Conversion rauf – Retouren runter: Mit KI-basierter Größenberatung will Sizekick Onlineshops profitabler machen
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Das Münchner Startup Sizekick will Mode- und Sporthändler:innen helfen, die Retourenquote im Onlinehandel durch eine präzise Größenberatung zu senken. Für die Genauigkeit sorgen Deep-Learning-Modelle und die riesige Körperdatenbank des Hohenstein Instituts.
Das Thema Retouren ist so alt wie der Onlinehandel selbst. Gerade Bekleidungsmarken müssen mit der Tatsache leben (lernen), dass Konsument:innen viele Produkte wegen Passformproblemen wieder zurückschicken. Retourenquoten von bis zu 50 Prozent sind im Modehandel keine Seltenheit, was sich natürlich negativ auf Marge und Profitabilität des Shops, aber auch auf die Umwelt auswirkt.
Das 2022 gegründete Münchner Start-up Sizekick will das Problem der größenbedingten Retouren mithilfe einer selbst entwickelten KI-basierten Software lösen, die Kund:innen eine individuelle Größenberatung im Onlineshop ermöglicht. Die Idee ist eigentlich nicht neu, aber erst die heutigen technischen Möglichkeiten mit Deep Learning und KI schaffen die Genauigkeit, die für eine echte Größenberatung notwendig ist. Die beiden Gründer von Sizekick, David Oldeen und Jake Lydon, wissen wovon sie sprechen. Sie kennen das Geschäft mit 3D-Körperdaten und digitaler Größenberatung schon lange aus ihrer gemeinsamen Zeit bei Presize, das ebenfalls digitale Größenberatung anbot und 2020 von der Facebook-Mutter Meta übernommen wurde.
So kommt es, dass Sizekick nach so kurzer Zeit bereits eine ganze Reihe namhafter Onlineshops zu seinen Kunden zählt – von Marc Cain über Outletcity.com bis hin zu kleinen Streetwear-Brands wie Vicinity. Zu den Erfolgsfaktoren gehören nicht nur eine einfache Implementierung der Software auf Seiten der Shops und eine gute Usability auf Seiten der Nutzer:innen. Denn tatsächlich spielen über 95 Prozent der Shopper:innen, die auf den Sizekick-Button klicken, die Beratung bis zum Ende durch. Eine wichtige Rolle spielte auch die Größenexpertise und die umfangreiche Datenbank mit realen Körpermaßen des Hohenstein Instituts, das Sizekick als strategischen Partner und Investor gewinnen konnte. Wir sprachen mit David Oldeen, Mitgründer und CEO von Sizekick, über den Erfolg von Sizekick und die weiteren Pläne.
Sizekick verspricht, die Retouren zu reduzieren. Wie stark ist Ihnen das bisher gelungen? Haben Sie ein Vorzeige-Beispiel?
Einer der schönsten Cases stammt tatsächlich von einem unserer ersten Kunden. Da sind wir jetzt seit über einem Jahr live. Dort konnten die Retouren bereits von 32 auf 25 Prozent reduziert werden – über den ganzen Shop. Und das Schöne ist, dass diese Verbesserung konstant war und keine Momentaufnahme, sondern wir haben das wirklich nachhaltig geschafft. Grundsätzlich kommt es aber immer darauf an, wo man startet. Wenn man beispielsweise Shops mit einer Retourenquote von 50 Prozent oder mehr hat, kann man noch schnellere und noch größere Effekte erzielen.
Wichtig ist, dass wir Retouren nachhaltig reduzieren. Wir wollten mit Sizekick nicht nur eine Conversion-Maschine bauen, die nur vorne die Conversion erhöht und hinten raus nichts verbessert. In unserem Fall passiert beides.
Sie meinen, so ein Größenratgeber könnte auch einfach nur die Conversion pushen, ohne tatsächlich die Retouren zu reduzieren?
Ja, laut Studien finden rund ein Drittel der Käufe nicht statt wegen Größenunsicherheit. Wer unsicher ist und keine Lust hat, mehrere Größen zu bestellen, kauft dann eben gar nicht. Deswegen gibt es im Idealfall einen kombinierten Effekt: Also ein Conversion-Uplift und eine Retouren-Reduzierung. Das ist die Erwartung, die wir haben.
Wie genau funktioniert Sizekick im Shop? Wie und wo treffen die Kund:innen auf Sizekick?
Sizekick ist über einen Button in den Shop integriert. Jeder Shop erhält einen maßgeschneiderten Button, der sich auf der Produktseite nahtlos eingliedert. Das heißt, irgendwann kommt die Shopperin oder der Shopper zu einem Produkt, das er oder sie kaufen will, ist sich bei der Größe aber unsicher. Dafür gibt es in unmittelbarer Umgebung dieser Größenentscheidung unseren Sizekick-Button. Wenn man ihn klickt, öffnet sich unsere App im Shop des Partners und jede:r User:in bekommt eine persönliche Größenempfehlung, basierend auf den eigenen individuellen Körpermaßen.
Welche Daten brauchen Sie von den Konsument:innen, um die richtige Größe zu ermitteln?
Wir arbeiten mit Deep-Learning-Modellen. Wir nutzen KI nicht als Buzzword, sondern KI ist tatsächlich das Herz von Sizekick. Alle User:innen durchlaufen eine Journey, hinter der ein Deep-Learning-Modell steckt, das mein Mitgründer Jake Lydon entwickelt hat. Am Anfang der User Journey stehen vier Fragen: Was ist das biologische Geschlecht, wie ist das Alter, wie ist das Gewicht, wie ist die Körpergröße? Jetzt ist es natürlich eine spannende Frage, wie viel muss man abfragen und wie viel kann man weglassen? Es gibt auch Lösungen am Markt, die nur nach Geschlecht, Alter, Größe und Gewicht fragen. Aber allein damit kann man nicht akkurat sein, weil es mit diesem Input immer noch viel zu viele verschiedene Körperformen gibt. Deshalb geht es bei uns noch einen Schritt weiter. Wir schlagen anhand des ersten Inputs Körperformen vor, aus denen die User:innen die Körperform auswählen, die am ehesten der eigenen entspricht. Und da greifen wir auf echte Körperformen des Hohenstein-Instituts zurück, unseres strategischen Partners. Über Hohenstein haben wir sehr gutes Wissen darüber, wie menschliche Körper aussehen.
Sizekick schlägt Körperformen aus einem Pool von vielen tausend Möglichkeiten vor. Insgesamt viermal müssen die User:innen eine Körperform auswählen. Abschließend generiert unser Deep-Learning-Modell aus dem gesamten Input die individuellen Körpermaße. Darauf basiert der Größenvorschlag, und der User, die Userin, sieht auch, wo er oder sie zwischen den Größen liegt und kann dann nochmal individuell entscheiden, welche Passform gewünscht ist.
Wie präzise sind Ihre Körpermaße?
Wir erreichen mit unserer Technologie eine Präzision, die zuvor mit einem Smartphone-Input am Markt unerreicht war. Wenn man beispielsweise eine durchschnittliche Abweichung beim Körpermaß von fünf oder zehn Zentimetern hat, was wirklich gang und gäbe ist bei anderen Lösungen, dann springt man in einer Größentabelle schnell mal zwei Größen hoch oder runter. Mit unserer Technologie erreichen wir eine durchschnittliche Abweichung für alle Körpermaße von 1,0 bis 1,5 Zentimeter. Damit kann man akkurate Größenempfehlungen geben. Und das innerhalb von 35 Sekunden – länger dauert unsere Abfrage nicht.
Es gibt auch noch einen zweiten Weg über eine Videoaufnahme. Wie funktioniert die?
Genau, wir bieten jedem User und jeder Userin die Möglichkeit, einen videobasierten Bodyscan zu machen. Das heißt, man kann in der App eine alternative User Journey wählen und statt vorgeschlagene Körperformen auszuwählen, dreht man sich einmal vor der Smartphone-Kamera, lässt Sizekick die Arbeit machen und bekommt dann die Größenempfehlung ausgespielt. Für den Bodyscan muss sich niemand entblößen, das Modell ist so mit Daten trainiert, dass es funktioniert, wenn man Jeans und T-Shirt trägt.
Wir erreichen mit beiden Lösungen eine fast identische Präzision, bieten den User:innen aber zwei Möglichkeiten, wie sie die erreichen können.
Warum ist es sinnvoll beide Wege zu ermöglichen?
Man maximiert dadurch die Nutzung. Vielleicht will jemand lieber den Bodyfinder schnell durchklicken und jemand anderes sagt, nein, ihr müsst mich anschauen, ihr müsst einen Videoscan von mir machen. Wir sind die Einzigen, die beide Lösungen anbieten können.
Wie sind die Nutzungsraten der jeweiligen Variante?
Es nutzen mehr User:innen die Bodyfinder-Lösung mit der Auswahl der Körperformen, weil es einfach die Lösung ist, bei der man nicht vom Sofa aufstehen muss und man sie auch im Büro oder im Zug nutzen kann. Aber das ist völlig fein für uns. Entscheidend ist, dass die Konsument:innen unser Tool nutzen und nicht abspringen, aus welchem Grund auch immer.
Spielen Ethnien und deren unterschiedliche Körperformen auch eine Rolle bei der Größenfindung? Können Sie in den USA genauso präzise sein?
Das haben wir intensiv mit Hohenstein besprochen. Hohenstein arbeitet international und macht weltweit Körpermessungen. Mein Key-Learning war, dass sich die Körperformen weltweit gar nicht so stark unterscheiden. Was sich aber unterscheidet, ist die Distribution einzelner Körperformen. Das heißt, in Europa herrscht eine andere Körperform vor als in den USA, aber nach wie vor gibt es überall die gleichen Körperformen. Wir sind daher nicht limitiert auf den deutschsprachigen Raum oder auch nur auf Europa.
Das war also die Konsument:innenseite. Was müssen die Brands liefern, damit Sie die individuelle Körperform der Kund:innen und die Maße des Produkts zusammenbekommen?
Jede Brand bekommt von uns ein maßgeschneidertes Sizing-System. Dieses Sizing-System wird auf Produktebene ins Backend, sozusagen hinter die Produkte gelegt. Hinter jedem Produkt liegt eine dynamische Körpermaß-Tabelle, die fortlaufend, basierend auf den User:innen-Interaktionen mit den Produkten im Shop, angepasst wird. Somit erhalten User:innen produktspezifische Größenempfehlungen, also für Produkt A beispielsweise die Größe S und für ein anderes Produkt B die Größe M, da die Produkte unterschiedlich ausfallen.
Wie kompliziert ist es für Brands oder Shops, mit Sizekick zu arbeiten?
Wir haben von Anfang an darauf geachtet, dass der Aufwand auf Shop-Seite extrem gering ist. Das Level an Inhouse-Wissen und verfügbaren Daten zum Thema “Sizing” auf Brand-Seite ist oft sehr unterschiedlich. Manche jungen Brands haben zum Teil noch kein In-House-Wissen aufgebaut, da Schnitte komplett vom Produzenten vorgegeben sind.
Wir wollen und können allen Marken und Händlern helfen und arbeiten mit dem, was auf Seiten der Brands verfügbar ist. Wir können das, weil wir dank unseres Backgrounds mit Hohenstein wissen, wie diese Informationen aus Fertigmaß- bis Körpermaß-Tabellen einzuordnen sind und wie wir daraus maßgeschneiderte Größensysteme erstellen können. Also auch kleine Streetwear Brands, die keine eigenen Schnitte machen, auch denen können wir helfen. Sie bekommen von uns einen digitalen Weg, ihre Sizing-Systeme per App zu kalibrieren und zu validieren.
Also eine Marke muss noch nicht ihre Produktentwicklung komplett digitalisiert haben, um mit Ihnen zusammenarbeiten zu können?
Das ist korrekt.
Wie lange dauert so ein Prozess?
Auf Tech-Seite braucht es für die Integration nur ein paar Klicks, das ist innerhalb von wenigen Minuten erledigt. Und dann gibt’s noch die Möglichkeit, vor dem Go-Live das Sizing-System zu kalibrieren. Insgesamt kann man bei uns innerhalb von zwei bis drei Wochen live gehen. Bei anderen Lösungen war und ist das oftmals ein Projekt über mehrere Monate. Deshalb war es für uns ein Kernpunkt während der Entwicklung, dass wir das System so aufstellen, dass Sizekick für die Brands und Händler leicht integriert werden kann.
Sie haben inzwischen sehr renommierte Kunden. Wie viele sind es und welche Shops sind das?
Wir sind jetzt seit einem Jahr live und gehen bald mit dem zwanzigsten Shop live. Wir haben wirklich ein buntes Portfolio an Kunden, von eher traditionelleren Firmen wie Joop und Marc Cain, bis zu extrem angesagten Streetwear-Marken mit einer sehr starken Community. Das sind beispielsweise Brands wie Olakala oder Vicinity. In wenigen Tagen geht Sizekick im Shop von Sanvt live, die gerade für ihr “perfektes weißes T-Shirt” ausgezeichnet wurden. Im Sportbereich war beispielsweise die amerikanische Outdoor-Marke Black Diamond einer unserer ersten Partnershops. In der Multi-Brand-Kategorie zählen renommierte Händler wie Grube-Versand, der Shopping-Club OutletCity, Waschbär oder Rrrevolve aus der Schweiz zu unserem Kund:innenportfolio.
Wie sind die ersten Erfahrungen aus einem Jahr Sizekick? Gibt es weitere Vorteile, die sich für Shops aus der Zusammenarbeit ergeben?
E-Commerce ist insgesamt ein Optimierungs-Game und Analytics von Sizekick spielen für unsere Partner eine große Rolle. Sie erhalten beispielsweise neue Einblicke zu den demografischen Daten und zum Kaufverhalten der User:innen. Auf Produktseite erhält man exklusive Einblicke, von wem bestimmte Produkte gekauft werden, wo die meiste Größenunsicherheit herrscht oder welche Styles und Materialien von bestimmten Käufergruppen bevorzugt werden.
Jede Stellschraube, an der Ecommerce-Shops drehen können, ist entscheidend. Beispielsweise kommen in vielen Shops ein Drittel oder mehr aller Kund:innen-Anfragen zum Thema Größe. Wenn man diese nicht manuell beantwortet werden muss und zu Sizekick weiterleiten kann, ist das natürlich hilfreich.
Für mich geht es aber auch darum, wie viele Nutzer:innen Sizekick jeden Tag verwenden und wie zufrieden sie damit sind. Beispielsweise sehen wir, dass über 90 Prozent der User:innen, die unser Tool anklicken, auch eine Größenempfehlung erhalten. Auf diesen Wert sind wir sehr stolz, und er bedeutet für uns, dass die Anwendung nutzerfreundlich und einfach ist.
Wirkt sich Sizekick auch auf den Warenkorb aus?
Diese Metrik ist sehr interessant, denn Shops, die viele Mehrgrößenverkäufe haben, weil Kunden mehrere Größen von einem Artikel bestellen und dann einen Teil wieder zurückschicken, möchten natürlich erstmal ihre Warenkörbe verkleinern. Das Ziel ist hier, dass dieser Kunde oder diese Kundin weniger Größen bestellt. Das konnten wir tatsächlich erreichen. Gleichzeitig konnten wir auch messen, dass weitere Artikel aus anderen Kategorien hinzugenommen wurden. Das heißt, mit einer erhöhten Größensicherheit durch Sizekick können wir also auch den Warenkorb erhöhen, und das auf eine wirtschaftlich sehr interessante Weise.
Wie finanzieren Sie sich, womit verdient Sizekick Geld?
Die Shops zahlen eine monatliche SaaS-Gebühr [Software-as-a-Service, Anm. d. Red.]. User:innen zahlen nichts für die Sizekick-Größenberatung im Shop. Das gemeinsame Ziel mit unseren Partnershops ist, dass möglichst viele User:innen Sizekick nutzen, um den positiven Effekt im Shop zu maximieren.
Wie viele User:innen, die einen Shop besuchen, nutzen Sizekick im Schnitt?
Das variiert ein wenig von Shop zu Shop. Wenn wir zwischen zehn und 20 Prozent der User:innen erreichen, sind wir zufrieden. Denn wenn in einem Shops beispielsweise nur drei bis fünf Prozent der User:innen unser Tool nutzen, kann man die innovativste Technologie haben, aber wenn sie kaum jemand nutzt, hat man automatisch auch nur einen kleinen Impact. Nach dem Feedback unserer Kund:innen erreichen wir bei der Nutzung absolute Top-Werte.
Eine Vision bei der Nutzung von individuellen 3D-Körperdaten war schon immer die virtuelle Anprobe von Produkten mit Hilfe von Avataren. Wie weit sind wir davon entfernt?
Von Tech-Seite aus können wir heute schon mit unserer Technologie die Körper in 3D darstellen. Darüber kann man relativ einfach 2D-Produktfotos legen, so als würde der Avatar diese Kleidung tragen. Im Bereich Gamification sehen wir so etwas ja schon heute in einigen Shops. Das würde ich als „Virtual Try-on“ bezeichnen. Was meiner Meinung nach noch nicht kommerziell gelöst wurde, ist tatsächlich „Virtual Fitting“. Hier müssen die Körper akkurat erfasst und visualisiert werden, und dann im Anschluss mit 3D Produktdaten visuell gematcht werden. Ich denke, die Brands wären hier gerne schon weiter, aber aktuell ist es noch sehr ressourcenintensiv, wirklich jeden Style in allen Größen in hochwertigen 3D Daten darzustellen. Erst dann kann man Virtual Try-On mit Virtual Fitting kombinieren.
Auch mit diesem Thema beschäftigt sich Hohenstein schon stark, aber von einer kommerziellen und vor allem akkuraten Anwendung im E-Commerce ist der Markt noch weit entfernt.
Ein anderes Thema ist Mass Customization, wo man entsprechend der generierten Körpermaße Bekleidung produziert. Da arbeiten wir bereits an konkreten Projekten. Einige Anbieter wollen vielleicht statt nur S bis XL einen größeren Größenlauf mit mehr Zwischengrößen anbieten, andere wollen auf Basis der Körperdaten produzieren.
Grundsätzlich wäre Mass Customization oder Production on Demand heute schon möglich, man müsste “nur” in jeden Laden einen Bodyscanner stellen – die aber leider hunderttausende Euro kosten. Aber das ist selbstverständlich nicht praktikabel und auch nicht ortsunabhängig. Also braucht es Lösungen, die über das Handy funktionieren.
Was ist Ihr Ziel mit Sizekick?
Wir wollen im Bereich Größenberatung der Standard im E-Commmere und letztlich die Nummer eins weltweit werden. Es gibt also noch viel zu erreichen.