Werden Dessous-Marken auf Second Hand umsteigen?
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Gebrauchte Unterwäsche kaufen – für viele eine abschreckende Vorstellung. Doch die Welt der Unterwäsche interessiert sich zunehmend für den Secondhand-Markt und könnte es schaffen, selbst die Zögerlichsten zu überzeugen. FashionUnited hat sich umgehört.
Am 3. Juni eröffnete Etam in der ersten Etage seines Geschäfts in Lyon-République eine Secondhand-Ecke. Auf den Bügeln hingen gebrauchte BHs, die zuvor von den Kundinnen gegen einen 10-prozentigen Rabattgutschein in der Boutique abgegeben worden waren. Eine bemerkenswerte Initiative für die Branche, denn während der Secondhand-Markt in den letzten Jahren bei Kleidung stark demokratisiert wurde, blieb die Branche der gebrauchten Dessous außen vor.
Heute haben 91 Prozent der Franzosen und Französinnen schon einmal Waren aus zweiter Hand gekauft, so die Studie "ReCommerce 2022" unter der Leitung von Wunderman Thompson, Velvet Consulting und GroupM. In der Modebranche scheint der Gebrauchtwarenkauf auf bestem Wege, so normal wie ein Gebrauchtwagenkauf zu werden. Doch das ist erst der Anfang. Laut einem Bericht von ThredUP aus dem Jahr 2022 wird der Markt für Secondhand-Mode voraussichtlich dreimal so schnell wachsen wie der gesamte globale Bekleidungsmarkt.
Vor ein paar Jahren war das noch beinahe unvorstellbar, das Image eher unsexy. Ähnlich wie heute gebrauchte Unterwäsche abschreckend wirkt, so war der Kauf von bereits getragener Kleidung für viele mit Ekel behaftet oder Pfennigfuchsern vorenthalten. Aber der Klimawandel und das erwachende Umweltbewusstsein neuer Generationen haben der Resale-Branche einen Boost verliehen. Es liegt im Trend, Mode verantwortungsbewusster zu konsumieren.
Marktplätze wie Vestiaire Collective oder Vinted haben ebenfalls erheblich zur Demokratisierung des Marktes beigetragen. Und seit 2020 ist eine Beschleunigung des Eintritts von Modemarken in dieses Segment zu beobachten. Sandro, Bocage, Ami Paris und sogar H&M haben spezielle E-Commerce-Webseiten oder Abteilungen in ihren Geschäften eröffnet. Diese Dynamik könnte auch im Bereich der Unterwäsche zunehmen.
Der Verkauf von Secondhand-Dessous existiert bereits seit langem, aber der Anteil ist im Vergleich zu anderen Märkten immer noch gering. Bei Vestiaire Collective zum Beispiel macht der Anteil dieses Segments an den Verkäufen der Plattform im Durchschnitt etwa ein Prozent aller verkauften Artikel und zwei Prozent der verkauften Damenmode aus (Zahlen, die Vestiaire Collective Anfang Juni FashionUnited mitteilte). Für 2022 gehören die führenden Marken des Segments auf der Plattform überwiegend zur Luxuskategorie: La Perla (997 verkaufte Artikel), Gucci (568), Agent Provocateur (450), Dior (229).
Doch die Plattform mit ihrem umfangreichen Katalog – fünf Millionen Modeartikel – stellt einen Anstieg der Anzahl der verkauften Artikel in der Kategorie Dessous fest: +16 Prozent im Vergleich zu den letzten sechs Monaten. Auch das Bruttohandelsvolumen in diesem Segment stieg in den letzten sechs Monaten um 36 Prozent. Ein Anstieg, der mit dem des gesamten Secondhand-Marktes für Mode übereinstimmt.
Was denken die Marken darüber?
„Es ist etwas, das wir beobachten“, sagte Renaud Cambuzat, Global Chief Creative Officer von Chantelle, auf die Frage, ob die Gruppe den Secondhand-Markt in Betracht zieht. „Das Thema Secondhand ist kein einfaches und leicht zu knackendes Thema für Dessous, intime Produkte. Wir müssen das richtige Modell finden, um etwas anzubieten, das wirklich Sinn macht.“
In der Tat ist der Kauf von gebrauchter Unterwäsche für viele Menschen vor allem aus hygienischen Gründen unangenehm. Es sei jedoch daran erinnert, dass Unterwäsche nicht nur aus Slips und Boxershorts besteht, sondern auch aus Nachthemden, BHs oder Socken. All dies sind Teile, bei denen einige Hemmnisse beseitigt werden könnten.
Nach Ansicht von Cécile Vivier, Marketing- und Kommunikationsdirektorin des Salon International de la Lingerie, muss eine „wichtige Begleitung gegeben werden“, denn “Kund:innen brauchen vielleicht nur ein wenig mehr Erklärung“. Der Verkauf von Dessous muss mehr Aufklärung beinhalten als bei anderen Kleidungsstücken in der Garderobe. Die Herausforderung besteht darin, die Kund:innen zu beruhigen, indem man beispielsweise die Reinigungsschritte erläutert. Es ist kein Zufall, dass bei Etam die Dekoration der neuen Ecke für gebrauchte BHs Waschmaschinen enthält.
Die Marke hat bereits im Vorfeld an diesem pädagogischen Aspekt gearbeitet. Auf Anfrage per E-Mail erklärte Etam: „Wir haben sehr gute Rückmeldungen von unseren Kund:innen erhalten, die sich immer mehr für die Zirkularität der Produkte, die sie kaufen, interessieren. Einerseits dank des Verkaufsteams, das für das Projekt sensibilisiert wurde (Besuch der Verarbeitungskette bis zum Lager und holistische Präsentation des Projekts), was eine klare Erklärung im Geschäft ermöglicht, und andererseits dank der Merchandising-Arbeit, die das Auge anzieht.“
Als verwandter Markt für Dessous bietet der Markt für Bademode bereits Ansätze zu diesem Thema. Die französische Marke Ysé Paris (10 Millionen Euro Umsatz im Jahr 2021) hat zum Beispiel gebrauchte Badeanzüge in einem Pop-up-Store zum Verkauf angeboten, der vom 15. Mai bis Ende Juli geöffnet ist.
„Dieses Jahr haben wir unsere erste zirkuläre Initiative durchgeführt, in der wir Badeanzügen ein zweites Leben gaben“, sagte die Gründerin Clara Blocman-Petit. Das Projekt hat sich auf zwei Achsen entwickelt: die der solidarischen Initiative und des Upcyclings. Die Artikel, die von den Kund:innen in die Boutiquen gebracht werden, werden von der Organisation Hawa au féminin gesammelt, die die Wiedereingliederung von arbeitsmarktfernen Frauen in Frankreich ermöglicht. Der Artikel wird sortiert, gewaschen und verpackt und erhält so ein neues Etikett, „als ob er neu wäre“, betont sie. Anschließend werden vielleicht beschädigte Stellen von Hand gestickt. „Dies ermöglicht eine sinnvolle kreative Arbeit für diese Frauen, die vom Arbeitsmarkt entfernt waren, und die Stücke sind manchmal begehrenswerter als die erste Version. Es handelt sich um Einzelstücke“, so die Gründerin weiter.
Die Marke denkt bereits über eine Fortsetzung des Projekts nach. Mit sieben Verkaufsstellen macht Ysé Paris immerhin 65 Prozent seines Umsatzes online, die Idee wäre also, den Prozess der gebrauchten Bademode zu digitalisieren. Vor allem aber denkt Blocman-Petit bereits darüber nach, wie man das Konzept des Secondhand-Handels am besten auf andere Produktkategorien, insbesondere Dessous, ausdehnen könnte.
Die Marke Etam teilte uns per E-Mail mit, dass sie „sehr stolz darauf” sei, „die erste Dessous-Marke zu sein, die das Tabu der Secondhand-Dessous bricht“. Wir fragten, wie der jüngste Pilotversuch mit Secondhand in Lyon aufgenommen wurde: „Es ist sehr wichtig für uns, dass wir uns zu diesem Thema äußern, um BHs in den Kreislauf einzubeziehen, den sie verdienen, genauso wie ein T-Shirt oder eine Hose. Die ersten Wochen waren sehr positiv: sehr starkes Interesse seitens unserer Kund:innen, der Medien, der Marken, der Branche und unserer internen Teams.“
Das Geschäft mit der gebrauchten Unterwäsche hat jedoch seine Grenzen, nämlich die des Slips. Etam erklärt, dass das Unternehmen sich bei diesem Produkt nicht positionieren möchte, weil es der Meinung ist, dass sie „ein sehr intimes und persönliches Produkt bleiben; bei diesen Produkten orientieren wir uns an Lösungen für die Wiederverwertung am Ende des Lebenszyklus“, so das Unternehmen.
Die Wiederverwertung von Unterwäsche wird auch von der jungen Marke Scandale Eco-lingerie praktiziert. Auf dem Salon International de Lingerie am 20. Juni erklärte der Geschäftsführer, Édouard Roche: „Wir sammeln Teile dank einer Partnerschaft mit einer spezialisierten Firma in Südfrankreich, die es uns ermöglicht, sie Stück für Stück und Stoff für Stoff auseinanderzunehmen. Wir befinden uns derzeit in der Testphase. Wir testen, ob die Robotik es uns ermöglicht, die richtigen Stoffteile an der richtigen Stelle auszuschneiden, um das Material nach Qualität in die richtige Recyclingtonne zu werfen. Wenn das funktioniert, kann es die Lösung für das zweite Leben von Dessous sein“.
Der Secondhand-Markt und Dessous sind also nicht unvereinbar. Ihre Begegnung wird sicherlich anderen Formaten und Konzepten folgen als die der klassischen Prêt-à-porter-Mode, aber es könnte durchaus sein, dass sie in der Zukunft in großem Maßstab gedeihen wird.
Dieser Artikel wurde zuvor auf FashionUnited.fr veröffentlicht. Übersetzung und Bearbeitung: Barbara Russ.