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TV-Tipp: Textilmüll - der Kampf gegen Wegwerfmode

Von Simone Preuss

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Kultur
Kleiderberg in der Atacama-Wüste in Chile. Bild: Takayuki Fuchigami Yomiuri The Yomiuri Shimbun / AFP

Wer das Zusammenspiel von Konsumverhalten - gerade durch Fast- und Ultra-Fast-Fashion - und die Müllberge von Textilien im globalen Süden verstehen möchte, sollte sich unbedingt die Dokumentation „Textilmüll - der Kampf gegen Wegwerfmode“ der Planet-E-Reihe des ZDF anschauen. Sie geht der Frage nach, wie aus Wegwerfmode ein Kleiderkreislauf werden könnte.

Der Film beginnt mit Aufnahmen der riesigen Kleiderberge in der chilenischen Atacama-Wüste: Aktivist Juan Jose Saldana, der am Rande der Wüste lebt, spürt illegale Müllhalden auf und dokumentiert sie in den sozialen Medien. „Nach dem großen Skandal versuchen alle, die Kleider möglichst unbemerkt abzuladen“, weiß Saldana.

Ende 2021 drangen Bilder der Textilberge an die Öffentlichkeit und sorgten für Aufsehen. Auf den ersten Blick scheint es seitdem ruhiger geworden zu sein, aber die traurige Wahrheit ist, dass die LKW-Fahrer:innen den Textilmüll jetzt einfach tiefer in die Wüste bringen. Die Kleidung, zu einem großen Teil aus Polyester, wird zudem verbrannt und sendet giftige Dämpfe aus. Neben der Umweltzerstörung sind die Kleiderberge also eine gesundheitliche Belastung für die Anwohner:innen. Und Chile ist kein Einzelfall - auch in Ostafrika gibt es Kleiderberge, die etwa die Umweltschutzorganisation Greenpeace dokumentierte.

Wie kommt es zu diesen Bergen von Textilmüll?

Alle fünf Minuten werden laut Schätzungen der Ellen MacArthur Stiftung etwa eine Million Kleidungsstücke hergestellt; die Menge hat sich damit seit der Jahrtausendwende mehr als verdoppelt. Das alles, weil die Nachfrage gestiegen ist; die Preise sind dabei gefallen. Laut Greenpeace kaufen Deutsche rund 60 Kleidungsstücke pro Jahr, wobei etwa jedes Fünfte ungetragen bleibt.

Und am Ende des Lebens kommen sie in Altkleidercontainer; in Deutschland etwa eine Million Tonnen pro Jahr. Von dort kommen sie in Sortierwerke wie zum Beispiel in Apolda in Thüringen. Weniger als 10 Prozent werden von gemeinnützigen Organisationen angenommen, der Rest zunächst per Hand in grobe Produktgruppen und dann gemäß verschiedener Qualitätsstufen sortiert. Rund 350.000 Alttextilien durchlaufen die Sortierung hier pro Tag.

„Die Sortierung ist mühsam und teuer, doch zahlt sich aus“, sagt Thomas Ahlmann, Geschäftsführer FairWertung e.V. „Nur eine Vollsortierung minimiert die Anteile an Müll”, fügt er hinzu, und diese finanziert sich über den Verkauf von Secondhand-Bekleidung. In Apolda werden jedoch nur 50-55 Prozent der Altkleider als tragbar eingestuft, Tendenz sinkend wegen der schlechten Qualität der Fast-Fashion-Mode.

„Damit bleibt immer mehr fürs Recycling, was nicht kostendeckend ist; der Abfallanteil steigt und muss kostenpflichtig entsorgt werden“, erklärt Ahlmann. “Wenn dieser Anteil immer weiter steigt, kippt das System irgendwann und dann rechnet es sich nicht mehr, und dann wird niemand mehr sammeln und auch niemand mehr sortieren”, warnt er. Aus dem Abfall wird durch Downcycling etwa Putzlappen oder Dämmstoff; der Rest kommt mit dem Hausmüll in die Verbrennung.

In Chile etwa gibt es diese Verwertungsstrukturen nicht; zudem auch keine Einfuhrkontrollen für Importeure. Es gibt kein System am Ende des Lebens der Kleidungsstücke. Für den globalen Norden ist die Verschiffung in den globalen Süden ein ‘aus den Augen, aus dem Sinn Prinzip’. „Die meisten Konsument:innen wissen gar nicht, was mit ihrer alten Kleidung geschickt“, sagt Jochen Strähle, Professor für internationales Modemanagement an der Hochschule Reutlingen. Was ist also die Lösung?

Leihen, Reparieren, Secondhand

Für Vreni Jäckle, Co-Gründerin & Co-Geschäftsführerin der Community-Plattform Fashion Changers, beginnt ein Lösungsansatz auf Konsument:innenseite mit der Frage „Wo ist mein Anteil an diesem Ganzen?” Sie sieht Kleidung als eine Ressource und will eine alternative Modewelt aufzeigen.

“Neu kombinieren statt neu konsumieren”, rät Jäckle und verweist auf das Leihen von Kleidung, ebenso die Reparatur, um zu verstehen, dass getragen und defekt nicht gleich Müll bedeutet. Sie möchte Aufklärung gegen die Wegwerfmentalität leisten. Laut KPMG könnte Secondhand bis 2023 einen Marktanteil von 20 Prozent im Modehandel ausmachen.

Abbau von Textilien

Nicht nur die Masse der Textilien ist jedoch problematisch, auch das Material und ihre Zusammensetzung ist es. Besonders Outdoor-Bekleidung ist in den letzten Jahren durch sehr beständige und resistente “ewige Chemikalien” wie PFCs in Verruf geraten. Sie reichern sich in der Umwelt an und nicht wenige sind toxisch. Polyester bleibt eine Belastung, da es kaum abgebaut werden kann.

Zertifizierungsstellen wie Hohenstein in Baden-Württemberg prüfen Textilien auf schädliche Inhaltsstoffe und versehen sie mit Umweltsiegeln. Sie prüfen auch, wie Textilien im Boden abgebaut werden. „Wenn ein Material aus der Natur kommt, dann gibt es bestimmt Bakterien, die es abbauen“, berichtet Ivonne Schramm, Bereichsleiterin Oeko-Tex bei Hohenstein. „Dies ist einfach bei Baumwolle, aber bei gefärbter Baumwolle schon schwieriger. Ein biologisch abbaubares Kleidungsstück herzustellen ist überaus komplex.”

Zirkuläres Design

Dazu müssten alle Bestandteile berücksichtigt und entsprechend ersetzt werden, zum Beispiel Polyesterknöpfe durch Nussschalen und Nähfäden aus Polyester durch solche aus biologisch abbaubaren Materialien. Hier setzt etwa das Berliner Unternehmen Circular Fashion an, das Marken und Designer:innen dabei hilft, kreislauffähige Kollektionen zu entwickeln.

Faser-zu-Faser Recycling

Eine weitere Möglichkeit, die Textilberge zu reduzieren, ist das Faser-zu-Faser Recycling , das aber technisch noch am Anfang steht. Derzeit werden nur ein Prozent aller Textilien recycelt, da sie aus Mischgeweben wie etwa Baumwolle, Polyester und Elasthan bestehen. Zudem werden sie einer chemischen Behandlung wie Bleichen, Färben oder Imprägnieren unterzogen, was den Recyclingprozess zusätzlich erschwert.

Jede bisherige Möglichkeit des Faser-zu-Faser Recyclings, ob mechanisch oder chemisch, ist derzeit noch teuer. Oder anders ausgedrückt, es ist billiger, ein neues Kleidungsstück zu produzieren, weshalb Unternehmen diesen Weg gehen.

Ein Knopf, der ein digitaler Chip ist, wie ihn etwa Circular Fashion erstellt, kann beim Sortieren und damit beim Recycling helfen: Er enthält die Informationen zur Zusammensetzung eines Kleidungsstücks und für Verbraucher:innen zu Rücknahmestellen am Ende des Lebens eines Produkts.

Politische Vorgaben

All diese Ansätze werden großflächig kaum Früchte tragen, wenn sie nicht politisch unterstützt werden. Das Augenmerk liegt hier auf der Textilstrategie der Europäischen Kommission, die 2022 begann. Ziele sind, dass Fast Fashion bis 2030 (in der EU) beendet sein soll.

Zudem sollen die Textilprodukte auf dem EU-Markt bis dahin langlebig und kreislauffähig sein, größtenteils aus Recyclingfasern und frei von umweltschädlichen Schadstoffen sein.
Und, Hersteller:innen sollen Verantwortung für ihre Produkte übernehmen, auch wenn sie zu Abfall werden. Alle Textilien sollen zudem einen digitalen Produktpass bekommen.

Für Strähle sind diese Anforderungen eine Herausforderung für Textilunternehmen; Umweltschützer:innen bemängeln zudem, dass Textilmüllexporte noch nicht angesprochen, das heißt verboten werden.

“Textilmüll - der Kampf gegen Wegwerfmode”
Ein Film von Tanja Dammertz
Kamera: Felix Greif, Oliver Gurr, Alexis Jentzsch, Oliver Schmieg, Holger Schnitzer
Schnitt: Hauke Ketelsen
Redaktion: Eva Schmidt
Leitung der Sendung: Cathérine Kipp
28 Minuten

DPP
Nachhaltigkeit
Recycling