Onlinehändler Bergfreunde: „Dass der stationäre Handel klimafreundlicher ist, halte ich für einen Mythos“
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Lange hieß es, der Onlinehandel sei ein Klimasünder. Das Verschicken der Pakete und die vielen Retouren haben vor allem dem Bekleidungs-Onlinehandel diesen Stempel aufgedrückt. Doch stimmt das wirklich? Matthias Gebhard, Geschäftsführer der Bergfreunde GmbH, hat dazu eine klare Meinung.
Bergfreude.de ist ein reiner Onlinehändler und vertreibt Outdoor-Bekleidung und Equipment in insgesamt 14 europäischen Märkten. 2020 erwirtschaftete der Pure Player, der seit 2013 zur US-amerikanischen Backcountry Gruppe gehört, einen Umsatz von 155 Millionen Euro. Hauptsitz ist Kirchentellinsfurt und Logistikstandort Ergenzingen bei Tübingen. Vor wenigen Wochen hat sich Bergfreunde der Science Based Targets Initiative (SBTi) angeschlossen und damit öffentlich dazu bekannt, den eigenen CO2-Footprint maximal reduzieren zu wollen. Damit schließt sich Bergfreunde der kleinen aber wachsenden Gruppe an Unternehmen an, die jetzt aktiv Emissionen senken und Verantwortung für den Klimaschutz übernehmen wollen. Bis Oktober 2021 will das Unternehmen validierte Ziele vorlegen, wie das gehen könnte. Wir sprechen mit Matthias Gebhard, einer der zwei Geschäftsführer der Bergfreunde GmbH, über Klimaneutralität, Mythen und „böse“ Retouren.
Sie haben sich im April öffentlich der Science Based Targets Initiative (SBTi) angeschlossen und damit signalisiert, dass Sie Ihren CO2-Footprint maximal reduzieren wollen. Wie wollen Sie das machen?
Wir beschäftigen uns mit dem Thema schon länger und haben 2018 erstmals eine Klimabilanz erstellt. Seit 2019 sind wir klimaneutral, rückwirkend sogar bis zum Gründungsjahr 2006. Das geht nur, indem wir unsere Emissionen kompensieren und in verschiedene Projekte investieren. Aber Kompensationsrechnungen lösen das Problem nicht, sie sind nur der erste Schritt und ein wichtiger Einstieg. Kompensation ist nur die zweitbeste Lösung. Die beste ist es, die Emissionen zu reduzieren! Als nächstes haben wir begonnen, unsere eigene Energie- und Wärmeversorgung umzustellen und effizienter zu machen. Mit den Science Based Targets wollen wir jetzt die nötigen Strukturen schaffen, um unsere Emissionen systematischer zu reduzieren und Ziele zu benennen. Die Science Based Targets sind sozusagen ein Zielkompass, sie diktieren uns den Weg.
Sie wollen Ihre konkreten Ziele aber erst im Herbst benennen. Warum sprechen Sie jetzt schon darüber?
Das geschieht aus drei Überzeugungen. Erstens: Wir schaffen das nicht alleine, wir müssen unser Netzwerk mit ins Boot holen, unsere Partner davon überzeugen, mit uns gemeinsam diesen Weg zu gehen. Das heißt für uns, wir müssen über das Thema reden, um dafür Aufmerksamkeit und Präsenz in der Öffentlichkeit zu erzeugen, damit sich hoffentlich auch andere damit beschäftigen und anfangen, sich zu engagieren. Zweitens bin ich davon überzeugt, dass wir alle noch lernen. Wir müssen lernen, scheitern, darüber reden und weitermachen. Wir brauchen den Austausch. Und drittens müssen wir viel Transparenz erzeugen. Wir machen kein Greenwashing. Das Thema ist uns ganz wichtig.
Wo sehen Sie die größten Stellschrauben um Ihre Emissionen zu reduzieren?
In den Bereichen Scope 1 und 2 geht es um unsere selbstverursachten Emissionen, die lassen sich noch relativ einfach ändern. Unser Ziel ist es, die Emissionen pro Paket um 30 Prozent zu senken. 20 Prozent lassen sich vergleichsweise einfach erreichen, beispielsweise indem wir unsere Energieträger auf 100 Prozent grüne Energie und den Fuhrpark auf E-Autos umstellen. Das ist zwar ein bisschen teurer, aber machbar. Schwieriger wird es im Bereich Scope 3, da geht es um Emissionen, die wir nicht direkt beeinflussen können. Die größten Verbraucher sind Pakete, Verpackung und die Pendelei der Mitarbeiter. Beim letzten Punkt hat Corona schon Einsparungen gebracht - auch für die Zukunft. Aber dennoch kann ich heute bei den letzten zehn Prozent noch nicht mit Sicherheit sagen, ob wir das tatsächlich schaffen – wir glauben aber daran, dass es geht.
Wie gehen Sie das Thema Versand und Verpackung an? Wie wollen Sie da Emissionen sparen?
Die Daumenregel lautet, eine Tonne Papier erzeugt eine Tonne CO2-Emissionen. Wir haben also erstmal angefangen, die Größe der Pakete zu verringern. Wir versuchen so wenig Luft wie möglich zu verschicken. Dabei zahlen wir pro Paket, nicht pro Volumen. Wirtschaftlich haben wir davon also relativ wenig. Bleibt die Frage, wie man Karton klimaneutraler herstellen kann? Es gibt schon Experimente mit Kartons aus Gras oder Pfandbehälter. Auch die Transportdienstleister investieren bereits in diese Themen. Aber bis wir hier fertige Lösungen haben, dauert es noch.
Wie vermeiden Sie Retouren? Auch die wirken sich negativ auf die Klimabilanz aus.
Natürlich versuchen wir Retouren zu vermeiden wo immer es geht. Beispielsweise durch bessere Größenfinder etc. Aber am Ende des Tages wird das Thema Retouren meiner Meinung nach etwas überbewertet. Der Grundreflex aller ist: Retouren sind böse. Aber ich kann mir kein E-Commerce Modell vorstellen, in dem es keine Retouren gibt. Man muss sie einpreisen. Wenn ich ein Einkaufserlebnis haben will, dann gehört dazu eine gewisse Auswahl, und dann sind auch Retouren unvermeidlich. Dass Retouren als „böse“ gebrandmarkt werden, ist meiner Meinung nach nicht ganz konsequent. Wenn das so wäre, dann ist auch der ganze E-Commerce böse. Studien eines renommierten Beratungshauses belegen außerdem, dass der Onlinehandel im Vergleich zum stationären Handel im Bereich CO2-Ausstoß sogar besser dasteht. Tatsächlich ist der Einkauf im stationären Handel in Deutschland durchschnittlich klimaschädlicher als der Einkauf im Onlinehandel.
Warum?
Im Onlinehandel bewegen wir das Paket gemeinsam mit vielen anderen Paketen relativ effizient direkt zum Kunden. Im stationären Einkauf kommt ein Mensch zur Ware und sitzt womöglich hin und zurück alleine im Auto. So verbraucht er wesentlich mehr CO2 als ein Paket. Dass der stationäre Handel klimafreundlicher ist, halte ich für einen Mythos. Insofern kann ich das Bild vom klimafeindlichen Onlinehandel nicht gelten lassen.
Was passiert bei Ihnen mit der retournierten Ware? Gerade ist Amazon wieder in die Schlagzeilen geraten, weil es Neuware vernichtet.
Mehr als 98 Prozent der Ware, die wir zurückbekommen, verwenden wir wieder. Bei Ware, die sicherheitsrelevant ist, wie zum Beispiel Kletterseile oder Karabiner, geht das natürlich nicht. Natürlich könnte ich die Hürden für Retouren erhöhen, aber wenn der Kunde retournieren will, dann macht er das auch.
Wie stellen Sie Ihr Sortiment auf nachhaltige Produkte um? Welchen Einfluss können Sie als Händler auf die Hersteller ausüben?
Die Produkte kann ich nur bedingt beeinflussen, obwohl dort natürlich der größte Hebel läge. 90 Prozent der Emissionen in den Bereichen Sport und Outdoor werden von den Produkten verursacht. Wir diskutieren mit den Herstellern, um hier besser zu werden. Hier muss auch im Bereich Transparenz noch viel passieren. Es ist extrem schwer, zu sagen, welche Produkte gut sind. Wir können den Kunden oft nur anhand der Siegel erklären, welche Produkte nachhaltiger sind, aber beim Thema Klimaschutz geht das bislang oft noch nicht.
Wie reagieren die Hersteller auf Ihre Wünsche?
Glücklicherweise sind wir in einer tollen Industrie, in der inzwischen jeder das Problembewusstsein hat. Uns muss außerdem klar sein, dass in den nächsten Jahren auch von gesetzlicher Seite mehr Anforderungen hinzu kommen werden. Wenn wir in den nächsten neun Jahren in der EU die Emissionen um 50 Prozent senken wollen, müssen neue Regelungen kommen. Anders geht es nicht. Je früher ich mich als Unternehmer damit beschäftige, desto weniger kalt wird es mich erwischen. Ich glaube deshalb auch, dass Firmen, die in den nächsten fünf Jahren das Thema Klimaschutz nicht klarkriegen, ein Problem bekommen werden.
Wie reagiert Ihre US-amerikanische Muttergesellschaft Backcountry auf Ihre Klimaziele? Werden die dort auch umgesetzt?
Im Bereich Nachhaltigkeit sind eher wir die Vorreiter. Die Kollegen dort übernehmen jetzt gerade erste Ansätze von uns und beschäftigen sich jetzt auch mit dem Thema Klimaschutz.
Fotos: Bergfreunde GmbH