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Verstummt die Musik im Modehandel?

Von Gastautor:in

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Burna Boy-Poster im G-Star-Laden. Bild: Melvin van Tholl

Mode und Musik sind seit Jahrhunderten untrennbar miteinander verbunden. Ein Duett mit vielen gegenseitigen Vorteilen. Während glitzernde Outfits ein Musikfestival schmücken, stehen dieselben Outfits in Begleitung der Musik im Rampenlicht der Stores. Heutzutage hört man jedoch immer weniger weniger Sounds in Modegeschäften. Und das ist schade, denn Musik ist ein großer Verstärker für das Erlebnis der Kund:innen in einem Geschäft. Besonders in Kombination mit einer schwungvollen Zielgruppenansprache ist sie auch ein wichtiger Zulaufbringer.

Die historische Verbindung: von Opernhäusern zu TikTok-Streams

Die Anfänge der Romanze zwischen Musik und Mode sind in keinem Geschichtsbuch festgehalten, sondern datieren ungefähr aus der Zeit, als sich die oberen Gesellschaftsschichten in den aufkommenden Opern- und Konzerthäusern Mitte des 17. Jahrhunderts oder bei prunkvollen Soireen und Maskeraden in ihren Privatsalons vergnügten. Schon damals standen musikalische Darbietungen im Mittelpunkt, bei denen sich Darsteller:innen und Publikum schmückten und sich gegenseitig auszustechen suchten. Vor allem Marie-Antoinettes Ankunft am französischen Hof im 18. Jahrhundert war ein wahrer Katalysator für eine neue gesellschaftliche Bewegung, in der Musik, Kostüme und Prunk vorherrschten. Sie brachte dies aus ihrer Heimat Wien mit, wo Kostümfeste mit Konzertmusik eine berühmte Tradition waren. Die neue Bewegung erregte Aufsehen in den Korridoren der elitären Rückzugsorte, sowohl in Paris als auch weit darüber hinaus.

In den privaten Salons derselben Häuser fanden auch musikalische Kostümvorführungen der Couturiers des Hauses statt, die später ihre eigenen Geschäfte mit Salon und Kammermusik eröffneten. Dies war der Auftakt zu den Salonshows, die sich Mitte des 20. Jahrhunderts zu echten Modeereignissen entwickelten, wie etwa in den Boutiquen von Chanel und Dior. In den 1970er und 1980er Jahren nahm die heutige Modebranche dank der Massenmedien - vor allem dem Aufkommen des Fernsehens und der Popkultur - richtig Fahrt auf. Dann kamen die Mega-Zelte der internationalen Modewochen mit gigantischen Laufstegen, die von Lautsprechern voller Modebeats begleitet wurden. Oft werden sie von engagierten Mode-DJs bedient, die die großen Shows musikalisch so inszenieren, dass die Geschichte der Designer:innen zu ihren Kollektionen lebendig wird. Wie der Top-Mode-DJ Michel Gaubert (unter anderem bei Chanel, Dior, Valentino und Fendi) in einem Interview mit FD Personal sagte: „Ich muss die Show musikalisch visualisieren, und zwar so, dass es mir gelingt, die Stimmung wie in einem Film einzufangen“.

Heutzutage hat sich die Präsentation für Mode und Musik auf die digitale Bühne verlagert. Vor allem auf Instagram und TikTok ist die Reichweite der digitalen Bühne noch größer als auf den physischen Laufstegen und Modenschauen. Modesounds mit schwungvollen Outfits erklingen nun buchstäblich aus unseren Smartphones in allen Ecken der Welt. Denn wenn man ein Video hochlädt, in dem man sein Outfit zeigt, sucht man automatisch nach einem passenden Song. Schließlich ist es uns in Fleisch und Blut übergegangen: Wo Mode ist, da sollte auch Musik sein. Und diese Kombination hat ein immer größeres Publikum: von Dutzenden in den privaten Salons von früher über Hunderte auf den Laufstegen bis hin zu Millionen im Fernsehen und jetzt Milliarden auf den kleinen Bildschirmen. Eine scheppernde Kakophonie im digitalen Spektrum!

Wie ist die Musik in den Modegeschäften?

Aber tritt man heutzutage in ein beliebiges Modegeschäft ein, so fällt die Stille auf. Sowohl musikalisch als auch - was häufiger vorkommt - in der Anzahl der Besucher:innen im Verkaufsraum. Was ist hier los? Zunächst einmal hängt es von der Art des Modegeschäfts ab. In kleinen Boutiquen klingt es oft leiser als in den Filialen der großen Ketten. Aber im Allgemeinen ist es leiser und leiser im Vergleich zu vor 20 Jahren, während die Zahl der Verbraucher:innen enorm gestiegen ist - sowohl physisch durch das Bevölkerungswachstum als auch digital durch das Internet. In der Praxis stoßen Modeunternehmer:innen und Unternehmen schnell auf einige schwerwiegende Probleme.

Das erste ist der finanzielle Aspekt. Denn die Installation und Nutzung eines Musiksystems ist mit hohen Kosten verbunden, die zum Teil auf die Musikrechte zurückzuführen sind. Das weiß auch TikTok, das sich derzeit in einem harten Kampf mit der Universal Music Group um höhere Gebühren für die verwendete Musik befindet. Doch für Modeunternehmer:innen bedeuten die hohen Kosten einen zusätzlichen Druck auf die ohnehin schon stark unter Druck stehenden Margen. Hinzu kommen die praktischen Einwände, zum Beispiel welche Musik gespielt werden soll, wer dafür — technisch — zuständig ist, oder einfach das gegenseitige Nörgeln im Laden über die Playlist oder Kund:innen, die sich über „zu laute“ Musik beschweren.

Sollten Sie aber dennoch in Musik investieren wollen, bieten sich goldene Möglichkeiten. Dabei ist es wichtig, dass Sie wissen, für wen Sie Musik spielen, dass Sie also Ihr Zielpublikum genau beobachten. Es gibt bereits viele Studien, die zeigen, dass Musik im Geschäft eine positive Wirkung auf die Besucher:innen hat, vorausgesetzt, sie ist richtig auf die Zielgruppe zugeschnitten. So zeigt eine Studie von Sena und Buma/Stemra (beide vertreten die Interessen von Musikkünstler:innen) etwa, dass mehr als die Hälfte aller Besucher:innen Musik im Geschäft wichtig genug findet, um länger dort zu verweilen. Vor allem bei jungen Menschen unter 35 Jahren ist dies ein wichtiges Bedürfnis, da Besucher:innen von Geschäften im populären Jugendsegment vor allem auf Top40-Hits, Dance- und Popmusik setzen. Über 35-Jahre-alte Besucher:innen von Luxus-Herrengeschäften schätzen jedochvor allem Lounge-Musik und die über 55-Jährigen hören am liebsten leichte Klassik oder gar keine Musik. Wenn die Musik jedoch nicht ihrem Geschmack oder Markenprofil entspricht oder zu laut ist, legen sie gerne eine Pause ein.

Von Hintergrundmusik zum schwungvollen Einkaufserlebnis

Aber damit die Leute im Laden so richtig in Schwung kommen und vor allem in die Umkleidekabine und an die Kasse gehen, muss man mehr tun, als nur ein Album abzuspielen. Es ist wichtig, aktiv ein Erlebnis zu schaffen, bei dem die Musik neben dem Modeangebot im Mittelpunkt steht. Ich nenne das auch den schwungvollen Zielgruppenansatz. Und das kann von einer zeitlich begrenzten Kampagne bis hin zu einer dauerhaften Performance reichen.

  • So kann man Künstler:innen engagieren und eine Kampagne um sie herum aufbauen, wie es die Jeansmarke G-star Raw kürzlich mit dem nigerianischen Musikkünstler Burna Boy getan hat. In einem raffinierten Werbeclip lässt er seine Afrobeats auf die urbane Szene los und will damit vor allem eine jüngere und multikulturelle Zielgruppe ansprechen. Der Clip zeigt herrlich mitreißende Tanzbewegungen, die einen in den Laden locken. Als ich einen ihrer Läden besuchte, hörte ich tatsächlich die Songs von Burna Boy. Auch visuell wurde ich an diese Zusammenarbeit erinnert. Obwohl ich keinen Einblick in die Folgemaßnahmen dieser Kampagne habe, kann ich mir vorstellen, dass das Einkaufserlebnis mit Live-Tanzwettbewerben - inspiriert von diesem Musikvideo - noch schwungvoller gestaltet werden könnte, was bei der Zielgruppe auf TikTok und Instagram für zusätzliche Begeisterung sorgen könnte.
  • G-Star-Schaufenster mit Burna Boy Bild: Melvin van Tholl
  • Sie könnten auch erwägen, Künstler:innen buchstäblich in Ihr Geschäft zu holen. Das habe ich kürzlich in Bangkok im Geschäft von Gentle Monster, einer angesagten koreanischen Brillenmarke, erlebt. Hunderte von Fans drängten sich vor den Schaufenstern, um einen Blick auf ihre Idole zu erhaschen. In diesem Moment waren die Mitglieder der berühmten K-Pop-Boyband Got7 im Laden. Und wenn man diese Musikstars auch nicht dazu bringen kann, jeden Tag hereinzukommen, stellt man eine K-Pop-Up-Installation mit allen möglichen Modeaccessoires der Band auf. In der Siam Paragon Mall hat man sich das ausgedacht, um die Fans der Boyband Seventeen inmitten ihrer Stars zu fotografieren - auf einer Leinwand - und so einen viralen Effekt in den sozialen Medien zu erzielen. Das wiederum lockte Menschenmassen in die Mall. Und die Modeaccessoires wurden dankend als Souvenirs gekauft.
  • K-Pop Boyband bei Gentle Monster in Bangkok. Bild: Melvin van Tholl
    K-Pop-Up Veranstaltung in Bangkok. Bild: Melvin van Tholl
  • Und selbst wenn Ihr Budget nicht ausreicht, um große Künstler:innen zu engagieren, können Sie sich für ein kreatives Ladenkonzept entscheiden, bei dem Sie eine authentische Verbindung zwischen Mode und Musik herstellen. Das habe ich in einer Vintage-Boutique im Pariser Stadtteil Le Marais gesehen. In einem schwach beleuchteten Raum mit knarrenden Holzböden erklangen alte Chansons auf einem Grammophon, als wäre man in eine Zeitmaschine getreten. Unnötig zu erwähnen, dass die Stimmung gut war. Das galt auch für eine Gruppe amerikanischer Tourist:innen, die an der Kreditkartenmaschine Überstunden machten, um ihre Einkäufe zu bezahlen.

Musikalische Erlebnisse in Ihrem Modegeschäft können ein großer Anreiz sein. Ähnlich wie „Swiftonomics“ - die ankurbelnde Wirkung der Auftritte von Musikstar Taylor Swift auf die lokale oder nationale Wirtschaft - aber auf Mikroebene. Ob es sich nun um eine Zusammenarbeit mit angehenden DJs oder um eine Dressed-to-Dance-Challenge über TikTok handelt - ein schwungvolles Musikerlebnis in Ihrem Geschäft bringt garantiert Musik in die Mode!

Dies ist ein Beitrag von Melvin van Tholl, Customer Experience Architect, bei BLOODY BELIEVERS. Die kreativ-strategische Agentur hilft Marken und Unternehmen dabei, bahnbrechende Lösungen für ihr Kund:innenerlebnis zu entwickeln. Van Tholl ist sowohl für Unternehmen in den Niederlanden als auch im Ausland tätig. In dieser Serie nimmt er Sie mit in die wunderbare Welt der Verbraucher:innen und zeigt Ihnen, wie Sie Ihr Unternehmen auch aus Sicht der Kund:innenerfahrung zukunftssicher machen können.

Dieser Artikel erschien ursprünglich auf FashionUnited.nl. Übersetzt und bearbeitet von Simone Preuss.

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