Textilrecycling: Raus aus der Greenwashing-Falle
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Alle wollen ihre Textilien recyceln, faktisch tut es aber kaum jemand. Das deutsche Unternehmen Turns will das ändern und bietet Unternehmen an, für Altkleider den bestmöglichen Recyclingweg zu finden und damit echtes Recycling voranzubringen.
Recycling hat sich in den letzten Jahren zu einem Minenfeld für Unternehmen entwickelt. Ob H&M oder Nike, immer wieder wurden Recycling-Initiativen als Greenwashing entlarvt und endeten für die Unternehmen in einem öffentlichkeitswirksamen Desaster. Da könnte man zu dem Schluss kommen, dass es in der Textilindustrie noch kein echtes Recycling gibt, und tatsächlich belegen die Zahlen dies auch. Wie steht es also um die Kreislaufwirtschaft, von der die Branche seit Jahren spricht? Wo hakt es? Es ist nicht einfach, von den Modeunternehmen ehrliche Auskünfte zu bekommen, auch weil sie oft selbst nicht genau wissen, wohin die gesammelten Altkleider tatsächlich verschwinden.
Dieses Problem kennt auch die Textilbetriebswirtin Katja Wagner, die gemeinsam mit der Ingenieurin Angelique Thummerer das Unternehmen Turns Faserkreislauf im bayerischen Schillingsfürst gegründet hat. Turns sorgt dafür, dass Textilien den bestmöglichen Recyclingweg nehmen und dokumentiert für Unternehmen transparent, was damit passiert. Das Ziel: Das komplexe Thema Recycling aufzubrechen, den Faserkreislauf endlich aufzubauen und mit mehr Transparenz die vielen Hürden zu überwinden.
Im Interview erklärt Katja Wagner, wie Turns funktioniert, welche Probleme es derzeit beim Recycling gibt und wie lange es noch dauern wird, bis wir es endlich haben.
Frau Wagner, was genau macht Turns? Inwiefern beschäftigen Sie sich mit Faserkreisläufen?
Katja Wagner: Mit unseren Recycling-Garnen aus Altkleidern haben wir gezeigt, was textiltechnisch schon heute möglich ist. Egal ob Loungewear, Shirts oder Heimtex: unsere Qualität ermöglicht viele Einsatzmöglichkeiten. Im Turns Faserkreislauf können Unternehmen aktiv ihren Kreislauf schließen und Alttextilien abgeben. Wir führen sie dem bestmöglichen Recyclingweg zu und stellen im Idealfall neue Garne daraus her. Dabei fokussieren wir uns darauf, Unternehmen genau offenzulegen, was mit der Ware passiert. So bilden wir das notwendige Fundament, um gemeinsam in der Branche zu diskutieren, wie uns allen Kreislaufwirtschaft gelingt.
Kreislaufwirtschaft ist ein sehr komplexes Thema und Recycling von Textilien bedeutet nicht nur die Herstellung von Garn oder Putzlappen. Wir brauchen effiziente Sammel- und Sortierstrukturen und neue Produktideen, damit es ökonomisch funktioniert.
Wir sind letztes Jahr im April mit dem Ziel gestartet, die Sortierung auf das Re-Spinning auszurichten. Hochwertiges Textilrecycling kann nur funktionieren, wenn wir die Sortierung auch an die Anforderungen für Recycling anpassen. Das gibt es bisher nicht. Ebenso wenig wie die transparente Entsorgung von Alttextilien.
Ist den Unternehmen diese Offenlegung wichtig? Ich denke da an die vielen Greenwashing Skandale im Bereich Recycling. Haben die Unternehmen Angst, sich angreifbar zu machen?
Ja, das ist der größte Kritikpunkt, den wir immer wieder hören. Die Firmen wissen meist gar nicht, was mit den Textilien, die recycelt werden sollen, genau passiert und wo sie landen. Das ist für die Unternehmen – auch in der Kommunikation – extrem schwierig.
Warum ist es noch für Firmen interessant, mit Ihnen zusammenzuarbeiten?
Unternehmen entsorgen ihre Alttextilien transparent und halten Ressourcen im Kreislauf. Sie erhalten Informationen über die Art der Alttextilien und lernen so, was im Design for Recycling noch passieren muss. Gemeinsam mit unseren Kund:innen verfolgen wir das Ziel, eigene Produkte oder Zwischenprodukte zu gewinnen. Das kann beispielsweise auch mal eine Ladentheke aus Recyclingfasern sein, weil wir auch damit darauf aufmerksam machen können, dass wir textile Kreislaufwirtschaft etablieren müssen. Es ist wichtig, das Thema auf allen Stufen aufzubrechen.
Für welche Art von Unternehmen arbeiten Sie?
Es gibt drei Kategorien: Da sind zum einen nachhaltige Brands, die noch kaum Alttextilien von ihren Kund:innen zurückbekommen. Sie sind aber intrinsisch motiviert für die End-of-Life Kosten aufzukommen. Dann gibt es die etablierten Fashion Brands, die an unsere Erfahrungen anknüpfen können, um gemeinsam Kreislaufkonzepte aufzubauen. Und dann gibt es den Bereich Berufskleidung, insbesondere Großwäschereien. Sie haben die allermeisten Alttextilien, die aber aus Datenschutzgründen – beispielsweise Firmenuniformen – bisher immer thermisch verwertet werden. Auch deren Kund:innen erwarten zunehmend Transparenz und freuen sich über Bestrebungen der Wäschereien, mehr aus Alttextilien zu machen, als sie zu verbrennen.
Wie gehen Sie vor, damit das Recycling ökonomisch doch funktioniert?
Wir müssen Absatzmärkte und Nachfrage nach Produkten aus Recyclingfasern schaffen. Hier ist der erste Schritt Aufmerksamkeit für das Thema zu gewinnen. Gemeinsam müssen wir ein funktionierendes Recyclingsystem für Textilien schaffen, das Alttextil als Rohstoff für neue Produkte bereitstellt. Im besten Fall gelingt uns das, bevor gesetzliche Regelungen auf europäischer und nationaler Ebene Strukturen verlangen, die schwer umzusetzen sind und Unternehmen vor weitere Herausforderungen stellen. Wenn wir als Branche Vorreiter sind und gemeinsam praktische Lösungen erarbeiten, können wir langfristig alle profitieren. Jetzt proaktiv den ersten Schritt zu gehen, kann der Weg aus der Greenwashing-Falle sein. Wir testen gerade das Konzept der freiwilligen „Textilneutralisation“, das die Endverbraucher:innen aktiv in diesen Wandel einbinden soll. Nicht nur Hersteller, sondern auch Konsument:innen können die Verantwortung für ihren Fashion-Konsum tragen und beim Kauf neuer Kleidung freiwillig die Kosten für das Textilrecycling übernehmen.
Sie wollen, dass die Konsument:innen dafür bezahlen? Wie lösen das andere Länder?
Wir denken, ohne Share of Costs wird es nicht funktionieren. In Frankreich beispielsweise müssen die Brands eine Abgabe fürs Recycling zahlen. Ebenso in den Niederlanden, wo Textilien zusätzlich zurückgenommen werden müssen. Bis wir auch hier in Deutschland eine Regelung haben, halten wir es für unwahrscheinlich, dass Brands aus komplett eigenen Mitteln die hohen Garnpreise und Recyclingkosten tragen können. Innovation braucht Investitionen. Durch die unklare gesetzliche Lage stoßen wir auf viel Zurückhaltung. Die Einbindung der Kund:innen ist unsere Idee, diesem Teufelskreis des Stillstandes zu entkommen. Ich glaube, wir brauchen da mehr Ehrlichkeit. Auch unseren Kund:innen gegenüber.
Einige Hersteller kommunizieren ja bereits recht hohe Quoten an Recyclingmaterial in den Kollektionen – auch jenseits von den recycelten PET-Flaschen, die ja kein Textilrecycling sind. Wie kommt das?
Man muss wissen - und das ist die Tücke an der Recycling-Erzählung – der Begriff Recycling ist nicht auf die Wiederverwendung der Ressourcen am End-of-Life eines Endproduktes, das sonst auf den Müll geworfen worden wäre, beschränkt. Wenn ich eine Baumwollproduktion habe und die Elemente, die beim ersten Produktionsschritt als Ausschuss gewertet werden, wieder einsetze, dann können Firmen das bereits als Recycling deklarieren.
Das ist im eigentlichen Sinne also kein Recycling?
Nachdem Recycling kein definierter Begriff ist, ist auch das Recycling. Recycling des Rohstoffes in diesem Fall. Verwirrend ist das, weil wir im allgemeinen Sprachgebrauch vom Recycling des Fertigproduktes ausgehen würden. Eine weitere Form von Recycling, die inzwischen viel angewendet wird, ist postindustrielles Recycling. Hier werden die Stoffreste aus dem Zuschnitt und der Produktion recycelt. Diese Art von Ressourcenschutz und -Wiederverwendung ist genauso essenziell. In unserem Fall erschwert es die Kommunikation über die Innovation des Altkleider-Recyclings. Wir müssen lernen: Recycling ist nicht gleich Recycling.
Warum spielt die Sortierung so eine große Rolle?
Recycling setzt sich erst dann durch, wenn wir konstante und vorhersagbare Qualitäten erreichen. Der größte Hebel liegt hierbei in einer homogenen Eingangsware. Das durch eine ökonomische Sortierung zu erreichen und dadurch dem Markt einen definierten Rohstoff zur Verfügung zu stellen, hat noch keiner so wirklich gelöst. Warum? Weil wir die qualitätsrelevanten Sortierkriterien für Recycling noch gar nicht vollumfänglich kennen. Jede Recycling-Technologie hat andere Anforderungen. Viele, gerade chemische Recycling-Technologien sind in der Entstehung. Das heißt, aktuell kann noch keiner verbindlich sagen, wie Textilien beschaffen sein müssen, damit hochwertiges Recycling funktioniert. Die Absatzmärkte sind noch nicht erschlossen, welche Technologie sich durchsetzt, weiterhin unklar. Es gibt noch viele Unsicherheiten, von denen die Anforderungen an die Sortierung abhängen. Trotzdem ist textiltechnisch schon viel möglich, und wir konnten relevantes Wissen über Sortierkriterien sammeln.
Wie weit ist das chemische Recycling?
Die Möglichkeiten des chemischen Recyclings eröffnen eine neue Welt an Qualitäten. Aber auch hier brauchen wir eine auf die Technologie angepasste Vorsortierung. Projekte, die wir im chemischen Umfeld kennen, sind investmentgetrieben und auf Pilotprojektebene umsetzbar.
Bieten Sie Ihren Kunden chemisches Recycling an?
Serienmäßig nein. Hier fehlt uns noch ein Partner, der die Art von Ware, die wir haben, verarbeiten kann. Außerdem ist chemisches Recycling im Zusammenhang mit den Anforderungen für uns heute nicht kostendeckend abbildbar. Wenn man beispielsweise noch Knopfleisten entfernen muss, kostet das in Deutschland pro Kilo 60 Cent. Dazu kommen noch Logistikkosten, und eine hohe Materialmenge, damit der Prozess überhaupt anlaufen kann. Das funktioniert als Entwicklungsprojekt sehr gut, aber nicht, wenn das ein Textilhersteller in seiner Produktkalkulation unterbringen will.
Welche Recyclinglösungen können Sie Ihren Brands also anbieten?
Genau deshalb sagen wir, dass es derzeit nur den Weg zum mechanischen Recycling gibt. Es ist die beste Alternative, solange Störstoffe im chemischen Recycling eine so große Rolle spielen. Das chemische Recycling funktioniert dann, wenn wir jetzt unsere Design-for-Recycling-Hausaufgaben machen.
Wann glauben Sie, könnte das soweit sein?
Ich glaube, in fünf bis zehn Jahren. Heute sind wir ja schon froh, wenn wir überhaupt mechanisch recyceln können. Also, wenn die Teile nicht aus fünf Komponenten bestehen, sondern nur aus zwei, wenn nicht 30 Prozent Elasthan enthalten sind, und wenn das Material dann auch nach den REACH-Kriterien schadstofffrei ist. Denn man bekommt diese Fasern oft gar nicht in ein neu hergestelltes Textil, weil heute andere Schadstoffverordnungen gelten, die meisten Altkleider aber noch aus der Zeit davor stammen. Es sind noch viele Stellschrauben zu drehen, damit daraus wirklich ein ökonomischer, massenfähiger Prozess wird.
Es gibt hierzulande ja bereits eine Sortierung, aber eben nur nach Secondhand-Verwertbarkeit. Warum sortieren die Altkleiderbetriebe nicht auch nach Zusammensetzung?
Ich denke, es muss erst einmal klar werden, dass der massenweise Export von Altkleidern oder Secondhandkleidern nicht die Lösung aller Dinge ist. Wir müssen uns am Ort der Entstehung um die Altkleider kümmern. Und dann müssen sich Wirtschaft, Unternehmen, Verbraucher:innen und Forschung zusammentun und überlegen, was man hier machen kann und was sich hier wirtschaftlich lohnt.
Wie viel teurer ist eine Recycling-Faser im Vergleich zu einer neuen?
Also wenn wir es ehrlich berechnen - und das tut fast niemand - sind wir mindestens beim Doppelten. Im Moment ist es noch so, dass keiner seine Recycling-Faser zu einem echten Preis in Verkehr bringt. Jede:r drückt seinen Preis und subventioniert ihn.
Bei Virgin Polyester mit seinen 80 Cent pro Kilo ist es in Europa fast unmöglich mitzuhalten. Bei uns in Deutschland kostet es schon circa 1,80 Euro, ein Kilogramm Textilien zu recyceln. Hinzu kommen noch die Kosten für Transporte und Sortierung. Bei diesen unfassbar günstigen Rohstoffpreisen von heute, egal ob Polyester oder Baumwolle, kommen europäische Post-Consumer Recyclingfasern kaum mit.
Haben wir in Europa überhaupt noch die Garnhersteller, um Recyclingfasern aus europäischen Altkleidern herzustellen?
In Europa schon. Sogar in Deutschland. Wir arbeiten beispielsweise mit zwei kleinen Betrieben zusammen. Auch in den Niederlanden gibt es einen Betrieb, der sich nur auf Recyclinggarne spezialisiert hat. Genauso haben wir in Spanien, in der Türkei und in Portugal Spinnereien. Textilherstellung in Europa ist möglich, und es entwickelt sich auch sehr gut. Das Problem in Deutschland ist eher, dass wir hier zu wenig unterschiedliche Recyclingmöglichkeiten haben und deshalb Altkleider, auch zur Lohnfertigung, in andere Länder transportieren müssen. Und das wird zusätzlich noch zolltechnisch aufwändig.
Wieso bekommt man Probleme mit dem Zoll?
Weil man in gewisse Länder keine Altkleider liefern darf. Korrekt deklariert handeln wir ja mit Abfall und nicht mit Secondhand. Somit ist unser Ziel, dass man in Deutschland die Faser herstellt. Fasern können wieder in die ganze Welt geschickt werden.
Wie sieht es mit der Ware aus, die beispielsweise nach Afrika geht. Wird die als Secondhand deklariert oder als Altkleider?
Das ist vornehmlich Secondhand, um Aufwände gering zu halten. Deswegen steht auch in allen Statistiken, dass 62 Prozent der Altkleider, die hierzulande gesammelt werden, als Secondhand Ware weitergegeben werden. Wieviel Prozent dieser Secondhand Ware tatsächlich im Reuse ist, wieviel im Up/Downcycling und wieviel auf freien Deponien landet, ist objektiv schwer zu sagen. Dafür fehlt es an meinungsfreien Datengrundlagen – die Bilder von Kleiderdeponien in Chile und Afrika zeigen aber, dass die Menge an Export als Secondhand nicht die finale Lösung unserer Überhangware sein kann.
Sie glauben also nicht, dass das nur Secondhand Ware ist? Immerhin sieht es ja so aus, als hätte Afrika Interesse daran, diese Altkleider aus dem Westen zu bekommen. Die Händler dort zahlen ja dafür.
Wir sind mit einer Sammelorganisation in Afrika in Kontakt. Das ist eine der ersten Organisationen, die Sammelpunkte für Altkleider in Afrika aufgebaut hat. Sie sagen, dass die Ware aus anderen Ländern - und Deutschland ist ja immerhin viertgrößter Exporteur von Altkleidern auf der Welt - tendenziell von der Materialität her gut ist. Aber die Größen und Styles passen nicht. Das heißt, ein Teil der exportieren Ware geht dort in den tatsächlichen Secondhand Markt und der andere Teil liegt irgendwo in der Landschaft, weil es kein funktionierendes Abfallwirtschaftssystem gibt und natürlich auch kein Textilrecycling. Aber die Händler, die diese Rohware zum ersten Mal bekommen, verdienen mit dem Verkaufsanteil ihr Geld. Die haben keine intrinsische Motivation, sich um den Rest zu kümmern. Würde das jemand tun, den Rest sammeln, sortieren und daneben eine Recyclinganlage platzieren, würden sich die Kosten der Exporte ändern und sicherlich auch unattraktiver werden.
Was sagen denn die hiesigen Textilsammler zu dem Vorwurf? Da sind ja auch karitative Einrichtungen wie das Rote Kreuz dabei.
Leider gibt es zum Beispiel aus Afrika keine verlässlichen Zahlen. Greenpeace behauptet das eine, karitative Einrichtungen zum Beispiel etwas ganz anderes. Ökonomisch kann ich das natürlich nachvollziehen. Der Textilverkauf ist ein großer Umsatzzweig für karitative Einrichtungen. Ich würde mir aber dennoch wünschen, dass auch die sozialen Einrichtungen ehrlich sagen würden, dass sie wissen, dass sie nicht alles irgendwohin exportieren können. Oder sie sollen sich in den Empfängerländern an den Kosten für den Aufbau von Recycling beteiligen. Das wäre ja auch eine Möglichkeit. Aber im Moment haben wir noch kein Commitment, dass es ein Problem gibt, und dass wir dieses Problem lösen müssen.
Von welchen Preisen reden wir denn? Wie unterscheiden sich die Preise, die Altkleidersammler für ihre Altkleider haben wollen zu denen, die Recycler dafür zahlen würden?
Eine karitative Einrichtung hier im Raum verkauft beispielsweise Alttextilien für 23 Cent pro Kilo. Das bezahlt kein Recycler dafür. Und wenn wir dieses Material an einen großen Recycler geben würden, dann bräuchte er komplett vorsortierte Ware. Der Aufwand des Sortierens käme also noch hinzu. Der Recycler bezahlt aber nur acht Cent für das Kilo. Das ist der durchschnittliche Preis für Altkleider, die ins Downcycling gehen. Die Preise schwanken natürlich. Klar wird an den Beispielen jedoch, dass die Verhältnisse nicht stimmen.
Was könnte hierzulande getan werden, damit die Ware hierbleibt?
Ich traue den Sammelunternehmen zu, ein Gefühl dafür entwickeln zu können, was auch in Afrika nicht verkauft wird und dort also als Müll endet. Man müsste Anreize für die Sammelbetriebe schaffen, die Ware hier zu behalten, damit sie nach Material sortiert wird und damit man die Mengen an Altkleidern zusammenbringt, die für Recyclinganlagen nötig sind. Das ist machbar, aber eben ein Kostenpunkt.
Sind RFID-Chips eine gute Idee, um die Textilien am Ende besser sortieren zu können? Gerade in Frankreich setzen einige Marken die schon ein.
Ja, in der Theorie schon, aber RFID-Chips haben das Problem, dass sie die Prozesse im mechanischen Recycling und in Recyclinganlagen auf sehr negative Art beeinflussen, weil man diese Chips aus den Textilien rausbekommen muss, bevor es in den Recyclingprozess geht. Das heißt, es ist ein theoretisch gutes Konzept, aber in der Praxis der Recyclingbetriebe ist es noch nicht zufriedenstellend gelöst. Spannender sind Tracer-Fibers, die mit markierten Pigmenten in der Farbe arbeiten und darüber Informationen mitgeben.
Vom Altkleiderverband kam die Frage, warum so zwingend am Textile-to-Textile Recycling festgehalten wird? Bei den Chemiefasern geht es um Kunststoffrecycling, und daraus können auch wieder ganz andere Dinge entstehen, die vielleicht nicht die Reinheit von Textilien brauchen. Warum ist es wünschenswert, dass Textilien aus Textilien entstehen?
Ich würde nicht sagen, dass immer wieder Textilien daraus gemacht werden müssen. Diesen Ansatz haben wir auch nicht. Natürlich lohnt es sich nicht, ein T-Shirt mit drei Euro Verkaufspreis und einer schlechten Eingangsqualität der Faser gleichwertig zu recyclen. Das wird immer ins Downcycling gehen. Ich denke nur, es muss klar sein, was damit passiert. Wir sagen aber nicht, dass wir Recycling nicht brauchen, weil wir schon immer downcyceln. Das wäre ein falscher Ansatz, der uns als Textilindustrie auch nicht helfen wird. Unsere Lieblingsfaser Baumwolle hat ein enormes Wasserproblem, das sich in Zukunft noch verstärken wird. Dem könnten wir in Europa entgegenwirken, indem wir unsere Ressourcen sinnvoll wiederverwenden und einen neuen Rohstoff ins Spiel bringen. Denn es gibt ja ebenso Massen an hochwertig hergestellten Textilen, mit langstapeligen Fasern, die viel zu schade sind, um verbrannt, deponiert oder ungenutzt zu bleiben. Ich glaube, dieses Abstraktionslevel brauchen wir viel mehr in der Diskussion. Es muss und kann nicht alles gleichwertig recycelt werden, aber reines Downcycling ohne Einhaltung einer Abfallpyramide und der Export von rund 60 Prozent der Ware sind keine Lösung.
Wie steht es um das Recycling von Neuware? Da wird in Brüssel ja gerade verhandelt, ob Recycling mit Zerstörung gleichzusetzen ist oder nicht?
Das ist eine sehr spannende Frage, und ich muss sagen, dass wir dafür die meisten Anfragen bekommen. Die meisten Unternehmen, die aktiv auf uns zukommen, haben unverkaufte (Rand)Warenbestände oder ein Qualitätssicherungsproblem in ihren Produktionsländern. Und es scheint so, als wäre es für die meisten Unternehmen einfacher, fürs Recycling Geld zu bezahlen, als die internen Prozesse zu überarbeiten. So kann man auf den Gedanken kommen, dass es gut wäre, wenn Recycling im Gesetz nicht als Zerstörung deklariert wird.
Wenn wir von unseren Herstellern Neuware bekommen, dann dokumentieren wir das für die Brands und machen valide, wieviel Ware im Laufe des Jahres zusammengekommen ist. Damit wir endlich mal wissen, um wieviel Ware es sich hier überhaupt handelt. Das fordert eine neue Dimension an Transparenz von den Brands. Im Moment kann sich hier jeder sehr gut verdeckt halten, weil die Zahlengrundlage fehlt. Am Ende muss das Ziel selbstverständlich sein, diese Menge zu minimieren.
Um es nochmal zusammenzufassen: Was brauchen wir also für ein funktionierendes Recycling?
Im hier und jetzt benötigen wir mehr Transparenz, Standards und eine Antwort auf die Frage, wie man den Prozess für Kreislaufwirtschaft ganzheitlich aufbaut, damit er ökonomisch funktioniert. Für welche Textilien lohnt sich dieser ganze Aufwand eigentlich? Welche Vorbeugungsmaßnahmen müssen getroffen werden, damit weniger Textilabfall anfällt? Wie etablieren wir eine textile Abfallpyramide und schaffen Strukturen und Systeme, diese auch einzuhalten? Für unser aller Morgen benötigen wir die Bereitschaft aller Akteure, einen echten strukturellen Wandel umzusetzen: über recyclingfähige Designs, über die Kostenübernahme für End-of-Life, über den Einsatz von Recyclingfasern oder Recyclinggarnen. Wir als Turns sehen uns als vorausgehender Teil dieses Wandels. Wirklichkeit wird es aber nur, wenn alle Akteure ihren Beitrag dazu leisten.