Première Vision Paris: Materialbeschaffung Frühjahr/Sommer 2025 in vier Akten
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Wird man bald einen Abschluss als Chemieingenieur:in mit Schwerpunkt Agrarwissenschaften benötigen, um die Première Vision zu besuchen? Tatsache ist, dass das Niveau der ausgewählten Aussteller:innen so hoch ist, dass man sich schnell in Gesprächen über mutierte Panzer, aus Abfällen hergestellte Materialien, regenerative Landwirtschaft oder das Geschäft mit Zertifizierungen wiederfindet.
Vom 6. bis 9. Februar 2024 stellten 1.200 internationale Herstellende von Materialien (Leder, Textilien) und Accessoires ihre Frühjahr-/Sommerkollektionen 2025 auf dem Messegelände in Villepinte aus. Es ist unmöglich zu wissen, welche von ihnen sich in die neue Modewelt (angepasst an die Welt von Morgen) einfügen, die die Organisator:innen der zur GL Events gehörenden Sourcing-Messe Première Vision initiierten.
Es ist auch nicht bekannt, ob die Modekollektionen für Frühjahr/Sommer 2025 (die ab Juli 2024 auf Messen, in Showrooms und ab März/April 2025 in den Geschäften zu sehen sein werden) aus den Materialien (Leder, Textilien und Accessoires) hergestellt werden, die auf der Première Vision im Februar 2024 vorgestellt wurden.
Aber eines ist sicher: Der Platz und die Sichtbarkeit, die Herstellenden mit einem bestimmten „Mindset“ - also einer Haltung, die mit einem nachhaltigen und fairen Modesystem kompatibel ist - auf der Première Vision eingeräumt werden, werden zunehmend wichtiger.
Große Ideen und Green Washing weichen Neomaterialien pflanzlichen und tierischen Ursprungs
Diese neue Realität spiegelt sich im „Forum Inspirations“ Frühjahr/Sommer 2025 wider, das als Forum für Stofftrends verstanden wird. „Neben den offensichtlichen Erscheinungsformen des Themas ‘Mutationen’ wie Stoffe, die wie Panzer, Chrysalidenhäute und geheimnisvolle Opale aussehen, präsentieren wir auch Materialien, die auf den ersten Blick nicht so leicht zu erkennen sind“, erklärt Desolina Suter, Modedirektorin von Première Vision, im Gespräch mit FashionUnited.
„Es sind Mutationen, die auf interessantere Mischungen in Bezug auf die Zusammensetzung zurückzuführen sind, insbesondere zwischen allen Bast- und Zellulosefasern. Leinen, Rami, Hanf oder Brennnessel werden mit weniger anspruchsvollen, nicht pflanzlichen, seidigeren und flüssigeren Fasern verbunden, um innovative Hybridmaterialien zu schaffen. Diese tiefgreifenden Entwicklungen in der Textilbranche sind vielversprechender als der visuelle Aspekt, der sich von Saison zu Saison erneuert, aus dem wir aber nicht in gleicher Weise Kapital schlagen können werden“, fügt Suter hinzu.
Von über 1.000 eingegangenen Stoffmustern stellt die Modedirektion 400 in diesem Forum aus, mit einer Konstanten: Polyester, die aus der Petrochemie gewonnen werden, wurden aus der Präsentation verbannt.
Sind Öko-Innovationen und Deadstock das Ende von Materialien, die als „vegan“ bezeichnet, aber auf Erdölbasis hergestellt werden?
Der Diskurs über ökologische Verantwortung fand im Sourcing Solutions Forum (in der Mitte von Halle 6) statt, eine abgespeckte Version der vorherigen Ausgabe. Hier können Besucher:innen anhand von Texten, die Informationen zusammenfassen, entscheidende, eher technische Themen verdauen. Sie laden Marken ein, sich mit einer präzisen Erzählung in die Materie einzuarbeiten. Zum Beispiel:
„Welche Eigenschaften hat ein Stoff mit optimierter biologischer Abbaubarkeit? Die Bezeichnung ‘biologisch abbaubar’ oder ähnliche Formulierungen sind in Frankreich durch das AGEC-Gesetz verboten. Die biologische Abbaubarkeit ist eine Sache des Ökodesigns, um bereits bei der Produktentwicklung verbesserte Abbaueigenschaften am Ende der Lebensdauer sicherzustellen. Es geht nicht darum, Verbraucher:innen in die Irre zu führen, indem suggeriert wird, dass das Produkt leicht abbaubar sei. Ein Stoff gilt als biologisch abbaubar, wenn er unter der Einwirkung von lebenden Organismen ohne schädliche Auswirkungen auf die Umwelt abgebaut werden kann.“
Um diese neue „Ökologie der Mode“ noch sichtbarer zu machen, grenzt das Sourcing Solutions Forum an den Hub-Bereich an, in dem Ausstellende innovativer Materialien wie Spider zu finden sind, der Stoffe aus Zucker und Proteinen herstellt, sowie den Smart Creations-Bereich, in dem die „ruhende Materialien“ untergebracht sind, ein euphemistischerer Begriff für Deadstock (tote und wiederbelebte Bestände).
So hat das 2019 auf Initiative von Chanel gegründete Atelier des Matières einen bemerkenswerten Auftritt auf der Première Vision mit einem modularen Stand, der aus Stoffrollen aus Pappe entworfen wurde. Das von Nativité Rodriguez geleitete Atelier des Matières bietet hybride Kompositionen, die aus Leder-, Woll-, Baumwoll- oder Kaschmirresten (ausschließlich natürliche Materialien) hergestellt werden. Ein Beweis dafür ist ein kleines Notizbuch, dessen Umschlag aus Lederresten hergestellt und anschließend von Créanog, einem auf Präge- und Heißprägetechniken spezialisierten Kreativstudio und Realisierungsatelier, veredelt wurde.
Voll im Trend: Première Vision bietet Lösung für bessere Bezahlung von Landwirtschaftskräften an
Wie Generaldirektor Gilles Lasbordes gegenüber FashionUnited im Vorfeld der Veranstaltung im Februar 2024 erklärte, steht die Lederbranche im Hinblick auf ökologische Verantwortung und Rückverfolgbarkeit im Mittelpunkt der Modebranche. Aber auch hier muss mehr getan werden, als nur (manchmal absurd) die tugendhaften Praktiken der Viehzucht zu demonstrieren.
Am Mittwoch, dem 7. Februar 2024, stellten Olivier Antignac, Gründer und Präsident von Domaine des Massifs, und Mathieu Toutlemonde (Agoterra, ein Unternehmen, das sich für Landwirt:innen engagiert) im Leather Hub (Halle 3) ein Projekt zur regenerativen Landwirtschaft vor. Anstatt Kohlenstoffguthaben durch das Pflanzen von Bäumen im Amazonasgebiet oder anderswo zu erwerben, könnten französische Marken das Geld an notleidende französische Landwirtschaftskräfte spenden.
Sie erklärten, dass zu viel Kohlenstoff in der Atmosphäre zur globalen Erwärmung führt. Wenn Landwirt:innen, während ihr Land brach liegt, Pflanzen (z. B. Klee) anbauen, die Kohlenstoff aufsaugen, um ihn unterirdisch abzugeben und die biologische Vielfalt der Böden zu optimieren, ist das eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten. Vor allem, da diese neue Aktivität über den Kohlenstoffkredit vergütet würde.
Immer anspruchsvollere Zertifizierungen bald zu teuer für Marken im preislichen Mittelfeld?
Es ist an der Zeit, sich für das „A Better Way“-Programm zu interessieren, das in der letzten Ausgabe eingeführt wurde, um Herstellenden, die sich für soziale und ökologische Verantwortung engagieren, ein Zeichen des „besseren Weges“ zu geben. In dieser Saison konnten Bekleidungsherstellende unter den Aussteller:innen von dieser Auszeichnung profitieren, die auf ihren Schildern angebracht war.
Dies ist der Fall beim rumänischen Unternehmen Livas Clothing Srl. Geschäftsführer Bambos Loannou erklärt FashionUnited die drei Punkte, die seine guten Managementpraktiken rechtfertigen: Management seiner Angestellten (Transport, Mahlzeiten und Behandlung in Privatkliniken), Recycling von Papier, Kunststoffen und Stoffen durch eine spezialisierte Fabrik und Installation von Solarzellen für die Stromversorgung.
Bei Siena, einem Industrieunternehmen in der Nähe von Porto (Portugal), das ebenfalls mit dem Prädikat „A Better Way“ ausgezeichnet wurde, gehen die Anforderungen noch weiter. Das Unternehmen schmückt sich mit allen notwendigen Zertifizierungen, um die Voraussetzungen zu erfüllen. Gots (Global Organic Textile Standard) ist ein Zertifikat, das erteilt wird, wenn ein Produkt zu mindestens 70 Prozent aus biologischen Fasern besteht. Zudem muss der Anbau nach den Grundsätzen der biologischen Landwirtschaft erfolgen, das heißt, es dürfen keine GVO, synthetischen Pestizide oder Herbizide verwendet werden.
Diese Zertifizierung, die bei jedem Zwischenbetrieb (Spinnerei, Weberei, Druck, etc.) durchgeführt und jedes Jahr erneuert werden muss, wird tendenziell immer schwieriger zu erhalten und teurer. Eine neue Politik, die Herstellende großer Mengen auf Kosten kleinerer Herstellender begünstigt, was in einer Welt, die dazu auffordert, „weniger, aber besser zu kaufen“, ziemlich paradox ist. Aber eine Situation, die mit dem vergleichbar ist, was in der Lebensmittelindustrie passiert, wo viele kleine Erzeugende aus Sparsamkeit auf das Bio-Siegel verzichten.
Diese intensive Zertifizierungspolitik könnte sich als kontraproduktiv erweisen, da sie kleine Unternehmen und die Endverbraucher:innen benachteiligt, da sich dies auf den Preis des Produkts auswirkt. Man sollte dies im Auge behalten.
Dieser Artikel erschien ursprünglich auf FashionUnited.fr. Übersetzt und bearbeitet von Simone Preuss.