Kingpins: Engagement für Nachhaltigkeit erreicht auf der Denim-Messe ein neues Level
Wird geladen...
Diejenigen, die diese Woche zum ersten Mal die Denim-Messe Kingpins besuchten, konnten den Eingang der Messe vom nahegelegenen Bahnhof aus leicht finden. Ein “Reißverschluss” von in Denim gekleideten Menschen strömen in die gleiche Richtung und noch bevor die Messe ihre Türen öffnet, bildet sich eine Schlange am Eingang der SugarCity Eventlocation. Auch in diesem Jahr reisten wieder Besucher:innen aus aller Welt und wurden vor den Messehallen in ihren „All-Denim“-Uniformen fotografiert. Die Stimmung war bereits in der Warteschlange ausgelassen und weckte Hoffnung auf eine lebhafte Ausgabe der Kingpins.
Bei einem Rundgang über die Ausstellungsfläche waren wieder fast 100 Aussteller:innen vertreten und es wurde deutlich, dass nachhaltige Lösungen bei der Messe im Vordergrund stehen. Obwohl dieses Thema schon seit mehreren Jahren relevant ist, nimmt es jetzt neue Formen an, wie Gespräche mit ausstellenden Brands zeigen. Demnach wagen Marken immer häufiger den nächsten Schritt und investieren Zeit und Geld. Ebenso werden schon länger etablierte Techniken, die in letzter Zeit wieder neue Begeisterung ausgelöst haben, ins Rampenlicht gerückt. Besuchende und Ausstellende sprechen über die bevorstehende europäische Gesetzgebung zur Nachhaltigkeit und die Erwartungen der Gen Z. Begriffe wie “Zero-Waste”, “Low-Emission” und “Deadstock” sind allgegenwärtig, oft in Verbindung mit einer breiten Palette von Zertifikaten. Die Stände, die nicht für nachhaltige Versprechen werben, fallen tatsächlich als Ausnahmen auf.
Wie in der letzten Ausgabe werden Themen wie Inflation und Lieferkettenprobleme nur selten besprochen. Die Anwesenden gehen kurzfristig von einem Aufwärtstrend aus oder sehen die herausfordernden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen eher als business as usual. Obwohl einige Ausstellende – auf Nachfrage von FashionUnited – bestätigen, dass die Dinge immer noch kompliziert sind, ziehen sie es vor, sich auf die Möglichkeiten zu konzentrieren.
Ausstellende auf der Kingpins: "Marken gehen zunehmend den nächsten Schritt in Richtung Nachhaltigkeit".
„Alle wollen Nachhaltigkeit", lautet die Botschaft, die an fast allen Ständen an erster Stelle steht. Auch Melahat Ustundag, Sales- und Marketingverantwortliche bei Kilim Denim, erklärt, dass mittlerweile alle Interesse an nachhaltigen Techniken zeigen. Eine neue Entwicklung sei, dass vor allem biologisch abbaubare Kleidung in letzter Zeit gefragt sei. „Deshalb treiben wir diese Art von Innovationen besonders voran", sagt sie. Kilim verwendet unter anderem die Innovation Roica V550 von Roica, das erste biologisch abbaubare Stretchgarn, das auch in den Kollektionen von Artistic Milliners, Candiani und Prosperity verwendet wird, die alle auf der Messe gezeigt wurden.
Am Stand des Garnherstellers Roica erklärt der stellvertretende Geschäftsführer Hiroaki Shinohe, dass das Garn Roica V550 ursprünglich nicht als innovative Nachhaltigkeitslösung gedacht war. 2016, „als der Nachhaltigkeitstrend an Fahrt aufnahm“, beschloss Roica, das alternative Garn auf Abbaubarkeit zu testen, erklärt er. Infolgedessen wurde es als nachhaltige Option vermarktet. Die Werbung für das Garn begann vor etwa fünf Jahren, aber laut Shinohe “boomte” die Verwendung von biologisch abbaubaren Materialien nicht von Anfang an wie jetzt und daher auch nicht gleich erfolgreich. „Marken suchten dann mehr nach recycelten Materialien, wie beispielsweise dem Pre-Consumer-recycelten Roica EF“, so Shinohe. Inzwischen sei das Interesse an biologisch abbaubaren Materialien stark gestiegen, bestätigt auch er. Seiner Meinung nach hängt das Interesse jedoch vom Material ab. „Das ist auf dem Baumwoll- und Tencel-Markt üblich, aber bei Polyamid und Polyester betrifft es hauptsächlich recycelte Materialien. Synthetische Materialien lassen sich nicht ohne Weiteres mit V550 kombinieren.“
Auch Hanf wird in letzter Zeit immer häufiger als der nächste Schritt zur Erreichung von Nachhaltigkeitszielen betrachtet, sagt Marta Cabo, Designdirektorin von Artistic Denim Mills (ADM). „Hier am Stand sprechen wir hauptsächlich über Stoffe, Konstruktion und Nachhaltigkeit. Jeder will wissen, wie er nachhaltiger werden kann. Recycelte Baumwolle ist ein guter Anfang, aber einige Marken gehen noch einen Schritt weiter, beispielsweise mit Hanf." Die hohen Kosten von Hanf sind jedoch laut Cabo immer noch ein Hindernis für viele Marken. „Wenn es erschwinglicher wäre, würde es jeder verwenden. Ich hoffe, dass wir es in Zukunft in mehr Geschäften sehen werden.“
Der französische Hanfproduzent Marmara Hemp scheint sich dies mit seiner „ersten zertifizierten nachhaltigen Baumwollhanffaser" zunutze zu machen. Auf den ersten Blick wirft diese Beschreibung, die auf einem Plakat am Stand zu lesen ist, Fragen auf. Denn was genau ist eine cottonisierte Hanffaser? Laut Hervé Denoyelle, Vice President für Sales und Marketing bei Marmara, ist dies die Frage, die ihm an diesem Nachmittag am häufigsten gestellt wurde. Kurz gesagt, handelt es sich bei cottonisiertem Hanf um eine Hanffaser, die so verändert wurde, dass sie wie Baumwolle versponnen werden kann, erklärt Denoyelle. „Da Baumwolle weiter verbreitet ist, wird Hanf dadurch erschwinglicher. Schließlich gibt es auf der Welt viele Tausende Baumwollspinnereien, viel mehr als Hanfspinnereien.“
Hanf werde zunehmend von Marken in Betracht gezogen, die ihre Nachhaltigkeit ausbauen, so erklärt Denoyelle. „Diese Technologie gibt es schon seit einiger Zeit, aber stellen wir fest, dass die Nachfrage in letzter Zeit steigt,“ erklärt er. Trotz Inflation und Problemen in der Lieferkette seien sich die Marken zunehmend ihrer Verantwortung bewusst. „Natürlich gibt es immer noch viel Greenwashing, aber ich glaube, dass die Initiativen immer öfter echt sind. Das liegt vor allem daran, wie sich die Verbraucher:innen verhalten. Sie sind immer besser informiert.“ Der Preis sei jedoch immer noch ein begrenzender Faktor, so der Hanfproduzent, „aber genau da kann unser Produkt eine Rolle spielen."
Änderungen in der Gesetzgebung verlangen neue Optionen
Die Sourcing-Plattform Material Exchange stellt am Eröffnungstag der Kingpins ihr “Deadstock-Depot" vor, eine neue digitale Plattform, auf der ein Netzwerk von Fabriken Restbestände ausstellt, die Bekleidungsmarken bestellen können. Am Stand herrscht reges Treiben, und der Leiter der Strategieabteilung des Unternehmens, Ben Felton, berichtet, dass der erste Tag der Messe gut verlaufen ist. „Deadstock ist ein großes Problem, das erst kürzlich verstanden wurde. Da sich die Generation Z zunehmend von Fast Fashion abwendet, glaube ich, dass wir einen Punkt erreicht haben, an dem die Marken bereit sind, drastischere Wege der nachhaltigen Produktion zu gehen. Sie wollen allerdings noch nicht alles umkrempeln. Deshalb suchen die Marken jetzt vor allem nach limitierten Auflagen, um den Markt für neue nachhaltige Techniken zu testen. Es ist noch nicht kommerziell genug, um wirklich einzusteigen. Diese Art von Bewegung steckt noch in den Kinderschuhen, aber sie wächst."
Vorschriften und Gesetze seien dabei ein wichtiger Faktor. „Änderungen in der Gesetzgebung zwingen Marken sozusagen dazu, neue Nachhaltigkeitsmethoden zu testen“, so Felton. Interesse gebe es nicht nur von Marken selbst, sondern auch von Regierungsvertreter:innen, die den Stand besuchten. Zwar wollte er nicht verraten, aus welchem Land, aber er verriet, dass der Besuchende die Fertigungsindustrie vertrete und etwas mit Deadstock tun wolle, um Abfallprobleme zu lösen.
Auch an vielen anderen Ständen wird auf die bevorstehende Gesetzgebung hingewiesen. Nienke Steen, Leiterin des Bereichs Bekleidung, Textilien und Schuhe beim Cradle to Cradle Products Innovation Institute, hält neue Vorschriften für notwendig, um Verbraucher:innen und Mehrheiten an Bord zu holen. „Junge Leute suchen nicht einfach nach teuren, innovativen Kollektionen, das ist oft vom Budget her nicht machbar. Stattdessen suchen sie jetzt in der Secondhand-Ecke. Durch die Gesetzgebung können großflächige Lösungen entstehen, die dann auch erschwinglicher sind.”
Die Messe will auch zugängliche Möglichkeiten zur nachhaltigeren Herstellung von Denim-Designs zeigen. So möchte beispielsweise die Denim-Fabrik Crescent Bahan mit ihrem “Handfeel-Index” das unnötige Versenden von Mustern verhindern. „Ein Problem mit Denim ist, dass man den Stoff wirklich fühlen muss, um zu entscheiden, ob man damit weitermachen möchte“, sagte Abdullah Zia, stellvertretender Vice President von Crescent Bahuman. „Deshalb haben wir eine Bewertung dafür entwickelt, wie weich die Baumwolle ist. Auf diese Weise können sich die Leute anhand eines Fotos und einer Beschreibung dennoch einen guten Eindruck verschaffen. Die Initiative wurde in der Corona-Zeit geboren, aber wir wollen sie weiterführen, weil sie den CO2-Fußabdruck verringern kann.“ Allerdings ist Zia auch realistisch, was die Zeit angeht, die es braucht, um eine nachhaltige Methode zur Norm zu machen. „Es wird noch mindestens zwei bis fünf Jahre dauern, bis das Tool wirklich zum Einsatz kommt. Es gibt eine Barriere, die es zu durchbrechen gilt.“
Alles in allem war Kingpins ein deutlicher Beleg dafür, wie weit die Denim-Industrie Schritte in Richtung nachhaltigerer Praktiken unternimmt. Technologien und Materialien, die früher von Fabriken und Marken als zu aufwendig angesehen wurden, werden nun langsam aber sicher immer zugänglicher. Die Hersteller neuer Technologien und Methoden sehen denselben Weg für ihre Artikel vor, unabhängig davon, ob es sich um einfache oder komplexe Produkte handelt. Es dauert seine Zeit, bis das Neue zur Norm wird, aber zumindest die Gespräche auf der Messe scheinen bereits dazu beizutragen.
Dieser übersetzte Beitrag erschien zuvor auf FashionUnited.