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„Die Sportbranche hat 15 Jahre verschlafen“

Von Regina Henkel

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Einzelhandel |INTERVIEW

SportScheck ist hierzulande der größte Multichannel-Anbieter im Bereich Sport – und das schon lange bevor man dieses Wort überhaupt benutzt hat. Das Münchner Traditionshaus, das seit 1991 vollständig zum Otto-Konzern gehört, betreibt schon seit vielen Jahrzehnten stationäre Geschäfte und Versandhandel via Katalog und Online. Auch Sportreisen, -services und -erlebnisse gehören eigentlich schon immer zum Angebot. Alles Dinge, die heute aktueller sind denn je. Doch die Digitalisierung stellt auch hier neue Herausforderungen. Jan Kegelberg, Chief Digital Officer bei SportScheck und Mitglied der Geschäftsführung, spricht über die Versäumnisse der Branche und die aktuelle Aufholjagd.

SportScheck hat eine lange Tradition und auch eine lange Multichannel Historie. Wie sehen Sie die Zukunft des stationären Sporthandels?

Ich glaube schon mal nicht, dass es zukünftig keine Läden mehr gibt. Die Frage lautet vor allem: Wie sieht die Rolle des stationären Ladens in der Zukunft aus? Klar ist, dass die Läden von morgen viel besser sein werden als heute. Ich glaube nicht daran, dass der Laden die Verlängerung des digitalen Kosmos ist, er wird eine ganz eigene, eine soziale, haptische, sinnliche Rolle einnehmen. Dann braucht der Laden im Grunde auch nicht viele digitale Elemente. Der Laden ist zukünftig der Punkt der Entschleunigung. Man soll dort nicht in erster Linie kaufen, sondern Produkte testen, an Kursen teilnehmen, sich inspirieren lassen.

Wie setzen Sie das bei SportScheck um?

Unsere Vision bei SportScheck ist es, zum Treffpunkt für das Erlebnis Sport zu werden - und zwar konsequent aus Kundensicht gedacht. Wir sagen nicht, wir sind der größte Sportfachhändler Europas, wir wollen mehr sein als das. Wir wollen auch andere Leistungen anbieten und andere Sinne ansprechen. Wir bieten schon heute viele Services im Sport, wie Seminare, Lesungen, auch Superfood oder Marathonberatung, wir betreiben und vermarkten unsere Stadtläufe, GletscherTestival oder Outdoortestivals und wollen auch, dass der Verkäufer im Laden all diese Services dem Kunden näherbringt. Wir müssen Erlebnisse schaffen. Alles ist noch nicht final ausdefiniert, aber da muss die Reise hingehen. Am Ende müssen alle Touchpoints auf diese Vision einzahlen.

Sie sind zuständig für die Digitalisierung des Handels bei SportScheck und haben schon einige neue Technologien im Haus selbst ausprobiert. Welche digitalen Tools braucht man im stationären Handel wirklich?

Was sich zwingend lohnt ist die Ausweitung des CRM (Customer-Relationship-Management) auf die Fläche. Ich muss im Laden den gleichen Blick auf den Kunden haben wie im Onlineshop. Die Warenkörbe, die Kaufhistorie - all das muss voll umfassend auch im stationären Store abrufbar sein. Diese Erwartungshaltung muss ich aus Kundensicht erfüllen. Der Kunde versteht es nicht, wenn der Onlineshop und der Store nicht vernetzt sind, wenn ich z.B. im Store keine Ware umtauschen kann, die ich online gekauft habe. Das heißt, alle Systeme im Store müssen Zugriff auf die Kundendaten haben, das ist zwingend erforderlich für Multichannel Händler. Viele heute eingesetzte digitale Tools wie interaktive Spiegel, der Einsatz von Beacons und das Tracken des Kundenverhaltens, können am Ende zusätzliche Potenziale erschließen, aber im Kern haben sie heute keine Bedeutung für den nachhaltigen Geschäftserfolg im Rahmen der digitalen Transformation des Handels.

Warum gibt es im Bereich Sport noch keinen großen PurePlayer wie z.B. Zalando?

Der Sportmarkt ist extrem fragmentiert. Sich als Multi-Sport Anbieter glaubhaft zu positionieren, ist aus Kundenperspektive anspruchsvoll und komplex. Spezialisten haben es im Sport grundsätzlich leichter, sich authentisch zu vermarkten, und genauso ist der Markt heute auch strukturiert. Online gibt es fast nur Spezialisten, und diese haben alle Schwierigkeiten eine kritische Größe zu erreichen.

Generell hat man den Eindruck, als gäbe es im Sport eine Menge Nachholbedarf – nicht nur was das digitale Geschäft anbelangt.

Die aktuelle Entwicklung ist für den Kunden überfällig. Warum floriert im Sport der E-Commerce? Weil die stationären Erlebnisse so schlecht sind. Dabei hat gerade der Sport ein großartiges Potenzial für eine emotionale Kundenansprache! Die Mode hat es viel schwerer, warum soll man da zu einem bestimmten Händler gehen, wie definiert man dort Mehrwert? Wir im Sport haben die emotionalen Themen, wir haben Innovation, wir haben die Beratung. Zudem integriert sich Sport immer stärker in den Alltag, wird breiter, Sport-Lifestyle und Ausübung verschmelzen. Sport ist nicht was wir tun, sondern was wir sind. Wir können Ernährung, Events, Reisen, Wettbewerbe, all das attraktiv zusammenbringen. Der Sportfachhandel hätte also massiv die Möglichkeit, für Kunden relevant zu sein. Aber er hat 15 Jahre verschlafen. Die ganze Branche. Der Fehler: Man hat sich mit den falschen Wettbewerbern verglichen! Die Sportbranche hat sich die falsche Benchmark gesetzt. Die neuen Benchmarks kommen aus der Mode oder von den Online PurePlayers. Das hat man im Sport endlich erkannt, und davon werden auch die Innenstädte profitieren.

Aktuell wird das Thema Plattformen stark diskutiert und als neues Wachstumsfeld gepriesen. Auch SportScheck engagiert sich in dem Bereich. Warum ist das wichtig?

Innerhalb des Handels wir Plattform in der Regel mit Marktplatz gleichgesetzt. Bei SportScheck ist das Marktplatz-Model lediglich ein Element unseres Plattformgedankens. Vor allem wollen wir zu einer Plattform für das Erlebnis Sport werden und verstehen das ganzheitlich und inhaltlich. Es geht darum, eine Sportplattform zu werden mit Events, Reisen, Produkten, Services, Inhalten und Erlebnissen. Den Plattformgedanken sehen wir viel breiter.

Wie genau sieht das Marktplatz-Modell von SportScheck also aus?

Es gibt im Grunde zwei Richtungen: Es gibt Händler und Marken, die über unseren Online-Shop verkaufen. Das ist zum Beispiel Outfitter, ein Wettbewerber, welcher als erster Partner 2016 angebunden wurde. Hinzu kamen Reima, Doorout und jetzt auch adidas. Der zweite Weg ist der, dass wir auch selbst auf Amazon oder About You und auch Otto.de unsere Sportsortimente verkaufen. Ziel ist es, etwa 20 bis 30 Prozent Handelsumsatz über Marktplätze zu realisieren.

Was sind die Vorteile?

Daraus ergeben sich Sortimentsvorteile. Man kann Artikel im eigenen Shop anbieten, die man sonst vielleicht nicht bekommen würde. Hinzu kommen Effizienzvorteile, denn gerade große Geräte wie Fitnessgeräte können oft vom Hersteller selbst am besten verschickt werden. Die Umsätze über Marktplätze sind ein Provisionsgeschäft für Reichweitenvermarktung. Aber man hat auch kein Bestandsrisiko, braucht sich nicht um die Retouren kümmern etc. Das heißt, zwar ist der Erlös niedriger, aber man hat auch geringe Prozesskosten. Am Ende muss jedes Modell für sich profitabel sein, dann hat es seine Berechtigung.

Sind Marktplätze also nur eingeschränkt eine Möglichkeit für Händler, sich Zusatzeinkommen zu sichern?

Ich glaube nicht an den Marktplatz als Allheilmittel. Er wird nicht das Überleben von Händlern sichern können, die in ihrem Kernbusiness Schwierigkeiten haben. Auch ein Plattformbetrieb verschlingt Investments und Management Kapazität. Ohne genügend Kundenreichweite werden die Provisionserlöse aus dem Marktplatzgeschäft die operativen Kosten nicht decken. Statt operativer Betriebsamkeit muss man sich als Händler immer die Frage nach der Relevanz meines Angebots für den Kunden stellen. Ein Marktplatz-Ansatz kann sinnvoll sein, muss er aber nicht.

Sehen Sie in den Plattformen eine Gefahr, dass bald alle Shops alles verkaufen und damit immer uniformer werden?

Nein, denn die Kuration des Angebots wird immer wichtiger. Das meinte ich mit Relevanz des Angebotes. Wenn es nachher so ist, dass alle das Gleiche anbieten, hat es keinen Mehrwert für den Kunden. Natürlich ist die Gefahr gegeben, dass man immer mehr anbietet um seine Kundenakquisitionskosten zu amortisieren, aber dann steht man im direkten Wettbewerb mit Otto und Amazon, und das ist nicht ökonomisch sinnvoll. Die entscheidende Frage, die sich heute jeder Händler stellen muss, ist: Was ist meine Daseinsberechtigung? Warum braucht mich der Kunde? Wer diese Frage nicht mit einer umsetzbaren Strategie beantworten und beweisen kann, wird nicht überleben.

Für wen lohnen sich dann Marktplätze? Auch für kleine Händler?

Technisch und operativ ist der Verkauf über Plattformen nach wie vor anspruchsvoll. Aber je einfacher die Prozesse werden, desto mehr kleine Händler können es natürlich auch nutzen. Grundsätzlich muss sich jeder die Frage stellen, wann macht es Sinn, ein Produkt einzukaufen und wann sollte es über die Plattform an den Shop angebunden werden? Am Ende des Tages ist es die Aufgabe des Händlers, das aus wirtschaftlicher Perspektive zu entscheiden. Den Verkauf von Waren über fremde Marktplätze werden sich perspektivisch nur solche Händler leisten können, die nicht im direkten Online-Wettbewerb mit den von ihnen vertretenen Handelsmarken stehen.

Der digitale Handel entwickelt sich enorm schnell weiter und erfordert ständig neue Investitionen. Ist das für einen stationären Händler überhaupt noch finanzierbar?

Die kritische Größe wird sich im MultiChannel-Handel massiv nach oben verschieben. Hier sehe ich heute einen Mindestumsatz von 400 bis 500 Millionen Euro im Jahr als kritische Größe. Das Invest in allen Bereichen der Digitalisierung ist derzeit sehr hoch und immer mit einem gewissen Erfolgsrisiko verbunden. Wer am digitalen Handel teilnehmen will, muss dauerhaft investieren können. Natürlich wird es immer auch den kleinen, feinen Laden an der Ecke geben, der aufmacht und profitabel arbeitet. Wenn diese Läden sich auch mit Plattformen beschäftigen, ist das gut, aber für das Überleben nicht zwingend erfolgskritisch. Am Ende entscheidet die Schlüssigkeit des Konzeptes aus Kundensicht.

Fotos: SportScheck

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