe auf Basis nachhaltiger Kriterien auswählen, Materialkosten und Qualität optimieren und ihre Designs den neuesten Trends anpassen”, sagt Phillip Muehlenkord, Marketing Director für Nord- und Osteuropa bei Lectra.

Stufen der Produktionskette für die Lectra digitale Lösungen anbietet. Bild: Phillip Muehlenkord/ Lectra

Das Programm ‘Modaris’ digitalisiert die Modellerstellung und beschleunigt den Produktionsprozess, ein weiteres mit dem Namen ‘Quick- und Flex Offer’ vermeidet Zuschnittsabfall – Muehlenkord sagt: „Jeder Millimeter eingesparter Stoff macht einen Unterschied, wenn Sie Ihre CO2-Bilanz minimieren möchten”.

Unternehmen, die bisher größtenteils mit manuellen Prozessen arbeiten, können durch Lectras Programme bis zu 10 Prozent ihrer Ausgaben einsparen, berichtet Karin Schiller, Presales Consultant bei Lectra. Bei Unternehmen, in denen die Digitalisierung schon vorangeschritten ist, sieht Schiller trotzdem noch ein Potenzial für Kosteneinsparungen zwischen 1 und 5 Prozent. Das höre sich zwar nach wenig an – bei den Millionenbeträgen, die in der Produktion üblich seien, sei es jedoch ein beträchtlicher Anteil, fügt sie hinzu.

Das Technologieunternehmen PixelPool mit Sitz in den Niederlanden stellte 3D-basierte Lösungen für den Handel vor. Wie 3D-Technologien auch für den Handel von Vorteil sein können, erklärt Chief Commercial Officer Gary Plunkett an dem Beispiel-Kunden: ein internationales Outdoorlabel nutzt das Softwareprogramm Dtail von PixelPool, mit dem Visual-Merchandising-Standards und Ladenlayout getestet werden können. Das Tool ermöglicht Einkäufer:innen eine Vorschau neuer Kollektionen im Store. So können sie besser abschätzen, wie sich die Kollektionen auf optisch auf der Verkaufsfläche verhalten.

3D-Simulation von Ware im Geschäft. Bild: Gary Plunkett/ PixelPool

Digitalisierung braucht Ausdauer

Doch was sind die Hürden, auf die sich Unternehmen bei der Umstellung auf digitale Prozesse gefasst machen sollten?

Plunkett schneidet ein Thema an, das in der Diskussion um Digitalisierung oft unter den Tisch fällt: Digitalisierung lohnt sich erst ab einem gewissen Grad. Das heißt, Unternehmen müssen sich auf einen langen Weg gefasst machen, bevor die Umstrukturierungen fruchten. Bei dem Wechsel von physischen zu digitalisierten Arbeitsweisen, entstehen vor allem Komplikationen im Arbeitsfluss, denn das Einführen der ersten digitalen Artikel erfordert neben Equipment auch Expertise.

„Zu einem gänzlich dreidimensionalen Arbeitsfluss zu kommen, ist nicht einfach,” sagt Plunkett. Für ihn liegt der Schlüssel in einem realistischen Ausgangspunkt, einem ‘Game Plan’ der in kleinere Schritte aufgeteilt wird und in Entscheidungen, die auf fundierten Informationen und Wissen basieren.

Laut Plunkett können insbesondere die Modeanbieter ein 3D-zentriertes Arbeitsmodell möglichst schnell umsetzen, deren Anteil an saisonübergreifenden Styles zwischen 30 und 60 Prozent liegt. Bei diesen Unternehmen kann eine 3D-Bibliothek angelegt werden, in der wiederkehrende Styles mit neuen Farben, Größen und Details versehen werden können, ohne dass es eines großen Aufwands oder technischen Know-Hows bedarf. Der Arbeitsschritt der Kollektionsentwicklung wird so neu definiert und von Produktionshallen, Sample-Runden und Transportwegen auf Bildschirme verlagert. Bei Modeunternehmen mit öfters wechselnden, komplizierten Styles hingegen dauert die Umstellung länger – da das Einpflegen der Styles in die 3D-Programme jedes Mal aufs Neue erfolgen muss.

Beispiel einer 'Bibliothek' für 3D-Styles, erstellt durch das Programm 'Dtail'. Bild: Gary Plunkett/ PixelPool

„Das Schöne an der ganzen Sache ist, das man deutlich effizienter wird, deutlich schneller wird, und man am Ende des Tages deutlich mehr schaffen kann”, fasst Plunkett die Vorteile der Digitalisierung zusammen.

Kann das Metaverse den Konsumdrang stillen?

Auch wenn das Bewusstsein für Nachhaltigkeit bei den Konsument:innen in den letzten Jahren stark gestiegen ist, reflektiert sich dieses noch nicht im Konsumverhalten. Es besteht ein ‘Attitude-Behaviour-Gap’, den es zu lösen gilt. Carl Tillessen, Chef-Analyst beim DMI, setzt große Hoffnungen in das Thema Digitale Mode. Das enorme Interesse jüngerer Generationen, sich modisch im Netz auf eine bestimmte Art und Weise zu präsentieren, könnte durch virtuelle Kleidung bedient werden. Wenn das Konsumbedürfnis auf digitale Art gestillt wird, könnte in der realen Welt auf Slow Fashion zurückgegriffen werden. Der Konsum wird nicht aufhören – aber Digitalisierung kann eine neue Form der Mode schaffen, die die Umwelt weniger belastet.

Wie diese schöne neue Welt in der Kleideranprobe aussehen könnte, stellten Simone Morlock, Leiterin des Digital Fitting Labs Hohenstein und Beawear-Geschäftsführerin Verena Ziegler vor. Virtuelles Fitting hilft Passformen zu optimieren, wodurch Fehlproduktionen und Retourenquoten verringert werden können.

Morlock berichtet, dass derzeit 70 Prozent der Endverbraucher:innen ihre Größe nicht auf dem Markt finden können. Das hat Auswirkungen auf das Konsumverhalten: Endverbraucher:innen bestellen mehrere Größen, aber behalten im Zweifelsfall gar keine der Artikel – durch das Zusenden und Retournieren entstehen hohe Emissionen. Mit Virtual Fitting können diese Auswirkungen reduziert werden. Ziegler hat mit Beaware ein Tool erstellt, dass es Konsument:innen erlaubt per Smartphone einen 3D-Scan ihres Körpers zu machen. Nutzer:innen erleben so ein verbessertes Einkaufserlebnis durch die Größenberatung, zeitgleich werden fundierte Datensätze zu Körperformen erschlossen, die der Industrie dabei helfen, präziser zu schneidern.

Virtual-Fitting-Tool von Beawear. Bild: Verena Ziegler/ Beawear

Fazit: Der Mensch ist der Schlüssel bei der Digitalisierung

Bei einer Sache scheinen sich die Teilnehmer:innen des Re'aD Summits einig zu sein: egal wie gut die Technologien sind, sie nützen nur etwas, wenn die Menschen mitmachen.

In diesem Kontext stellt Morlock die Frage: „Sind die neuen Tools ernsthafte Lösungen oder Spielereien?”. Für sie liegt der Knackpunkt in der Bereitschaft der Branche, sich mit den Tools auseinanderzusetzen – denn “Technologie benötigt technische Prozesse” und diese Prozesse werden von Menschen initiiert.

Rouette ist ähnlicher Ansicht: „Die Unternehmen sind so beschäftigt damit CROs (Corporate Responsibility Officers) einzustellen, Eigentümer und Manager:innen sagen sie wollen Digitalisierung und Nachhaltigkeit”, aber auf die Worte müssen auch Handlungen folgen. Diesen Perspektivenwechsel sehen auch Christian und Andreas Büdel, Geschäftsführer bei PB Accessoires, als essentiell: „Wir haben alles in der Hand, wir haben die Technologie – warum sollten wir sie nicht nutzen?”

Gerd Müller-Thomkins, Geschäftsführer beim DMI, fasst den Summit zusammen. „Weniger muss in Zukunft mehr sein!”. Das heißt:´”Weniger” Abfall aus der Modeindustrie muss durch “mehr” Bemühungen und konkretes Handeln der in ihr arbeitenden Menschen erreicht werden.

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