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Dopamin-Dressing: Das Gegenmittel zur Krise

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Das Innere des Geschäfts La Double J in Mailand. Bild: Melvin van Tholl.

Es ist fast ein Klischee, aber wir leben in sehr unruhigen Zeiten. Nach der Corona-Pandemie dachten wir, wir könnten sorglos weitermachen wie zuvor, aber in unserer Gesellschaft scheint eine Cluster-Bombe von Krisen zu explodieren; die Rede ist sogar von einer Krisengesellschaft. Und als ob die Klimakrise, Wohnungskrise, Energiekrise, Kaufkraftkrise, Subsistenzsicherungskrise, Stickstoffkrise und Personalkrise nicht genug sind, werden wir auch jeden Tag mit Untergangsszenarien zur steigenden Inflation und nahenden Rezessionen bombardiert. Es ist also nicht überraschend, dass die Zahl der Menschen mit Depressionen und Abhängigkeiten in den letzten Jahren gestiegen ist. Als menschliche Rasse sind wir jedoch neuropsychologisch gewappnet, um Krisen zu überstehen: durch unsere Resilienz! Unser Glücksgefühl spielt dabei eine wichtige Rolle. Und gerade jetzt haben Modewelt und Mode-Einzelhandel eine fantastische Geheimwaffe, um dieses Glücksgefühl - und damit die Widerstandsfähigkeit - zu steigern: Dopamin-Dressing! Was ist das und - noch wichtiger - was kann man damit machen?

Ein Beispiel von Dopamin-Dressing

Dopamin-Dressing ist im letzten Jahr als Trend zu leuchtenden Farben und großen, fröhlichen Accessoires in den Blickpunkt gerückt. Vor allem um die Tatsache zu feiern, dass wir nach der langen lähmenden Pandemie wieder auf die Straße gehen und uns zeigen können. Oft denken die Menschen bei Dopamin-Mode an das Tragen von farbenfroher Kleidung, aber es ist viel mehr als das. Es geht darum, wie die Art und Weise, wie man sich kleidet, die Stimmung hebt — man betont also die glücklichen oder starken Seiten der eigenen Identität, was den Trend persönlich macht. Um die Mechanismen der Dopaminausschüttung zu verstehen, braucht es einen kurzer Exkurs in die Neuropsychologie.

Dopamin ist ein Neurotransmitter - und eines der Glückshormone -, der durch unser Gehirn fließt, um Informationen von einer Nervenzelle zur anderen zu übertragen. Dopamin sorgt dafür, dass wir Freude empfinden und uns belohnt fühlen. Dadurch werden wir motiviert, ein bestimmtes Verhalten zu wiederholen, um den Genuss weiter zu steigern. Es verstärkt daher unsere Vorliebe für bestimmte Dinge in unserem Leben. Wissenschaftler:innen vermuten, dass dieser Mechanismus auch aktiviert wird, wenn wir neue Kleidung kaufen oder anziehen. In der Psychologie wurden in den letzten Jahren zahlreiche Forschungsarbeiten dem Einfluss der Kleidung auf unsere Stimmung gewidmet. Dazu gehört Professor Karen Pine von der Universität Hertfordshire (UK), die sich mit dem Thema „Dopamin-Dressing” befasst. Sie fand nämlich heraus, dass das Selbstvertrauen der Teilnehmenden sichtlich zunahm, wenn sie Kleidung mit einem bestimmten symbolischen Wert anzogen. Kurzum: Mode als Mittel zum Wohlfühlen und zur Steigerung der Widerstandsfähigkeit.

Diese faszinierende Kraft der Kleidung wird auch in Hollywood oft aufgegriffen. Ich habe zum Beispiel kürzlich den Film „Mrs. Harris und ein Kleid von Dior” [ab 10. November in deutschen Kinos, Anm. d. Red.] gesehen. Wie in einem Disney-Märchen sehen wir, wie Mrs. Harris, eine britische Haushälterin aus der unteren Arbeiterklasse, es sich zur Aufgabe macht, in Paris ein scheinbar unerreichbares Couture-Kleid von Christian Dior zu kaufen. Das Kleid strahlt Fröhlichkeit aus. Aber die Geschichte ist eindeutig mehr als nur das Kleid. So ist es auch mit der Mode: Die Geschichte geht über das Produkt hinaus: Konsument:innen sehnen sich nach Glück! Und in der Tat sehen wir, wie Frau Harris einen Wandel durchmacht. Zufällig oder nicht spielt diese Geschichte auch vor dem Hintergrund einer Einkommenskrise, einer Krise des Lebensunterhalts, der Ungleichheit der Klassen und sozialer Unruhen. Aber aus meiner Sicht der Kundenerfahrung sah ich auch eine sehr wichtige und zeitgemäße Lektion: Frau Harris' Reise als Kundin wurde zu einem echten Abenteuer. Sie lernte die Geschichte von Dior kennen, die Leidenschaft und das Mitgefühl der Mitarbeitenden, das Handwerk, den persönlichen Service und vor allem die Kraft, die Kundschaft zu überraschen.

Ein Stimmungsaufheller in der Praxis

Außer auf der Kinoleinwand und unter dem Mikroskop von Wissenschaftler:innen in weißen Kitteln gibt es auch erfolgreiche Umsetzungen von Dopamin-Dressing. Im Sommer entdeckte ich zum Beispiel eine ungewöhnliche Boutique in Mailand mit dem Namen ‘La Double J’. Sie ist nach ihrer Besitzerin, Jennifer Jane - JJ - Martin, benannt. Das Geschäft ist also eine Art persönliche Bühne, auf der die Wohlfühlphilosophie der Inhaberin umgesetzt wird. Alles in diesem Laden wirkt wie ein Stimmungsaufheller für die Sinne. Auch online positioniert er sich als „fröhliches und stimmungsfördernder Zielort“.

Tatsächlich begann La Double J als Online-Magazin, das Vintage-Mode verkaufte. Dies spiegelt sich auch in der Gestaltung des Ladens als Multi-Tasking-Plattform zur Förderung eines lebendigen und bewussten Lebensstils wider. Sein Angebot umfasst daher fröhliche Retro-inspirierte Haushaltswaren (Geschirr, Besteck, Vasen und Kerzenständer) und Lifestyle-Produkte. Alles in Zusammenarbeit mit lokalen Künstler:innen und Designer:innen. Denn die Inhaberin fungiert auf dieser Plattform als Kuratorin, die genau weiß, wie sie die fröhlichen und starken weiblichen Seiten ihrer Kundinnen hervorheben kann.

Sie sieht ihr Geschäft daher als Tempel der weiblichen Energie und möchte in jeder Frau etwas von einer griechischen Göttin wecken. Sie geht dies auf mehreren Ebenen an: Die Kundschaft kann sich von den üppigen Farben, Formen und Wandmalereien des Ladens inspirieren lassen, die von Mutter Natur und ihren mystischen Kräften inspiriert sind. Und die Stimulierung des positiven Gemütszustandes liegt nicht nur im Materiellen - der Einrichtung des Ladens, der Kleidung, der Accessoires und der Haushaltswaren - sondern auch im Geistigen. Denn im Keller des Ladens befindet sich ein verstecktes Pantheon der Göttinnen, ein Refugium, dem Kund:innen kostenlos beitreten und an Meditationssitzungen, Yogastunden und Seminaren zum Wohlbefinden teilnehmen können. Außerdem finden Veranstaltungen statt, die Frauen in ihren persönlichen Missionen miteinander verbinden. Das passt genau zu ihrer Philosophie: Glück im Interesse von allgemein mehr Liebe und Wohlwollen zu verbreiten. Wenn Kund:innen hinterher manchmal mit Geschirr im Wert von 10.000 Euro aus dem Laden gehen, kann man sagen, dass sie viele Karmapunkte gesammelt haben.

Schaufensterauslage von La Double J. Bild: Melvin van Tholl
Haushaltswaren und mythische Wandbilder im La Double J. Bild: Melvin van Tholl

Tipps für Dopamin-Dressing in Ihrem Laden

Dopamin-Dressing beschränkt sich also nicht nur auf Kleidung, sondern liegt auch in dem Erlebnis eines bestimmten Geschäfts. Als Mode-Einzelhändler:in können Sie das Glück und das Lebensgefühl Ihrer Kundschaft auf wertvolle Weise fördern. Wie können Sie das in Ihrem Laden tun?

  • Finden Sie heraus, wovon Ihre Kund:innen träumen. Denn nur dann wissen Sie, was sie antreibt und was ihr Glücksempfinden ausmacht. Wenn Sie zum Beispiel in Ihrem Geschäft für Herrenmode den unternehmungslustigen Mann - den „High Achiever“ - bedienen wollen, tun Sie gut daran, sich auf Qualität, Leistung und Abenteuer zu konzentrieren. Sie fördern dann ein Leben in eleganten Outfits und mit innovativen Sportgeräten, ergänzt durch Lifestyle-Produkte und Events.
  • Bauen Sie Ihren Laden zur Plattform aus. Erweitern Sie also Ihr Angebot um Dienstleistungen, die die (Lebens-)Ziele Ihrer Kundschaft unterstützen. Denken Sie zum Beispiel an eine persönliche Stylingberatung: Was trägt man zu geschäftlichen Anlässen, zu Festlichkeiten in der bevorstehenden Partysaison, zu einem Rendezvous oder an jedem anderen Ort, an dem man glänzen möchte? Erwägen Sie die Zusammenarbeit mit anderen Unternehmern, zum Beispiel mit Friseur:innen. Nach Angaben von CBS (Oktober 2022) tätigen Verbraucher:innen übrigens in diesem wirtschaftlichen Klima immer weniger nachhaltige Einkäufe (Kleidung, Schuhe, Einrichtungsgegenstände und Autos), während sie immer mehr für Dienstleistungen ausgeben (Friseurbesuche, Sportveranstaltungen und Restaurants).
  • Erzählen Sie Ihre Geschichte mit Leidenschaft und Mitgefühl. Nutzen Sie Ihren Auftritt in den sozialen Medien, um Ihren modebewussten Kund:innen Tipps zu geben. Tun Sie dies mit Leidenschaft und Mitgefühl. Teilen Sie zum Beispiel Lebensstil-Tipps von Ihren Mitarbeiter:innen, etwa zehn coole Bars für fröhliche Cocktails oder die beliebtesten Orte für gutes Essen. Aber auch Tipps, wie man sich in diesen Zeiten budgetbewusst kleidet. Auf diese Weise schaffen Sie Möglichkeiten, denn Kund:innen wissen es zu schätzen, wenn Sie mitdenken, und gleichzeitig öffnen Sie eine „Lücke“ für ihre Bedürfnisse, wenn sie mit Stil ausgehen wollen.

Es ist eine Illusion zu glauben, dass „Dopamin-Dressing“ alle Krisen beseitigen wird, aber es hilft zumindest, unter unseren Kund:innen und Gemeinden Erleichterung und Hoffnung zu verbreiten.

Dies ist ein Beitrag von Melvin van Tholl, Customer Experience Architect, BLOODY BELIEVERS, die Kreativ- und Strategieagentur, die Marken und Unternehmen bei der Entwicklung bahnbrechender Lösungen für ihre Kund:innenerlebnisse unterstützt. Sie tut dies für Unternehmen sowohl in den Niederlanden als auch im Ausland. In dieser Serie nimmt van Tholl Sie mit in die wunderbare Welt der Verbraucher:innen und zeigt Ihnen, wie Sie Ihr Unternehmen auch unter dem Gesichtspunkt der Kund:innenerfahrung zukunftssicher machen können.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich auf FashionUnited.nl. Übersetzt und bearbeitet von Simone Preuss.

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