Die Mode der 90er: Ein neues Buch beleuchtet ein Jahrzehnt voller Trends
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Ah, die 90er Jahre. Ein Jahrzehnt aus einem ganz anderen Jahrhundert, ja sogar Jahrtausend. Ihr Image ist tough und ihr Erbe nun reif, erforscht zu werden – im Gegensatz zu den ersten beiden Jahrzehnten des neuen Jahrtausends, die ein bisschen unordentlich und schwer zu fassen waren und zu denen wir noch nicht den nötigen Abstand gewonnen haben. Diejenigen, die damals erwachsen waren, blicken mit Nostalgie auf das Jahrzehnt zurück; diejenigen, die es zum ersten Mal entdecken, sind vielleicht überrascht, wie sehr die Designs der Dekade von Martin Margiela oder Helmut Lang einen Einfluss auf sie ausgeübt haben, ohne dass sie es überhaupt wissen.
Die 90er Jahre waren ein Jahrzehnt der starken und konkurrierenden Trends. Es begann mit einer Abkehr vom Exzess der 80er Jahre, als Minimalismus der neue Luxus wurde. Calvin Kleins simple Slip-Kleider schwebten in New York über den Laufsteg, während in Mailand Jil Sanders klare Linienführung und kontrollierte Farbpalette eine stille Revolution auslösten, lange bevor Phoebe Philo, eine Sander-Nachfolgerin in subtiler Subversion, überhaupt eine Modeschule von innen gesehen hatte. Es endete damit, dass Technologie wie nie zuvor Einzug in die Mode hielt, indem Helmut Lang seine Kollektion per Live-Stream übertrug und die Angst vor dem Jahr 2000 (Stichwort Y2K) umging. Es wurden Halbleitermuster auf Kleidung aufgebracht und Alexander McQueen präsentierte für die Herbst/Winter-Kollektion '99 einen Ganzkörper-Body, der mit LED-Lichtern seine neue Rolle bei Givenchy ausleuchtete.
In ihrem neuen Buch Reinvention and Restlessness; Fashion in the 90s beschreibt Colleen Hill, Kuratorin am Museum at FIT, die gegensätzlichen Bewegungen, die das Jahrzehnt so anziehend machten. Kurt Cobain, Leadsänger von Nirvana, setzte sich in der Grunge-Szene für Gender-Fluidität in Blumenkleidern ein, während Marc Jacobs, heute ein Verfechter für nicht-binäre Mode, 1993 als Designer von Perry Ellis für seine Grunge-inspirierte Kollektion gefeuert und doch gefeiert wurde.
Der starke Einfluss der 90er Jahre auf die heutige Mode
Als Cher Horowitz, der stylische Teenager in dem Film Clueless von 1995, jeden Morgen ihr Outfit durch Antippen eines digitalen Bildschirms auswählte, nahm sie vorweg, wie wir eine Generation später unsere Online-Einkäufe tätigen. Als Alexander McQueen 1999 alternative Wege der Modepräsentation erforschte – etwas, das zeitgenössische Designer bis heute fasziniert – schnallte er das Model Shalom Harlow auf eine Drehscheibe, während ein Roboter ihr weißes Kleid mit gelben und schwarzen Strahlen besprühte.
Funktionale Mode war die damalige Iteration des Minimalismus und Prada-Nylonrucksäcke mit dem inzwischen allgegenwärtigen Dreieckslogo kamen auf den Markt. Kate Moss mit ihrem Heroin-Chic und dem Körper eines vorpubertären Mädchens wurde zum idealen Modelkörper. Eine Antithese zu den gesunden und vor Energie nur so strotzenden Körpern der Supermodels, die ein Relikt der 80er bildeten.
Gewohnt unorthodox und ihren Punk-Wurzeln treu, eröffnete Vivienne Westwood das Jahrzehnt mit ihrer Korsett-gefüllten Portrait-Kollektion, die von den Gemälden des französischen Rokoko-Künstlers François Boucher aus dem 18. Jahrhundert inspiriert war, und ihre Laufstege zeigten üppige, wogende Busen, Bloomers, Bustles und hoch aufragende Plateauschuhe, die Supermodel Naomi Campbell auf ihrem Allerwertesten landen ließen.
Das Jahrzehnt sah auch den Aufstieg des Modestudiums und Central St. Martins in London schien mit jedem Abschlussjahrgang Megastars auszuspucken: Alexander McQueen, John Galliano, Stella McCartney und Hussein Chalayan, der seine Kleidungsstücke vergrub und dann wieder ausgrub. Dekonstruktion war angesagt und Magazine wie Dazed & Confused gaben der Do-it-yourself-Ästhetik des Jahrzehnts eine Plattform. Das fast bankrotte Haus Gucci stellte 1994 Tom Ford als Kreativdirektor ein und läutete damit eine äußerst sexy, glamouröse und erfolgreiche Zeit für das Haus ein, die in deutlichem Gegensatz zum Grandma-Chic des jetzigen kreativen Leiters, Alessandro Michele, steht.
Nachhaltigkeit war noch kein Schlagwort der Modeindustrie, aber Upcycling war bereits ein grundlegendes Merkmal von Martin Margielas Ästhetik, und Sängerin Björk, Muse vieler Designer der 90er Jahre, trug Pullover von ihm aus alten Armeesocken. Globalisierung war in den 90er Jahren ein aufstrebendes Konzept und die Welt schien auf einmal klein und randvoll mit unendlicher Inspiration. Designer begaben sich auf saisonale Inspirationsreisen und brachten Beute mit, die sie kreativ verwerten konnten – eine Praxis, die heute zu Vorwürfen der kulturellen Aneignung führen würde.
Reinvention and Restlessness; Fashion in the 90s von Colleen Hill ist bei Rizzoli erschienen, eine begleitende Ausstellung ist für den Herbst im Museum at FIT geplant.
Dies ist eine Übersetzung eines englischen Beitrags von Jackie Mallon. Jackie Mallon lehrt Mode in New York und ist die Autorin des Buches ‚Silk for the Feed Dogs’, ein Roman, der in der internationalen Modeindustrie spielt. Übersetzung und Bearbeitung: Barbara Russ
Header-Bild: Prada Rucksack, aufgenommen von Jackie Mallon. 2. Vivienne Westwood Plattform-Schuhe von 1993, Foto von Daniel Milner Wikimedia Commons
Prada-Rucksack