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Wie geht Handel in der Krise?

Von Weixin Zha

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Einzelhandel

Jannika Bock, Managing Director Retail bei Google Germany, spricht beim Handelskongress in Berlin. Bild: FashionUnited

Seit dem Ausbruch der Pandemie musste sich der Handel immer neuen Krisen stellen – von großflächigen Lockdowns bis zu explodierenden Energiepreisen. Gleichzeitig gibt es einen immensen Investitionsbedarf in die Zukunftsthemen Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Wie geht Einzelhandel in Zeiten fortwährender Krisen? Das sagten Expert:innen während des zweitägigen Handelskongresses in Berlin.

Angesichts immer neuer Ausnahmezustände stellt sich nun die Frage, wie wichtig Investitionen in langfristige Themen derzeit sind. Schlagwörter wie Nachhaltigkeit und Omnichannel markierten einst die großen Trends im Handel, zumindest vor der Pandemie. Seitdem rückte mit den Lieferketten-Problemen das Thema Warenverfügbarkeit in den Vordergrund, und mit den steigenden Energiekosten und Inflation auch Kosteneinsparung und Kostenverhältnis.

„Haben wir sechs Jahre lang Themen gemacht, die ihre Relevanz verloren haben?”, fragte Thorsten Zierlein, Partner bei der Unternehmensberatung Deloitte, am Mittwoch bei einem Vortrag während des Handelskongresses in Berlin. „Es geht wieder zu dem zurück, was den Handel über Jahrzehnte ausgemacht hat. Sprich, welches Produkt, verkaufe ich zu welchem Preis an welchen Kunden.”

Back to the basics

Mehr als 90 Prozent der befragten Händler:innen hätten in einer Studie von Deloitte gesagt, dass sie ihr Geschäftsmodell ändern müssen, so Zierlein. Die Frage sei nun: in welche Richtung?

Die angegebenen Prioritäten zeigen eine Rückkehr zu den fundamentalen Koordinaten des Einzelhandels. Für die befragten Unternehmen gehe es erstens um Warenverfügbarkeit und zweitens um Kosteneinsparungen, sagte der Unternehmensberater. Angesichts der durch die Inflation verunsicherten Menschen priorisieren Unternehmen auch ein fair erachtetes Preis-Leistungsverhältnis.

Der Fokus der Handelsunternehmen rückt aktuell dagegen von Themen wie Convenience, digitalen Interaktionen und Metaverse ab, zeigt die Befragung von Deloitte. Interessanterweise sagen aber befragte Kund:innen, dass Themen wie Nachhaltigkeit und Omnichannel weiterhin eine große Rolle für sie spielen.

Prioritäten setzen

Auch das Suchverhalten der Menschen bei Google zeigt, dass das Thema Nachhaltigkeit weiterhin relevant bleibt. So stieg die Suche nach dem Begriff Bio-Siegel um 150 Prozent an, wie eine Präsentation von Jannika Bock, Managing Director Retail bei Google Germany zeigt. Gleichzeitig nahm aber auch die Suche nach dem Schlagwort Inflation um 170 Prozent zu.

Die Verunsicherung der Menschen spiegele sich auch in den Suchanfragen bei Google, die mit “wie” oder “warum” anfangen, so Bock am Donnerstag beim Handelskongress in Berlin. Zum Beispiel: “Warum gibt es Inflation?”

Das Konsumentenverhalten verändere sich in einer stetig steigenden Geschwindigkeit, sagte sie. Als Beispiel nennt Bock die Verschiebung der Saisonalität bei der Suche nach Wintermode in diesem Jahr. Während die Suchanfragen nach Winterjacken in den beiden Vorjahren erst seit Oktober anstiegen und bis in den Dezember hinein hoch blieben, setzten die Suchanfragen 2022 bereits Mitte September ein, um dann bereits Mitte Oktober abzuflachen – wohl weil die Temperaturen noch ungewöhnlich warm waren.

Kein Aufpreis für nachhaltigere Produkte

Auch beim Bedürfnis nach nachhaltigeren Produkten sind derzeit einige Veränderungen bei Sortimenten und Kategorien zu beobachten. Eine Umfrage von Deloitte zeigt, dass Nachhaltigkeit den Menschen zwar weiter wichtig bleibt, aber die Zahlungsbereitschaft stark gesunken ist.

Nur 30 Prozent der Befragten würden 2022 einen Preisaufschlag für nachhaltigere Waren über alle Produktkategorien hinweg akzeptieren, im vergangenen Jahr waren es noch 67 Prozent. Dieses Jahr gaben 70 Prozent der Befragten an, dass sie generell nicht bereit wären, einen zusätzlichen Betrag für nachhaltigere Produkte zu zahlen. Konsument:innen tendierten beispielsweise dazu, weiter nachhaltigere Lebensmittel zu kaufen, aber auf Kosmetika zu verzichten, sagte Egbert Wege, Partner für Customer und Marketing bei Deloitte.

Preis schlägt Convenience

Das Verhalten der Kund:innen verschiebt sich auch beim Thema Omnikanal. Während der Pandemie begannen Menschen Produktkategorien online zu kaufen, die sie noch nie im Internet gekauft haben, nutzen sie jetzt den Onlinekanal, um Verfügbarkeiten und Kosten zu recherchieren.

„Das heißt online bleibt weiter wichtig, aber auch da gibt es eine kleine Verschiebung”, sagte Wege am Mittwoch in Berlin. Preisvergleich und Warenverfügbarkeit seien wichtiger geworden, es geht nicht mehr primär um Online-Erlebnisse wie das Metaverse.

Aktuell sind Kund:innen auch nicht stets bereit, mehr für Convenience zu zahlen, sondern nur da, wo das Preisleistungsverhältnis stimmt. Mehr als 63 Prozent der von Deloitte befragten Menschen seien bereit, zugunsten des Preises auf Convenience zu verzichten. Handelsunternehmen sollten sich nun genau überlegen, wo sie auf Convenience setzen, so Wege.

Bei diesen kurzfristigen Veränderungen stellt sich natürlich die Frage, wie relevant Investitionen in bisherige Handelstrends wie digital sind: „Müssen wir die gesamte Agenda von heute auf morgen ändern?”, fragt Zierlein

Investitionen noch ausstehend

Die Antwort auf diese Frage ist wichtig, weil der Investitionsbedarf bei den Themen Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Weiterbildung von Mitarbeitenden weiter hoch bleibt. Die fünf Millionen europäischen Unternehmen, die im Einzel- und Großhandel tätig sind, müssen hier bis 2030 im Durchschnitt 0,8 bis 1,6 Prozent ihres Umsatzes investieren, zeigt eine Studie der Unternehmensberatung McKinsey für den Verband EuroCommerce.

Das entspricht einer Gesamtsumme von 315 Milliarden Euro, wenn die Branche sich weniger ehrgeizige Ziele setzt oder 615 Milliarden Euro bei ambitionierten Verpflichtungen. Von diesen Ausgaben werden kleinere Unternehmen 10 Prozent schultern, während die Großen 90 Prozent beitragen müssen, schätzt die Studie.

Um nachhaltiger zu werden, müssen Handelsunternehmen zwischen 140 bis 340 Milliarden Euro bis 2030 investieren, um CO2-Emissionen auf Null zu senken, weniger Abfall zu produzieren und stärker kreislauforientierte Unternehmen zu schaffen.

Die digitale Transformation erfordert Investitionen zwischen 150 bis 240 Milliarden Euro über einen Zeitraum von acht Jahren. Dann könnte sich der Sektor zu einer “echten” Omnichannel-Branche entwickeln, die den Kund:innen ein nahtloses Erlebnis bietet, so die Studie. Auch die Automatisierung der gesamten Wertschöpfungskette muss mit Investitionen weiter vorangetrieben werden.

Agil bleiben

„Die langfristige strategische Transformation, das, was die Kundschaft will, bleibt de facto gleich”, sagte Zierlein. Sie wollen weiterhin bequemer, nachhaltiger einkaufen, was bedeutet, dass Themen wie Sofortlieferung, das Metaverse, Omnikanal und digitales Einkaufserlebnis relevant bleiben.

Handelsunternehmen müssen also weiterhin hier investieren. Aber kurzfristig wollen Kund:innen Lösungen für Probleme, die gerade anstehen. Auch bei begrenzten Ressourcen müssen Händler:innen sowohl auf die kurzfristigen als auch langfristigen Anforderungen reagieren.

„Das Kernwort ist Flexibilität”, so Zierlein. Alle Kernprozesse müssen flexibel sein, damit schneller auf Krisen reagiert werden kann.

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