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Wie Algorithmen demnächst das Retourenproblem lösen

Von Regina Henkel

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Business |INTERVIEW

Jeder kennt das: Man bestellt online ein bestimmtes Kleidungsstück in der Größe, die bisher eigentlich immer passte, aber diesmal eben nicht. Für viele Kunden ist genau dieser Moment der Grund dafür, warum sie lieber direkt ins Geschäft gehen und die Produkte anprobieren anstatt sie online zu bestellen. Denn nichts ist lästiger als der ewige Paket-Ping-Pong bis endlich das gewünschte Produkt in der richtigen Größe sein Ziel gefunden hat. Für den Kunden ist der Prozess zeitaufwändig und ärgerlich, für den Online-Händler ist er vor allem ein teurer Spaß. Nirgends sind die Retouren so hoch wie in der Mode. Sie zu senken, verspricht Onlinehändlern eine signifikante Reduktion der Kosten und damit mehr Gewinn. Das US-amerikanische Unternehmen True Fit setzt genau dort an. Dank ihrer Technologie wollen sie Händlern und Konsumenten dabei helfen, die Treffsicherheit in Bezug auf Größe und Passform zu verbessern. In den USA gehören schon Händler wie Macy’s und Nordstrom zu den Kunden sowie Brands wie Levi’s und Under Armour. Seit März ist True Fit auch in Deutschland aktiv. Gerrit Leppelsack, ehemaliger Amazonianer und jetzt Vice President DACH und Nordics bei True Fit, erklärt was hinter dieser Technologie steckt.

Was genau kann die Technologie von True Fit?

Es geht darum: Der Bekleidungs- und Schuhmarkt ist ein riesiger Markt mit einem Volumen von zwei Billionen Dollar. Aber nur 12 Prozent davon werden online umgesetzt. Warum? Die Konsumenten sind zurückhaltend Mode online zu kaufen, weil sie unsicher sind hinsichtlich Größe und Passform. Wer online kauft, kann nichts anprobieren, das ist das Problem. Mit True Fit können wir dem Konsumenten beim onlineshoppen für jedes einzelne Produkt genau sagen, welche Größe passen wird - und wir können sogar noch mehr: Wir können sagen, diese schwarze Hose passt wahrscheinlich nicht, dafür aber diese, auch wenn sie von einer anderen Brand ist.

Worauf basiert Ihre Information?

Wir bekommen von inzwischen mehr als 10.000 Brands die Produktspezifikationen von jedem einzelnen Kollektionsteil zugeschickt. Über eine Million neue Produkte pflegen wir inzwischen pro Monat in unsere Datenbank ein und wissen damit genau, wie weit oder eng oder lang etc. ein bestimmtes Bekleidungsstück ist. Das geht so weit, dass wir z.B. bei einem Schuh theoretisch sagen könnten, an welcher Stelle genau der Schuh drücken wird. Gleichzeitig bekommen wir von den Händlern Informationen über ihre Kunden und haben in unserer Datenbank inzwischen 20 Millionen kundenspezifische Datensätze. Ende des Jahres sollen es 30 Millionen sein. Auf dieser Grundlage und dem bisherigen Kaufverhalten des Konsumenten können wir sehr genau berechnen, ob eine bestimmte Hose, ein Schuh etc. diesem Kunden passen wird. Wir können anhand der Bestellhistorie sogar auch sagen, ob ihm eine bestimmte Farbe, ein Style wie z.B. Skinny Fit, gefallen wird. All diese Informationen sieht der Kunde im Bestellprozess in Echtzeit und kann entsprechend darauf reagieren.

Wie detailliert ist der Fragenkatalog an den Konsumenten, damit er Ihre Software nutzen kann?

Er muss nur eine Frage pro Produktkategorie beantworten: Welcher ist dein Lieblingsschuh, welche Jeans ist deine Lieblingsjeans usw. Allein aus diesen Angaben generieren wir alle Informationen, die wir brauchen. Wir wollen nicht, dass der Kunde lange rumklicken muss.

Und wenn der Kunde keine Lust hat diese Angaben zu machen?

Dann können wir für ein Produkt immerhin sagen, ob es größer oder kleiner im Vergleich zu anderen ausfällt.

Sie sind seit kurzem auch in Europa bzw. Deutschland aktiv. Mit welchen Brands bzw. Retailern arbeiten Sie hier schon zusammen?

Bis Ende des Jahres 2016 werden wir über 100 Retail Kunden haben, dazu gehören House of Fraser, Clarks und Adidas in Europa und Nordstrom, Macy’s, Kate Spade und Under Armour in den USA. Gleichzeitig arbeiten wir daran, mit den relevanten Marken für den hiesigen Markt in Kontakt zu kommen und ihre Produktdaten zu generieren.

Das ist schwer zu glauben: Sie haben über 100 Retail Kunden und bekommen die Daten von mehr als 10.000 Brands? Die Brands nutzen Ihre Technologie also gar nicht unbedingt, schicken Ihnen aber trotzdem ihre Produktspezifikationen zu?

Ja, so ist es. Wir zahlen nicht dafür, wir bekommen die Daten umsonst. Und für die Brands ist es auch kostenlos. Unsere Aufgabe ist es dann natürlich, die Daten in eine Form zu übertragen, mit der unser Algorithmus arbeiten kann. Wir haben eigene Brand-Teams, die sich nur damit beschäftigen, noch mehr Brands für unsere Datenbank zu gewinnen, und in der Regel erkennen die Brands ihren Nutzen sehr schnell. Interessanterweise war Macy’s unser allererster Kunde in den USA.

Was bekommen die Brands im Gegenzug? Und was bringt es tatsächlich dem Onlinehändler?

Da True Fit auch Produkte mit einem besseren Fit vorschlägt, erhöhen wir die Auffindbarkeit von Produkten. Außerdem bekommen die Brands Informationen über ihren Kunden. Sie können sehen, in welchem Markenumfeld sie sich tatsächlich bewegen, welche Passformen ihre Kunden wünschen und welche Größen sie haben. Das sind hochinteressante Daten, die dabei helfen, Fehleinschätzungen zu vermeiden.

Der Onlinehändler bekommt die Möglichkeit der Personalisierung. Und ganz konkret ein Return of Investment. Wir garantieren dem Händler, dass seine Conversion Rate um z.B. 5,4 Prozent steigen wird. Das ist keine aus der Luft gegriffene Zahl, wir berechnen in jedem einzelnen Fall genau, welche Steigerungen möglich sind. Auf dieser Basis berechnen wir auch die Kosten für die Nutzung unserer Technologie. Wir stellen also keine fixe Nutzungspauschale in Rechnung, sondern orientieren uns immer daran, was True Fit dem Händler tatsächlich gebracht hat.

Mit Ihrer Technologie wollen Sie den Kunden ein stückweit umerziehen. Er soll eben nicht drei Hosen zur Anprobe bestellen um dann eine zu behalten. Bei welchen Kunden sind Sie machtlos?

Bei solchen natürlich, die sich nicht umerziehen lassen. Es gibt Fälle im Bereich der Abendmode, da liegt die Retourenrate bei 90 Prozent. Warum? Weil offenbar manche das Kleid für einen Abend tragen und dann wieder zurückschicken. Dagegen können wir nichts machen.

Was ist, wenn ein Retailer ein sehr spezielles Sortiment hat mit Marken, die Sie noch nicht in der Datenbank haben?

Bis das System beim Händler läuft, vergehen etwa zwei bis drei Monate. In der Zeit versuchen wir möglichst viele Brands ins Boot zu holen. Ziel ist es, mindestens 90 Prozent der Produkte abzudecken. Wenn das nicht geht, macht die Zusammenarbeit zu dem Zeitpunkt noch keinen Sinn. In keinem Fall würden wir falsche Prognosen ausgeben.

Amazon hat im letzten Jahr Shoefit gekauft, ein Unternehmen, das eine ganz ähnliche Technologie nutzt. Was ist der Unterschied?

Amazon funktioniert natürlich nur innerhalb des eigenen, geschlossenen Systems und nutzt die eigenen Daten. Bei True Fit kann jeder von einer riesigen Datenmenge profitieren, die er allein niemals hätte sammeln können. Aber auch hier sehen Sie, dass das Interesse der Händler groß ist, ihre Retouren in den Griff zu bekommen.

Können Sie sich Ihre Technologie auch im stationären Handel vorstellen?

Primär geht es uns um den Onlinehandel. Darum, einen USP des stationären Handels auf Online zu übertragen, nämlich das Anprobieren. Aber natürlich kann die Technologie auch dem stationären Handel nutzen. Der Verkäufer könnte vorab genauer sagen, was passen könnte und was nicht.

Fotos: Gerrit A. Leppelsack, True Fit

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