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Jelmoli: „Auch als Warenhaus muss man Haltung zeigen“

Von Regina Henkel

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Einzelhandel |CEO-INTERVIEW

Im April 2020 übernahm Nina Müller den CEO-Posten von Jelmoli in Zürich. Mitten in der Krise also. Wie geht es dem berühmtesten Warenhaus der Schweiz und mit welchen Konzepten will Nina Müller die Zukunft sichern?

Einen schwierigeren Start kann man sich kaum vorstellen: Wer mitten in der Pandemie die Leitung eines Warenhauses übernimmt, das auf nicht absehbare Zeit geschlossen bleiben muss, braucht starke Nerven und ein starkes Team. Nina Müller, die im April 2020 vom Schmuck-Filialisten Christ zum Züricher Department Store gewechselt ist, hat offenbar beides. Trotz der herausfordernden Rahmenbedingungen eröffnete sie im Herbst neue stationäre Filialen. Statt Rabattaktionen setzt sie auf Haltung und startete zum Black Friday eine Spendenaktion. Hier erklärt die Österreicherin, wie sie das 1833 gegründete Haus mit über 1.000 Angestellten in die Zukunft führen will.

Wie geht es Jelmoli derzeit? Wie ist die aktuelle Situation in der Schweiz?

Nina Müller: Unsere Geschäfte sind offen. Es gibt in der Schweiz derzeit nur ein paar Kantone mit Lockdown. Wir sind sozusagen eine „Insel der Seligen“ - wie lange noch, weiß natürlich niemand. Das Weihnachtsgeschäft läuft sehr gut, mit Umsätzen teilweise über dem Vorjahr. Man spürt, dass die Menschen Freude haben, sich etwas Gutes zu tun. Aber die Kunden legen auch Disziplin an den Tag und halten sich an die nötigen Abstände. Wenn es so bleibt, sind wir auf einem guten Weg. Aufs Jahr gerechnet werden wir voraussichtlich mit einem niedrigen zweistelligen Minus abschließen, aber wir sind näher an der 15 als an der 20. Angesichts der Herausforderungen in diesem Jahr werten wir das durchaus positiv.

Im November war Black Friday, dann startete das Weihnachtsgeschäft. Alles Themen, die normalerweise massenweise Menschen anlocken. Wie gehen Sie als Kaufhaus damit um?

Am Black Friday haben wir noch nie teilgenommen. Im Gegenteil: Statt Rabattaktionen haben wir im Rahmen des Giving Tuesdays als eine Gegenbewegung zum Black Friday eine Spendenaktion pro Einkauf ab 50 Franken durchgeführt, mit der wir unseren Christmas Charity Partner, die Stiftung Theodora, zum Schluss mit einer Spende von über 50.000 Schweizer Franken unterstützen durften. Black Friday passt nicht zu uns und unseren Themen Qualität und bewusster Konsum! Wir haben eine Verantwortung.

Jelmoli ist ein Traditionshaus, das in der Schweiz alle kennen. Erleben Sie im Moment Solidarität von Ihren Kunden?

Das spüren wir auf alle Fälle. Während des Lockdowns konnten wir unsere Kunden ja zumindest im Bereich Lebensmittel weiter bedienen. Wir haben viel positives Feedback bekommen. Auch auf die Reopening-Kampagne „Wir sind füreinander da - #Supportyou local“ im Mai, wo wir schweizerische Brands auf der Fläche präsentiert haben. Unsere Botschaft war: Wir sind auch lokal, unterstützt auch uns! Das ist sehr gut angekommen. Wir werden unser Sortiment auch in Zukunft weiter in Richtung lokale Marken ausbauen.

Sie haben im November zwei neue stationäre Geschäfte im neuen Circle Quartier am Züricher Flughafen eröffnet. Wie geht es den Neuzugängen?

Ja, wir haben im neuen Quartier ein Jelmoli Lifestyle House und ein Sports House eröffnet. Diese neuen Projekte waren ganz wichtig für uns, gerade in diesem Jahr. Sie sprechen für unsere optimistische Stimmung, und das war auch für unsere Mitarbeitenden sehr motivierend. Die Frequenzen sind natürlich den Umständen entsprechend. Aber wir sind zuversichtlich.

Konnten Sie die Miete neu verhandeln?

Das fragen viele! Es geht aber nicht um Mieten, viel wichtiger ist es, jetzt gemeinsame Marketing-Aktivitäten zu planen, um Frequenz zu bringen. Das bringt langfristig viel mehr. Der Flughafen war schon immer interessant als Retail-Destination, und das neue Quartier Circle bietet ein einzigartiges und neuartiges Einkaufserlebnis, das es so in der Schweiz noch nicht gab.

Sie haben Ihre Position erst im April dieses Jahres übernommen. Also mitten in der Krise. Was sind Ihre Pläne für Jelmoli? Was wollen Sie verändern?

Meine grundsätzliche Idee ist es, das Haus lebendiger zu machen, z.B. mit Pop-ups, mit Partnerschaften, oder jetzt gerade mit Weihnachts-Aktivitäten. Unsere Flächen brauchen mehr Abwechslung. Als ich gekommen bin, hatte ich ein klares Bild von Jelmoli vor Augen, es sollte moderner werden und Haltung zeigen. An der Positionierung Premium und Luxus muss sich nichts ändern, aber das Publikum soll jünger werden. Die Strategie findet auch im Verwaltungsrat Unterstützung. In den nächsten drei Jahren soll das Haus umgebaut und modernisiert werden – innen und außen. Auch die Kundenführung wird verändert. Beispielsweise ist die Kinderabteilung neben den Herren, wir hätten sie in Zukunft aber gerne neben den Damen. Auch die Damenwäsche ist neben unserem Selbstbedienungsrestaurant nicht optimal platziert und soll an einen intimeren Bereich wechseln. Es soll neue Restaurants und Gastrokonzepte geben. Es geht um das richtige Zusammenspiel von Erlebnis und Innovation, auf den eigenen und vermieteten Flächen.

Wird es weitere neue Geschäfte geben?

Eine weitere Expansion in den stationären Handel ist nicht geplant. Aber die Umbauten im Haupthaus werden uns in den nächsten drei Jahren beschäftigen.

Sie haben die Begriffe Haltung und bewusster Konsum angesprochen. Was meinen Sie damit?

Ohne Themen wie Sustainability und New Consumption selbst proaktiv anzugehen, wird man unglaubwürdig. Nachhaltigkeit hört nicht bei der Energie auf. Vielen Menschen ist das Thema wichtig. Auch bei uns im Haus hat sich über die Jahre eine kleine Guerilla-Truppe aus ganz verschiedenen Abteilungen zusammengefunden, die das Thema Nachhaltigkeit aktiv angehen möchte. Die kamen auf mich zu und meinten, dass es ihnen ein Anliegen sei. Jetzt wird es umgesetzt. Wir haben Nachhaltigkeit zum strategischen Thema gemacht. Weil das Thema bewegt, bin ich auch sicher, dass es für Kunden relevant ist. Wir versuchen, diesen Bereich weiter auszubauen und setzen auf Innovatoren und lokale Lieferanten. Wir haben beispielsweise in Mitteleuropa als erstes Kaufhaus einen High-End Secondhand Pop-up Shop gemeinsam mit Reawake gestartet, der jetzt aufgrund des Erfolges längerfristig bei uns bleibt. Damit aktivieren wir eine neue Kundschaft für uns.

Sie haben sich als Premiumkaufhaus auch gegen den Verkauf von Pelz ausgesprochen.

Ja, das war schon vor meiner Zeit. Vermutlich erreicht man mit solchen Maßnahmen keine Massen, aber für junge Kunden ist das wirklich relevant. Es geht darum, Haltung zu zeigen.

Wie setzen Sie Nachhaltigkeit im Modesortiment um?

Wir schauen bei den Sortimenten, wie nachhaltig sich Marken entwickeln. Das betrifft die Materialien, die Verpackungen, etc. Da verändert sich gerade viel, und als Händler kann man diese Entwicklungen auch einfordern und gemeinsam angehen. Bei neuen Marken, die wir ins Sortiment aufnehmen, sind vor allem Marken interessant, die sich bereits aktiv mit dem Thema befassen.

Wie sind Sie im Onlinehandel aufgestellt? Wie sieht Ihre digitale Strategie aus?

Wir haben online ein tolles Wachstum gesehen, sind insgesamt im Onlinehandel aber noch recht klein. Der Onlinehandel macht nur einen niedrigen einstelligen Prozentsatz am Umsatz aus. Hier möchten wir definitiv wachsen. Der Relaunch unseres Online-Stores ist für nächstes Frühjahr geplant.

Was haben Sie online vor?

Unser Online Store soll unser digitales Schaufenster werden. Es geht nicht darum, dort unser Gesamtsortiment abzubilden. Ein Omnichannel-Ansatz ist wichtig, weil sich unsere Konsumgewohnheiten geändert haben. Wir schauen zuerst online und informieren uns, und gehen dann ins Geschäft. Oder umgekehrt. Wir wollen uns über alle Kanäle und über die gesamte Customer Journey hinweg mit den Kunden connecten. So lernen wir sie besser kennen und können daraus Vorteile für sie entwickeln. Wir planen z.B. Hemden zu customizen in Kooperation mit SizeMe. Es geht darum, Wünsche besser bedienen zu können.

Wie stehen Sie zum Marktplatz-Thema?

Das ist sicher eher ein mittel- oder langfristiges Thema. Im Moment fehlt noch die technische Ausstattung. Man kann bei ziemlich wenigen Fragen gerade sagen, das schließen wir mal aus. Es ist wichtig, als Unternehmer offen zu sein. Man muss schauen, wie sich das Kundenverhalten entwickelt.

Warenhäuser haben derzeit einen schweren Stand. Wie sieht für Sie die Zukunft der Warenhäuser aus?

Es muss gelingen, dass Department Stores Orte bleiben, die zum Besuch animieren. Gründe dafür gibt es viele: Die Vielfalt des Hauses, die Tiefe des Sortiments, die tollen Menschen im Verkauf und Service, eine aufmerksame und kompetente Beratung. Haltung spielt dabei eine Rolle. Auch als Warenhaus muss man Haltung zeigen zu Themen wie Konsum, Diversity und Kultur. Allgemein sollte ein Austausch zwischen Menschen in einem Department Store der Zukunft stattfinden. Und letztlich geht es um die Persönlichkeit von Jelmoli und ums Kuratieren von Angeboten und Erlebnissen. Wenn wir all das gut meistern, dann werden unsere Kunden auch in Zukunft Lust haben, zu Jelmoli zu kommen, hier zu verweilen, einzukaufen oder zu genießen.

Fotos: Jelmoli

Jelmoli
Nina Müller