Tipps und Tricks für den sicheren Umgang mit KI
20. Feb. 2025
Ein Thementag zur Künstlichen Intelligenz (KI) des Mittelstand-Digital Zentrums Handel am 11. Februar 2025 gab Einzelhändler:innen und anderen Interessierten die Möglichkeit, Informationen zu Themen wie KI und Kund:innenloyalität, Prompting, dem sicheren Umgang mit KI oder ihrem Einsatz in der Aus- und Weiterbildung zu erfahren. FashionUnited war dabei und hat die Höhepunkte zusammengefasst.
Philipp Hübner, Projektleiter Forschungsbereich E-Commerce, stellte das Whitepaper des EHI Retail Institutes „KI und Kundenloyalität im Handel“ vor, das auf einer Befragung von 232 Entscheider:innen aus dem EHI-Netzwerk beruht. Sie wurden etwa gefragt, ob es einfacher sei, Bestandskund:innen zu binden oder Neukund:innen zu finden (63,6 Prozent bejahten ersteres), und welche Einflussfaktoren die Kund:innenloyalität beeinflussen. Sie äußerten sich auch dazu, in welchen Anwendungsfeldern sie das größte Potenzial der KI sehen.
KI und Kund:innenloyalität im Einzelhandel
Die Befragten stammten aus zwölf unterschiedlichen Branchen, davon 15,5 Prozent aus dem Mode- und Accessoires-Bereich, 1,3 Prozent aus dem Bereich Warenhäuser beziehungsweise Shoppingcenter (0,4 Prozent). Von den 232 Entscheider:innen waren 105 Vorstandsmitglieder und Geschäftsfüher:innen von 179 Handelsunternehmen mit einem geschätzten Nettoumsatz von 111,6 Milliarden Euro.
Ein wesentlicher Teil der Studie widmete sich dem Thema KI-Einsatz zur Steigerung der Nutzung der Kund:innenloyalität. Auf die Frage „Wie sinnvoll schätzen Sie den Einfluss von KI ein?“ antwortete mehr als die Hälfte (55,2 Prozent) der Befragten mit „sehr sinnvoll“, mehr als ein Drittel (37,2 Prozent) mit „eher sinnvoll“ und nur 5,2 Prozent mit „eher nicht sinnvoll“ beziehungsweise „nicht sinnvoll“ (2,3 Prozent).
Die Frage, ob das eigene Unternehmen schon KI zur Steigerung der Kund:innenloyalität nutze, bejahte nur etwa ein Fünftel (19,8 Prozent); mehr als die Hälfte (54,2 Prozent) antwortete „noch nicht“ – es sei aber geplant. Ein gutes Viertel (26 Prozent) setzt KI in diesem Bereich noch nicht ein und plant dies auch nicht.
Die weiterführende Frage, ob es schon Projekte im Bereich Einsatz von KI zur Steigerung der Kund:innenloyalität gebe, bestätigte mehr als ein Drittel (34,5 Prozent) der Befragten; zwei Fünftel (40,1 Prozent) verneinten dies, gaben aber an, Projekte zu planen, während ein Viertel (25,4 Prozent) derzeit keine Projekte betreibt und auch keine plant.
Auf die Frage nach der Wahrscheinlichkeit, wann das Unternehmen darin investieren werde, antworteten zwei Fünftel (40 Prozent) mit „heute“, über zwei Drittel (68,5 Prozent) „in zwei Jahren“ und eine Mehrheit (85,7 Prozent) halten dies in fünf beziehungsweise zehn Jahren (90,2 Prozent) für wahrscheinlich.
Das Nutzpotenzial für KI im Bereich „Loyalty“ wird dabei am stärksten im Direktmarketing gesehen, dann beim Pricing, bei Sonderangebote und Rabatten, gefolgt von Loyalty-Programmen, Sortimentsgestaltung und Produktqualität sowie Nachkaufbetreuung/Beschwerdemanagement, direkter Kund:innenberatung, Massenmarketing und zuletzt bei der Ladengestaltung (stationär und/oder online).
„Das Bestandskund:innenmanagement ist eine zentrale Aufgabe für Entscheidende im Einzelhandel. Die meisten Unternehmen setzen auf ein Loyalty-Programm und der Einzelhandel sieht ein großes Potenzial im KI-Einsatz zur Steigerung der Kund:innenloyalität“, fasst Hübner zusammen. Als beste Einsatzmöglichkeiten wurde das personalisierte Direktmarketing genannt, Pricing, Sonderangebote und Rabatte, Loyalty-Programme sowie Analysen und Prognosen zum Kund:innenverhalten.
KI in der Aus- und Weiterbildung
Ähnlich wie es einfacher ist, Bestandskund:innen zu halten, als Neukund:innen zu gewinnen, ist es für den Einzelhandel so wichtig wie nie, neben der Gewinnung von Fachkräften auch die bestehenden Mitarbeiter:innen zu halten. Bettina Wilhelm, Geschäftsführerin von der Zentralstelle für Berufsbildung im Handel e.V., stellte anhand der Lernplattform für digitales Lernen im Handel, MyFlexNet, vor, wo KI in der Aus- und Weiterbildung bereits im Einsatz ist.
Die Lernplattform richtet sich an Unternehmen, Schulen und Bildungseinrichtungen und bietet Module etwa zum Customer Journey im E-Commerce an, zum Verkaufstraining, zur Ausbildung der Ausbilder:innen, Onlinetraining zu digitalen Kompetenzen, zur ökonomische Bildung im Handel, Warenannahme, Kostenrechnung und Finanzierung sowie Beratungs- und Bildungsangebote für Zugewanderte zum Eintritt in den Einzelhandel und Warenkunde, die Geschichte des Handels und ein europäisches Einzelhandelswiki. Gerade für E-Learning-Angebote wird KI eingesetzt, etwa in Form von Empfehlungsassistent:innen, die Lernpräferenzen bezüglich Lernziel, Lerntyp, Lernformat und Vorwissen berücksichtigen. Auch diese können aber nicht alles, und sollten daher richtig eingebettet werden.
Wie verfasst man gute Prompts?
Klaus Kaufmann, KI-Traimer beim Mittelstand Digital-Zentrum, Bereich Wertnetzwerke, widmete sich dem Thema „Prompting“, also wie man spezifizierte und präzise Anwendung formuliert, um ein bestimmtes Ergebnis zu erhalten. Er verwies auf das Akronym SPRICH, um das Beste aus KI-Prompts zu machen, denn „je allgemeiner die Frage, desto allgemeiner die Antwort“. SPRICH steht für:
- Situation, also der Kontext
- Präsentation - in welchem Format das Ergebnis sein sollte
- Rolle, also die Persona
- Instruktion - die Aufgabe
- Charakter - die Tonalität
- Hinweise, etwa eine Beispieleingabe
Ein gelungener Prompt sollte also weit mehr als ein Satz sein, eine Rolle beschreiben und ebenso, wie das Ganze am Ende aussehen sollte.
KI zur Reduzierung von Inventurdifferenzen
Ein interessanter Beitrag von Frank Rehme widmete sich einem immer noch aktuellen Thema, dem Ladendiebstahl. Der Geschäftsführer des Mittelstand Digital-Zentrum Handel besucht seit langer Zeit alljährlich die Messe der National Retail Federation (NRF) in New York und sah dort vor acht Jahren die Innovation eines Startups, das viele Überwachungskameras aus Supermärkten einfach ins Netz stellte. Interessierte konnten sich anmelden, Aufzeichnungen einsehen und Diebstähle melden. Dafür bekamen sie Punkte auf einem virtuellen Konto.
„Das funktionierte gut, viele Leute machten mit und wollten ein bisschen Kaufhausdetektiv spielen“, erinnert sich Rehme. Dabei wurden bestimmte auffällige Verhaltensmuster festgehalten – „etwa wenn jemand etwas in seine Kleidung steckt, ein Produkt nah am Körper hält, etwas in einen Rucksack, Kinderwagen oder Helm hineintut, den Einkaufswagen versteckt, viele gleiche Artikel auf einmal kauft oder Lebensmittel im Laden konsumiert.”
Diese manuell identifizierten Verhaltensmuster wurden dann benutzt, um die KI zu trainieren. Und diese wurde dann beauftragt, aus einer Vielzahl von Überwachungskamerafenstern auf einem Bildschirm, die für den Menschen schwer auf einmal auszuwerten sind, Diebstähle zu erkennen. „KI teilt das Bild in Farben auf, und man sieht etwas Auffälliges, wenn sich die Farbe ändert. Das wird festgehalten, landet in der App eines Mitarbeitenden, der oder die dann im Laden nachschauen kann“, erklärt Rehme.
Hierbei handelt es sich um Video Alerts und ein Dashboard, also „kleine“ Hardware, die in die bestehende Kamerainfrastruktur integriert werden kann. „Dies ist eine sehr effiziente Lösung. Überwachungskameras gibt es seit Jahrzehnten, und die mit KI auszustatten, ist in Deutschland und Europa machbar“, so Rehme.
Der Experte nannte abschließen auch die Fallstudie einer großen Ladenkette mit mehr als 1000 Filialen, die dieses System ohne eigene Security im Flughafen testete. Das heißt, das Unternehmen verließ sich nur auf Kameras mit KI und die Airport Security. „Das Ergebnis nach sechs Monaten war erstaunlich: Es wurden 84 Fälle festgestellt und 12 Wiederholungstäter:innen identifiziert. Zwei Trafficking-Netzwerke für gestohlene Ware wurden aufgelöst und insgesamt 150.000 US-Dollar an Inventar zurückerhalten. Das Unternehmen erhielt seine Investition um ein Fünfzigfaches zurück.“
KI ist kein Allheilmittel
Martin Talmeier, Projektleiter und Lead Coach des Mittelstand-Digital Zentrums, warnte davor, dass KI alleine Unternehmen nicht retten werde. „KI alleine ist völlig nutzlos. Sie braucht zwingend die magische Zutat, den Treibstoff, um Großes für Sie zu erreichen. Der magische Treibstoff sind Daten“, so der Experte. Und wenn diese Daten chaotisch oder unübersichtlich sind, wird KI nicht die Rettung sein.
„Es gibt bei Unternehmen die große Hoffnung, dass KI lösen kann, was liegengeblieben ist, aber es gibt viele Grenzen. Zum einen, dass das Wissen der LLMs (der Large Language Models, also der Technolgie, die KI-Tools wie etwa ChatGPT antreibt) aus dem Internet kommt. „Und wie wir wissen, kommt daher aber auch viel Blödsinn“, so Talmeier. Internes Wissen, also etwa über ein Unternehmen, ist nicht im Internet und soll es ja auch nicht sein.
Wenn man KI aber einfach in eine unternehmensinterne Datenmenge setzt, hat diese keine Ahnung, was sie damit machen soll. „Man hat die Hoffnung: KI wird aufräumen, aber ohne Hausarbeit geht es nicht. Man muss sich selbst erstmal reinsetzen“, erklärt Talmeier. Dazu empfiehlt der Experte, eine Datenstrategie aufzustellen, also einen Plan, wie Daten gesammelt, gespeichert und analysiert werden sollen beziehungsweise eine Bestandsaufnahme: „Was haben wir, was wollen wir?“
Nur 36 Prozent der deutschen KMU haben eine Datenstrategie und nur 29 Prozent nutzen strukturiertes Datenmanagement, also die Organisation und Verwaltung von Daten in einem klar strukturierten Format. Dies sei aber die Basis, um Daten zugänglich, analysierbar und nutzbar zu machen, so Talmeier. „82 Prozent der Geschäftsführer:innen von KMU beteuern die Wichtigkeit von Daten. Es besteht als eine große Diskrepanz, von dem, was man tut, und dem, was man will.“
Als nächstes sprach Talmeier über die Datenökonomie, also die wirtschaftliche Nutzung von Daten, um Werte zu schaffen. „Das Wertschöpfungpotenzial der Datenökonomie wird in Deutschland in den nächsten zwei bis drei Jahren auf 425 Milliarden Euro geschätzt.“
Dies basiert auf der Überlegung, dass 80 Prozent der Daten unstrukturiert sind. „Dies ist aber kein Problem für KI. Was wir bis jetzt haben liegenlassen, ist das Beste für KI. Sobald wir es in Ordner, Kategorien, etc. sortiert haben, haben wir vielleicht etwas nicht durchdacht, was in der Zukunft wichtig gewesen wäre“, so der Experte. „Eine Maschine kann unstrukturierte Daten sortieren, aber nur 18 Prozent der KMU nutzen den Datenschatz bereits“, fügt er hinzu.
Was hält Unternehmen bei der Nutzung ihrer Daten auf?
Eine Hürde ist für viele das Datenschutzrecht (DSGVO). „Dieses will jedoch nicht das Geschäft verbieten, sondern funktioniert wie eine Leitplanke“, gibt Talmeier zu bedenken. Hinzu kommen Compliance-Kosten, interne Richtlinien, Unsicherheit bei der Interpretation, Datenschutzbeauftragte und die Nutzung personenbezogener Daten. Diese ist erlaubt, wenn eine Rechtsgrundlage vorliegt, etwa die Vertragserfüllung (Lieferung) bei einer Bestellung oder die Analyse für Marketingzwecke, die man intern auswerten darf. Auch Werbung ist erlaubt - mit der Einwilligung der Betroffenen.
„Es gelten die Grundsätze der Zweckbindung (wozu braucht man die Daten), der Datenminimierung (man darf Daten nicht hemmungslos benutzten), und der Transparenz“, so Talmeier. KI muss aber gesteuert werden, wofür er einen Dreistufen-Plan vorschlägt, „um den Datenschatz zu heben“. Dazu gehört eine Strategiephase, in der man das Ziel definieren und dafür Datenschutzexpert:innen nutzen sollte.
Der zweite Schritt ist die Datenanalyse, also eine Bestandsaufnahme: welche Daten wo und wie zugänglich sind, wie aktuell sie sind und von welcher Qualität. Als dritte Stufe sollte ein Pilotprojekt in kleinem Rahmen folgen, das „übersichtlich, aber nutzbringend“ ist, etwa eine Analyse von Reklamationen, die Entwicklung von Warenkörben und Ähnlichem.
Die Grenzen von KI
Der IT Security-Spezialist und selbsternannte „White Hacker” Robert Boehme widmete sich den Grenzen von KI. So etwa kann diese nicht rechnen und muss selbst für einfache Rechenaufgaben (wie 2 x 2) darauf trainiert werden, einen Taschenrechner zu benutzen. Was sie kann, sind Rechenwege und Formeln herleiten. Ebenso haben alle KI-Modelle „Gedächtnislücken“, es fehlt also etwas. Die KI merkt das selbst nicht, das heißt, da ist einfach ein Loch, aber immerhin sind die Lücken stabil, also immer an der gleichen Stelle, so dass man etwas dagegen tun kann.
Ebenso sollte man wissen, dass KI „Biases“, also Vorurteile oder Vorlieben hat. Gibt man etwa einfach „Herbert oder Michael“ beziehungsweise „Michael oder Herbert“ in ein KI-Tool ein, dann bekommt man einen der beiden Namen zurück, wobei der erstgenannte Name häufiger vorkommt, wenn man dies öfter macht. Das ist also ein Bias. Gibt man die Vorgabe Tausende von Malen ein, wird „Michael“ häufiger zurückkommen, weil der Name im englischen Sprachraum gebräuchlicher ist als „Herbert“ und die KI mit vielen englischsprachigen Trainingsdaten gefüttert wird.
Boehme zufolge sollte man also drei Dinge im Hinterkopf behalten, wenn man KI einsetzt:
- Sie ist genial und hat dennoch keine Ahnung.
- KI hat eine extreme Selbstsicherheit bei totaler Ahnungslosigkeit.
- KI ist extrem mächtig.