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Einzelhandel versucht Tierschutz in kleinen Schritten

Von DPA

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Wie viel Geld ist mir Tierschutz wert? Vor dieser Frage dürften deutsche Verbraucher künftig öfter stehen. Denn im Handel hat der Kunde immer öfter die Wahl zwischen Fleisch aus mehr oder weniger tierfreundlicher Haltung. Doch es gibt verschiedene Ansätze.

Der Gedanke an Auswüchse der Massentierhaltung verdirbt immer mehr Verbrauchern den Appetit. Doch Bio-Produkte sind vielen Konsumenten zu teuer. Deshalb versucht der Lebensmittelhandel in Deutschland jetzt einen Mittelweg zu finden. Tierschutz in kleinen Schritten sozusagen, der auch für den knappen Geldbeutel finanzierbar ist. «Es ist etwas in Bewegung geraten», sagt Stephanie Töwe, Landwirtschaftsexpertin der Umweltschutzorganisation Greenpeace.

Vorreiter sind die großen Discounter. Der Discounter Aldi bietet seit Mitte Januar in ersten Regionen unter dem Label «Fair & Gut» Geflügelprodukte aus Ställen an, die Hähnchen mehr Platz, Stroh im Stall, Zugang zu frischer Luft und gentechnikfreies Futter bieten. Sowohl beim Preisniveau der Produkte als auch bei den zu erfüllenden Kriterien bewege sich das Angebot «zwischen Fleisch aus konventioneller Tierhaltung und Bio-Fleisch», betont der Discounter.

Einen Schritt weiter geht Rivale Lidl. Er will ab April bei allen Frischfleischprodukten seiner Eigenmarken - egal ob Schwein, Rind oder Geflügel - eine Haltungskennzeichnung aufdrucken, die den Kunden auf den ersten Blick informiert, wie gut oder schlecht es das Tier im Stall hatte. Geplant ist ein Vier-Stufen-Modell, ähnlich wie es Verbraucher vom Eierkauf kennen. Lidl erwartet, dass Kunden wegen der Kennzeichnung mehr Produkte aus besserer Haltung kaufen.

Für den Marketing-Experten Martin Fassnacht von der Wirtschaftshochschule WHU reagieren die Handelsketten mit den neuen Angeboten auf die veränderte Haltung der Konsumenten. «Die Verbraucher erwarten mehr Engagement des Einzelhandels beim Thema Tierschutz. Denn sie wollen beim Einkauf kein schlechtes Gewissen haben», meint er. Allerdings seien die meisten Verbraucher dennoch nicht bereit, für bessere Tierhaltung auch deutlich mehr zu bezahlen. «Die neuen Tierschutzlabel tragen dem Rechnung: Sie bieten zumindest einen gewissen Fortschritt beim Thema Tierhaltung und der Kunde muss dafür nicht viel tiefer in die Tasche greifen.»

Neu ist die Idee mit dem schrittweisen Fortschritt in der Tierhaltung nicht. Der Deutsche Tierschutzbund hat bereits vor fünf Jahren sein Label «Für mehr Tierschutz» auf den Markt gebracht. Es bietet mit einer Einstiegs- und einer Premiumstufe ebenfalls Anreize zur schrittweisen Verbesserung der Haltungsbedingungen. Fleisch mit dem Label wird von verschiedenen Handelsketten angeboten - allerdings mit überschaubarem Erfolg.

Doch könnte der Trend durch das Engagement von Aldi und Lidl deutlich mehr Durchschlagskraft bekommen, glaubt Greenpeace-Expertin Töwe. «Lidl geht den weitesten Schritt», meint sie. Sie hofft, dass die anderen großen Handelsketten dem Beispiel folgen. Jedoch bestehe die Gefahr, dass jede Kette eigene Standards setze und der Verbraucher am Ende komplett verwirrt sei, warnt Töwe. Deshalb sei eine verpflichtende gesetzlich Kennzeichnung ähnlich wie bei den Eiern die beste Lösung. Hier sei die nächste Bundesregierung gefordert.

Der geschäftsführende Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU) hatte schon vor einem Jahr Pläne für ein staatliches Tierwohl-Logo vorgestellt, sie bis zur Bundestagswahl aber nicht umgesetzt.

Ohne ein Label, das Auskunft über die Qualität der Tierhaltung gibt, kommt die gemeinsame Tierwohl-Initiative des Lebensmittelhandels aus. Bei der 2015 gestarteten Branchen-Initiative erhalten freiwillig teilnehmende Bauern für Zusatzleistungen wie mehr Platz im Stall Geld aus einem Fonds, in den Supermarkt-Ketten einzahlen. Doch Verbraucher können nicht erkennen, ob das Fleisch aus einem der «besseren» Ställe kommt.

Qualitätslabel spielen im Handel generell eine wachsende Rolle. Nach einer Studie des Marktforschers Nielsen orientieren sich Kunden immer stärker an solchen Kennzeichnungen. «Viele Konsumenten unterscheiden inzwischen nach guten und bösen Lebensmitteln, wie unsere Umfragen zeigen», berichtet Nielsen-Experte Fred Hogen. Dem wolle der Handel Rechnung tragen. «Die Label sollen den Konsumenten die Sicherheit geben, eine richtige Entscheidung zu treffen.»

Auch die Supermarktketten Edeka und Rewe haben längst den Wert der Label für sich entdeckt. Edeka arbeitet seit Jahren mit der Umweltschutzorganisation WWF zusammen und kennzeichnet mit dem WWF-Panda Eigenmarkenprodukte, welche die ökologischen Standards der Organisation erfüllen. Rewe wiederum kennzeichnet mit dem Pro-Planet-Label Lebensmittel und andere Artikel, die «positive ökologische oder soziale Eigenschaften aufweisen». Doch beim Thema Fleisch agieren beide Supermarktketten Töwe zufolge bislang zurückhaltender als die Discounter.

Die Greenpeace-Expertin sieht den Handel beim Tierschutz in der Pflicht. Schließlich trage er Mitverantwortung für die heutige Situation. «Der Handel hat 20 Jahre die Verbraucher erzogen: Lebensmittel müssen billig sein. Welche Folgen das für die Gesundheit, die Umwelt und das Klima hat, hat er nicht erklärt.» (dpa)

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