Biofabricate Summit bringt mit Biomaterialien Lust an Luxusmode zurück
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Bis zum 12. Januar 2024 wurden auf dem Biofabricate Summit im Industriegelände der Fondation Fiminco im Pariser Romainville-Bezirk die innovativsten Unternehmen im Bereich Biomaterialien vorgestellt, was dem Begriff „Mode“ eine neue Bedeutung verlieh.
Die Modebranche steht seit einigen Jahren am Pranger, verstärkt durch die Covid-Krise. Was ist der Grund dafür? Ihr Geschäftsmodell, das auf der Schnelllebigkeit von Trends beruht, passt nicht mehr zu einer umweltbewussten Gesellschaft. Angesichts dieses Dilemmas plädieren einige für Secondhand, andere für den gut überdachten Kauf und wieder andere stürzen sich in Experimente, die noch nach Öl riechen. Suzanne Lee aus den USA, die Gründerin von Biofabricate, stellt die Lösung vor, die das Blatt wenden könnte: Biomaterialien.
Die in Brooklyn, New York beheimatete Visionärin, die sich für Kunst und Biotechnologie begeistert, hat nach einer zuvor in London veranstalteten Tagung Paris – oder besser gesagt, Romainville, einen Ort, der für die üblichen Modefans ungewohnt ist – gewählt, um diese erste europäische Ausgabe des Biofabricate Summits zu eröffnen. Hier stellte sie Trendsetter:innen vor, die in der Lage sind, den Modekonsum zu revolutionieren, aber nicht nur das.
„Mein Ziel hier ist es nicht, dass die Aussteller:innen ihre Produkte verkaufen, wie sie es auf der Lineapelle oder Première Vision tun würden, sondern dass sie Partner:innen kennenlernen, das heißt unter anderem Investor:innen oder zukünftige Mitarbeiter:innen“, sagt sie im Gespräch mit FashionUnited. Warum Romainville? „Weil dieser Ort, bevor er als Künstler:innenresidenz (Fondation Fiminco) diente, Forschende der Pharmakologie beherbergte. Das macht die Wahl dieses Ortes so sinnvoll“, fügt Lee hinzu. Warum Frankreich? „Weil es das Land des Luxus ist. Trotz der Entfernung ist die Eröffnung der Messe am Mittwoch, dem 10. Januar 2024, ein Publikumsmagnet, zu dem unter anderem Teams von LVMH, Kering (Partner der Messe), Chanel und anderen gehören.“
Biomaterialien sind vor allem für Luxusmarken wie Balenciaga und Gucci interessant, da sie einen positiven Kreislauf in Gang setzen können
Aber lassen wir uns nichts vormachen: Die hier vorgestellten Erfindungen sind hauptsächlich für die Luxusgüterbranche bestimmt, die über die finanziellen Mittel verfügt, um mit dieser Art von Technologie zu experimentieren. Und das werden sie auch bleiben, wenn nicht bald öffentliche oder private Investitionen getätigt werden.
In einem eigenen Raum stellt die Kering-Gruppe Artikel aus, die auf der Grundlage von Biomaterialien hergestellt wurden. Der „Maxi Hooded Wrap Coat“ von Balenciaga wurde erstmals im März 2022 auf dem Laufsteg der Herbst/Winter 2022/2023-Modenschau gezeigt. Er besteht aus Ephea (Sqim-Patent), einem Material, das aus Myzel gezüchtet wird und eine reine, chemiefreie Basis darstellt. Ebenfalls zu sehen ist der Mantel aus Lunaform (Gozen), einem Biomaterial, das aus Nanocellulose (einem natürlichen Polymer, das in den Zellwänden von Pflanzen vorkommt) gewonnen und von Mikroorganismen im Zuge einer Fermentation hergestellt wird.
Für Gucci präsentiert Kering den Sneaker „Rhyton“ und die aktualisierte Tasche„Horsebit 1955“. Beide Accessoires sind aus Demetra gefertigt, das zu bis zu 77 Prozent aus pflanzlichen Zutaten besteht (Viskose, Zellulosepulpe und biologisches Polyurethan). „Als Konzern verpflichten wir uns, neue Lösungen zu entwickeln und unser Geschäftsmodell umzugestalten, um unsere Nachhaltigkeitsziele zu erreichen“, kommentierte Marie Claire Daveu, Direktorin für nachhaltige Entwicklung und institutionelle Angelegenheiten bei Kering, in einer Pressemitteilung.
Biomaterialien aus Bioabfällen, natürlichen Proteinen und Algen oder Biomimikry-inspiriert
Auf drei Etagen verteilen sich die Stände des Biofabricate Summit, an denen zahlreiche Experimente zu sehen sind, unter denen sich, auf dem großen Tisch im Hauptraum angerichtet, die unglaublichsten Erfindungen befinden.
OurCarbon zum Beispiel ist ein Material mit negativer Kohlenstoffbilanz, das aus echten Bioabfällen hergestellt wird, angefangen bei Abwasserrückständen, die als Biofeststoffe bekannt sind. Die Technologie trocknet die organischen Materialien mithilfe von Bakterien, sterilisiert sie dann und wandelt sie in einen festen, stabilen Kohlenstoff um.
Mithilfe von Protein-Engineering und Molekularbiologie nutzt Bloom das ungenutzte Potenzial der reichlich vorhandenen natürlichen Restproteine, um skalierbare und nachhaltige Fasern der nächsten Generation zu schaffen, die „so flauschig wie Kaschmir, so fein wie Seide und so funktionell wie Polyester“ sind, wie es in der Präsentation heißt (FashionUnited hat dies nicht überprüft).
Soarce nutzt die einzigartigen Eigenschaften von Nanomaterialien, die aus Algen und Keramik gewonnen werden. Sie verbessern die Farbechtheit, den UV-Schutz, die Feuerfestigkeit und den Glitzereffekt.
Capra Biosciences ist auf die Umwandlung von Kohlenstoffabfällen in saubere und nachhaltige Chemikalien spezialisiert. Retinol (das in der Kosmetik verwendet wird) und Schmierstoffe sind die ersten von vielen Produkten, die mithilfe von Bioreaktoren auf den Markt gebracht werden können.
Pneuma nutzt die künstliche Photosynthese, um sich die Zellen von Mikroalgen zunutze zu machen und so Materialien zu schaffen, die Kohlenstoff binden. Ihr Vorzeigeprodukt Oxya markiert einen Meilenstein in der Materialindustrie als lebendes Material, das so konzipiert ist, dass es aktiv CO2 einfängt und gleichzeitig Sauerstoff freisetzt, was eine vollständige biologische Abbaubarkeit und eine Reduzierung der Kohlenstoffemissionen ermöglicht.
Besonders große Fortschritte bei der Färbung von Textilfasern mit natürlichen Farbstoffen
Der Franzose Benjamin Droguet, der an der Universität von Cambridge (UK) forscht, hat die Begeisterung eines Teams von LVMH geweckt. Sein Start-up-Unternehmen Sparxell lässt sich von den Farben von Tieren wie Schmetterlingen, Käfern, Tauben und anderen inspirieren, um Farbstoffe auf Pflanzenbasis mit Metallic- oder Vibrationseffekt zu entwickeln, die normalerweise aus Metallen, Mineralien oder Farbstoffen in Kombination mit Kunststoffen gewonnen werden.
Das portugiesische Unternehmen Colorifix hat ein Verfahren zur Ablagerung und Fixierung von Pigmenten auf Textilien entwickelt, bei dem die Bakterien, die sich auf den Textilien ansiedeln, direkt gefärbt werden. Ansonsten stößt der Stoff das Färbemittel auf natürliche Weise ab, wenn es nicht chemisch ist.
Auch das Unternehmen MycoWorks, über das FashionUnited kürzlich berichtete und das Lederalternativen auf Myzelbasis herstellt, ist auf dieser Messe vertreten.
Zusammenfassend und poetisierend sei dieser Text zitiert, der auf einer Tafel am Eingang des großen Saals steht: „Es gibt nur eine Urnation, die Einzeller, die alle Lebewesen dank der unzähligen unverbrüchlichen Bündnisse, die sie mit allen Lebensformen auf der Erde geschlossen haben, beherrschen. Wir tragen die lebenden Überreste der Urwelten in uns. Hier liegt der Schlüssel zum Geheimnis des Lebens.“
„Mit den unsichtbaren Welten in Kontakt zu treten, war lange Zeit das Privileg von Zauberkunst, Orakeln und Schaman:innen. Seitdem sind Wissenschaftler:innen zu modernen Fürsprechenden geworden, die uns mit verbotenen und aufregenden Welten in Kontakt bringen, in denen wir entdecken, dass das Vakuum nicht nur von Atomen, sondern auch von einer unerwarteten Vielzahl bevölkert wird: den Mikroben. Das Unsichtbare wird von winzigen Wesen mit ungleichen Kräften bewohnt.“
Dieser Artikel erschien ursprünglich auf FashionUnited.fr. Übersetzt und bearbeitet von Simone Preuss.