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Wie nachhaltig ist Baumwolle?

Von Regina Henkel

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Business |INTERVIEW

Baumwolle ist nach wie vor die beliebteste Faser der Welt. Polyester ist ihr schärfster Konkurrent. Inzwischen sogar bei der Nachhaltigkeit, das behaupten immer mehr Studien. Aber stimmt das? Wie hat sich der Baumwollanbau in den letzten Jahren weiterentwickelt, welchen Stellenwert hat Organic Cotton?

Wir haben die Bremer Baumwollbörse gefragt. Das ist ein staatlich anerkannter Verein mit Sitz in Bremen, der sich seit über 140 Jahren hauptamtlich mit dem Thema beschäftigt und im Verbund mit 16 weiteren Baumwollbörsen weltweit über die vertragsgemäße Abwicklung des Baumwollgeschäfts wacht. Elke Hortmeyer von der Bremer Baumwollbörse erklärt wie es um die Nachhaltigkeit von Baumwolle steht, woran gerade gearbeitet und welche Innovationen in diesem Bereich zu erwarten sind.

Gleich eine Reihe von Studien, die in letzter Zeit auch unter dem Thema Nachhaltigkeit veröffentlicht wurden, stellen der Baumwolle keine guten Noten aus. Warum ist gerade die Baumwolle in Misskredit geraten?

Baumwolle ist die größte Naturfaser und von daher ein zentraler Rohstoff in der Textilindustrie. Das heißt, der Fokus ist sehr stark auf diese Naturfaser gerichtet.

Wir haben die in letzter Zeit veröffentlichten Studien teilweise mit Erstaunen gelesen. Unsere Welt ist aber eher die der wissenschaftlich nachprüfbaren Fakten.

Eigentlich gibt es nämlich über die Baumwollproduktion sehr viel Gutes zu berichten – was die in den letzten Jahren starke Berücksichtigung von Umweltaspekten angeht wie auch soziale Belange. Die Baumwollindustrie hat aber aufgrund ihrer starken Zergliederung in rund 80 Länder keine vereinte Stimme, mit der sie sprechen kann. Somit ist es eine ziemliche Herausforderung auch für uns als Bremer Baumwollbörse, immer wieder die Fakten auf den Tisch zu legen. In Zusammenarbeit mit einem internationalen Panel, dem International Forum for Cotton Promotion, werden wir uns zukünftig noch stärker dafür einsetzen, dass Baumwolle ihren guten Ruf weiterhin behält.

Sie sagen, es werden falsche Daten über Baumwolle berichtet: Wie hat sich der konventionelle Anbau von Baumwolle in den letzten Jahren entwickelt hinsichtlich Nachhaltigkeit (Pestizide, Wasserverbrauch)?

Bei den Pestiziden konnte insgesamt der Einsatz von 11 Prozent 1986 auf 6,2Prozent 2012 zurückgefahren werden. Es kursieren aber immer noch die fast schon berühmten „25Prozent Pestizide im Baumwollanbau“, eine von vielen für die Baumwolle sehr schlimmen Falschmeldungen.

Ich möchte hier einige Beispiele herauspicken, im Vergleich zu den letzten 20 Jahren konnten die amerikanischen Baumwollbauern die Effizienz des Wasserverbrauchs bei künstlicher Bewässerung um etwa 80 Prozent steigern. Australien meldet eine Produktivitätssteigerung des Wasserverbrauchs um 40 Prozent. Israel gilt ebenfalls als Vorreiter für vorbildliches Bewässerungsmanagement. Schon in den siebziger Jahren wurden dort Methoden der Tröpfchenbewässerung eingesetzt. Zu etwa 75 Prozent nutzen Farmer im Baumwollanbau geklärtes und wiederaufbereitetes Wasser aus Wasserspeichern und konnten den Wasserverbrauch im Baumwollanbau um 30 Prozent mindern.

Derzeit arbeitet die Agrarforschung an der Entwicklung von Baumwollsaat für Pflanzen mit erhöhter Trockenheitstoleranz, die aber trotzdem den Qualitätsansprüchen ihrer Abnehmer gerecht werden.

Wie sieht es bei Bio-Baumwolle aus? Haben sich dort die Produktionsmengen nennenswert erhöht?

Für die vergangenen drei Jahre verzeichnen wir dort – jetzt mit den aktuellen Zahlen der Textil Exchange - einen rückläufigen Trend. Die letzten Produktionsmengen wurden mit rund 108.000 Tonnen angegeben.

Baumwolle war die erste Faser, die als "Bio" auf den Markt kam. Das implizierte automatisch, dass die normale Baumwolle nicht bio ist. Ist konventionelle Baumwolle also nicht nachhaltig?

Doch, ist sie. Baumwolle ist per se ein nachwachsender Rohstoff und – essentiell wichtig - biologisch abbaubar. Der wirtschaftliche Aspekt gehört ebenfalls zur Nachhaltigkeit: Im Baumwollanbau verdienen zudem grob geschätzt rund 200 Millionen Menschen ihren Lebensunterhalt. Die Umwelt: In den letzten 30 Jahren hat sich sehr viel in den Anbaumethoden geändert, Forschung hat hier einen hohen Stellenwert. Das betrifft den Wasserverbrauch, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, die sozialen Belange. Diese Aspekte fließen alle in den Bereich „Nachhaltigkeit“ hinein.

Der Begriff ist nicht genau definiert. Besonders im Baumwollanbau, wo wir fast 80 Länder im Produzentenpool haben, unterschiedliche politische und religiöse Systeme, unterschiedliche landwirtschaftliche Voraussetzungen, lässt sich nicht „die eine“ Formel für Nachhaltigkeit finden. Es gibt auch nicht die eine „normale, konventionelle“ Baumwolle.

Kontrolliert biologischer Anbau ist nur eine Form verantwortungsvoller Landwirtschaft, doch es gibt auch andere Möglichkeiten.

Wenn große Player wie z.B. H&M sagen, sie wollen auf nachhaltige Materialien umstellen, ist das realistisch von Seiten des Rohstoffmarktes?

Unser Standpunkt ist wie gesagt, dass Baumwolle per se ein nachhaltiges, biologisch abbaubares Material ist. Allerdings besteht ein zunehmendes Interesse seitens der verarbeitenden Industrie an Transparenz und Nachverfolgbarkeit. Woher kommt meine Baumwolle? Unter welchen Bedingungen wurde sie produziert?

Dies ist sicher eine Herausforderung, mit der sich die globale Baumwollindustrie seit geraumer Zeit beschäftigt. Es gibt bereits einige Möglichkeiten zur Traceability, das wird sicherlich auch in Zukunft noch wichtiger – vermutlich nicht nur bei den Naturfasern, sondern auch den Man Made Fibers, die in der textilen Verarbeitung den größten Anteil haben.

Die Diskussion um die Nachhaltigkeit von Fasern wird zum überwiegenden Teil nur am Beispiel Baumwolle geführt. Es gibt außer der Baumwolle keine andere große Faser am Markt, die so etwas leisten muss. Die großen Mengen der Chemiefasern, synthetische oder natürliche Chemiefasern, bieten etwas Vergleichbares nicht.

Wie definieren Sie nachhaltige Baumwolle?

Wir sagen, dass die Nachhaltigkeit sehr von der jeweiligen Region abhängt, in der die Baumwolle angebaut wird. Ein Land mit sehr aktiver, entwickelter Agrarforschung hat andere Voraussetzungen als ein Entwicklungsland. Ein Land mit sehr heißem, feuchten Klima hat andere Probleme als eines mit eher gemäßigtem Klima, es gibt stark industrialisierte Regionen und wiederum andere mit hohem manuellen Arbeitseinsatz usw.

Einige Initiativen und Projekte wie eben Biobaumwolle, Cotton made in Africa, Fair Trade und BCI haben auf bestimmte Punkte aus dem Bereich der Nachhaltigkeit ihren Fokus gelegt.

Das internationale Baumwollsekretariat in Washington, eine weltweite Organisation, hat vor einigen Jahren in einem offiziellen Statement Nachhaltigkeit als „Reise“ bezeichnet. Dem können wir uns sehr gut anschließen. Zudem arbeiten wir im Social, Environmental & Economic Performance of Cotton (SEEP) mit, einem internationalen Panel, das unter anderem versucht, verantwortungsvollen Baumwollanbau unter Berücksichtigung dieser unterschiedlichen Gegebenheiten auf der Welt genauer einzugrenzen.

Um nachhaltiger zu werden, ist statt von Baumwolle oft von Polyester die Rede, weil man es besser recyceln oder aus biobasierten Stoffen gewinnen kann. Angesichts von wachsender Bevölkerungszahl weltweit und wachsendem Wohlstand erscheint das plausibel. Kann unter diesen Vorzeichen der Bedarf an Baumwolle langfristig noch gedeckt werden?

Polyester ist nicht endlos recylcebar, auch sollten wir darüber nachdenken, ob die Herstellung wirklich verantwortungsvoller ist als die von Baumwolle. Auch bei der Produktion von synthetischen Chemiefasern sind noch viele Fragen offen. Insofern unterstützen wir sehr intensiv Forschungsmaßnahmen im Baumwollbereich.

Wie hat sich die Preissituation von Baumwolle gegenüber Bio- Baumwolle entwickelt? Und Baumwolle gegenüber Polyester?

Die Baumwollpreise generell haben sich in den letzten Monaten etwas fester gezeigt, just in den letzten Oktobertagen wieder leicht rückläufig, es handelt sich hier aber immer um eine Momentaufnahme.

Beide Fasern sind nur schwer miteinander zu vergleichen. Baumwolle als Naturfaser, also von klimatischen Bedingungen abhängig, hat eine andere Preisentstehung als Polyester. Der Vergleich beider Fasern miteinander ist nicht einfach, es gibt unzählige unterschiedliche Qualitäten und auf einiges an Volatilität auf beiden Märkten. Generell kann man aber sagen, dass aktuell der Baumwollpreis wirklich deutlich über dem Polyesterpreis liegt.

Die Preise von Biobaumwolle haben Aufschläge. Da die Produktion aufwändiger ist und die Erträge geringer, ist das für den Farmer sehr wichtig. Die Aufschläge sind in den letzten Jahren jedoch zurückgegangen, teilweise sichtlich.

Auch Spekulationen mit Baumwolle und die Auswirkungen auf die Bauern in Entwicklungsländern stehen immer wieder in der Kritik. Was können Sie als Baumwollbörse gegen solche Praktiken tun?

Die Preisentwicklung von Baumwolle gilt oftmals als Mysterium, aber im Prinzip ist sie recht transparent. Es gibt einige Tendenzpreise, so den Cotlook A Index und CIF Bremen. Baumwolle wird an der ICE, der New Yorker Commodity-Börse gehandelt. Das ist einerseits ein Instrument für den Handel, der dort die Preisrisiken für die nachfolgenden Stufen der textilen Kette abfedert. Andererseits ist Baumwolle auch Spekulationsobjekt für die Finanzwelt. Und genau darauf hat aber die Baumwollbranche keinen Einfluss.

Wir klären als Baumwollbörse zu Beispiel darüber auf, wie hoch die Anbaukosten in den verschiedenen Ländern sind, wie hoch die Erträge, da das ein essentieller Faktor für die Farmer ist. Wenn der Farmer Baumwolle nicht als wirtschaftlich beurteilt, baut er schlicht andere regional wachsende Feldfrüchte an.

Welche Innovationen gibt es im Bereich der Baumwolle?

Mit der TransDry-Techology wurde in den USA ein patentiertes Verfahren entwickelt, das in Sachen Feuchtigkeitsmanagement und Trocknungseigenschaften über eine ebenso gute oder, wie es heißt, teilweise bessere Funktionalität verfügt, wie High-Tech-Synthetik-Produkte. Eine vergleichbare Funktion bietet die Wikking Windows-Technologie, die Feuchtigkeit vom Körper aufnimmt und an die Textiloberfläche transportiert.

Filipe Natalio, Chemiker am Weizmann Institut in Israel, hat mit einem Team von Wissenschaftlern ein Verfahren entwickelt, das Baumwollfasern mit einem Material ausstattet, welches unter fluoreszierendem Licht leuchtet oder über magnetische Eigenschaften verfügt. Die Forscher sind überzeugt, dass Baumwolle ein vielversprechendes Material für sogenannte ‚Wearable/ Smart Textiles’ ist.

Wissenschaftler des ‚Agricultural Research Service’ (ARS) des Southern Regional Research Center (SRRC) in New Orleans, Louisiana, USA, haben eine Methode entwickelt, mit der Silber-Nanoteilchen in Baumwollfasern so eingebunden werden, dass sie auch nach Wäschen darin vorhanden sind. Die Menge an Silber-Nanoteilchen, die erforderlich ist, um Bakterien abzutöten, ist extrem gering. Daher ist dieses Verfahren sehr effizient und kostenmäßig wirtschaftlich zu nutzen. Darüber hinaus ist die neue Methode, entwickelt von ARS Material-Ingenieur Sunghyun Nam und ihren Kollegen, preiswert und umweltfreundlich.

Das Faserinstitut Bremen forscht, unterstützt von der Bremer Baumwollbörse, an der Entwicklung eines Noppewaben-Materials. Das formbare Material recycelbare Material, bestehend aus Baumwolle und Polylactid kann im Leichtbau für Möbel, Schallschutzwände und die Automobilindustrie eingesetzt werden.

Fotos: Bremer Baumwollbörse

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