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Mädchen schuften sklavenähnlich in Indiens Textilindustrie

Von DPA

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Viele Mädchen in Indien träumen von einer prächtigen Hochzeit. Doch armen Familien fehlt oft das Geld dafür. Also gehen sie einen teuflischen Pakt ein: drei Jahre sklavenähnlicher Arbeit für Hochzeitsgeld.

"Sumangali" ist Tamilisch und bedeutet "die glücklich verheiratete Frau". Mit diesem Schlagwort werben zahlreiche Textilfabrikanten in Tamil Nadu im Süden Indiens. Sie versprechen den jugendlichen Mädchen aus den Armensiedlungen der Region: Wer drei Jahre bei ihnen arbeitet, bekommt am Ende zwischen 60 000 und 150 000 Rupien (850 bis 2100 Euro) ausgezahlt.

Ein verlockendes Angebot - vor allem für Dalits, die ganz am unteren Ende von Indiens Kastenwesen stehen. Denn die Familien der Mädchen müssen traditionell nicht nur ein prächtiges mehrtägiges Hochzeitsfest ausrichten, sondern auch eine oftmals üppige Mitgift zahlen, obwohl dies in Indien eigentlich gesetzlich verboten ist.

Doch meist zerplatzen die Träume der 14- bis 20-Jährigen und ihrer Familien schnell. Denn der vermeintliche Sprung in eine bessere Zukunft ist oft ein Sturz in eine Hölle voller Überstunden, Hunger, Eingesperrtsein und sklavenähnlicher Arbeit. Rund 200 000 Mädchen und junge Frauen würden im Süden Tamil Nadus in den Spinnereien und Textilfabriken im Sumangali-System ausgebeutet, schätzt die Hilfsorganisation Care-Trust.

„Die besten Jahre meines Lebens habe ich eingesperrt zwischen den Wänden einer Fabrik verbracht"

„Das Wohnheim war wie ein Gefängnis, wir durften nicht nach draußen. Nur an sechs oder sieben Tagen im Jahr, an den Feiertagen, konnten wir nach Hause", berichtet Vinitha Natarajan, einst Sumangali-Mädchen. „Die Aufseher haben uns traktiert und beleidigt. Auch nach einer Zwölf-Stunden-Schicht mussten wir manchmal weiterarbeiten, bis zu 16 Stunden am Stück", sagt das schmächtige Mädchen. Heute geht die 17-Jährige dank Unterstützung in der Stadt Sathyamangalam im Distrikt Erode wieder zur Schule.

Nichtregierungsorganisationen berichten, dass einige Unternehmer ihre Arbeiterinnen gut behandeln. Doch viele eben auch nicht. „Sumangali ist nichts anderes als Zwangsarbeit und Schuldknechtschaft", sagt Karnam Kamaraj von der Organisation Read (Rights Education and Development Centre). „Es ist eine zeitgenössische Form der Sklaverei", meint er. Immer wieder gebe es auch Selbstmorde.

Die heute 20-jährige Priyanka Arumugham erzählt, dass sie mit mehr als einem Dutzend anderer Mädchen ein Zimmer teilen musste. In den Fabriken sei es heiß und stickig gewesen, viele litten an Atemwegserkrankungen, Schlaflosigkeit und Allergien. „Ich wurde anämisch und wog am Ende der Vertragszeit nur noch 40 Kilogramm, weil ich unendlich lange die Maschinen füttern musste, die rohe Baumwolle zu Garn spinnen", erklärt sie.

Das Centre for Research on Multinational Corporations (Somo) hat im Oktober eine Studie mit dem Titel "Löchrige Kleider" zum Thema herausgegeben. Darin werden internationale Hersteller, so aus Schweden und Großbritannien, mit den ausbeuterischen Praktiken in Tamil Nadu in Verbindung gebracht. Es gehe um "schwerwiegende Verstöße gegen Arbeiter- und Menschenrechte" in einem der wichtigsten Zentren der Textilindustrie.

Zwar hätten die Hersteller versprochen, der Sache nachzugehen. Doch Somo-Analyst Martje Theuws meint, die Bemühungen der internationalen Konzerne hätten in den Fabrikhallen nur minimale Auswirkungen. „Produzenten, Markenhersteller und Initiativen der Unternehmen zur sozialen Verantwortung akzeptieren de facto den Status quo", sagt er.

Auch die Regierung des Bundesstaates kündigte nach der Studie eine Untersuchung an. „Wir werden etwas unternehmen, wenn Verstöße festgestellt werden, aber wir können keine Programme verbieten, die den Menschen Arbeit geben", sagt Visalakshi Nedunchezhian, Chefin der staatlichen Frauenkommission. Anfragen der Deutschen Presse-Agentur, die besonders große Fabrik Balambika besuchen zu können, wurden abgewiesen. Manager erklärten, bei ihnen würden keine Arbeiterrechte beschnitten.

Trotz aller Mühsal und Erniedrigung - manche, wie die 20 Jahre alte Sheeba Martandam, nehmen nach dem Ablauf der Dreijahresfrist diese Last noch einmal auf sich. Die Armut lasse ihr keine andere Wahl, sagt sie.

„Wir sind ohne Stimme und ertragen die Gräueltaten schweigend", sagt Martandam. „Die besten Jahre meines Lebens, in denen ich zur Schule hätte gehen und die Liebe meiner Eltern erfahren können, sind weg. Ich habe sie eingesperrt zwischen den Wänden einer Fabrik verbracht." ( Siddhartha Kumar, dpa)

Foto: Terre des Hommes

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