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Provinz schlägt Stadt – wo die Kunden Freunde sind

Von Lisa Dartmann

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Einzelhandel

Die Corona-Krise hat den Einzelhandel eiskalt erwischt. In den Innenstädten fehlt es an Frequenz und immer mehr Läden machen dicht. Gewinner sind die inhabergeführten kleinen Geschäfte, die mit einem ‘blauen Auge’ aus der Krise davon gekommen sind. Ihr Erfolgsrezept: Persönliche Kontakte über Social Media Kanäle pflegen und die Kunden zu Freunden machen.

Verkehrte Welt. Die kleinen Provinzläden wurden vor Corona gerne belächelt, während die gigantischen Lifestyle-Läden der Treffpunkt der modischen Schickeria waren. Die Städte sind die Verlierer und die regionalen Geschäfte die Gewinner der Krise. Viele Menschen arbeiten im Homeoffice und suchen die Sicherheit und Geborgenheit in ihrem Wohnumfeld. Den Weg in die Stadt scheuen sie. Maskenpflicht, die Angst vor Ansteckung und die Sorge um die eigene finanzielle Sicherheit bremsen die Kauflust. Hinzu kommt, dass sich die Konsumenten auf den großen Flächen allein gelassen fühlen. Es fehlt an kompetenter Beratung, da viele Unternehmen Kurzarbeit beantragt haben und sie nun zu wenig Personal haben. Während des Lockdown im Frühjahr haben viele Konsumenten die Vorteile der Kleinstadt entdeckt und bevorzugen sie auch jetzt in der zweiten Corona-Welle. Fernab vom Trubel entspannt und in Ruhe einkaufen, davon haben vor allem kleine und mittelgroße Modegeschäfte im ländlichen Raum und den Stadtteilen abseits der 1A Lagen profitiert. Sie haben neue digitale Kommunikationskanäle zu ihren Kunden erschlossen, virtuelle Beratungsgespräche geführt und Auswahlboxen verschickt. Die Kunden aus der „Notlage“ sind heute ihre treuen Stammkunden. Vor allem schätzen die Konsumenten die persönliche Nähe. Ingrid Pfann, Modegeschäft My Lebensart, Neuötting, bringt es auf den Punkt: „Unsere Kundinnen sind wie Freundinnen für uns, sie vertrauen uns, und die persönliche Ansprache rettet uns in der Krise.“ Mit Video-Botschaften und Live-Modepräsentationen hält sie ihre Kundinnen bei Laune. Sie ist nicht allein. Auf Facebook und Instagram überschlagen sich die Stylingtipps und launigen Botschaften der kleinen Shops.

Foto: Screenshot: mylebensart/Instagram

Die Furcht vor dem Lockdown

In den Sommermonaten lief es ganz gut im Einzelhandel – auch in der Stadt. Jetzt überhäufen sich die Hiobsbotschaften. Die zweite Corona-Welle droht, die Anzahl der „roten“ Städte und Gemeinden steigt. Vor einigen Tagen gab es im Landkreis Berchtesgadener Land den totalen Lockdown. Die Ausgangssperre trifft den Einzelhandel ins Mark und hat viele Händler in eine Schockstarre versetzt. In Düsseldorf und Duisburg wurden vor einigen Tagen die Weihnachtsmärkte abgesagt und andere Städte werden folgen, wenn sich die Zahlen weiterhin so rasant nach oben bewegen. Die Verbraucher sind bei den steigenden Infektionszahlen weniger in der Stadt unterwegs und die Touristen fehlen schon lange. Die Nerven liegen blank und die offiziellen Zahlen stimmen nachdenklich. In den ersten sieben Monaten hat der Einzelhandel fast 30 Prozent seines Umsatzes eingebüßt, hat der HDE Handelsverband Deutschland ermittelt. Viele Flächen verschwinden. Allein Galeria Karstadt Kaufhof macht in diesem Jahr 40 Warenhäuser dicht. Das US-amerikanische Modeunternehmen Abercrombie and Fitch hat vor ein paar Tagen sein Ladenlokal an der Königsallee in Düsseldorf geschlossen. In vielen Innenstädten sieht es derzeit ziemlich öde aus, denn nur wenige Flächen werden wieder neu vermietet. Jetzt macht sich sogar Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier stark für den deutschen Einzelhandel und setzt sich ein für mehr Sonntagsöffnungen im Weihnachtsgeschäft und Überbrückungshilfen.

Enge Kundenbindung

Sabrina Zehmeister, Inhaberin Trendhaus Zirndorf ist tiefenentspannt. Sie lässt sich von den Schreckensszenarien nicht beirren. Ihr Geschäft in der mittelfränkischen Kreisstadt ist gut aufgestellt. „Angst vor der nächsten Welle habe ich nicht“, sagt die sympathische Geschäftsfrau. Ihr Geschäftskonzept basiert auf einer engen Kundenbindung. „Die Shoppinglaune ist nach wie vor da und gerade in diesen unsicheren Zeiten möchten sich unsere Kundinnen etwas Gutes tun“, bestätigt sie. Gleich nach dem Lockdown im Frühjahr hat sie sich um andere Vertriebswege über Social Media gekümmert. Täglich bekommt der Store zehn Anfragen aus ganz Deutschland, freut sich die Einzelhändlerin, die an diesem Tag gerade fünf Pakete mit Komplettoutfits verschickt hat. Entweder kommen die Frauen direkt in das familiär geführte Modegeschäft oder sie shoppen mit Herzenslust von zu Hause aus, entweder über Facebook mit Live Videos aus dem Laden oder virtuell über Whereby. Durch die sehr persönliche Ansprache ist der Kundenstamm gewachsen und auch jetzt in der dunkelroten Phase kaufen die Frauen gerne bei ihr.

Foto: Screenshot: Trendhaus Zirndorf/Instagram

In der Krise sind eine Reihe von Ideen und Konzepten entstanden. Der Shop Local Day am 12. September war der Tag der Einkaufsvielfalt, den kleine und inhabergeführte Läden in Hamburg, Berlin, Köln, München und Luzern, gemeinsam mit ihren Kunden und Kundinnen feierten. Für den Shop Local Day hatten die teilnehmenden Läden ein abwechslungsreiches Programm zusammengestellt. Viele Läden spüren eine große Solidarität. Diese Erfahrung hat auch Maximilian Häßner, Inhaber und Geschäftsführer Textilium, in dem hessischen Ort Nidda gemacht: „Wir müssen immer wieder die Ärmel hochkrempeln und neue kreative Ideen entwickeln. Wir versorgen unsere Kunden mit Trends die sie ablenken und die Lust machen und die sie auch im Home-Office tragen können“.

Foto: Textilium

Shopping-Events und Pakete gepackt

Vorteil für die ländlichen Regionen: Hier treffen nicht so viele Menschen aufeinander und durch die enge Kundenbindung hat der Einzelhandel sehr großes Vertrauen gewonnen. Gerade kleine Städte ermöglichen trotz Maske und Einschränkungen ein entspanntes und sicheres Bummeln. Direkte, persönliche und emotionale Kontakte rund um die Uhr waren ein Erfolgsrezept. Die Einzelhändler haben doppelt so viel gearbeitet wie zu normalen Zeiten. Es wurden Outfits zusammengestellt, Pakete gepackt und persönlich ausgeliefert, soziale Netzwerke gepflegt und über WhatsApp Beratungsgespräche geführt. Es gibt virtuelle Einkaufsbummel und Modepartys für eine begrenzte Teilnehmerzahl. Viele Modegeschäfte mussten sich zunächst einmal mit Instagram & Co. vertraut machen, es war für viele ein Lernprozess, die Outfits und Einzelteile zu fotografieren und ins Netz zu stellen. Das war eine harte Zeit, hat aber den Zusammenhalt gestärkt und es bleibt zu hoffen, dass die Leute in Zukunft wieder mehr persönliche Kontakte suchen. Die Nähe ist auch trotz Abstand zu spüren. Die Corona-Krise erwischte Andrea Buchholz, Inhaber vom Store No 16 in Neuss eiskalt. Sie hatte ihren Store gerade geöffnet, als Corona kam. Nach der Schockstarre hat sie gleich gehandelt und ihr System auf Beratung via Whatsapp und Videochat umgestellt. Sie fotografierte alle Teile und stelle sie in die sozialen Netzwerke, machte Online-Beratung und hielt Video-Konferenzen. Die persönliche Bindung hat sich bezahlt gemacht, denn die Kundinnen sind ihr bis heute treu geblieben.

Foto: Screenshot: Store No 16/Instagram

Dennoch herrscht Ungewissheit. „Wir planen quasi nur noch von Tag zu Tag, maximal von Woche zu Woche“, sagt Maximilian Häßner. Auch beim Nachbestellen ist er vorsichtig. Das Textilhaus mache zwar sehr gute Umsätze und brauche auch entsprechende Warennachlieferungen, aber in welchem Umfang und was ist, wenn doch ein Lockdown kommt und wir die Ware nicht mehr los werden, fragt sich Häßner.

Titelbild: Einkaufstraße Stralsund – Stefan Sauer – dpa/Picture Alliance

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