Düsseldorfer Ordertage: leichte Farben, schwere Themen
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Die heiteren Farben in den Sommer-Kollektionen können die Anspannung bei den Ordertagen in Düsseldorf nicht überdecken. Die Situation ist delikat: Viele Bekleidungshersteller gehen ins Risiko und haben Rohwaren geblockt, um rechtzeitig liefern zu können. Gleichzeitig ist unklar, wie viel Mode Kund:innen angesichts der Inflationssorgen in den kommenden Monaten überhaupt kaufen wollen. Wie sehen Handel und Marken die Orderrunde der kommenden SS23-Saison? Ein Besuch bei Digel über Marc Cain bis Gerry Weber.
Chaotische Lieferkette
Am Stand von Dietmar Krause hängen noch die Jacken der Herbst-Winter--Saison. Die Jacken aus der SS23-Kollektion stecken noch im Düsseldorfer Zoll fest, die Hemden sogar noch beim Zoll in Istanbul. Aber der Inhaber der gleichnamigen Modeagentur versucht das Beste aus der Situation zu machen und zeigt trotzdem auf der Supreme am Bennigsen Platz in Düsseldorf, nachdem er schon die Messen in Florenz und Berlin absagen musste.
Er ist nicht der Einzige an diesem Tag, der wegen Lieferketten-Problemen von fehlenden Musterteilen berichtet. Auch bei anderen Brands hängen Teile der Kollektion noch nicht im Showroom, weil Stoffe fehlten oder das Lieferunternehmen von Reißverschlüssen in der Ukraine sitzt. Viele finden, dass die Lage in der Lieferkette noch schwieriger geworden sei.
„Es kommt ja eine Hiobsbotschaft nach der anderen. Aber wir müssen Flagge zeigen und machen weiter, es geht ja auch gar nicht anders“, sagt Krause am Freitag und hofft, dass die Kollektion es aus dem Düsseldorfer Zoll schafft. Aber seine gute Laune lässt sich der Lebemann aus München nicht nehmen, als er im nächsten Moment die College-Jacken des Labels Dennis Koo an sich zeigt. „Geile Stücke, oder?”
Wenn auch als Beispiel vielleicht extrem, verkörpert Dietmar Krause, die Stimmung während der Düsseldorfer Ordertage ganz gut. Die hier versammelte mittelständische Modeindustrie weiß um die unsichere Lage, aber hat beschlossen, dass schlechte Laune auch nicht hilft. Nach zwei Jahren der Pandemie scheint es fast selbstverständlich geworden, mit zuvor noch undenkbaren Problemen – wie in der Logistik – umzugehen oder nicht zu wissen, was morgen kommt.
Extreme Trendumkehr
Vor anderthalb Jahren war das 22.000 Quadratmeter große Lager des Herrenmodelabels Digel in Nagold “bis unter die Decke voll”, erzählt Vertriebschef Markus Dietrich. „In unseren eigenen Produktionsstätten standen die Gänge voll mit Ware.” Damals, nach dem Ausbruch der Pandemie brach der Verkauf von Anzügen wegen Home-Office und fehlenden Anlässen ein, jetzt kommt der Anzughersteller kaum noch hinterher.
„Jetzt, tagesaktuell, ist unser Geschäft gegenüber letztem Jahr schon wieder 300 Prozent gewachsen”, sagt Dietrich am Samstag. Vor der Pandemie lag der Umsatz bei 120 Millionen Euro, während der Pandemie brach er fast um die Hälfte ein, und dieses Jahr erwartet das Unternehmen, das Erlösniveau von 2019 zu übertreffen.
Mit der Rückkehr in die Büros und den Anlässen ist der Anzug wieder zurück und das Statussymbol wird auch weiter bleiben, erwartet Dietrich. Er denkt, dass die Nachfrage anhalten wird, weil Hotels und Restaurants für Anlässe bis ins kommende Jahr gebucht sind.
„Unsere Order läuft sehr, sehr gut an. Natürlich ist man sich selbst gegenüber auch kritisch und überlegt, ob man diese hohen Umsätze jetzt am Lager bis in den Herbst hinein auch so halten kann”, sagt Dietrich. „Wie sieht es aus mit der Order für Frühjahr-Sommer, wenn die Leute – auch gerade Modehändler – so verunsichert sind?” Er berichtet von Modehändler:innen, die mit seinen Produkten derzeit ein Plus erzielen, aber insgesamt im zweistelligen Minus im Vergleich zur Vor-Pandemie-Zeit liegen.
Digel hat im laufenden Produktionszyklus auch schon Kapazitäten und Rohwaren aufgestockt, mehr als 2019, um in Zukunft wieder wie gewohnt innerhalb von 24 bis 48 Stunden liefern zu können. Momentan können die Wartezeiten für den Modehandel noch zwischen zwei bis drei Wochen liegen.
Mehr Risiko für Marken
Auch andere Bekleidungshersteller wie Marc Cain oder Gerry Weber haben bereits Rohwaren und Produktionskapazitäten geblockt, um zeitig liefern zu können. Um die Lieferzeiten sicherzustellen hört Fynch Hatton am 12. August auf, die Termine 15. Januar, Februar, März der SS23-Kollektion zu verkaufen. Auch andere Marken erzählen, dass sie etwas früher als sonst mit dem Verkauf aufhören.
„Parallel dazu haben wir wahnsinnig viele Rohwaren, Garne und Produktkapazitäten vorgeblockt, sind da auch massiv ins Risiko gegangen. Das war bei uns möglich, weil wir bei Standardartikeln relativ gut abschätzen können, was wir verkaufen werden”, sagt Matthias Eckert, Geschäftsführer von Fynch-Hatton. „Das ist eine Riesen-Belastung seitens der Industrie, aber sonst schaffen wir die Liefertermine nicht.“
Fynch Hatton produziert den größten Teil seiner Kollektion in Asien. Früher lagen Transportzeiten bei bis zu 35 Tagen und sind heute fast doppelt so lang mit bis zu 60 Tagen. In Vietnam, wo Fynch Hatton Hemden herstellen lässt, liegen die Transportzeiten sogar bei 80 Tagen.
„Wir produzieren das meiste in Asien. Die Liefersituation war wirklich relativ prekär”, erzählt Eckert am Freitag. „Bei der aktuellen Herbst-Winter-Saison wurde der erste Drop zu 70 Prozent geflogen. Anders wäre es nicht gegangen.“ Die Häfen in Hamburg und Rotterdam seien voll, die Löschzeiten liegen nicht bei zwei bis drei Tagen, sondern bei zwei bis drei Wochen. „Da muss man kreativ sein”, sagte Eckert.
Wie andere Bekleidungshersteller erwägt Fynch Hatton, Teile der Produktion näher an Europa zu bringen. Das Menswear-Label hat mit einer Hemdenproduktion in Mazedonien begonnen und schaut sich auch Länder wie Türkei, Tunesien, Marokko, Italien und Portugal an. „Es geht am Ende nicht so schnell, wie wir es uns vorstellen”, sagt Eckert. „Es ist auch eine Preisfrage. Die Arbeitskosten nearshore sind viel höher, der Transport ist zwar günstiger, aber insgesamt ist es immer noch deutlich teurer.”
Vorsichtiger Modehandel
Zu den anhaltenden Problemen in der Lieferkette kommt die Unsicherheit über das Kaufverhalten der Menschen angesichts der Inflation.
„Wir sind verhalten optimistisch. Wir wissen wie andere auch nicht, wie sich der Markt entwickelt – gibt es Kaufzurückhaltung, wird es keine geben? Wie wird es mit Corona?”, sagt Helmut Fahle. Der Geschäftsführer des Modehauses Schwager aus Bad Pyrmont hält sich auch etwas Limit offen, um kurzfristig auf Trends zu reagieren. „Wir haben viele Fabrikanten, mit denen wir gute Kooperationen haben. Da tun wir uns leichter, mit den anderen müssen wir schon länger reden.”
Zum Anfang des Jahres haben die meisten Bekleidungshersteller die Verkaufspreise angesichts gestiegener Kosten für Transport und Beschaffung erhöht, aber wie reagiert die Kundschaft nun darauf, wenn Dinge des alltäglichen Bedarfs drohen, teuerer zu werden?
„Wenn der Preis erhöht wird und das Produkt einen Mehrwert bietet, dann akzeptiert die Kundin das durchaus. Bei neuen Produkten, wo man keine Vergleichsmöglichkeiten hat, ist es auch etwas leichter”, sagt Fahle am Freitag. „Wir diskutieren viel mit unseren Lieferanten und schauen da schon genau hin, wir denken dass der Kunde, die Kundin durch Preiserhöhungen bei Energie et cetera schon da etwas kritischer wird.“
In Düsseldorf war es von Freitag bis Samstag eher ruhig, von der Kaiserswerther Straße bis zu den Hallen 29 und 30, aber die Unterschiede zwischen Showrooms waren auch groß – in manchen war sichtlich viel los, während andere eher leer standen. Auffallend war die Rückkehr internationaler Einkäufer:innen.
„Wir haben hier Kund:innen aus Chile, Kanada und Australien, die alle nach zwei Jahren zum ersten Mal wieder gekommen sind, da bekommt man Gänsehaut“, sagt Gerry-Weber-Geschäftsführerin Angelika Schindler-Obenhaus am Sonntag. „Die Liefertermine Januar, Februar, März verkaufen wir gerade und glauben, dass es eine richtig gute Order wird.”
Im Gegensatz zur internationalen Präsenz vermissten einige die Fachhändler:innen aus Deutschland in den Showrooms und auf den Messen, die ohne festen Ordertermin kommen, aber um sich umzuschauen.
„Ich habe jedem gesagt, dass diese Saison schwerer war als jede Corona-Saison“, sagte Ulrike Kähler, Geschäftsführerin des Messeveranstalters Igedo. „Die Menschen sind sehr zäh, brauchen sehr, sehr viel Ansprache. Ich brauche viel mehr um Kund:innen zum Herkommen zu bewegen.“
Auf dem Niveau vor Corona ist sie mit ihrem Event Fashn Rooms deswegen noch nicht. Im Januar 2020 wurden 800 Brands auf dem Areal Böhler gezeigt, während der Pandemie waren es 300, am vergangenen Wochenende waren es 500 Marken. Ebenso sieht es bei den Besuchenden aus. Vor der Pandemie schauten sich noch rund 6.000 Menschen um, jetzt rechnet Kähler mit 3.000.
„Ich finde die Stimmung sehr anstrengend. Der Handel sitzt zum Teil versteckt – nicht alle – und hat Angst neue Budgets zu öffnen, neu zu ordern“, so Kähler.
Modehandel setzt auf bestehende Bestseller
Angesichts der Unsicherheit machen Modehändler:innen aus ihrer Stimmung auch keinen Hehl.
„Pessimistisch. Man weiß ja gar nicht, was auf einen zukommt. Geben die Leute noch Geld für Mode aus oder nicht?“, sagt Heike Zappe am Samstag. „Es ist sehr schwierig. Ich fahre die Order auf jeden Fall zurück, ich werde auch nur mit Firmen zusammenarbeiten, die sich in den Coronazeiten bewährt haben. Neue Firmen – außer sie haben etwas ganz Tolles – werde ich nicht aufnehmen.“
Die Inhaberin des Modegeschäfts AureliaH in Castrop-Rauxel sucht auf der Messe Fashn Rooms nach Waren, die sie im Geschäft noch nicht hat, und legt dabei den Hauptaugenmerk auf Accessoires wie Gürtel und Schals. Sie stellt ihr Geschäft auch auf ein Concept-Store-Konzept mit Deko- und Geschenkartikeln um.
Neue Labels haben es in diesem Geschäftsumfeld schwer. Für bestehende Unternehmen ist es leichter. Bekleidungshersteller wie Marc Cain suchen schon den Vergleich mit den Umsätzen von 2019.
Die erste Kollektion für SS23, eigentlich die Hauptkollektion, mit den Lieferterminen Mitte Oktober, November, Dezember bis Januar wird bereits in den Kernmärkten geschrieben.
Gegenüber 2019 verzeichnet der Marc Cain dabei derzeit ein Plus von fünf Prozent und gegenüber 2021 ein Plus von 21 Prozent. Ab jetzt wird die zweite Orderrunde verkauft. „Der Rückenwind aus dem sehr erfolgreichen Verkauf der Frühjahrskollektionen stimmt uns jetzt auch zuversichtlich für die jetzt gestartete Orderrunde der Sommerkollektion,” sagt Vertriebschef Dirk Büscher am Freitag.