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Wenn Plattformen boomen, was passiert dann mit dem Wholesale?

Von Regina Henkel

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Business|HINTERGRUND
Foto: Zalando

Wenn Onlinehändler wie beispielsweise Zalando ihr Plattform-Geschäft in wenigen Jahren verdreifachen wollen, hat das gravierende Auswirkungen für das traditionelle Wholesale-Geschäft und die entsprechenden Marken. Erst recht, weil Zalando nur ein Beispiel von mehreren ist. Was bedeutet es, wenn immer mehr Onlinehändler ihr klassisches Wholesale-Geschäftsmodell in Richtung Plattformstrategie weiterentwickeln? Direktvertrieb wird für Modemarken nach und nach von der Kür zur Pflicht.

Als Zalando im Jahr 2008 als E-Commerce-Unternehmen gegründet wurde, basierte das Geschäftsmodell noch auf dem klassischen Groß- und Einzelhandel (Wholesale). Heute macht der Wholesale nur noch rund 70 Prozent des Bruttowarenvolumens (GMV) des Konzerns aus, der Rest entfällt auf das Plattformgeschäft. Seit 2019 kommuniziert Zalando das Ziel, seine Partnerprogramme, also das Marktplatzmodell und die Integration stationärer Händler (Connected Retail) verstärkt ausbauen zu wollen. Laut Geschäftsbericht kamen 2021 30 Prozent des GMV aus dem Partnerprogramm, im ersten Quartal 2022 waren es bereits 32 Prozent, und in drei Jahren, also 2025, sollen es schon die Hälfte des GMV ausmachen. Diese Entwicklung ist kein Alleinstellungsmerkmal von Zalando: About You und Otto tendieren in die gleiche Richtung, und auch traditionelle Händler integrieren Plattformmodelle, von Breuninger bis Engelhorn. Selbst H&M ist neuerdings eine Plattform.

Mehr Flexibilität und Wachstum über Partnerprogramme

Für Plattformbetreiber ist ein Marktplatz attraktiv. Er generiert zwar weniger Marge pro Produkt, dafür bindet er weniger Kapital, reduziert das Risiko und braucht keinen Einkauf. „Für sie bietet das Plattformmodell im Gegensatz zum Wholesale-Modell wesentlich mehr Flexibilität und eine viel größere Sortimentsbreite, die sie anbieten können“, sagt Valerie Dichtl, Marktplatz-Expertin und Gründerin der Marketplace Uni, die sich auf die Aus- und Weiterbildung von Marktplatz-Manager:innen für die Mode-, Sport- und Schuhbranche spezialisiert hat.

Die Krisen der letzten Jahre bis hin zum aktuellen Ukrainekrieg haben dem Modemarkt mehr denn je vor Augen geführt, wie volatil dieses Geschäftsfeld ist. Wer nicht untergehen will, muss flexibel bleiben. „Der Ukraine-Krieg ist bereits die dritte Krise in meiner Zeit bei Zalando“, sagte gerade erst Robert Gentz, Co-CEO und Mit-Gründer von Zalando bei der Vorstellung der ersten Quartalszahlen für das laufende Jahr am 5. Mai 2022. „Wir sind aus allen Krisen gestärkt hervorgegangen. Das Plattformmodell eröffnet uns dafür mehr Flexibilität.“

Zudem verfolgt Zalando ambitionierte Wachstumsziele um zum vielzitierten „Starting Point for Fashion“ werden zu können. Es ist Zalandos „oberste Priorität, anhaltend starkes Wachstum zu realisieren, das deutlich und dauerhaft über dem des europäischen Online-Modemarkts liegt. Dabei streben wir zwischen 2020 und 2025 beim GMV eine durchschnittlich jährliche Wachstumsrate (CAGR) von 20 bis 25 Prozent an“, heißt es im Geschäftsbericht 2021. „Dieses exorbitante Wachstum“, so Dichtl weiter, „erreicht man nur über Plattformen.“

Nicht immer freiwillig: Wholesale-Marken müssen sich auf Direktgeschäft einstellen

Aber wie genau baut man ein laufendes Wholesale-Modell in ein Plattformmodell um, haben wir Zalando gefragt? Durch „kontinuierliche Investitionen, beispielsweise in (Self-)Services und Tools für Markenpartner und Trainings, sowie durch den sukzessiven Übergang ausgewählter Wholesale-Partner in unser Partnerprogramm“, sagt eine Sprecherin des Konzerns.

Wie freiwillig dieser Übergang erfolgt lässt Zalando freilich offen. Und auch die Marken halten sich bedeckt. „Klar ist, und das sehe ich immer wieder in meinen Gesprächen, dass viele Marken diese Entwicklung noch nicht wirklich realisieren, auch wenn Zalando und andere Onlinehändler das relativ offen kommunizieren“, erklärt Dichtl. „Marken, die einen starken B2C-Ansatz haben, wechseln freiwillig, es gibt aber auch viele, die wechseln müssen.“

Wholesale wird laut Dichtl künftig zum „Cherry-Picking“. Dichtl: „Eingekauft werden nur noch große Marken, und nur noch das, was sich sicher gut verkauft oder wo NOS-Programme dahinterstehen.“ Weniger gute Chancen auf einen Wholesale-Platz haben künftig Produkte mit vielen Größen, wie zum Beispiel Wäsche oder Jeans, oder unbekanntere Marken.

Umstellung auf Direct-to-Consumer: Umsatzeinbußen einplanen

Allerdings macht es für Marken einen großen Unterschied, ob sie ihre Produkte über den Wholesale verkaufen oder über einen Marktplatz. Dichtl: „Wenn für eine Marke der Wholesale bei einem großen Kunden wie beispielsweise bei Zalando wegfällt, muss sie dessen Marktplatz selbst bestücken. Das heißt auch, dass die Marke selbst für eine Vororder sorgen darf und somit diese auch vorfinanzieren muss. Die Ware wird eben nicht wie im Wholesale-Geschäft auf einmal am Saisonanfang bei Auslieferung bezahlt, sondern dann, wenn der Endkunde die Ware kauft. Das kann erstmal zu Liquiditätsherausforderungen bei der Marke führen.“

Foto: Valerie Dichtl

Hinzu kommt, dass die Umsätze im Marktplatzmodell im Vergleich zum Wholesale-Modell oft erstmal niedriger ausfallen. Denn zumindest beim Beispiel Zalando werden Wholesale-Produkte automatisch in allen 26 Ländern ausgespielt. Der Marktplatz agiert hingegen Land für Land. „Die wenigsten werden es schaffen, gleich alle Länder zu bedienen und die damit verbundenen Umsatzverluste zu kompensieren“, erklärt Dichtl.

Bleibt noch der Algorithmus: Natürlich will Zalando zuerst seine Wholesale-Produkte verkaufen, weil dort die größte Kapitalbindung liegt und der meiste Umsatz generiert werden kann. Produkte, die über die Partnerprogramme verkauft werden, stehen im Ranking tiefer und sind zudem einem verstärkten Wettbewerb ausgesetzt. Auch hier ist mit Verlusten zu rechnen.

Um diese Herausforderungen möglichst reibungsfrei zu meistern, müssen sich die Brands frühzeitig umstellen. Dichtl spricht von einem halben bis dreiviertel Jahr Vorlauf. Viele Prozesse im Unternehmen müssten angefasst werden.

Der Druck auf Wholesale-Marken wächst

Die Entwicklung hin zu Marktplätzen ist aus heutiger Sicht unumkehrbar. Die Pandemie hat diese Entwicklung nicht erschaffen, sondern nur beschleunigt. „Die Zukunft geht nicht mehr ohne Marktplätze“, ist Dichtl überzeugt. „Man muss die Scheuklappen ablegen. In Europa gibt es an die 40 bis 50 Marktplätze, die nur für den Fashion-Markt relevant sind. Tendenz aktuell weiter steigend.“ Marken müssen sich überlegen, welche Kanäle sie künftig bedienen wollen und können und auch, welches Produkt wo verkauft werden soll. „Viele fangen schon damit an, die einzelnen Kanäle genauer zu betrachten und gezielte Sortimente dafür zu entwickeln“, sagt sie. „Es geht darum, raus aus der Preisspirale zu kommen.“

Schließlich bietet das Marktplatz Modell großes Potenzial und Chancen – auch das müsse betont werden, sagt Dichtl. Nicht umsonst kommt für klassische DTC-Marken oft nichts anderes als eine Erweiterung auf die Marktplätze infrage. Über die Marktplätze können sie weiterhin ihre Produkte in der eigenen Hand behalten, neue (Länder-)Märkte testen und die Preishoheit bleibt ebenfalls bei ihnen.

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