Recycling am Limit: Die Altkleiderbranche erstickt im Textilmüll
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Deutschland ist zu Recht stolz auf sein Textilrecycling. Nur wenige Länder weltweit sammeln so konsequent ihre Alttextilien um sie dem Second-Hand-Markt zuzuführen oder zu recyceln. Doch obwohl die Sammelmengen seit Jahren steigen, blickt die Branche in eine düstere Zukunft. Warum?
Fulda im Mai 2019: Der Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung e. V. (BVSE) hat die Branche der Textilrecycler zum jährlichen Internationalen BVSE Alttextiltag eingeladen. Der Saal ist gut gefüllt, auf dem Podium sitzen neben dem Vorsitzenden des BVSE Fachverbands Textilrecycling, Martin Wittmann, auch Vertreterinnen und Vertreter des hessischen Umweltministeriums, des NABU, des Gesamtverbands der deutschen Textil- und Modeindustrie und der Forschungseinrichtung Bayern Innovativ. Selbst Medienprofi Wolfgang Grupp, Inhaber von Trigema, gehört zu dem weit gefächerten Kreis der Referenten. Erstes Fazit: Das Thema Textilrecycling ist wohl aktuell sehr wichtig.
Sammelmengen steigen
Doch anstatt sich gegenseitig auf die Schultern zu klopfen, weil das Textilrecycling in Deutschland schon eine lange Tradition hat und deshalb im internationalen Vergleich mustergültig ist, schlägt Martin Wittmann ganz andere Töne an: „Die Branche steckt in einer existenzgefährdenden Krise“, gibt er gleich zu Beginn der Tagung zu Verstehen. „Es gibt wenig Grund zur Freude oder zur Zuversicht.“ Was ist passiert? Sammeln die Deutschen doch keine Altkleider mehr? Landet etwa alles in der Mülltonne? Ganz im Gegenteil: „Die Container quellen über, die Sammelmengen steigen stetig, die Läger sind voll mit Alttextilien“, erklärt Wittmann.
Preisdumping bei Alttextilien
In Deutschland beträgt das Altkleideraufkommen laut BSVE etwa 1,01 Millionen Tonnen pro Jahr. Tendenz steigend. Und damit ähnelt das Problem der Textilrecycler dem des ersten Modemarktes: Es ist zu viel Warendruck im Markt, und der gefährdet die Preise. Wittmann: „Glücklich ist, wer ein großes Lager hat, die anderen sind gezwungen, ihre Ware zu jedem Preis loszuwerden. Die Preise sind in den letzten Jahren um durchschnittlich 20 Prozent gefallen, und es gibt keine Anzeichen für eine Änderung der Situation.“ Ihr Geld verdienen die Altkleidersammler und Recycler durch die Trennung der Alttextilien in Second-Hand-Ware und Textilrohstoffe, die zu Putzlappen oder Dämmmaterial weiterverarbeitet werden. Doch der Absatz von Altkleidern gestaltet sich nach BVSE-Umfrageergebnissen schwierig: Die Afrika-Geschäfte leiden unter der angespannten Liquidität, der vermehrten Billigneuware aus Fernost und den teilweise anhaltenden Zollerhöhungen. Dagegen unterliegen die Nachfrage aus Russland und den anderen osteuropäischen Ländern starken Schwankungen, was die Gesamtsituation nicht einfacher mache.
Schlechte Qualität nimmt zu
Die Zunahme der Menge allein wäre womöglich noch beherrschbar. In Kombination mit immer schlechterer Qualität der Sammelware wird das Geschäft jedoch ruinös. Die Ursache dafür ist für den BVSE klar: Die Textildiscounter und Fast Fashion Anbieter bringen in immer schnelleren Zyklen Mode in zunehmend schlechterer Qualität auf den Markt, die immer schneller entsorgt werden muss. Billige Synthetik-Fasern und Mischstoffe sind für die weitere Verwendung jedoch nur sehr eingeschränkt nutzbar, so Wittmann. Sie eignen sich weder für den Second-Hand-Bereich noch für die Putzlappenherstellung oder die Faserrückgewinnung. „Wir haben zu viel Masse und zu wenig Klasse“, bringt es der Vorsitzende auf den Punkt.
Unverwertbares muss kostenpflichtig entsorgt werden
Auch andere Umstände bereiten der Branche Probleme. So hat sich z.B. das Verbot der Plastiktüten im Handel für die Recycler nachteilig ausgewirkt. Eigentlich als Gesetz für mehr Umweltschutz gedacht, führt es beim Altkleidersammeln dazu, dass die Verbraucher die Altkleider ohne Tüte in die Container werfen. Da in Altkleidercontainern leider auch anderer Müll landet, verschmutzen oder verschimmeln die Textilien und verlieren zusätzlich an Qualität. Lassen sich die eingesammelten Altkleider nicht mehr verwerten, müssen sie kostenpflichtig entsorgt werden. Das heißt im Klartext: „Der Recycler muss selbst dafür aufkommen, dass der unverwertbare Rest für etwa 200 Euro pro Tonne in der Verbrennungsanlage landet“, erklärt Wittmann. Zweites Fazit: Am Ende kostet das Einsammeln mehr als es an Erlös bringt.
Hoffnung: Digitalisierung und neue Gesetze
Das Hauptproblem liegt laut Wittmann bei der Bekleidungsindustrie und beim Konsumenten. Nur weil Mode so billig sein muss, kommen die bestehenden Recyclingsysteme an ihre Grenzen. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Laut Greenpeace Studie liegt 40 Prozent unserer Kleidung ungetragen im Schrank, und Marie Kondo ermutigt uns dazu, uns endlich davon zu trennen. Es sind daher nicht die Altkleidermengen, die in Zukunft sinken werden. Nach aktueller Prognose sind es eher die Textilrecycler, die sich von ihrem unrentablen Gewerbe trennen werden. Was passiert dann mit unseren Alttextilien?
Die Hoffnung ruht nun auf der Digitalisierung, die natürlich auch in dieser Branche Möglichkeiten der Effizienzsteigerung und Kostensenkung bietet – beispielsweise durch eine KI-gesteuerte Routenplanung zum Leeren der Container. Auch hofft die Branche auf die künftige Gesetzgebung, die Textilhersteller beispielsweise dazu verpflichten könnte, feste Mengen an Recyclingfasern abzunehmen. Das ist auch gar nicht unrealistisch. Ab 2025 greift die neue Kreislaufwirtschaftsrichtlinie der EU und verpflichtet alle Länder zur getrennten Sammlung von Textilien. Auch darum wird die Menge an Altkleidern international noch weiter steigen, und spätestens dann muss klar sein, was mit all den textilen Wertstoffen passieren soll. Ganz sicher sollen sie nicht auf der Deponie oder im Verbrennungsofen landen. Kommen wir also zum letzten Fazit: Für eine kreislauffähige Textilindustrie braucht es noch sehr viel gemeinsame Anstrengung.
Foto: BVSE / Fa. Wenkhaus