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Geldentwertung trifft indische Textil- und Bekleidungsindustrie hart

Von Simone Preuss

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Einzelhandel |KOMMENTAR

Mumbai - In einem beispiellosen Schritt hat Indien, die größte Demokratie der Welt, praktisch über Nacht entschieden, alle 500- und 1000-Rupie-Banknoten zu entwerten. Dadurch sollen Schwarzgeld und Terrorismus (der oft durch Falschgeld finanziert wird) ausgemerzt werden. Deshalb sind seit letztem Donnerstag, dem 10. November 2016, alle alten 500- und 1000-Rupie-Scheine ungültig, und die indische Bevölkerung ist aufgerufen, diese in kleinere Scheine oder die neuen 2000-Rupie-Scheine umzutauschen.

Dies ist einfacher gesagt als getan, denn seit dem ersten Tag der Geldentwertung bilden sich vor Bankfilialen und Geldautomaten lange Schlangen - sogar am Sonntag, an dem Bankangestellte Sonderschichten einschieben müssen. Auf einmal sind die Menschen - und potentielle Kunden - bargeldlos. Natürlich kann man auch in Indien bargeldlos per Bank- oder Kreditkarte zahlen - sicherlich in Einkaufszentren und größeren Geschäften - aber nicht alle Kunden sind im Besitz solcher Karten oder gar Bankkonten, ebensowenig wie die Geschäfte, gerade die des unorganisierten Einzelhandels, sich im Besitz eines Kreditkartengeräts befinden.

Die Textil- und Bekleidungsindustrie ist wie jeder andere Sektor der indischen Wirtschaft von der Geldentwertung betroffen und manch ein Einzel- und Zwischenhändler beziehungsweise Hersteller hat sie schon verflucht. „Die Situation ist kritisch und ich weiß nicht, wie ich in einer solchen Situation Geschäfte machen soll. Wir hoffen, dass sich die Lage in den kommenden Wochen bessert”, wurde Chainroop Banthia, Präsident des Verbands der Stofflieferanten mit Sitz in Mumbai, von Fibre2Fashion zitiert als er seine Bedenken angesichts plötzlich gefallener Bekleidungsumsätze ausdrückte.

Geldentwertung lässt indische Bevölkerung bargeldlos

„Wir befassen uns mit dem saisonalen Geschäft, Winterware zu verkaufen. Die ersten 15 Tage im November sind kritisch. Die Entwertung alter 500- und 1000-Rupie-Scheine hat uns schwer getroffen. Schon im letzten Jahr war der Umsatz mit Winterbekleidung nicht gut und wir haben auf gute Umsätze in diesem Jahr gehofft. Angesichts der derzeitigen Situation sieht es so aus, als würden uns auch in diesem Jahr Umsätze durch die Lappen gehen”, sagte Sudershan Jain, Präsident des Verbands der Strickwaren- und Bekleidungshersteller von Ludhiana, im Gespräch mit der gleichen Quelle.

Es geht nicht nur um das fehlende Bargeld, sondern auch im die fehlende Zeit zum Einkauf, da potentielle Kunden keine Zeit haben, einkaufen zu gehen, da sie bei ihrer Bank anstehen müssen, um Bargeld für lebensnotwendige Ausgaben wie Lebensmittel, Strom, Wasser und Gas zu haben. Da fühlen sich Ausgaben für nicht-essentielle Dinge wie Bekleidung wie ein Luxus an, den sich nur wenige leisten können. Dies macht sich auf den Strassen bemerkbar und selbst das chronische Verkehrschaos in Städten wie Mumbai bleibt aus, da Märkte und Einkaufszentren deutlich weniger frequentiert sind.

In der Zwischenzeit hoffen Verbraucher und Einzelhändler, dass sich die Dinge in den kommenden Wochen normalisieren und die Umsätze steigen werden, sobald wieder mehr Geld im Umlauf ist. Dies könnte jedoch noch eine Weile dauern.

„Die Entwertung der 500- und 1000-Rupie-Scheine hat den Einzelhandel wie jede andere Branche auch beeinflusst. Die Initiative der Regierung ist auf lange Sicht großartig, aber unsere traditionellen sowie Internetumsätze haben deshalb Einbußen erlitten. Unsere Nachnahmezahlungen sind durch die plötzliche Änderung betroffen. Wir sind jedoch zuversichtlich, dass sich die Situation in angemessener Zeit normalisieren wird”, kommentierte Vivek Mehta, Geschäftsführer, MAS Brands India und amanté.

Während einige Experten wie Atul Mishra, Volkswirt für den Bund der indischen Textilindustrie, darauf verweisen, dass städtische Verbraucher im Internet einkaufen und ihre Bank- oder Kreditkarten benutzen, sollte nicht vergessen werden, dass die beliebteste Zahlungsart für Interneteinkäufe in Indien per Nachnahme ist. Nicht alle Internetkunden besitzen Bank- oder Kreditkarten und werden daher ihre Ausgaben auch online einschränken müssen.

Kleine Händler und der unorganisierte Einzelhandel sind am stärksten betroffen

Kleine Händler des unorganisierten Einzelhandels, die sich oft auf den Verkauf weniger spezieller Artikel wie Socken und Unterwäsche oder Hemden, Schuhe und Hosen spezialisieren, sind am stärksten betroffen. Ihr „Geschäft”, das oft aus nicht mehr als einer auf dem Boden ausgebreiteten Plastikplane oder einem groben Verhau besteht, bietet mit Sicherheit keine bargeldlose Zahlung an - Bargeld macht ihr Geschäft aus und dies ist sicherlich beeinträchtigt. Sie können nur auf eine schnelle Entspannung der Situation hoffen, aber die könnte selbst bestenfalls Monate auf sich warten lassen.

„Der Markt wird schnell Geschäfte machen, sobald der Geldfluss beginnt. In der Zwischenzeit stagniert der Markt. Die Erholung wird Monate dauern”, schätzt Jitendra P. Vakaharia, Präsident des textilverarbeitenden Verbands von Süd-Gujarat.

Derzeit bleibt es bei einem Abhebelimit von 2000 Rupien (rund 27,40 Euro) am Geldautomaten und 10.000 Rupien (rund 137 Euro) von einer Bankfiliale pro Tag, aber nicht mehr als 20.000 Rupien pro Woche. Dieses Limit gilt zunächst bis zum 24. November, könnte aber leicht verlängert werden. Bis dahin werden die Menschen in Indien aus erster Hand lernen, mit wie wenig Bargeld sie auskommen können.

Fotos: 500-Rupien-Scheine - Satish Krishnamurthy; Geldverleiher in Mumbai - Cory Doctorow; Ankündigung an einem Geldautomaten - Satish Krishnamurthy; alle via flickr
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