Retail-Experte Sven Kromer über die Treiber der Konsumlaune und Einkaufsblockaden vor Weihnachten
Wird geladen...
Die Vorweihnachtszeit ist traditionell die umsatzstärkste Phase des Jahres. Aber angesichts des derzeit zurückhaltenden Kaufverhaltens werden die Wochen bis zur Bescherung vielerorts mit Nervosität beobachtet. Welche Erwartungen hat der Handel in diesem Jahr, was treibt die Konsumlaune und warum verspüren Menschen stets häufiger Blockaden beim Weihnachtseinkauf?
Darüber spricht Sven Kromer, Supply Chain Lead für Consumer Industries bei Accenture DACH, im Interview.
Laut einer aktuellen Studie von Accenture planen 60 Prozent der Menschen ihre Weihnachtseinkäufe schon vor Dezember. Wie lief das Vorweihnachtsgeschäft bisher in Deutschland?
Der Handel ist vorsichtig optimistisch. Von dem, was wir hören, plant er auch weiter mit der Prognose, dass die Verbraucher:innen ihre Ausgaben leicht erhöhen. Dennoch, die Stimmung ist nicht euphorisch – es wird jetzt nicht weit über die moderaten Erwartungen gehen. Das haben auch schon die letzten Wochenenden gezeigt. Also “vorsichtiger Optimismus” als Stichwort. Unsicherheiten aufgrund internationaler Konflikte oder wirtschaftlicher Entwicklungen dämpfen die Kauflaune und damit ein stärkeres Wachstum.
In den USA steht ein Präsidentenwechsel bevor, in Deutschland ist die Ampel-Koalition auseinandergefallen. Wirkt sich die politische Unsicherheit auf die Konsumlaune in der Vorweihnachtszeit aus?
Aus meinen Diskussionen mit Händler:innen sehe ich da keinen direkten Zusammenhang zwischen den genannten Ereignissen und dem Kaufverhalten. Die Konsumlaune wird stärker von längerfristig wirkenden Faktoren getrieben, insbesondere der wirtschaftlichen Situation, der Entwicklung der Einkommen und der Kaufkraft – nicht so sehr von einzelnen politischen Ereignissen, ausgenommen hiervon echte Schocks.
Was treibt die Konsumstimmung kurzfristig momentan?
In diesen unsicheren Zeiten suchen fast 40 Prozent der Konsument:innen gezielt nach Schnäppchen in der Vorweihnachtszeit. Dennoch: Vielen Verbraucher:innen geht es nicht unbedingt um das Günstigste, sondern ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis. Laut der Studie suchen 48 Prozent der Befragten die Händler:innen – on- oder offline – wo sie den besten Deal für einen guten Preis bekommen können. “Value for money” ist hier das Stichwort. Diese Suche nach Schnäppchen wird im Moment weiterhin durch die Unsicherheit über die gesamtwirtschaftliche Entwicklung und die Inflation getrieben.
Sie haben auch herausgefunden, dass Verbraucher:innen mit 452 Euro durchschnittlich 10 Prozent mehr als im Vorjahr ausgeben möchten.
Kann die Modebranche von den Mehrausgaben profitieren?
Wir haben in der Studie nicht explizit untersucht, wie sich die Mehrausgaben nach Kategorien aufteilen. Aber wir haben analysiert, wofür insgesamt am meisten Geld ausgegeben wird. 54 Prozent der Befragten planen, ihr Geld für Kleidung, Schuhe oder Schmuck auszugeben. Das ist der größte Teil. Danach kommen dann 46 Prozent für Pflege und Parfum, gefolgt von 39 Prozent für Spielzeug und Computerspiele. Ausgehend von der allgemeinen Entwicklung glaube ich, dass sich Kleidung, Schuhe wachstumsseitig eher am unteren Ende bewegen wird. Es gibt andere Bereiche, die wahrscheinlich stärker von den Mehrausgaben profitieren könnten. Ich denke hier gerade an Unterhaltungselektronik, Spielwaren und Sportartikel, da diese Produkte stets als beliebte Geschenkoptionen gelten.
In der Studie zeigt sich, dass Menschen nach dem besten Preis-Leistungsverhältnis suchen und da ist der Vergleich online einfacher als offline. Aber fast ein Drittel (31 Prozent) der Befragten wollen lieber ihre Geschenke stationär einkaufen. Ist das ein Widerspruch oder eine Frage der Altersgruppe?
Gerade die Jüngeren verknüpfen diese Kanäle stärker und selbstverständlicher. Das ist dann kein Entweder-oder. Sie informieren sich online, machen schnell die Preisvergleiche, wollen das Produkt aber gerade im Fashion-Bereich in der Filiale doch nochmal fühlen und anprobieren. Das verknüpfen sie vielleicht mit einem Erlebnis mit Freund:innen, einem Kinobesuch oder Essen. Dann ist das Shopping, das auch Spaß macht.
Können Sie das Shoppingverhalten offline und online auch noch nach Altersgruppen aufschlüsseln?
Die Ergebnisse bestätigen die Aussagen von eben. So sind das bei den 18-35 Jährigen 24 Prozent der Deutschen, die online browsen und offline kaufen, während es bei den über 60-Jährigen nur 10 Prozent sind. Noch klarer unterscheidet sich das Bild bei einem kompletten Einkauf in der Filiale, also „offline browsen und kaufen“. Hier sind es nur 4 Prozent der Befragten bei den 18-35 Jährigen, während es bei den über 60 Jährigen 29 Prozent sind.
Accenture-Studie: Die Zahlen für Deutschland auf einen Blick
- 48 Prozent der Befragten suchen die Einkaufsstätte, online oder offline, die ihnen den besten Deal für einen guten Preis bietet
- Für fast sechs von zehn Verbraucher:innen (63 Prozent) gehören Preis und Leistung zu den wichtigsten Entscheidungskriterien
- 39 Prozent geben an, in der Vorweihnachtszeit bei Sonderangeboten oder Rabatten einzukaufen
- Verbraucher:innen (70 Prozent) verspüren eine Art Blockade, da sie sich von der Anzahl der Optionen, aus denen sie wählen müssen, überwältigt fühlen.
- Die Mehrheit (78 Prozent) gibt an, den Einkauf aus Frustration oder Unentschlossenheit abzubrechen, und fast jede:r Vierte (24 Prozent) wird woanders einkaufen.
- 2024 planen 26 Prozent der Verbraucher:innen, ihre Weihnachtsausgaben auch für den Kauf von Gutscheinen zu verwenden.
- 59 Prozent haben eine Geschenkkarte erhalten. Davon haben sich 67 Prozent darüber dann auch gefreut. Aber wiederum 30 Prozent von denen, die sie letztes Jahr erhalten haben, haben sie dann nicht eingelöst. Mit einem durchschnittlich nicht eingelösten Wert von 126 Euro.
Dieses Jahr fühlen laut Ihrer Studie fast 70 Prozent der Menschen eine Blockade beim Einkauf von Geschenken. Warum ist das so und ist dieser Anteil gegenüber den Vorjahren gestiegen?
Eine Überforderung durch die vielen Auswahlmöglichkeiten, vor allem zu Weihnachten, hat in den letzten Jahren zugenommen und ist heute ein ernstzunehmender Stressfaktor. Als Reaktion auf diesen "Choice Overload" schieben Kund:innen Entscheidungen auf oder geben sie ganz auf, was wiederum zu Frust führt. Das E-Commerce-Geschäft hat diese Entwicklung noch mal verstärkt. Viele Kund:innen wünschen sich daher eine bessere Strukturierung oder Vorauswahl. Händler, die die Produktauswahl durch gezielte Empfehlungen steuern, sind klar im Vorteil. Generative KI kann hier bei der Kaufentscheidung helfen, indem die Technologie als Einkaufsberatung fungiert.
Sie sehen Gutscheine als eine Möglichkeit, wie der Handel auf die festgestellte Ratlosigkeit beim Weihnachtsshopping reagieren kann. Sechs von zehn Befragten haben vergangenes Jahr bereits welche bekommen. Aber gleichzeitig denken Sie, dass das Potenzial noch nicht ausgeschöpft ist.
Der Handel kann Geschenkgutscheine stärker nutzen, um echten Mehrwert für die Beschenkten zu schaffen. Wir haben gesehen, dass 39 Prozent ihre Gutscheine von Weihnachten 2023 noch nicht eingelöst haben, mit einem Wert von durchschnittlich 126 Euro. Fragt man nach den Gründen, dann haben 41 Prozent nicht das richtige Produkt gefunden, 37 Prozent hatten keine Zeit, 29 Prozent haben es vergessen – alles Gründe, die sich durch ein personalisiertes, durchgängiges Erlebnis mit Geschenkgutscheinen vermeiden lassen. Sich über Nichteinlösungen von Gutscheinen als Händler zu freuen im Sinne von „da haben wir einen schönen Umsatz gemacht und die Kosten dafür fallen nicht an“ ist natürlich etwas kurzsichtig.
Warum?
Sinnvoller ist es , aus einer Perspektive der gesamten Kundenbeziehung zu denken. Zunächst sollten Händler:innen den Beschenkten ein echtes Erlebnis entlang der gesamten Kette von Suche über Einlösung bis zur Nutzung bieten. Überzeugt sie das Erlebnis, verschenken sie selbst wieder Giftcards an andere. Das ist dann nicht nur eine Substitution zum Kauf von Produkten als Geschenk, sondern bringt auch zusätzliches Geschäft, weil Kund:innen damit erfolgreicher stimuliert werden, ihrerseits zu schenken. Hinzu kommt natürlich auch noch die Möglichkeit von Verbundkäufen: Während der Gutschein eingelöst wird, werden zusätzliche komplementäre Produkte oder Service gekauft.
- Vorsichtiger Optimismus im deutschen Weihnachtsgeschäft: trotz leicht erhöhter Ausgabenprognosen dämpfen Unsicherheiten die Kauflaune.
- Preis-Leistungs-Verhältnis und Schnäppchenjagd dominieren: Konsumenten suchen nach den besten Deals, wobei die Modebranche eher verhaltene Zuwächse erwarten kann.
- Blockaden beim Weihnachtseinkauf: Überforderung durch die Auswahl führt zu Aufschub, Abbruch oder Frustration, Gutscheine bieten hier Verbesserungspotenzial.