Wie sieht die Arbeit im stationären Einzelhandel im Jahr 2035 aus?
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Wie sieht die Arbeit im Handel im Jahr 2035 aus? Um dieser Frage nachzugehen, hat das EHI Retail Institute GmbH, gemeinsam mit dem Methoden-Partner ScMI (Scenario Management International AG) und HR-Expert:innen aus der Branche ein Szenarioprojekt entwickelt, das mehrere mögliche Entwicklungen für den Handel aufzeigt.
Der stationäre Einzelhandel wird sich in den nächsten zehn Jahren weiter verändern. Dies ist längst allen Akteur:innen im stationären Handel klar, die Fragen, denen das Projekt nachging, lautete daher: Was sind die Stellschrauben, an denen gedreht werden kann, und wie wünschenswert sind diese Veränderungen?
Wie das Arbeiten im stationären Einzelhandel 2035 aussieht, wird bestimmt durch ein Mehr oder Weniger an:
- Innovation
- Digitalisierung
- Substitution menschlicher Arbeit
- Attraktivität des Handels als Arbeitgeber
- Bedeutung persönlicher Interaktion
- Technischer Unterstützung
- Verfügbarkeit von Arbeitskräften
- Mitarbeiterorientierung
- Glaubhaft gelebter Unternehmenskultur
So bietet sich dem Handel die Chance, durch einen hohen Innovationsgrad, neue Handelsformate, neue Berufsfelder und ein neues Selbst- und Mitarbeitendenverständnis die Attraktivität des Handels als Arbeitgeber zu erhöhen, wenn jetzt richtig agiert wird. So lässt sich heute beeinflussen, bei welchem Szenario man 2035 landet.
„Trotz unsicherer und herausfordernder Rahmenbedingungen wird durch die Szenarioanalyse deutlich, dass der Handel eigene Gestaltungsräume hat, um die eigene Arbeitswelt attraktiv und zukunftssicher zu gestalten.“
Acht Szenarien, vier Kernfragen
Daraus entstanden sind acht widerspruchsfreie, plausible Zukunftsszenarien – die einen mehr, die anderen weniger wünschenswert – die sich in vier Kernfragen unterscheiden: Wie offen, „smart“ und innovativ ist der Handel? Wie wird das Verhältnis zwischen Automatisierung und persönlichem Kund:innenkontakt aussehen? Werden Mitarbeitende primär als individuelle Menschen, oder als Ressource innerhalb der Wertkette des Handels betrachte? Wie verstehen sich HR und Unternehmen selbst?
Personal ist der Schlüssel
"Auch wenn aktuell ein Fachkräftemangel herrscht, stellt sich die Frage, inwieweit wir in Zukunft noch eine große Anzahl an Menschen für den stationären Handel benötigen."
Insbesondere in weniger beratungsintensiven Branchen wie im alltäglichen Lebensmitteleinzelhandel – dort wo man nicht auf Erlebnisgastronomie und Delikatessen setzt – wird Automatisierung eine größere Rolle spielen. Hingegen wird der Modehandel auch in Zukunft nicht komplett automatisiert vonstattengehen. Im Gegenteil. Service, Beratung und menschliche Interaktion werden in dieser Branche immer wichtiger. Das macht sie auch für Personal interessanter, denn hier können Mitarbeitende mit zwischenmenschlicher Stärke und Kompetenz glänzen.
Jobs im Handel werden insgesamt interessanter und kreativer. Durch veränderte Anforderungen wird die Zielgruppe erweitert, die sich für diese Posten interessiert. Ein hoher Innovationsgrad bei den Handelsformaten führt zu attraktiveren Jobs. Mitarbeitende auf der Fläche (Blue Collar) nehmen eher interaktivere Rollen ein, und die Kolleg:innen in der Administration (White Collar) übernehmen stärker gestalterische Aufgaben.
Mitarbeiterbindung wird immer wichtiger:
- Persönliche Belange der Mitarbeitenden müssen (noch) stärker berücksichtigt werden
- Mitarbeitende haben einen hohen Anspruch an die eigene Tätigkeit, die persönlich sinnstiftend sein soll
- Rolle von Mitarbeitenden auf der Fläche: höhere Interaktivität, Sinnhaftigkeit und Kundennähe.
- Steigende Bedeutung von HR im Unternehmen und das Selbstverständnis als „Care-Company“.
- HR wird als Kernfunktion verstanden, weil die Mitarbeitenden die wesentliche Ressource und DER Erfolgsfaktor im Handel sind.
- Der Handel und HR konkurriert dabei mit anderen Branchen. Wenn diese glaubwürdiger auf Personalbelange eingehen, wird die Attraktivität des Handels als Arbeitsort im Vergleich gering sein.
Automatisierung, Gamification, KI und Digitalisierung
In den positiven erwarteten Zukunftsszenarien gelingt es, dass sich menschliche und automatisierte Prozesse sinnvoll ergänzen. Digitalisierung führt zur Automatisierung repetitiver Arbeiten. Entlastende Technologie wird sowohl auf der Fläche als auch bei den internen Prozessen mit Wohlwollen und Akzeptanz aufgenommen. Sowohl die Kundschaft, als auch Mitarbeitenden nutzen die Systeme gerne und ohne, dass es bei ihnen zu Stress führt.
"Zentrale Treiber werden Digitalisierung und KI sein – sowohl zur Automatisierung als auch zur Unterstützung von Kund:innen und Mitarbeiter:innen."
In den weniger wünschenswerten Szenarien „Automatisierter Hochleistungshandel“ und „Mitarbeitende als gesichtslose Ressource“ führt die starke Digitalisierung zu einer signifikanten Substitution menschlicher Arbeit auf der Handelsfläche. Dort steht die Steigerung der Effizienz und die Gewinnmaximierung der Unternehmen im Mittelpunkt. Das kann zwar auch den Kund:innen dienen, die einen Fokus auf einen möglichst schnellen und reibungslosen Einkauf legen, wurde aber von den Teilnehmenden als wenig wünschenswert eingestuft.
Vielmehr hat sich Szenario Nummer 4 durchgesetzt, „Innovation, Kooperation &, Vision“, in der sich die positive Stimmung im Handel sich auch auf das Stadtbild und die Einkommensentwicklung überträgt. Den Innenstädten gelingt es darin, ihre Attraktivität durch positive Einkaufserlebnisse zu steigern.
Kernergebnisse
Zusammengefasst wird in den positiv erwarteten Zukünften damit gerechnet, dass es gelingt, durch einen hohen Innovationsgrad im Handel, einer menschlich geprägten, ehrlichen Unternehmenskultur und der ausgeprägten Mitarbeiterorientierung, die Attraktivität des Handels als Arbeitsplatz zu steigern. Omnichannel-Lösungen, Innovation, Kooperation und Vision prägen diese Zukünfte maßgeblich.
In den negativen Szenarien misslingt dies, der Handel ist zu langsam und unwillig, die notwendigen Schritte zu vollziehen, die zu einem zukunftsfähigen Unternehmen führen. In der Konsequenz verschwinden Großfilialist:innenen und kleine Einzelhändler:innen aus den Städten, dies führt zu einem regelrechten „Aussterben“ der Städte.
In der gewünschten Zukunft entwickelt sich die Wirtschaft weitgehend positiv, die Krisenjahre sind vorbei und das mehr an Einkommen wird nicht zwingend gespart, sondern im Handel umgesetzt.
Zu guter Letzt ist auch Politik gefragt: Insbesondere in Sachen Migration muss sie für gute Rahmenbedingungen sorgen. Die Integration von Mitarbeitenden mit Migrationshintergrund gehört ebenso dazu wie eine moderne Bildungslandschaft, damit die zu erwartenden und wünschenswerten Szenarien eintreffen können.