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The Chiffon Tranches: Mode-Zar André Leon Talley blickt zurück

Von DPA

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Zwei Frauen, so schreibt André Leon Talley, hätten ihn zu dem Mann gemacht, der er heute ist. Seine Großmutter im US-Bundesstaat North Carolina, die ihn schon als Baby bei sich aufnahm und großzog, weil die Eltern finanziell selbst nicht über die Runden kamen, und die ihm ein erstes Gespür für Mode vermittelte. Und Diana Vreeland, die legendäre frühere «Vogue»-Chefredakteurin, die Talley erste Einblicke in die Branche ermöglichte und ihn dann überall anpries und so seine Karriere ins Rollen brachte. Als beide 1989 kurz nacheinander sterben, stürzt Talley in eine tiefe Depression.

Mit schrillen Accessoires, schreiend bunten bodenlangen Kaftanen und stets königlich schreitendem Gang gibt sich der Mode-Experte und langjährige «Vogue»-Autor nach außen hin meist stark und unantastbar. Jetzt aber hat er seine Autobiografie veröffentlicht - und «The Chiffon Tranches» (auf Deutsch etwa: Die Abschnitte aus Chiffon-Stoff) offenbaren neben allerlei Klatsch und Tratsch unter der Oberfläche viel Trauriges über Talley, der mit 71 Jahren inzwischen gesundheitlich angeschlagen und zurückgezogen in einem Haus nördlich von New York lebt und nur noch selten öffentlich auftritt.

Vor allem schreibt der Mode-Experte über seine berühmten Freunde und Bekannten: Der im vergangenen Jahr gestorbene Star-Designer Karl Lagerfeld und die langjährige Chefin der US-Modezeitschrift «Vogue», Anna Wintour, waren lange Jahre seine engsten Weggefährten, aber Talley kennt und kannte so gut wie alle, die in den vergangenen Jahrzehnten in der Modebranche eine Rolle gespielt haben - von Andy Warhol, Ralph Lauren und Oscar de la Renta über Bianca Jagger, Michelle Obama und Diana Ross bis hin zu Naomi Campbell, Manolo Blahnik, John Galliano, Fürstin Gloria von Thurn und Taxis und Renée Zellweger.

Talley schwärmt viel von den Persönlichkeiten, dem Engagement und der Professionalität der Branche, aber durch all das scheint immer eine eklatante Oberflächlichkeit in Bezug auf persönliche Beziehungen durch. Auf überschwängliche Einladungen und teuere Geschenke folgen oft eiskalte Abschiede.

Besonders Lagerfeld kommt nicht gut weg. Schon beim ersten Treffen anlässlich eines Interviews schenkt er Talley zahlreiche teure Hemden und überschüttet ihn in den Jahren darauf mit weiteren Geschenken - Kleidung, Urlaube, oder schlicht Bargeld. Dafür verlangt der Designer aber laut Talley komplette Loyalität, Unterstützung und Entertainment. Wenn er Talley in ein Ferienhaus zum gemeinsamen Urlaub einlädt beispielsweise, muss dieser immer perfekt angezogen sein und darf sich bloß nicht zweimal am Tag im selben Outfit zeigen.

Trotzdem: «40 Jahre lang war Karl wie ein Bruder für mich», schreibt Talley. «Aber Karl hatte eine Tendenz dazu, Menschen, die er liebte, aus seinem Leben zu verbannen.» Das passiert auch Talley, als sich der Designer fünf Jahre vor seinem Tod ohne ersichtlichen Grund von einem Tag auf den anderen einfach nicht mehr bei ihm meldet.

Mindestens genauso schlecht kommt Anna Wintour weg. Seine erste 2003 Autobiografie ließ Talley noch von seiner früheren Chefin absegnen, inzwischen scheint die Beziehung der beiden endgültig zerbrochen zu sein. «Einfache menschliche Liebenswürdigkeit. Nein, dazu ist sie nicht fähig», schreibt Talley. Jahrelang habe er alles für sie getan, habe sie bei Familienangelegenheiten und jeder Mode-Anprobe unterstützt, aber dann habe sie ihn erst wegen seiner Gewichtszunahme kritisiert und dann von einem Tag auf den anderen nicht mehr im Auftrag der «Vogue» beschäftigt, sich nicht mehr bei ihm gemeldet und keine Weihnachts- oder Geburtstagsgeschenke geschickt.

Talley wirkt zornig, frustriert und enttäuscht und ein unangenehmes Element des Nachtretens überlagert die sonst meist unterhaltsam aufgeschriebene Geschichte seines eigentlich so spannenden Werdegangs.

Zwischen den Zeilen liegt aber eigentlich noch eine - gerade in Zeiten der Massenproteste gegen Rassismus - viel spannendere und tragischere Geschichte: Die, des Afroamerikaners Talley, der sich aus armen Verhältnissen stammend als einer der ersten Schwarzen in der Branche weit nach oben vorarbeitet - der doch immer wieder auf Widerstand und Rassismus trifft und das oft einfach nicht wahrhaben will. Das Buch handele weniger «von der Mode-Elite, sondern mehr von einem schwarzen Jungen aus dem ländlichen Süden, der von den weißen Blicken verschluckt wurde, und am Ende als zu dicker schwarzer Mann, der nicht mehr in die Erzählung gepasst hat, wieder ausgespuckt wurde», schrieb die «New York Times». Daraus habe Talley eine «Kluft» zwischen ihm und seiner Hautfarbe mitgenommen, die das Buch präge.

Am Ende kommt Talley aus seiner Autobiografie als tragische Figur hervor. «Liebe hat es in meinem Leben auf keine Art und Weise gegeben», schreibt er. «Sex war nie auf meinem Radar, sondern nur Erfolg und wenn ich traurig war, habe ich gegessen.» Er sei inzwischen eine «riesige Galeone, die langsam in den Hafen einsegelt, angeschlagen von so vielen Kämpfen», beschreibt Talley sich selbst. «Aber ich spreche weiter mit Artikulation, Eloquenz und Respekt. Ich verbeuge mich vor niemandem und finde meinen Weg durch die Erinnerung daran, was gut war in meinem Leben, das noch nicht vorbei ist. Meine Vergangenheit gibt mir Stärke.»(dpa)

Foto: Roy Rochlin / GETTY IMAGES NORTH AMERICA / Getty Images via AFP

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