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Neue Luxuskund:innen: Wer sie sind und warum sie konsumieren

Von Florence Julienne

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Einzelhandel |Interview

SS24 Chanel Ready to Wear Credits: ©Launchmetrics/spotlight

Während der Corona-Krise verzeichnete der Luxusmarkt einen Umsatzanstieg. Wer sind die neuen Kund:innen und welche Beziehung haben sie zum Luxus?

Um die Hintergründe dieser Entwicklung zu verstehen, hat die französische Agentur Maison BETC, spezialisiert auf Markenstrategieberatung, eine Studie über Luxuskund:innen durchgeführt. Mercedes Erra, Gründerin des Unternehmens, und Clément Boisseau, Mitbegründer und Geschäftsführer, haben FashionUnited Einblicke in die Ergebnisse der Studie gegeben.

Warum haben Sie sich dazu entschlossen, eine Studie über die neuen Beziehungen zum Luxus durchzuführen?

Mercedes Erra: Wir glauben, dass Marken den Menschen dienen und deshalb auf sie zugehen müssen. Dazu müssen wir uns mit grundlegenden Themen auseinandersetzen. Die Beziehung zum Luxus ist eines davon. Sie ermöglicht es uns, die Marken, die wir betreuen, richtig zu positionieren. Wir müssen wissen, welche Ideen am weitesten fortgeschritten sind. Deshalb haben wir diese Studie durchgeführt, die auch Prosument:innen (Anm. der Red.: Menschen, die ein Gut produzieren als auch konsumieren.) einbezieht.

Clément Boisseau: Prosument:innen sind diejenigen Verbraucher:innen, die am proaktivsten sind und zukünftige Trends im Konsum oder in der Gesellschaft vorhersagen können. Wir identifizieren sie anhand von zwölf Fragen, die vor jeder quantitativen Studie gestellt werden. Diese werden online von einem in New York ansässigen Unternehmen durchgeführt. Wir identifizieren Prosument:innen anhand ihrer Fähigkeit, andere zu beeinflussen, durch Aussagen wie: „Meine Freund:innen fragen mich oft, was ich über ein Thema denke“, „Ich interessiere mich für Innovation und Kreativität“, „Ich glaube, dass Unternehmen eine Rolle dabei spielen müssen, die Welt zu verbessern“ und „Meine Beiträge in sozialen Netzwerken werden oft geteilt oder geliked“.

Mercedes Erra, Gründerin und Clément Boisseau, Mitbegründer und Generaldirektor für Strategie von Maison BETC. Bild: BETC

Mercedes Erra: Die Qualität der Studie liegt in den Fragen, die eine klare Aussage erfordern. Gleichzeitig wählen wir eine repräsentative Stichprobe aus, die es uns ermöglicht, die allgemeinen Ansichten der Bevölkerung zu analysieren. Der Unterschied zeigt uns, ob der Konsumtrend weiter steigen oder sich stabilisieren wird.

Clément Boisseau: Diese Studie umfasst eine Stichprobe von 1800 Personen: Gen Z im Alter von 18 bis 25 Jahren, Millennials im Alter von 25 bis 35 Jahren und Boomer ab 50 Jahren. Davon sind 20 Prozent Prosument:innen. Zusätzlich haben wir einen Filter angewendet: Die Personen mussten in den letzten zwei Jahren mindestens zweitausend Euro jährlich für den Kauf von Luxusgütern ausgegeben haben.

Was interessiert Sie an der Beziehung der Menschen zur Welt des Luxus?

Clément Boisseau: Die Studie wurde in neun Ländern durchgeführt, die die größten Luxuskonsument:innen beheimaten: China, Japan, Südkorea, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Frankreich, Deutschland, Großbritannien und die Vereinigten Staaten.

Mercedes Erra: Diese Länder faszinieren Luxuskonzerne wie LVMH, weil sie verstanden haben, dass dort der Luxuskonsum stattfindet. Wir arbeiten mit vielen großen Luxuskonzernen zusammen, darunter LVMH, Kering, Chanel, Richemont und L'Oréal. Daher haben wir ein großes Interesse daran, mit den Marktentwicklungen Schritt zu halten.

Im Luxusbereich kaufen fünf Prozent der Bevölkerung 40 Prozent der Produkte. Diese reichen oder sehr reichen Menschen sind eine ganz spezielle Zielgruppe. Diese Nische hat sich nach dem Coronavirus nicht stark weiterentwickelt, sie wächst nur ein bisschen, weil es immer reichere Menschen gibt – man denke an die Vermögen, die durch das Internet entstanden sind.

Was den Unterschied nach der Pandemie ausmachte, als der Verkauf von Luxusgütern explodierte, war der wohlhabende Teil der Bevölkerung, der Geld für Luxusgüter ausgab. Heute hat diese Bevölkerungsgruppe etwas weniger Geld zur Verfügung und muss sich zwischen einer Reise und einem Luxusartikel entscheiden. Wir haben uns mit dieser breiteren Bevölkerungsschicht beschäftigt, die den Luxusschub ausgelöst hat.

Wenn Sie von Luxus sprechen, welche Art von Produkten meinen Sie?

Mercedes Erra: Wir beziehen alle Luxusprodukte mit ein, aber das Preisniveau von Kleidung macht den Verkauf sehr schwierig. Die stabilste Luxusmarke, wenn es um Mode geht, ist Chanel. Die beiden Marken, die bei LVMH äußerst gut laufen, sind Loro Piana und Sephora. Die meistverkauften Produkte aller Luxusmarken sind Taschen und Parfums. Schönheitsprodukte stehen in Konkurrenz zu spezialisierten Marken wie Lancôme. Es ist schwieriger, ihr Know-how unter Beweis zu stellen.

Was ist die wichtigste Erkenntnis der Studie?

Clément Boisseau: Vor der Corona-Krise gab es das Phänomen des “Luxusschamgefühls”. Wer viel Luxus kaufte, versteckte sich eher. Seitdem beobachten wir eine wachsende Begehrlichkeit und ein offenes Bekenntnis: „Ja, ich kaufe Luxus“, „Ja, ich bewundere Leute, die Luxus tragen“. Auf die Frage „Warum kaufe ich Luxus?“ lautet die häufigste Antwort: „Um mich zu verwöhnen“. Nach drei Jahren der Einschränkungen sind wir nun in einer Phase, in der Menschen acht bis zehn Monate sparen, um sich eine Chanel-Tasche für 11.000 Euro leisten zu können. Ebenso aufschlussreich sind die positiven Reaktionen auf die Aussage: „Ich bewundere Menschen, die sich Luxusgüter leisten können“.

Mercedes Erra: Früher haben Menschen nach Argumenten gesucht, um ihren Konsum zu rechtfertigen. Sie konnten sagen: „Ich kaufe eine Rolex-Uhr, weil sie eine Investition ist. Sie hält lange, ich kann sie meinen Kindern vererben“ – das ist heute nicht mehr der Fall. Ein Paradox in einer Welt des angeblich kontrollierten Konsums.

Gibt es kulturelle Unterschiede?

Clément Boisseau: In Frankreich machen wir aus unserer Vorliebe für Luxus nicht allzu viel. Das ist in den USA, in Südkorea und erst recht in Saudi-Arabien nicht der Fall. 100 Prozent der Gen Z, 73 Prozent der Millennials und 53 Prozent der Boomer bejahen die Aussage „Luxusgüter sind wichtig, weil sie mich zum Träumen bringen“. Dies bestätigt sich auch in den sozialen Netzwerken, in denen junge Menschen international fast ausschließlich Luxusmarken folgen.

Mercedes Erra: Luxus füllt eine Leere mit Träumen und dem Wert der Nachhaltigkeit. Das erklärt seinen Erfolg und warum Luxusmarken zu Medien werden. Sie erzählen der Welt ihre Geschichte, ihre Vergangenheit oder ihre Zukunft. Paris wird bald LVMH sein.

Clément Boisseau: Das hilft uns, den Erfolg der französischen Marke Jacquemus zu verstehen. Wer ist wirklich in den Pop-up in Seoul gegangen? Auf der anderen Seite haben es alle in den sozialen Netzwerken gesehen.

In China ist ein Rückgang des Konsums zu beobachten. Wird dies Auswirkungen auf die Luxuswelt haben?

Mercedes Erra: Im Moment ist alles in Ordnung. Die Parameter ändern sich nur langsam. Ich unterscheide zwischen „Ordnungsthemen“ und „Unordnungsthemen“. Ordnungsthemen rechtfertigen den Kauf eines Luxusartikels. Man kann nicht einfach sagen, dass ein Produkt, das in fünf Minuten gefertigt wurde, Luxus ist. Luxus ist eng mit der Geschichte der Marke verbunden, die von Handwerk, Know-how und Kunstfertigkeit geprägt ist. Bei “Les Journées Particulières de Louis Vuitton“ kann man das Atelier in Asnières und das Koffermuseum besichtigen. Zudem veröffentlicht die Marke Bücher, die die Geschichte des Lederwarenherstellers erzählen. Dies ist auch bei Hermès und Rolex der Fall. Auf der anderen Seite schaffen Marken Voraussetzung für Begeisterung, die oft durch Modedesigner:innen verursacht werden. Beispielsweise als Louis Vuitton Marc Jacobs als Kreativdirektor engagierte, der als erster Mode in die Marke einführte, setzte er provokant das Monogram Canvas neu in Szene.

Der Wunsch nach Luxus entsteht aus der Reibung zwischen diesen beiden Themen, die es auszubalancieren gilt. Nehmen Sie das italienische Modehaus Gucci: Die Markenstrategie ist nicht ausgewogen, weil es die Kontrolle der Künstlerischen Leitung überlässt: zuerst Tom Ford, der auf die sexy Seite setzte, dann Alessandro Michele, der einen barockeren Ansatz verfolgte. Gucci hat keine imaginäre Couture. Chanel und Dior haben sich gut gehalten, weil ihre Gründer:innen ursprünglich Schneider:innen waren. Die Luxusmarken werden durchhalten und sich wieder normal entwickeln, nicht zuletzt dank der Russ:innen, die immer zahlreicher werden und reich sind. Wenn man die Banalität, die die sozialen Netzwerke mit sich gebracht haben, überwindet, ist der Luxus da.

Welches sind, abgesehen vom Traum des Luxus, die Kaufmotive?

Clément Boisseau: Die Begehrlichkeit des Produkts und bei den Jüngeren der Einfluss der sozialen Netzwerke. Auf die Frage „Warum kaufen Sie Luxusgüter?“ lautet die Antwort „in erster Linie wegen des Produkts“. „Ich kaufe Luxusgüter, wenn ich sie in sozialen Netzwerken, bei Influencer:innen oder Prominenten sehe“ bejahen rund 75 Prozent der Gen Z und 73 Prozent der Millennials, während nur 27 Prozent der Babyboomer:innen, die mehr Wert auf das Produkt, die Vermittlung oder das Know-how legen, zustimmen.

Mercedes Erra: Heutzutage geht es bei Modenschauen nicht mehr darum, Kleidung zu verkaufen, sondern darum, gefilmt zu werden. Die Marken investieren Geld, um sichtbar zu sein. Prominente spielen hierbei eine Schlüsselrolle.

Erstreckt sich die Beziehung zu Luxusprodukten auch auf den Lebensstil?

Clément Boisseau: Die Erwartung beginnt mit dem Produkt, aber auf die Aussage „Ich erwarte von Luxusmarken, dass sie mir mehr als ein Produkt bieten, nämlich einen echten Lebensstil“ antworten 88 Prozent der Prosument:innen und 72 Prozent der Mainstreamer:innen mit „Ja“. Luxusmarken sind kulturell geprägt. Häuser wie Saint Laurent oder Louis Vuitton eröffnen Entertainment-Abteilungen, um über die Frage „Welcher Star trägt meine Tasche“ hinauszugehen. Saint Laurent hat drei Filme produziert, die bei den Filmfestspielen in Cannes gezeigt wurden. Sie sind sozusagen die neuen Medici.

Mercedes Erra: Der Luxus ist eine Lebenskunst. Seine kraftvolle Vorstellungskraft ermöglicht es ihm, sich auf viele Bereiche auszudehnen. Im Luxus steckt die Idee, etwas zu erleben: einen Moment zu genießen, in einem Luxushotel zu sein, sich an einem Luxusstrand zu sonnen. In gewisser Weise sind sie zu Marken des Massenkonsums geworden. Alle schauen zu, alle interessieren sich.

Verliert der Luxus dadurch nicht an Seltenheit?

Mercedes Erra: Es ist die Ausweitung des Luxus, um mit den Worten des französischen Schriftstellers Michel Houellebecq zu sprechen. Aber je mehr man sich öffnet, desto mehr muss man die Verankerung betonen, sonst verliert die Marke an Bedeutung.

Ist Paris die Hauptstadt des Luxus?

Clément Boisseau: Auf die Frage „Wo befindet sich Ihrer Meinung nach das Epizentrum des Luxus?“ liegt Paris bei den Prosument:innen mit 47 Prozent und bei den Mainstreamer:innen mit 42 Prozent an erster Stelle. Es folgen New York, Mailand, London, Tokio und Shanghai. Paris bleibt die Hauptstadt des Luxus. Uns wird Kreativität zugeschrieben. Aber auf die Frage, ob der französische Luxus konservativ ist, antworten 50 Prozent der Jüngeren und 22 Prozent der Babyboomer:innen mit Ja. Das könnte auch die Ankunft des US-amerikanischen Musikers Pharrell Williams bei Louis Vuitton erklären.

Wie steht es mit dem Umweltbewusstsein in Bezug auf Luxus?

Clément Boisseau: Die Frage, ob die Luxusindustrie mehr Verantwortung für die Auswirkungen des Klimawandels übernehmen sollte als andere, bejahten 70 Prozent der Prosument:innen und 62 Prozent der Mainstreamer:innen. Dies ist ein Thema in Frankreich, aber auch in Saudi-Arabien, das ein neues Gesellschaftsmodell fördert. Auf die Aussage „Ich glaube, dass Luxusmarken genug tun, um den Klimawandel zu verhindern“ antworteten 65 Prozent der Prosument:innen und 57 Prozent der Mainstreamer:innen mit „Ja“. Warum ist das so? Weil Luxus nachhaltig ist. Sogar die Jüngsten schlagen Kapital daraus. In den sozialen Netzwerken sagen sie: „Ich kaufe diese Celine-Tasche für 4.000 Euro, verkaufe sie aber für 2.000 Euro, also kostet sie mich nur 2.000 Euro.“

Mercedes Erra: Außerdem haben junge Generationen dank der Secondhand-Waren eine Investitionslogik. Sie hinterfragen noch nicht, wie die Artikel hergestellt werden.

Dieser Artikel erschien ursprünglich auf FashionUnited.fr. Übersetzt und bearbeitet von Heide Halama.

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