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So punkten Modehändler:innen als Meister:innen der Verwandlung

Von Gastautor:in

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Einzelhandel |Kommentar

Der Eingang von Cyberdog Camden Bild: Melvin van Tholl

Der Branchenverband INretail Alarm schlägt wegen der Kostensteigerungen im Einzelhandel Alarm. Die erhöhten Kosten bereiten Unternehmer:innen Probleme mit ihrem eigenen Einkommen und auch mit der Kontinuität ihres Geschäfts. Vor allem die Erträge in den Bereichen Mode, Schuhe, Wohnen und Sport stehen unter Druck. Denn sie können die gestiegenen Kosten – Lohnkosten, Miete, Energie und Versicherungen – nicht einfach an die Kundschaft weitergeben, aus Angst, sie für immer an die Konkurrenz zu verlieren. Und die besteht vor allem aus den Online-Shopping-Plattformen mit ihren tiefen oder tieferen Taschen. Aber könnten Mode-Einzelhändler:innen noch über ein strategisches Instrument verfügen, um Preise, Umsätze und Gewinnspannen zu steigern und gleichzeitig die Kundschaft zu halten und - vielleicht sogar - ihren Kund:innenstamm zu erweitern? Melvin van Tholl, Customer Experience Architect der Kreativagentur Bloody Believers, hat sich in einigen angesagten Läden umgesehen.

In der Warteschlange für „ein Stück Transformation“

Es mag wie ein Märchen klingen, aber ich habe es kürzlich in einer der vielen Einkaufsstraßen New Yorks selbst als harte Realität erlebt. Ich sah zum Beispiel überall auf der Straße Banner, die einen lokalen Concept Store als das innovative Einkaufserlebnis anpriesen. Auch ich hatte diesen „Gamechanger“ auf meiner Besuchsliste. Doch als ich den Laden betrat, war ich überwältigt von der Traurigkeit und Trostlosigkeit des Ladens. Seit Jahren hatte ich mich auf dieses Ziel gefreut. Doch wo ich in meiner Gefühlswelt einen warmen Platz für Ekstase und Staunen reserviert hatte, schlug die Ernüchterung kalt und hart zu. Nach einem kurzen - eher flüchtigen - Sprint durch den Laden war ich wieder auf der Straße und mein Blick fiel auf eine sehr lange Schlange auf der anderen Straßenseite. Dort standen Scharen von Menschen - unter ihren Regenschirmen gegen den plätschernden Regen - vor der Tür eines anderen Ladens. Dieser stand zufällig auch auf meiner Liste, allerdings ohne die dazugehörigen Hupen, Glocken und Transparente. Mutig reihte ich mich in die Schlange ein und fragte das enthusiastische Paar vor mir, ob gerade ein Ausverkauf stattfinde. „Nein, es ist ein ganz normaler Tag bei Kith!“, war die Antwort.

Kund:innen stehen vor dem Kith-Geschäft in Soho, NY, Schlange. Bild: Melvin van Tholl

Kith, so heißt das Mode-Epizentrum im New Yorker Stadtteil Soho tatsächlich. Und die Wartezeit betrug zu diesem Zeitpunkt 1,5 Stunden. Trotz des Regenschauers nehmen sie es alle in Kauf. Denn drinnen ist etwas Besonderes los. Kith ist nicht nur eine typische New Yorker Urban-Lifestyle-Marke, sondern vor allem eine Plattform für ungewöhnliche und exklusive Modelinien und Styles. Und genau den einen Style, der der eigenen Identität oder dem eigenen Image den nötigen Kick gibt. Außerdem bringen sie jede Woche eine Reihe neuer Produkte in limitierter Auflage heraus, so dass in den Läden oft ein großes Gedränge herrscht. Und wenn Sie dann in der Umkleidekabine oder mit Ihrem neuen Lieblingsstück in einer Kith-Tasche wieder draußen sind, fühlen Sie sich wie ein anderer Mensch: eine bessere Version von sich selbst. Kurz gesagt: Verwandlung in Aktion! So hat auch Gründer Ronnie Fieg einmal das Kund:innenerlebnis seiner Marke formuliert: das Kleidungsstück, das Lust darauf macht, den ersten Tag des neuen Lebens - wie den Beginn des neuen Schuljahres - so schnell wie möglich zu beginnen.

Dabei dreht sich die Geschichte von Kith um das Gefühl, „unter Freunden zu sein“. Dieses Gefühl inspiriert Kund:innen und Fans in ihrem „Empire State of Mind“ (mit anderen Worten: mach deine eigenen Regeln, folge nicht den gesellschaftlichen Normen) und bestärkt sie in ihrer ansteckenden „Can do“-Mentalität mit einem Gefühl der Zugehörigkeit. Dies spiegelt sich auch in den vielen Kooperationen mit anderen Marken wider - wie BMW, Samsung, Niké, Off White, Star Wars (Disney), New Balance - deren Produkte meist Sammlerstücke sind. Darüber hinaus unterstützt Kith häufig Initiativen in lokalen - benachteiligten - Gemeinden, in denen Menschen Veränderungen in Bezug auf Lebensqualität und persönliche Entwicklung herbeiführen wollen.

So präsentiert sich Kith als wahrer Meister der Verwandlung. Dabei betont das Unternehmen die Identität und Geschichte hinter der Marke. Und verbindet diese mit dem Wunsch der Kunschaft, sich ständig zu verbessern. Diese Profilierung ist das magische, strategische Werkzeug, das das Unterscheidungsvermögen des Modehändlers so weit stärkt, dass er die Besucher:innenzahlen im Geschäft hoch und die Preise - mit relativ großen Margen - im Einklang mit dem von den Käufer:innen wahrgenommenen Wert halten kann. Und diese Profilierung ist die harte Realität hinter dem Erfolg und der unwiderstehlichen Anziehungskraft von Modehändler:innen wie Kith, während ihre Nachbarschaft dahinsiecht. Ich selbst habe die Warteschlange früh verlassen, weil meine Reise nach New York dafür zu kurz war. Das war für mich die harte Realität.

Der zukunftssichere Fall von Cyberdog: Rave, Mode und Einzelhandel ‘rebooten’

Während Kith preislich und imagemäßig eher im urbanen Luxussegment angesiedelt ist, gibt es auch in den etwas zugänglicheren Segmenten Modehändler:innen, die sich als Meister der Verwandlung profilieren. Dieses stärkt ihre Unverwechselbarkeit und beschert ihnen auch mehr Spielraum in der Preisgestaltung als ihrer Konkurrenz. So auch das ganz besondere Modegeschäft Cyberdog im angesagten Londoner Stadtteil Camden. Auf den ersten Blick sieht Cyberdog aus wie ein Indoor-Festivalpark. Mit regem Kommen und Gehen. Beim Betreten fühlt man sich wie in einem Raumschiff, mit vielen leuchtenden futuristischen Elementen in einer Cyborg-Umgebung. Dazu blinken Smartphones, denn dies ist die Walhalla für Instagram, TikTok und Snapchat. Mit der dazugehörigen fluoreszierenden Atmosphäre, der Musik und der Performance-Kunst ist dies ein gelungener Reboot der Rave-Szene der 1990er Jahre.

Cyberdog ist ursprünglich ein Rave-Wear-Shop, dessen Name vom Hund der Besitzer inspiriert wurde: ChiChi - der Weltraum-Chihuahua. Die Geschichte der Marke ist daher sehr kreativ und unverblümt. ChiChi ist als Cyberdog aus dem Rave-Universum auf die Erde gekommen, um die Menschen in aufregende, futuristisch-funkige Klamotten zu bringen, während sie sich in der urbanen Underground-Szene vergnügen. Man erkennt diese Geschichte also in der Identität und im Design des Ladens wieder. Dabei ist es besonders clever, dass sie ihre Geschichte als Lifestyle-Transformer mit zeitgenössischen Comic-Einflüssen, modernen Kunstinstallationen und futuristisch-experimentellen Performances wiederbelebt haben.

Doch der Neustart beschränkt sich nicht auf das Rave-Erbe, denn auch das Modeangebot hat sich weiterentwickelt: von funky Rave zu funky Clubbing & Festivals. Und das schlägt sich in einem aufregenden und schillernden Mix aus Modestilen, Merchandise und Medien nieder. Alles in allem ist Cyberdog der Inbegriff eines Retail-Reboots: Sie profilieren sich klar als Erlebnisplattform für futuristische und rasante Transformationen. Und zielt damit vor allem auf Festivalbesucher:innen, ein aufgeschlossenes Publikum (Urban Underground) und Cosplay-Fans - die sich als Figuren aus Filmen, Spielen oder Büchern verkleiden.

Ein goldenes Händchen, denn vor allem die junge Generation Z ist nicht zu bremsen. Diese Zielgruppe wird jedoch von vielen Modehändler:innen als schwer erreichbar angesehen. Darüber hinaus ist Cyberdog ein Tourist:innenmagnet, da es auf Tripadvisor als Top-Reiseziel bewertet wird. Es ist ihrem Profil als Meister der futuristischen Verwandlung zu verdanken, dass sie sich dort seit 1994 behaupten können. Sogar über ihre Website mit einem 3D-Rundgang durch den Laden können sie den Weg zu billigeren (Internet-)Anbietern abschneiden.

Bei Cyberdog in Londen (drinnen und draußen) Bild: Melvin van Tholl

Profilieren Sie sich auch als Meister:innen der Verwandlung

Im Grunde genommen könnten alle Modehändler:innen Meister:innen der Transformation sein. Die größte Herausforderung besteht darin, dies in ihrer Profilierung und ihrem Kund:innenerlebnis zum Ausdruck zu bringen. Es ist daher empfehlenswert, dies über die Markengeschichte zu tun. Und auch bei der Kund:innenansprache und der Ladengestaltung ist es ratsam, sich als Meister:innen der Transformation zu zeigen. Indem man als Stilexperte Kund:innen durch eine Verwandlung führt und zu diesem Zweck den Laden als stimulierende Bühne nutzt zum Beispiel.

Ich habe dies in einer kleinen Punk-Boutique in London erlebt. Die Besitzerin half einem etwas schüchternen Mädchen in Übergröße in ein Glam-Rock-Korsett. Als sie vor dem Spiegel stand, sagte sie wörtlich: „Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich in einem solchen Korsett so schön aussehen würde“. Wir waren alle begeistert. Schließlich sehnen sich alle Modekonsument:innen nach diesen bezaubernden Momenten der Verwandlung. Und was den Preis angeht, so hatte dieser, wie ich beurteilen konnte, keinen Einfluss mehr. Die Kundin war bereits überzeugt.

Dies ist ein Beitrag von Melvin van Tholl, Customer Experience Architect, von BLOODY BELIEVERS. Die kreativ-strategische Agentur hilft Marken und Unternehmen dabei, bahnbrechende Lösungen für ihr Kund:innenerlebnis zu entwickeln. Van Tholl ist sowohl für Unternehmen in den Niederlanden als auch im Ausland tätig. In dieser Serie nimmt er Sie mit in die wunderbare Welt der Verbraucher:innen und zeigt Ihnen, wie Sie Ihr Unternehmen auch aus Sicht der Kund:innenerfahrung zukunftssicher machen können.

Dieser Artikel erschien ursprünglich auf FashionUnited.nl. Übersetzt und bearbeitet von Simone Preuss.

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