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Andreas Murkudis: „Wer nur auf Abverkäufe schaut, kann auch einen Lebensmittelladen führen“

Von Annette Gilles

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Einzelhandel |Interview

Andreas Murkudis. Foto: Heji Shin für Andreas Murkudis

Er ist Kunstliebhaber, Qualitäts- und Design-Aficionado, Geschichtenerzähler und Menschenfreund – und ganz sicher einer der interessantesten Akteure im deutschen Einzelhandel: Andreas Murkudis feiert in diesem Jahr sein 20jähriges Jubiläum.

Nahbar und ein bisschen geheimnisvoll, so kann man ihn vielleicht als Mensch beschreiben; und eigentlich treffen diese Attribute im Kern auch auf sein Sortiment zu. Sein erstes Geschäft eröffnete der ehemalige Leiter des Museums der Dinge im Jahr 2002 in Berlin-Mitte, inzwischen führt er in der Hauptstadt drei Geschäfte: Sein 600 Quadratmeter großes Hauptgeschäft in der Potsdamer Straße 81, eine 200 Quadratmeter große Möbelfläche direkt gegenüber in der Nummer 98 und eine 225 Quadratmeter große, flexibel genutzte Fläche in der Nummer 77. Anlässlich der 20 Jahre seines Bestehens zieht er mit FashionUnited eine vorläufige Bilanz.

Sie feiern in diesem Jahr Ihr 20jähriges Bestehen. Wie geht es Ihnen in diesen Zeiten?

Es geht uns hervorragend. Anlässlich unseres Jubiläums stellen wir viele Veranstaltungen auf die Beine. Wir wollten unser Jubiläum nicht an einem bestimmten Tag feiern, sondern im Laufe unseres Jubiläumsjahres anlässlich dieser 20 Jahre 20 Ausstellungen veranstalten. Diese Ausstellungen ziehen viele Menschen an. Übrigens kehren jetzt auch die internationalen Touristen nach Berlin zurück, das war in den Sommerferien deutlich zu spüren.

Gäste einer Ausstellungseröffnung zur Einweihung der neugestalteten „Kleinen Halle“. Fotos: Markus Jans für Andreas Murkudis
Gäste einer Ausstellungseröffnung zur Einweihung der neugestalteten „Kleinen Halle“. Fotos: Markus Jans für Andreas Murkudis

Wie hat sich Ihre internationale Reichweite seit Corona entwickelt?

Vor Corona kam 40 Prozent unserer Kundschaft aus dem Ausland, sprich Amerika, Japan, Korea und natürlich Europa. Die Amerikaner sind jetzt wieder da, die Asiaten sind vorläufig noch zurückhaltend. Aber insgesamt ist deutlich zu spüren, dass der Laden im Laufe der Zeit international immer bekannter geworden ist und immer mehr internationales Publikum kommt.

Was sind das für Ausstellungen, die Sie veranstalten?

Es geht uns darum, Marken, die wir im Laden nur ansatzweise zeigen können, umfassend und in ihrer Tiefe darzustellen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass unsere Kundinnen und Kunden besser verstehen, welche Bedeutung eine Marke für uns hat, wenn wir sie im Rahmen einer großen Präsentation zeigen. Wir zeigen aber nicht nur Mode, sondern auch Möbelkollektionen oder Kunst- und Fotoausstellungen.

Andreas Murkudis mit Gästen. Foto: Markus Jans für Andreas Murkudis

Welche Kollektionen eignen sich für solche Ausstellungen?

Eine Kollektion wie Quira etwa, die wir erst seit dem Sommer führen und die mit einem Abverkauf von 90 Prozent vor dem Sale auf Anhieb unglaublich erfolgreich war. Mit dieser Kollektion planen wir für den Herbst eine größere Installation, an deren Umsetzung wir aktuell noch arbeiten. Auch mit Rick Owens werden wir Ende Oktober ein sehr spezielles Projekt umsetzen. Im Mittelpunkt steht dabei eine spektakuläre Jacke aus mintfarbenem Ziegenfell aus seiner Showkollektion. Da diese Jacke nicht nur sehr extravagant, sondern auch sehr kostspielig ist, haben wir mit Rick Owens die Idee entwickelt, aus dem mintfarbenen Ziegenfell dieser Jacke eine erschwingliche und auch im Alltag tragbare Variante, eine Bomberjacke, umzusetzen. Außerdem wird es noch eine Art Pouf geben, der mit eben diesem mintfarbenen Ziegenfell überzogen ist. Die Mode zusammen mit den Möbeln... ich glaube, das wird eine interessante Sache, auf die ich mich schon sehr freue.

Anscheinend rücken Mode und Möbel bei Andreas Murkudis generell näher zusammen. In der Vergangenheit haben Sie Ihre Möbel nicht nur auf der anderen Straßenseite im Stil einer Berliner Altbauwohnung präsentiert, sondern auch wenige Schritte von Ihrem Hauptgeschäft entfernt auf einer separaten Fläche in der Potsdamer Straße 77. Neuerdings aber haben Sie die Möbel auf der Hauptfläche integriert...

Richtig. Die Ausstellungsfläche im Stile einer Altbauwohnung vis-à-vis bleibt bestehen. Aber das Sortiment der Nummer 77 ist in unsere sogenannte „kleine Halle“ umgezogen, den 175 Quadratmeter großen Nebenraum in unserem Hauptgeschäft, der früher Kosmetik, Accessoires und Keramik vorbehalten war und nun ebenfalls zu einer Art Riesen-Wohnung umgestaltet wurde. Den frei gewordenen Raum in der Nummer 77 werden wir künftig flexibel für unsere Präsentationen und Ausstellungen nutzen.

Wie wirkt sich diese Maßnahme aus?

Da die meisten Menschen zunächst unser Hauptgeschäft aufsuchen und sich dort auch bevorzugt aufhalten, hat die Integration der Möbel den gesamten Bereich des Wohnens einen großen Schritt nach vorne gebracht. Wir haben seither deutlich mehr Möbel verkauft als in der Vergangenheit. Das hat dazu geführt, dass das aktuelle Jahr eines unserer besten werden dürfte. Wenn nicht noch etwas Dramatisches passiert, wird unser Jubiläumsjahr sogar die Jahre 2018 und 2019 in den Schatten stellen. Zur Zeit stimmt einfach alles: der Marken-Mix, der kommerzielle Erfolg, unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – bisher ist unser Jubiläumsjahr ein perfektes Jahr.

Die frühere Möbelfläche wird künftig flexibel für Ausstellungen genutzt. Hier die „Aligned“-Ausstellung mit Leuchten von Michael Anastassiadis und Werken von Silvia Bächli. Foto: Jonas Holthaus für Andreas Murkudis

Für den Einzug der Möbel in Ihr Hauptgeschäft mussten Sie Platz schaffen. Wie hat sich Ihr Sortiment dadurch verändert?

Wir haben uns von ein paar Marken getrennt, die nicht wirklich wichtig für uns waren. Allerdings kommen auch wieder neue hinzu. Retterspitz etwa. Auf den ersten Blick passt dieses Produkt eigentlich gar nicht zu uns oder zu den Marken, die wir führen, wie etwa Jil Sander – und genau das finde ich spannend! Retterspitz ist eine traditionsreiche Marke, die ursprünglich aus dem Apothekenbereich kommt. Dahinter steht ein Nürnberger Familienbetrieb. Die Produkte sind vergleichsweise günstig, eine Handcreme etwa kostet nicht einmal acht Euro. Ich finde es schön, wenn ich Dinge für den täglichen Bedarf anbieten kann, die sich jeder leisten kann. Auch die Kosmetik von Prof. Steinkraus ist neu bei uns. Die meisten Produkte kosten um die 50 Euro. Man braucht also keine Cremes für 250 Euro, um seine Haut auf hohem Niveau gut zu pflegen.

Auch in der Mode haben Sie sich von Lieferanten getrennt, von Loewe etwa. Warum?

Das ist eine Kollektion, von der ich anfangs begeistert war, die aber letztendlich zu taschengetrieben und auch einen Tick zu modisch war. Das Wichtigste für mich ist nun mal die Kleidung. Wenn der Fokus einer Kollektion zu sehr auf Taschen und Accessoires liegt, ist sie für mich nicht so interessant.

Was ist sonst noch wichtig, damit eine Kollektion interessant für Sie ist?

Nun, ich schaue mir das Produkt in seiner Gesamtheit an. Wie wird es produziert, wie sieht es von innen aus, wie ist die Qualität, wie das Design – all das muss mich überzeugen. Die Sachen sollten innovativ, aber nicht zu modisch sein; oder so perfekt und zeitlos wie etwa bei The Row; denn da die Dinge, die wir verkaufen, oft relativ hochpreisig sind, sollten sie über viele Jahre tragbar sein. Letztendlich ist es aber mein Bauchgefühl, das den Ausschlag gibt.

Haben Sie beim Einkauf bestimmte Kund:innen vor Augen?

Nein. Ich kaufe, was mir gefällt. Natürlich in der Hoffnung, dass das auch funktioniert. Aber erst einmal muss ein Teil mir gefallen, das ist wichtig. Wissen Sie, ich bin nicht sehr strategisch. Wenn ein Teil mir nicht gefällt, dann interessiert es mich einfach nicht. Egal, wie kommerziell erfolgreich es vielleicht ist.

Machen Sie den Einkauf komplett allein?

Ja.

Macht Ihnen der Einkauf bei der Herrenmode mehr Spaß als bei der Damenmode?

Eigentlich nicht. Die Damenmode ist ja doch noch ein bisschen spannender als die Männermode; in der DOB ist sehr viel mehr möglich, auch farblich.

Farbe bei Andreas Murkudis – auch das ist ein Novum...

Ja, nach dieser tristen Corona-Zeit merke ich, dass ich viel mehr Farbe kaufe als früher: Pink, knalliges Grün, Neongelb, Orange... Gerade habe ich Cashmere in diesen kräftigen Farben gekauft. Auch wenn ich das selbst nicht trage, macht es mir Spaß, in den Laden zu kommen und all diese Farben zu sehen. Und die Leute mögen und kaufen das auch. Manche tauchen zunächst auch über die Farben in unser Sortiment ein – und kaufen am Ende doch Dunkelblau. Aber darum geht es nicht, es geht darum, dass es Spaß macht. Ich liebe all diese Produkte, die wir anbieten. Ich packe übrigens auch gern die Pakete aus, wenn neue Ware kommt. Das ist wie Weihnachtsgeschenke auspacken...

anoramablick auf das Hauptgeschäft. Fotos: Thomas Meyer für Andreas Murkudis

Wenn man so intuitiv einkauft wie Sie, spielt die Stimmung zum Zeitpunkt der Order eine besonders große Rolle. Wundern Sie sich beim Auspacken der Ware manchmal, was Sie da geordert haben?

Natürlich! Und natürlich macht man auch manchmal Fehler. Da fällt mir ein Mantel ein, von dem ich beim Einkauf gedacht habe: Das ist der schönste Mantel der Saison! Und dann kommt der Sale – und dieser Mantel hängt immer noch da, in voller Stückzahl. Das sind eben die Überraschungen im Leben. Natürlich muss auch ich am Ende des Tages meine Rechnungen bezahlen. Aber wenn ich nur mit Planen und Abverkäufen und Margen beschäftigt wäre, das wäre mir zu leblos...

Die große Mehrheit der Einzelhändler:innen dürfte die intensive Auseinandersetzung mit Abverkäufen und Margen für essenziell halten...

Das mag sein, aber das ist eben eine ganz andere Herangehensweise. Ich lese ja auch manchmal diese Artikel in der Fachpresse, in denen dann alle sagen, was sie gut verkaufen. Neulich wurde ein Händler zitiert, der sagte: Ich kaufe nur noch Marken, die eine extrem hohe Marge haben, und wenn sie nicht in der ersten Saison performen, dann schmeiße ich sie raus. Aber dass mal jemand sagt: Wir haben die Marke XY in unserem Portfolio, weil wir sie lieben, und wir müssen nun erst einmal ein paar Jahre investieren, bis diese Marke Profit bringt, das liest man nie. Stattdessen geht es um eine hohe Marge und einen super Abverkauf, und zwar sofort. Wo bleibt denn da die Leidenschaft für Mode und Schönheit? Wenn ich so einen Ansatz habe, kann ich auch einen Lebensmittelladen führen.

Welche Rolle spielt die aktuelle Preisentwicklung für Sie?

Eigentlich interessiert mich dieses Thema nicht übermäßig. In der Mode habe ich jede Saison andere Teile, also kann ich sie auch nicht wirklich vergleichen. Vielleicht hat ein Cashmere Pullover von Neri in der letzten Saison 60 Euro weniger gekostet – allerdings habe ich in dieser Saison auch einen anderen Pullover. Bei Möbeln ist das etwas Anderes. Manche Möbelmarken haben aufgrund der Preissteigerungen der Rohmaterialien in diesem Jahr schon zum zweiten Mal die Preise erhöht. Wenn ein bestimmter Holztisch von e15 120 Kilogramm wiegt, dann schlägt sich der gestiegene Holzpreis natürlich spürbar im Preis nieder. Aber ist ein Pulli von Roberto Collina jetzt tatsächlich teurer als vor einem halben Jahr – oder habe ich es jetzt nicht vielmehr mit einem anderen Pullover zu tun? Natürlich ist mir bewusst, dass die Preise grundsätzlich gestiegen sind, aber das ist nun mal so. Es gibt Situationen, in denen es Preissteigerungen gibt. Dann muss man eben die Dinge kaufen, die von diesen Teuerungen nicht so stark betroffen sind, etwa weil sie in Europa hergestellt werden.

Spielt es für Sie künftig, auch im Sinne des Nachhaltigkeitsgedankens, eine größere Rolle, ob ein Produkt in Europa hergestellt wird?

Das ist sicher ein wichtiges Kriterium. Nachhaltig war die Ware, die ich verkaufe, allerdings immer schon. Bei bestimmten Unternehmen, die sehr günstige Mode herstellen und behaupten, nachhaltig zu sein, frage ich mich immer, was für eine Art Nachhaltigkeit die eigentlich meinen. Wie kann denn ein Kleid aus Bio-Baumwolle, das noch dazu in riesigen Anzeigenkampagnen mit Stars beworben wird, 24,90 Euro kosten? Und wo soll die ganze Bio-Baumwolle eigentlich herkommen?

Was verstehen Sie denn unter Nachhaltigkeit?

Die Cashmere-Kollektion Johnston aus Schottland zum Beispiel führe ich schon sehr lange. Die Rohware kommt aus Nepal, aber das gesamte Produkt wird in Elgin in Schottland fertiggestellt. Oder Caruso, eine Männerkollektion, die ich gerade geordert habe. Da wird das Tuch in Biella gewebt, und die ganze restliche Produktion spielt sich innerhalb eines Radius‘ von 50 Kilometern ab. Oder denken Sie an Nymphenburg Porzellan, das vollständig in München gefertigt wird. Oder Roberto Collina, der seine Kollektion komplett in Bologna herstellt ohne irgendwelche Zutaten aus Asien. Für mich ist extrem wichtig, dass etwas dort produziert wird, wo die Idee entsteht und das Unternehmen seinen Sitz hat. Aber an erster Stelle steht natürlich die Überlegung, ob man ein Teil wirklich braucht und wie lange man es tragen kann. Neulich kam ein Kunde mit einem 15 Jahre alten Felisi Portemonnaie und wollte das kleine Lederteil am Reißverschluss, das abgefallen war, erneuern lassen. So etwas macht mir viel Freude, denn es zeigt mir, dass die Menschen lange Spaß an unseren Produkten haben. Nachhaltiger geht es nicht; auch wenn ich nicht ständig darüber rede und nicht alles extra mit einem Nachhaltigkeitsstempel versehen ist.

Hat sich Ihre Reiseroute in der Orderrunde durch die Corona-Situation und eine stärkere Konzentration auf Produkte made in Europe geändert?

Ja, durchaus, ich reise deutlich weniger als früher. Nicht nur weil man sich an Zoom gewöhnt hat und bei bestimmten Marken auch gut damit zurechtkommt. Ich gehe auch gar nicht mehr unbedingt auf Messen, sondern schaue mir gezielt Produkte oder Kollektionen an, die mir aufgefallen sind oder empfohlen wurden. Interessant finde ich aber Veranstaltungen wie eine privat organisierte Messe mit circa 50 kleinen Manufakturen unterschiedlicher Branchen in Neapel, auf der ich im letzten Oktober erstmalig war. Ich habe dort unter anderem ganz hervorragende Hemdenmacher getroffen, aber auch eine Keramikmanufaktur entdeckt, die handgemachte Kacheln herstellt in so wunderbaren Farben, dass einem die Augen übergehen.

Haben Sie auf dieser Messe auch andere deutsche Einzelhändler getroffen?

Keinen einzigen. Dort waren Italiener, einige Franzosen und Belgier. In diesem Jahr findet die Messe zum dritten Mal statt. Es gibt so viele tolle Produkte und Firmen, die versuchen, mit einem guten Preis und einer kleinen Marge in den Markt zu kommen...nicht nur in der Mode, auch bei Schuhen, Möbeln, Keramik oder Porzellan. Aber es gibt leider zu wenige Händler, die sich davon begeistern lassen. Man kann sich nur wundern, dass so viele Läden dasselbe kaufen. Das ist wie bei Schülern, die bei Klassenarbeiten voneinander abschreiben. Alle setzen auf die Marken, die jeder hat und die als risikoarm gelten. Das finde ich ein bisschen traurig, denn die Vielfalt und die Überraschungsmomente gehen auf diese Weise verloren. Und wenn es all die tollen Firmen und Manufakturen, die ich beispielsweise in Neapel gesehen habe, eines Tages nicht mehr gäbe, das wäre unglaublich schade.

Im Stile einer Berliner Altbauwohnung: die Möbelfläche in der Potsdamer Straße 98, Fotos: Philipp Mainzer

Wie gehen Sie damit um, dass Firmen, die Sie zunächst weitgehend exklusiv geführt haben, innerhalb von ein, zwei Saisons plötzlich auch in vielen anderen Läden hängen? Ich denke da etwa an Extreme Cashmere, die sich in kürzester Zeit auf breiter Ebene im Markt etabliert haben.

Extreme Cashmere ist ein schönes, unkompliziertes und nachhaltiges Produkt. Muss ich dieses Produkt exklusiv führen? Eigentlich ist es mir egal, ob es das auch in anderen Läden gibt, denn ich glaube, dass jedes Geschäft seine spezifische Kundschaft hat. Man muss eben kontinuierlich daran arbeiten, so gut zu sein, dass die Leute nicht woanders hingehen, sondern zu uns kommen. Davon abgesehen: Wie sollen solche Firmen denn überleben, wenn jeder, der einen Auftrag über 5.000 Euro schreibt, das Produkt gleich exklusiv haben will?

Dann ist die Tatsache, dass Iris von Arnim im KaDeWe in der DOB vertreten ist, auch nicht der Grund dafür, dass Sie das Produkt zwar in der HAKA, jedoch nicht in der DOB führen?

Nein. Wir führen in diesem Segment bei den Damen bereits andere Marken, die sehr gut funktionieren. Oyuna etwa oder Van Kukil oder eben auch Extreme Cashmere. Ich habe das Problem, dass ich – auch wenn unsere Räume auf den ersten Blick riesig wirken – einfach nicht genug Platz habe, um noch mehr Kollektionen angemessen darzustellen. Als wir hier in der Potsdamer Straße 81 einzogen, hatten wir 20 Kleiderstangen, nun sind es 70 plus diverse Tische und Präsentationselemente...das ist wahnsinnig viel. Noch mehr Ware würde die Kundinnen überfordern. So gern ich Iris von Arnim oder auch Aida Barni für Damen führen würde: Ich muss mich konzentrieren.

Sie sagten ja eingangs bereits, dass Sie aktuell mit Ihrem Marken-Mix, aber auch mit Ihren Mitarbeitenden sehr zufrieden sind. Hat Ihr Team sich durch die Corona-Situation geändert?

Es gab in der Corona-Phase tatsächlich einige wenige, die eher pessimistisch in die Zukunft geschaut und sich umorientiert haben. Daher haben wir uns umgesehen und noch ein paar gute Leute dazu geholt, die sehr motiviert sind und große Lust haben, bei uns zu arbeiten. Letztendlich haben wir unser Team aber von 30 auf 25 Mitarbeitende verkleinert.

Recruiting ist ein zunehmend schwieriges Thema. Was bieten Sie Ihren Leuten, um interessant für sie zu sein und sie zu motivieren?

Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden gut bezahlt. Sie sind ein tolles Team, das gern den Tag miteinander verbringt und auch privat Kontakt hat. Sie haben bei uns viele Freiheiten und Gestaltungsmöglichkeiten, und die nutzen sie in einer Weise, die ich für optimal halte. Ich selbst bin kein Chef, der ständig abwesend ist oder irgendwo in einem Hinterzimmer sitzt, ich bin im Laden sehr präsent, arbeite mit und bin jederzeit ansprechbar. Abends nach Geschäftsschluss sitzen wir oft alle zusammen auf der Terrasse und trinken ein Glas Wein miteinander, und von Zeit zu Zeit feiern wir auch kleine Feste zusammen. Ich wünsche mir, dass wir alle eine schöne Zeit zusammen haben. Wenn das gelingt, gibt es keinen Grund, den Job zu wechseln. Und so viele Möglichkeiten gibt es in unserem Genre ja auch gar nicht. Eine Option wären höchstens die Monobrand Läden, und da hat man es mit einer einzigen Kollektion und einem gewissen Umsatzdruck zu tun, und alle halbe Stunde kommt mal ein Kunde. Bei uns dagegen kann man sich jeden Tag an anderen Produkten erfreuen und dazulernen, und es kommen die unterschiedlichsten Kundinnen und Kunden, die sich für Dinge begeistern lassen, die sie vorher nicht kannten. Da bei uns niemand eine Provision bekommt und jemandem etwas verkaufen muss, das ihm oder ihr eigentlich gar nicht steht, können unsere Kund:innen sicher sein, dass sie bei uns ernst genommen und nicht als Medium zum Geldtransfer angesehen werden. Das wäre auch fatal.

Sie sind nicht nur in Ihren Läden, sondern seit einem guten Dreivierteljahr auch auf Instagram sehr präsent. Ist Ihnen die Entscheidung, persönlich in den sozialen Netzwerken in Erscheinung zu treten, schwergefallen?

Ehrlich gesagt, ja. Ich bin ein eher zurückhaltender Mensch und stehe eigentlich lieber im Hintergrund. Aber mir ist klar geworden, dass die Leute gern wissen möchten, wo ich bin und was ich mache, und dass wir auch sehr viel mehr tun müssen, um unsere Marken zu erklären. Also habe ich die – zugegeben, nicht ganz leichte – Entscheidung getroffen, mich persönlich in Social Media einzubringen. Seither begleitet mich auf Reisen immer meine Assistentin, die die Fotos macht; außerdem haben wir eine neue, junge Kollegin, die Bild und Text in die richtige Form bringt.

Welche Auswirkungen hat Ihre Social Media Präsenz auf Ihr Geschäft?

Einerseits freuen sich natürlich die Marken, die wir besuchen und führen, darüber. Aber wir spüren auch, dass die Leute – nicht nur aus Berlin, sondern von überallher – darauf reagieren: Sie rufen an und möchten sich etwas schicken lassen; oder sie kommen vorbei. Es kommen dadurch deutlich mehr Menschen zu uns. Das sind Effekte, die wir sehr schnell gespürt haben. Ich selbst habe natürlich ein Interesse daran, dass auf diese Weise vor allem die eher unbekannten Marken, die wir führen, auch anderen Einzelhändlern auffallen, so dass sie bekannter werden und auch andere Händler sie kaufen.

Haben Sie es – insbesondere in den letzten zweieinhalb Jahren – schon mal bereut, keinen Online-Shop zu haben? Oder arbeiten Sie inzwischen auch daran?

Nein und nein. Im Gegenteil. Während der Pandemie war es alles andere als einfach, das Geschäft ohne Online-Shop über Wasser zu halten – oft sind wir an unsere Grenzen gestoßen. Umso stolzer bin ich, dass wir es geschafft haben. Wir haben auf alternative Modelle zurückgegriffen. Zum Bespiel haben wir einen Katalog des damaligen Sortiments aufgelegt und per Post an unsere Stammkund:innen geschickt. Es wird keinen Online-Shop geben – es passt nicht in mein Konzept. Sinn der Sache ist es doch, dass die Leute in meine Geschäfte kommen und sich von den Objekten, dem Raum und dem Team bezaubern lassen. Da wir auch eben das Thema Nachhaltigkeit angeschnitten haben – indem wir auf einen Online-Shop verzichten, leisten wir dadurch auch dazu einen Beitrag.

Sehen Sie sich aktuell auf Ihrem Zenit?

Nein, denn das hieße ja, dass es von nun an abwärts geht. Stattdessen macht mir mein Geschäft eigentlich immer mehr Spaß, denn es wird immer erfolgreicher, und es wird auch anders wahrgenommen als in seinen Anfängen. Das alles ist natürlich sehr motivierend. Außerdem habe ich viel zu viele Ideen, um die Hände in den Schoß zu legen. Ich könnte ohne Probleme noch fünf weitere Läden unserer Größenordnung bestücken, denn in meinem Notizbuch habe ich fast vierhundert Marken vermerkt, die ich gern kaufen würde.

Mehrere hundert?

Natürlich! Es gibt unendlich viele tolle Sachen, und es gibt ja auch nicht nur Mode, sondern auch Wäsche, Porzellan, Besteck, Accessoires...

Im Stile einer Berliner Altbauwohnung: die Möbelfläche in der Potsdamer Straße 98, Fotos: Philipp Mainzer

Dann denken wir doch mal zehn Jahre weiter: 30 Jahre Andreas Murkudis – wie sieht Ihr Unternehmen dann aus?

Ich könnte mir gut vorstellen, hier auf der Potsdamer Straße noch weitere Flächen hinzu zu nehmen, wenn sich etwas Attraktives bietet. Ich habe hier einen Mietvertrag bis 2036, und darüber bin ich sehr froh, denn ich liebe es, jeden Morgen hier her zu kommen, in diese Räume. So eine Fläche ist im Innenstadtbereich nicht so leicht zu finden. Es ist mein Wunsch, auch in Zukunft weiter an unserem Konzept zu arbeiten und all die tollen Marken, die wir favorisieren, zu unterstützen. Denn wenn es nur noch Ikea und Uniqlo gäbe, würde unserem Leben etwas fehlen.

Gibt es einen noch unerfüllten Traum?

Den gibt es tatsächlich. Ein Wunschtraum von mir wäre es, einen Laden in Asien zu eröffnen, in Tokyo oder Seoul, denn dort gibt es viele Gleichgesinnte.

In Deutschland gibt es keine Standorte, die Sie interessieren würden?

Berlin ist die einzige Stadt in Deutschland, in der ich mit unserem Konzept so erfolgreich sein kann. Davon bin ich überzeugt. Nur von Berlin aus konnte ich eine solche internationale Reichweite entwickeln. Nur hier konnte ich mich mit unserem extrem weit gefassten Markenspektrum und unserem Qualitätsgedanken so gut etablieren. Ich habe unser Geschäft vor 20 Jahren mit 30.000 Euro Startkapital aufgebaut. Das wäre in keiner anderen Stadt in Europa möglich gewesen.

Panoramablick auf das Hauptgeschäft. Foto: Thomas Meyer für Andreas Murkudis
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