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Modemesse Inspiramais gibt dem brasilianischen Erbe des Leders eine grüne Zukunft

Von Jackie Mallon

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Messen|Reportage
Verschiedene Leder auf der Inspiramais in Brasilien. Bild: Inspiramais

Beim Betreten der alle zwei Jahre stattfindenden brasilianischen Messe Inspiramais werden Gäste von einer gewaltigen Installation aus recycelten Materialien begrüßt. Sie wurde von dem in Sao Paolo geborenen interdisziplinären Künstler Luciano Pinheiro geschaffen und besteht aus Flicken, Flechtwerk und Makramee. „Ich betrachte unkonventionelle Materialien gerne als etwas edles, erstrebenswertes“, so der Sohn eines Fischers, der sich rühmt, die erste natürlich gefärbte Kollektion zur brasilianischen Modewoche gebracht zu haben.

Upcycling an sich ist zwar nichts Neues in der Mode, aber die Ernsthaftigkeit der Aussage des Künstlers gibt den Ton für die Inspiramais 2024 an. Die Messe ist stolz auf ihre Traditionen, aber ehrgeizig in ihrem Streben nach Innovation. Sie ist regional, richtet ihren Blick aber auf den internationalen Austausch und operiert in einem der umweltschädlichsten Industrien der Welt, verspricht jedoch, es besser machen zu wollen.

1.000 neue Materialien, darunter Häute, Leder, Textilien und Kunststoffe, Sohlen, Designzubehör und -komponenten, Design- und Industriedienstleistungen sowie die neuesten veganen Alternativen für die Schuh-, Bekleidungs- und Möbelindustrie werden an zwei Tagen vorgestellt. Vergleiche mit Lineapelle oder anderen globalen Ledermessen sind aber nicht angemessen. „Wir versuchen nicht, mit italienischen Messen zu konkurrieren“, sagt Inspiramais Research and Design Coordinator Walter Rodrigues in seiner Eröffnungsrede. „Wir versuchen, etwas Neues zum Gespräch beizutragen.“

Leder in Exotenoptik für den Sommer 2024 auf der Inspiramais, Brasilien. Bild: Inspiramais

Die in Porto Alegre im südlichsten brasilianischen Bundesstaat Rio Grande Do Sul gelegene Messe, die bereits zum 27. Mal stattfindet, ist die größte Materialmesse in Lateinamerika und beherbergt etwa 150 Ausstellende. In der Regel kommen etwa 7.000 Besucher:innen, aber in diesem Jahr wurden dank der Förderung durch die brasilianische Regierung mehr internationale Journalist:innen und Einkäufer:innen eingeladen als sonst.

Der Schatten von Covid schwebt noch immer über dem Event, denn Gäste müssen einen Impfnachweis vorlegen, bevor sie einen Flug nach Brasilien antreten können. Masken sind auf den brasilianischen Flughäfen erforderlich, nicht aber auf der Messe. Das durch die Pandemie angeschlagene Vertrauen in globale Lieferketten bot der brasilianischen Lederindustrie die Gelegenheit, sich auf ihre heimischen Stärken zu konzentrieren. Nach den Statistiken von Inspiramais hat die Branche, die 2.400 Unternehmen umfasst und 100.000 Menschen beschäftigt, 2022 rund 421 Millionen US-Dollar (392 Millionen Euro) eingenommen und exportiert auf Rekordniveau in 77 Länder.

„Mode ist zu 50 Prozent Inspiration und zu 50 Prozent Geschäft“, erklärt Rodrigues, aber die erste Inspiramais, die 2004 in Sao Paolo stattfand, konzentrierte sich ausschließlich auf das Geschäft. Zum Nachteil, findet die Inspiramais-Designerin Julia Webber: „Vor siebzehn Jahren gab es keine brasilianische Modeindustrie, der Schwerpunkt lag auf dem Kopieren dessen, was andere taten.“ Aber durch die Zusammenarbeit mit Assintecal, einer Organisation, die Unternehmen aus der Lederwarenbranche zusammenbringt, begann die Messe, Design, Originalität und Innovation in den Vordergrund zu stellen. Die Inspiramais zog vor drei Jahren in den Süden nach Porto Alegre, um in der Nähe der hohen Konzentration von Handwerksbetrieben und Gerbereien sowie des über Generationen weitergegebenen Know-hows in der Lederherstellung zu sein. Das bedeutet, dass alle Komponenten von Bekleidung und Accessoires im Inland hergestellt werden können.

Bei dieser Ausgabe der Messe sind Einkäufer:innen aus elf verschiedenen Ländern vertreten, darunter Portugal, Mexiko, Spanien, Italien und die USA. „Bei Inspiramais wollen wir Vermittler sein", sagt Rodrigues. Viele der Teilnehmer sprechen nur Portugiesisch, aber es gibt englische und spanische Übersetzer:innen für diejenigen, die mehr über die Gerbereien und deren Prozesse erfahren möchten. Die präsentierten Leder zeichnen sich durch Farbe, Textur und Glanz aus, viele davon sind chromfrei und pflanzlich gegerbt.

Rodrigues zieht es vor, die übliche Terminologie von „Frühjahr/Sommer“ oder „Herbst/Winter 2024“, die seiner Meinung nach den Materialien ein unnötiges und veraltetes Verfallsdatum aufdrückt, durch erstes und zweites Semester 2024 zu ersetzen. Er unterteilt die Materialien auch in eine Prozentpyramide. Zehn Prozent der Leder auf der Messe fallen in die Kategorie Innovation, die sich am besten für das gehobene Marktsegment oder zur Aufwertung einer eher kommerziellen Kollektion eignet. 30 Prozent werden als Strategie oder Prozess kategorisiert und betonen Technik und Texturvorschläge. Weitere 60 Prozent repräsentieren Know-How und sind für die breite Masse bestimmt.

Inspiramais zelebriert nachhaltiges Leder und vegane Alternativen

Die verschwenderischen und umweltverschmutzenden Praktiken der Lederindustrie sind bekannt, aber Rodrigues betont: „wir atmen Nachhaltigkeit bei Inspiramais.“ In der Tat steht das Wort bei jeder Präsentation und jedem Vortrag während der zwei Tage im Vordergrund. Brasilien verfügt über eine der größten kommerziellen Rinderzuchten der Welt, die die Fleischindustrie des Landes beliefert. Sie gehört auch zu den drei größten Lederproduzenten weltweit. Das Land verfügt über ein eigenes Zertifizierungsverfahren, das CSCB (Brazilian Leather Certificate of Sustainability), das vom Brazilian Leather Project unterstützt wird, einer Initiative des CICB (Zentrum für die brasilianische Gerbereiindustrie) und der brasilianischen Agentur für Handels- und Investitionsförderung (apexBrasil), um die Aufnahme von brasilianischem Leder in ausländische Märkte zu fördern. Die herstellenden Unternehmen müssen Kriterien in Bezug auf den Wasser- und Energieverbrauch, verbotene Substanzen sowie die Gesundheit und Sicherheit der Arbeitskräfte erfüllen. Das CSBC wird auch von ICEC (dem italienischen Institut für Qualitätszertifizierung im Ledersektor) unterzeichnet.

Eine weitere wichtige Zertifizierung ist Origem Sustentável (Nachhaltige Herkunft), die einzige ESG- und Nachhaltigkeitszertifizierung der Welt, die sich an Unternehmen in der Schuhkette richtet. Aber für Besucher:innen, die an die bekanntere, in Großbritannien gegründete LWG-Zertifizierung gewöhnt sind, ist sie weniger sichtbar. Auf Nachfrage äußerten einige Lederproduzenten auf der Inspiramais ihre Frustration über den Elitismus der LWG und ihr Versäumnis anzuerkennen, dass die Umwelt und das Klima neben anderen Faktoren die Erfüllung einiger ihrer Kriterien für die brasilianische Lederindustrie unmöglich machen.

Fischleder auf der Inspiramais Messe, Brasilien für Herbst 2024. Bild: FashionUnited.com

Für Schuhe und Accessoires wird Fischhaut immer beliebter und da Brasilien eine der produktivsten Fischfangnationen der Welt ist, werden Häute, die früher von der Lebensmittelindustrie weggeworfen wurden, stolz zur Schau gestellt. Besonders beliebt ist einer der größten Süßwasserfische des Landes, dem Pirarucu, der von der bahnbrechenden Bio-Gerberei Nova Kaeru präsentiert wird, und von Tilapia von Tilápia Leather.

Im Creative Connection Hub stellen Kleinstunternehmen, Kooperativen und Start-ups aus ganz Brasilien Produkte aus, die oft aus einheimischen Quellen stammen und eine Mischung aus Wissenschaft und Handwerk darstellen. Der Knotenpunkt ist das Herzstück der Messe. Die Idee ist, Beziehungen zwischen den kleineren, agilen Marken und großen Unternehmen zu knüpfen, die ihre Produkte möglicherweise integrieren könnten. „Auf der Hauptausstellungsfläche sind die Materialien, Produkte und Techniken auf den Massenmarkt ausgerichtet und es ist schwer, Offenheit gegenüber kleineren Designer:inne zu schaffen“, erklärt Marmei Carminatti, Berater bei Assintecal, gegenüber FashionUnited. „Aber der Creative Connection Hub ist wichtig, denn die kleinen Aussteller zeigen sehr kreative und handwerkliche Ideen, die potenziell in industriellem Maßstab übernommen werden können.“

Intarsientechniken der brasilianischen Marke Amazônia Ancestral, Ledermesse Inspiramais. Bild: FashionUnited

Während die Entwicklungen bei PET und Myzel für internationale Besuchende ein alter Hut sein können, sind die umweltfreundlichen Angebote, die den Menschen und dem Ort eigen sind, besonders interessant. Das Start-up Huna hat aus der Schale der im Amazonasbecken beheimateten Guarana-Frucht das Biomaterial G.Tex entwickelt – eine vegane, biologisch abbaubare Alternative zu Leder. Parcoa Eco setzt sich für das Färben mit rotem Ton auf Bananenblättern ein, ein uraltes Wissen, das über afrikanische Sklaven nach Brasilien kam. Ornamente und weiche Textilien treffen sich in auffälligen Schmuckstücken aus Holzabfällen von Amazônia Ancestral und Grupo JR Soluções bringt die brasilianische Kompetenz in der Herstellung von Schuhkomponenten auf ein nachhaltiges Level. Das Unternehmen hat einen Bausatz für Schuhen entwickelt, der ausschließlich aus recyceltem Material besteht und selbst zusammengebaut werden kann.

Die nächste Ausgabe der Inspiramais soll im Juli 2023 stattfinden.

FashionUnited wurde eingeladen, die Inspiramais in Porto Alegre, Brasilien, zu besuchen.

Dieser Artikel wurde ähnlich auf FashionUnited.com veröffentlicht. Übersetzung und redaktionelle Bearbeitung: Barbara Russ

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