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Sourcing: Wie sich die Pandemie auf die globalen Mode-Lieferketten auswirkt

Von Regina Henkel

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Business|HINTERGRUND

Die Corona-Pandemie hat die globalen Lieferketten der Bekleidungsindustrie hart getroffen. Wie erholen sie sich? Welche Veränderungen wird die Pandemie bringen? Bekleidungs-Produzenten, Sourcing-Plattformen und Einkäufer sprechen über ihre Erwartungen an die Zukunft und darüber, ob sie an den Trend zum Nearshoring glauben.

Stornierungen: Premiumhersteller profitieren

Mitte März, als hierzulande der Lockdown im vollen Gange war, konnte Gerhard Flatz seine Textilfabrik KTC in Südchina schon wieder öffnen. Er produziert in seinem Werk mit zirka 1.500 Mitarbeitern hochtechnische Bekleidungs-Kollektionen für internationale Sportmarken wie zum Beispiel Mountain Force, Mammut, Helly Hansen oder Rapha. Die Corona-Krise traf China bekanntlich zuerst und KTC genau zu dem Zeitpunkt, als die Fabrik zum Neujahrsfest im Januar ohnehin zwei Wochen Betriebsurlaub machte. Managing Director Gerhard Flatz war da gerade in Europa und musste aus der Ferne die Zwangsschließung des Betriebs organisieren. Zurückkehren ging nicht mehr. Vier Wochen lang war die Fabrik insgesamt geschlossen und läuft nun seit März unter Einhaltung zahlreicher Hygieneauflagen wieder im Normalbetrieb. Wurden Aufträge storniert? „Es gab Stornierungen, aber nur vereinzelt, vor allem bei doppelten Größen. Lagerware hat im Handel keine Chance im Moment“, sagt Gerhard Flatz. Die Premium-Strategie seines Unternehmens zahle sich aus, so der gebürtige Österreicher. „Wir machen Brand-Shaping-Pieces, also Produkte, auf die die Marken schlecht verzichten können.“

Pandemie stärkt Abwanderung aus China

So gut geht es nicht allen Bekleidungs-Betrieben in China. „Mit dem starken Rückgang der internationalen Aufträge verzeichneten die meisten chinesischen Bekleidungs-Exportunternehmen einen deutlichen Rückgang der Arbeitsauslastung, einige Unternehmen müssen die Arbeitszeit reduzieren, und einige kleine und kleinste Exportunternehmen stehen unter enormem Überlebensdruck“, sagte Chen Dapeng, Executive Vice President der China National Garment Association Anfang Juni. Obwohl jüngste Berichte aus China doch eine unerwartet rasche Erholung melden, ändert es nichts an der Tatsache, dass die chinesische Bekleidungsindustrie weiterhin schrumpft.

„Aus Sicht der Produzenten ist die chinesische Bekleidungsproduktion in den letzten Jahren rückläufig gewesen, die Pandemie hat einen anhaltenden Trend nur beschleunigt”, sagt Edwin Keh, CEO des Hong Kong Research Institute of Textiles and Apparel. Die demografische Entwicklung in China, die steigenden Lohnkosten und nicht zuletzt die Handelsspannungen und Zölle zwischen den USA und China treibt seit Jahren die Produktion in die Nachbarländer. Die Pandemie habe noch einmal bestätigt, „dass die arbeitsintensive Fertigung schwierig und für China nicht wünschenswert ist“, so Keh.

Profiteure: Nordafrika, Türkei, Osteuropa

Der frühe Lockdown in China hat die Abwanderung weiter befeuert. „Nach dem Lockdown in China brach sehr hektisch die Suche nach Alternativen in anderen Ländern aus“, erklärt Jonas Wand, CEO von der digitalen Sourcing Plattform Foursource. Innerhalb kürzester Zeit mussten neue Partnerschaften geknüpft und schließlich doch wieder zerrüttet werden, weil die Krise dann auch dort hinkam. Produzenten in Indien oder Bangladesch könnten profitieren, doch ihre Situation ist schwierig. Lockdown, Landflucht der Arbeiter und die schlechte Zahlungsmoral der ausländischen Auftraggeber treibt viele Betriebe in den Ruin.

Nach den Daten des Verbands der Bekleidungshersteller und -exporteure Bangladeschs (BGMEA) mussten insgesamt 1150 Bekleidungsfabriken des Landes Aufträge im Wert von 3,18 Milliarden US-Dollar stornieren oder aussetzen. Viele Fabriken werden das nicht überleben. Die Folge: „In der Türkei und in Nordafrika füllen sich die freien Kapazitäten, die USA schaut mehr nach Mexiko“, erklärt Godecke Wessel, ebenfalls CEO von Foursource. Rückt die Produktion also wieder näher an die Consumer-Märkte? Wessel: „In China findet noch immer 40 Prozent der Weltproduktion statt, das sind enorme Kapazitäten. Man kann sich nicht vorstellen, dass die schnell abgebaut oder verlagert werden. Aber mehr Nearshoring für schnelle Trends ist durchaus denkbar, beispielsweise aus Nordafrika, Osteuropa oder der Türkei.“

Lieferschwierigkeiten könnten noch bis ins Jahr 2021 anhalten

Das Chaos in der Lieferkette hält noch weiter an. Mit dem zeitlich versetzten Ausbruch des Coronavirus in verschiedenen Ländern wurden Fabriken zu unterschiedlichen Zeiten geschlossen oder mussten ihre Produktion einschränken. Inzwischen laufe in China alles wieder relativ normal, beobachtet Miriam Anlauf, Buying Director für Damen-Artikel und Boutique bei Modehändler Peek & Cloppenburg Düsseldorf, der mehr als 500 Marken im Sortiment führt, darunter auch einige Eigenmarken. In vielen Produktionsländern komme es noch vor, dass Ware zwar bereit steht, aber die Verschiffung nicht stattfindet, weil beispielsweise Hafenmitarbeiter nicht gearbeitet haben, sagte Anlauf. „Dann wurden bestimmte Häfen auch gar nicht angefahren. Es gibt sogenannte Black Sailings, wo Ware bereitstand, die aber gar nicht abgeholt wurde. Da kommt es sicherlich die nächsten sechs bis acht Monate noch zu Verspätungen, weil Fabriken in einzelnen Ländern immer noch teilweise mit einer verminderten Besetzung arbeiten.”

Die P&C-Einkäuferin verantwortet auch das Buying und die Strategie der Eigenmarken Christian Berg, Review und Montego gemeinsam mit den Kollektionsmanagern. Peek & Cloppenburg bezieht die Textilien für seine Eigenmarken derzeit aus China, Bangladesch und der Türkei, wobei die Anteile saisonal varieren. „Wir schauen auch gerade für die kommende Saison SS21, wo wir welche Aufträge platzieren, um dann zumindest einen Teil der Waren zu bekommen, falls es nochmal zu einem Lockdown kommt oder die Fallzahlen in einzelnen Ländern steigen”, erzählt Anlauf. „Wir setzen dabei auf unterschiedliche Länder. "

Wird Nearshoring zum Trend?

Wie wird sich diese Verlagerung langfristig auswirken? Edwin Keh vom Hong Kong Research Institute of Textiles and Apparel glaubt nicht an langfristige Nearshoring-Lösungen. „Für westliche Marken und Kunden besteht die kurzfristige Reaktion darin, über Onshoring- oder Nearshoring-Lösungen nachzudenken. Die Realität sieht aber so aus, dass dies beträchtliche Investitionen erfordert. Der Wunsch nach Schnelligkeit, Transparenz und Agilität bei gleichzeitiger Reduzierung der Kosten- und Bestandsrisiken bedeutet keine sukzessive Änderung der Taktik, sondern einen radikalen, strategischen Wechsel. Nur wenige Unternehmen haben die Mittel, um über den Wiederaufbau hinaus viel mehr zu tun und kurzfristig zu überleben. Ich vermute, dass wir mit einigen Testproduktionen in küstennahen Ländern bald wieder zur Tagesordnung übergehen werden.“

Suche nach digitalen Lösungen

Die Digitalisierung gilt allgemein als Profiteur der Krise. Auch für die Sourcing Plattform Foursource brachte die Krise einen deutlichen Schub nach vorne. „Zuerst wurden alle Aktivitäten erst einmal eingefroren. Aber nach ein paar Wochen hat sich das ins Gegenteil verkehrt“, so Wand weiter. Messen fallen aus und Reisen ins Ausland finden bis heute kaum statt, da suchen viele Bekleidungsunternehmen nach neuen, digitalen Lösungen. Wand: „Seit Corona hat sich der Traffic etwa verdoppelt. Allein in Bayern haben wir eine fünfstellige Anzahl an Nutzern und bilden inzwischen etwa 16 Prozent der Weltproduktion ab.“ Foursource ist auch Technologie-Partner der ersten Digital Global Apparel Sourcing Expo 2020 der International Apparel Federation (IAF). Die Messe startete am 15. Juli und läuft noch bis zum 14. August. Derzeit präsentieren sich auf der Plattform ausschließlich Konfektionäre. Im September sollen erstmals Stoffhersteller live gehen.

Bild: Kua Chee Siong / Singapore Press Holdings via AFP

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