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Kunstvolle Collagen: Größte Retrospektive über Gianni Versace im Groninger Museum eröffnet

Von Nora Veerman

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Kultur

Weitere minimalistische Arbeiten von Versace aus den Jahren 1995 und 1996. Rechts, hinter Glas, ein Kleid von Prinzessin Diana. Bild: FashionUnited

Der Modeschöpfer Gianni Versace wäre am 2. Dezember 76 Jahre alt geworden. Wäre er heute noch am Leben, hätte seine Schwester Donatella vielleicht eine große Geburtstagsparty im opulenten Stil für ihn geschmissen. Donatella mochte Partys, ihr Bruder eigentlich nicht so sehr. Er zog es vor, den Abend mit einem Buch oder im Atelier befreundeter Künstler:innen zu verbringen. Wissen und Kunst: Versace saugte sie auf wie ein Schwamm und goss sie in Form von ikonischen Modekollektionen neu.

Allerdings sollte Gianni Versace nur 50 Jahre alt werden. Er wurde im Sommer 1997 von dem Serienmörder Andrew Cunanan vor der Tür seiner Villa in Miami erschossen. Damit ging eine Ära plötzlich zu Ende. Fast drei Jahrzehnten lang war Versace als Designer tätig. Sowohl sein Stil als auch sein Auftreten haben die internationale Modewelt geprägt und ihre Spuren hinterlassen. 25 Jahre nach seinem Tod, an seinem 76. Geburtstag würdigt das Groninger Museum dieses Vermächtnis mit der Eröffnung der bisher größten Gianni Versace-Retrospektive. FashionUnited war bei der Presseeröffnung dabei.

Gianni Versace: Kunstvolle Collagen

Für Gianni Versace, der im südlichsten Zipfel Italiens geboren wurde, scheint der nördlichste Zipfel der Niederlande vielleicht nicht der logischste Ort zu sein. Doch sein Werk fügt sich nahtlos in den Kontext des Groninger Museums ein. Das hat vor allem mit dem Gebäude zu tun. Der Komplex, der von Versaces Landsmann Alessandro Mendini entworfen wurde, ist ein Paradebeispiel für den Postmodernismus in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Anstatt klassisch und symmetrisch zu sein, wie viele archetypische Museen, ist es eine Art Collage aus verschiedenen architektonischen Stilen, und ist mit bunten Kacheln verziert. Es entstand zwischen 1987 und 1994, als Versace mehr oder weniger auf dem Höhepunkt seiner Karriere war und beherbergt ein Museum mit einem starken Fokus auf Design, das auch schon Ausstellungen von Modeschaffenden wie Viktor & Rolf und Azzedine Alaïa beherbergte.

Wie der Architekt Mendini integrierte auch Versace eine Vielzahl von Formen in sein Werk. Dabei war die Kunstgeschichte oft sein Ausgangspunkt. Vom Barock-Stil über florale Stillleben bis hin zu Punk und Pop Art, Versace schöpfte Inspiration aus vielen Einflüssen. In jeder Saison präsentierte er eine neue Collage aus Farben, Motiven und Materialien in ständig wechselnden Atmosphären. Die Kuration der Ausstellung übernahmen Saskia Lubnow und Karl von der Ahé. Sie wollten genau diese Seiten von Gianni Versace zeigen. „Wir wollten deutlich machen, wie viele Facetten er hatte, wie viele verschiedene Inspirationsquellen“, sagt Lubnow in einem Interview kurz nach der Pressevorstellung.

Prachtvolle Drucke von Gianni Versace. Bild: FashionUnited

Die Ausstellung beginnt mit klassischen Designs von Versace. Es sind Arbeiten aus den Anfangsjahren seiner 1978 gründete Marke, und aus den Jahren davor, als er noch für die Mailänder Modehäuser Genny und Gallaghan entwarf. Mehrere Entwürfe aus dieser Zeit sind in der Ausstellung zu sehen: Griechisch anmutende Tuniken und Hosen mit Falten, aus einfarbigen Stoffen oder glänzendem Metallgewebe.

Diese Vorliebe für das Griechische hat mit den Ursprüngen von Versace zu tun. Versace stammte aus Kalabrien, einer Region Italiens, die zwischen 800 und 600 v. Chr. von den Griechen erobert worden war und in der noch viele Überreste des damaligen griechischen Reiches zu finden sind. Griechische Silhouetten und Motive, wie beispielsweise das Greca-Ornament, sollten später in Versaces Werk immer wieder auftauchen. Im Jahr 1993 wurde der Kopf der Medusa, einer Figur aus der griechischen Mythologie, zum Logo von Versace. Medusa erscheint in den Mythen als schöne, aber verfluchte Figur mit sich windenden Schlangen auf dem Kopf anstelle von Haaren. Jeder, der sie ansieht, wird zu Stein. Sie ist Schönheit und Gefahr zugleich: Sie fängt den Blick der Betrachtenden ein, die sich dann nicht mehr losreißen können.

Gefangene Blicke

Wer den Rest der Ausstellung sieht, versteht, warum diese Metapher so passend ist. In jedem Raum werden eine oder mehrere Kollektionen auf der Grundlage einer Inspirationsquelle ausgestellt. Das kann eine Kunstbewegung sein oder ein Ort wie Miami Beach, wo Versace eine Villa kaufte, als er erfolgreich wurde. Er ließ ein Medusa-Mosaik im Garten verlegen.

Die Kollektionen sind echte Hingucker. So auch die Pop-Art-Kollektion für Frühjahr/Sommer 1991: Dazu gehören ein Kleid, das mit Andy Warhol-Porträts von Marilyn Monroe und James Dean verziert ist, und ein Kleid, das mit Vogue-Covern in leuchtenden Farben bedruckt ist. Im selben Raum befinden sich Ensembles mit Schmetterlingsmotiven, Leopardenprints und einem Trompe-l'oeil-Druck von Theatervorhängen. Sie sind fast schwindelerregend.

Versace Silhouetten inspiriert von Miami Beach. Bild: FashionUnited

Die Kollektion, die vielleicht die meisten Blicke auf sich zog, war die Herbst/Winter-Kollektion 1992 mit dem Titel ‚Miss S&M‘. Es war eine provokante Kollektion, überwiegend in Schwarz, mit viel Leder, Riemen und Cutouts. Eine Anspielung auf die Kleidung, die in BDSM-Gemeinschaften getragen wird.

Die Kollektion schockierte mit den Titel ‚Miss S&M‘

Die Kollektion wurde in den 1990er-Jahren stark kritisiert, zum Beispiel von der Modejournalistin Suzy Menkes, die der Meinung war, dass die Kollektion Frauen objektiviere. Aber es gab auch andere Töne. Im selben Jahr stahl die Schauspielerin Elizabeth Hurley bei der Filmpremiere von ‚Vier Hochzeiten und ein Todesfall‘ allen die Show. Sie trug ein Kleid aus der Kollektion mit offenen Seitschlitzen, die scheinbar von goldfarbenen Sicherheitsnadeln zusammengehalten wurden – es war der Moment, der sie schlagartig weltberühmt machte. Hurley sagte über das Kleid und über Versace im Allgemeinen: „Im Gegensatz zu den meisten Designern entwirft Versace seine Kleider nicht, um die weibliche Form zu eliminieren, sondern um sie zu feiern.“

Hurley selbst hatte keine Rolle in dem Film: Sie war das Date des Hauptdarstellers Hugh Grant. Neben Hurley hat Versace auch andere Menschen berühmt gemacht, und sie ihn. So entwarf er beispielsweise für Berühmtheiten wie Elton John, Prince, Madonna und Prinzessin Diana. Auch seine Model-Casts waren hochkarätig: Versace engagierte regelmäßig Supermodels wie Naomi Campbell, Cindy Crawford, Linda Evangelista und Claudia Schiffer für seine Schauen.

Kleider aus New York, Knöpfe aus Mailand

Zwei Spitzenstücke der Ausstellung, Hurleys Kleid und eines, das von Prinzessin Diana getragen wurde, wurden vom Metropolitan Museum in New York geliehen. Die meisten anderen Stücke in der Ausstellung stammen jedoch aus privaten Sammlungen. Die Ausstellung kam auch durch sie zustande: Lubnow und Von der Ahé trafen vor einigen Jahren einen der Sammler und kamen ins Gespräch über seine Sammlung. Sie brachten weitere Sammler:innen und Sponsor:innen zusammen, und nach sechs Monaten fand die erste Ausstellung statt. Damals war das noch in Berlin, der Heimatstadt von Lubnow und Von der Ahé. Danach ging die Ausstellung auf Reisen: zuerst nach Borås in Schweden und dann nach Groningen.

Die Sammler:innen reisten mit. Am Eröffnungstag in Groningen sind unter anderem die Leihgeberin Doris Brugger, ehemalige PR-Verantwortliche von Gianni Versace, und Franco Jacassi, Inhaber der Mailänder Boutique Vintage Delirium, anwesend. Von ihm stammt unter anderem das Monroe-Kleid, aber er brachte auch eine ganze Kollektion von Knöpfen mit, die speziell für Versace entworfen wurden und in der Ausstellung unter Glasglocken zu sehen sind. Versace hatte ein Auge für Details, so viel ist klar. Diese Details sind in der Ausstellung übrigens hautnah zu studieren; die meisten Silhouetten befinden sich nicht hinter Glas.

Links Skizzen für Versace von Bruno Gianesi, rechts eine Auswahl der für Versace entworfenen Knöpfe. Bild: FashionUnited

Nach dem Tod von Gianni Versace ging die kreative Leitung seiner Marke an seine Schwester Donatella über. Ihre Arbeit wird in der Ausstellung nicht gezeigt: Es ist eine Gianni-Retrospektive, keine Versace-Retrospektive. Doch wer sich das heutige Versace anschaut, wird feststellen, dass es sich immer noch fest an Giannis Erbe anlehnt: Die üppigen Drucke und auch die schwarzen Riemen aus der S&M-Kollektion tauchen immer noch gelegentlich auf, und für die Frühjahr/Sommer-Kollektion 2018 erschienen Supermodels in Drapierungen aus Metallgewebe auf dem Laufsteg.

Es gibt also viel, woraus man sich inspirieren lassen kann, wie die Ausstellung zeigt. „Gianni Versace war ein Mann voller Phantasie“, sagte Brugger bei der Eröffnung. „Er hätte noch zweihundert Jahre leben können.“

Dieser Artikel wurde ähnlich auf FashionUnited.nl veröffentlicht. Übersetzung und redaktionelle Bearbeitung: Barbara Russ

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