Seek-Kreativchefin Maren Wiebus: „Der gesamte Terminus Messe ist für uns schon eine ganze Weile kritisch“
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Veränderungen in der Messelandschaft sind in der jüngsten Zeit fast an der Tagesordnung. Dennoch überraschte die Seek, das letzte überlebende Mode-Order-Event in Berlin, vergangene Woche mit einer kompletten Überarbeitung ihres üblichen Programms.
Die auf Streetwear-Marken und nachhaltig-orientierte Brands spezialisierte Veranstaltung soll nun in einem noch nicht bekannt gegebenen Zeitrahmen von etwa vier Wochen zwischen Januar und Februar stattfinden. Sie soll aber vor der Pitti Uomo beginnen und schließt die Berlin Fashion Week ein, die vom 31. Januar bis zum 3. Februar 2025 abgehalten wird. Dabei muss nahezu völlig neu bewertet werden, wie eine moderne Messe aussehen könnte. Zugleich stellt sich jedoch auch die Frage, ob die Veranstaltung in ihrer neuesten Form überhaupt noch als Messe betrachtet werden kann.
Manch einer mag zwar spekulieren, dass es sich um ein letzter Befreiungsschlag für die einzige verbliebene Veranstaltung der Premium Group handelt, schließlich hat auch die ehemalige Schwestermesse Premium auch wiederholt neue Konzepte und Standorte angekündigt, bevor sie ihre Pforten endgültig schließen musste. Im Gespräch mit Maren Wiebus, Creative- und Event Director bei der Premium Group, wird allerdings deutlich, dass es sich vielmehr um einen Versuch handelt, der Berliner Modelandschaft eine dringend benötigte, zeitgemäße Veranstaltung zu bieten, die es wagt, sich jenseits vorgefertigter Messekonzept zu bewegen und bereit ist etwas zu riskieren, um sich weiterzuentwickeln.
Frau Wiebus, direkt zum Anfang, die vielleicht wichtigste Frage zuerst. Handelt es sich bei der Seek, nach Umzug und mit neuem Konzept weiterhin um eine Messe?
Der gesamte Terminus Messe ist für uns schon eine ganze Weile kritisch. Auch noch zu Premium- und Seek-Zeiten, als wir das ‘The Ground’-Projekt ins Leben gerufen haben, hat die Bezeichnung eigentlich nicht mehr wirklich gepasst. Daher sind wir schon lange dabei zu versuchen, ein anderes Wort zu kreieren, auch wenn kein Begriff bislang richtig fasst.
Im Endeffekt ist es also keine Messe, sondern ein Ort, der die Needs, die wirklichen harten Business-Needs, der einzelnen Leute, Marken und Agenturen aufgreift und Menschen zusammenbringt.
Der Schritt weg von der großen Messehalle und der Station Berlin, insbesondere nach den Solo-Ausgaben im vergangenen Jahr, hat dennoch für eine Überraschung gesorgt.
Wir haben fast ein dreiviertel Jahr nach einer passenden Location gesucht, der Schritt kam also keineswegs über Nacht. Die Idee einer einzelnen großen Halle war, auch historisch gesehen, nie so wirklich unser Ding. Wir haben die Seek 2009 nie mit dem Gedanken eines Messeformats gestartet, sondern als etwas sehr Persönliches für eine neue Generation von Ausstellenden. Vor ein paar Jahren kam dann Corona und hat viele Entwicklungen aufgehalten oder wieder komplett umgeschmissen. Wir mussten plötzlich auf ganz andere Bedürfnisse eingehen und daher auch überlegen, welchen Raum diese brauchen. Mit den damaligen Rahmenbedingungen machte die räumliche Zusammenkunft mit der Premium durchaus Sinn, doch nun müssen wir, auch wenn wir uns gewünscht hätten, dass es mit der Premium anders endet, wieder unseren eigenen Weg finden.
Sehen Sie den jetzigen Umzug auch als eine Art Neustart für die Seek fernab des Schattens der Premium?
Ja, in gewisser Weise ist der Schritt weg von der großen Halle auch ein Neustart. Die Erinnerungen an die Station Berlin, auch wenn das lange unser Zuhause war, schwebten bislang immer über uns. Daher ist es auch einleuchtend, dass damit die Vergleichbarkeit aus Zeiten, in denen einfach alle Ecken vollgestopft waren, allgegenwärtig war – auch wenn die Seek zuletzt nicht klein war. Das Empfinden der Leute war dennoch immer von der Vergangenheit geprägt.
Zieht der Conscious Club mit in die neue Location?
Auf jeden Fall. Wir wollen weiterhin, oder auch stärker denn je, auf die Brands eingehen und für die ein Zuhause sein und ein Ort, an dem sie sowohl ihre Produkte präsentieren können als auch sich austauschen. Das braucht es auch auf alle Fälle und wir involvieren dafür auch viele Expert:innen.
Das heißt aber auch, dass die Seek weiterhin viele unterschiedliche Brands unter einen Hut bringen muss?
Genau, in der neuen Location war uns daher ein individueller Ansatz sehr wichtig, denn wir wollen inklusiv sein, allen aber ermöglichen, zielgruppengerecht zu agieren und eben den Menschen, noch mehr als den Marken, die Räume zu bieten, die sie brauchen. Für die einen mag das ein lautes Event sein, für die anderen ein eleganter, möglichst cleaner Showroom, bei dem klassische Musik läuft. In der neuen Location können wir das alles bedienen.
Wir haben drei Aufgänge, drei Eingänge, zwei Aufzüge und können alles komplett modular bespielen. Unser eigenes Set-up wird sehr reduziert sein, jedoch werden wir gemütliche Gemeinschaftsbereiche kreieren. Zudem verzichten wir auf Trennwände und orientieren uns wieder mehr an „früher“, als man noch alles relativ einfach umgestalten und umbauen konnte, damit es zum jeweiligen Zeitraum und den eingemieteten Brands passt.
Stichwort Brands – kann man mit einer ähnlichen Anzahl von Marken wie in den vorherigen Ausgaben der Seek rechnen?
Wir bieten 600 Quadratmeter pro Etage. Dadurch, dass theoretisch alles mehrmals vermietet werden kann, ist es derzeit schwer zu sagen, wie viele Marken schlussendlich vor Ort sein werden, oder besser gesagt in das Areal passen. Von der Grundfläche ist es jedoch in etwa so groß wie die Ausgabe im letzten Sommer und im letzten Januar.
Warum sollten Marken weiterhin auf die Seek vertrauen und nach Berlin kommen?
Wir glauben fest daran, dass es sowohl eine Berechtigung als auch Bedarf dafür gibt, was wir da machen. Und unsere Arme sind weit offen für alle, die sich beteiligen wollen. Dennoch muss man ehrlich mit sich selbst sein, denn natürlich gibt es viele Brands, die nicht zu uns passen und zu denen wir nicht passen. Das hat nichts mit Arroganz zu tun, sondern mit Realismus. Vielleicht gibt es gelegentlich Überschneidungen, aber letztlich geht es nun darum, in einer ohnehin schon schweren Zeit, in der kaum jemand wirklich Geld für Marketing- oder Salesaktivitäten ausgeben will, jenen, die bereit sind und zu denen unsere Idee passt, die bestmögliche Plattform zu bieten und sich auf diese zu konzentrieren.
Dort liegt unser Fokus und dafür steht Berlin, denn auch von der Fashion Week aus war die Stadt schon immer ein Spielplatz und stand für sinnvolles Beisammensein. Hier kommt mehr zusammen als woanders. Und hier ist sicherlich auch eine Generation angesiedelt, die in die Zukunft blickt. Wie genau diese aussieht, auch für die Seek, ist das, was wir jetzt herausfinden müssen, sonst werden wir – aber auch viele Markenpartner:innen – überrollt.
Veränderungen, insbesondere drastische, werden häufig kritisiert. Wie gehen Sie damit um?
Manchmal liegt es nahe, das Handtuch zu werfen und an dem Punkt waren wir zwischendurch kurz mal. Aber es gibt dann immer noch genug Leute, die Cheerleader:innen sind und die uns darin bestärken, uns nicht beirren zu lassen. Genau auf diese Menschen wollen wir uns konzentrieren. Was sollen wir auch anders machen? Den Kopf in den Sand zu stecken ist auch keine Option.
Wir sind keine Organisation, die es allen recht machen kann, das haben wir in den letzten Jahren gelernt. Allerdings werden wir uns für Neinsager:innen sicherlich nicht verbiegen, sondern möglichst konzentriert für die Leute weitermachen, die es wollen und brauchen. Was für uns dabei herausspringt, wissen wir ja nicht, aber die Entscheidung der neuen Location war auch eine wirtschaftliche, insbesondere für die Aussteller:innen, denn die Kosten sind definitiv geringer als zuvor. Die Zeiten sind schwer und daher war es wichtig, die Kosten für unsere Partner:innen zu reduzieren.
Was macht die aktuellen Zeiten, insbesondere für Messen oder entsprechende Plattformen, so schwer?
Die Zeiten, an denen man davon ausgehen konnte, dass hunderte von neuen Kund:innen es kaum erwarten konnten, neue Kollektionen zu entdecken und sich zeitlich danach richten, sind vorbei. Man muss dieses Thema sehr viel gezielter angehen. Dennoch ist das jetzige Konzept sicherlich nicht in Stein gemeißelt und in der Zukunft können sich wieder Dinge ändern, doch wir glauben daran, dass das für jetzt der richtige Weg ist und was sich dann wieder für die Zukunft daraus entwickelt, werden wir sehen.
Was allerdings sicher ist, ist, dass nicht alles – was auch immer alles ist – zu einem bestimmten Zeitpunkt an zwei Tagen stattfinden wird. Das wurde jedoch in der Vergangenheit ohnehin viel kritisiert und schien insbesondere in dem sehr eng gesteckten Kalender, dem sich die Modebranche beugt, nicht länger zeitgemäß.
Sehen Sie die Seek weiterhin als Plattform für das Ordern von Ware oder ist es eher ein Zusammenkommen der Branche?
Wir würden es sehr begrüßen, wenn Ordern aufs Papier gebracht werden würden. Aber wir wissen einfach auch, dass das nicht das Ziel aller Brands ist. Allerdings bieten wir neue Optionen, mit mehr Fläche, und so könnte man die Seek nutzen, um ein komplettes Kollektionsszenario abzubilden. Ob das auch so genutzt wird, bleibt abzuwarten.
Die Seek startet nicht nur mit einem neuen Konzept, sondern präsentiert sich auch zu einem neuen Datum und einem etwa vierwöchigen Zeitrahmen, der noch vor allen anderen Messen startet und die Berlin Fashion Week miteinschließt. Wie kam es dazu?
Die ganze Datumsdiskussion, die es schon immer gab, hat sich durch Covid noch einmal stark verändert und wir fragen uns konstant, was wohl das richtige Datum ist. Denn für die einen ist es immer zu spät, für die anderen immer zu früh. Die einen bitten um ein Datum Ende Februar, die anderen wollen eine Veranstaltung vor Weihnachten, es ist unglaublich divers. Daher hat es für uns mehr Sinn gemacht, nicht nur zwei Tage vorzugeben, an denen dann alle Antanzen „müssen“, insbesondere dann, wenn bei den einen schon nicht mehr geordert werden kann und für die anderen ihre Kollektionen bisher nicht einmal fertig sind. Also haben wir uns entschieden, wir werden einen längeren Zeitraum bieten.
Birgt das lange Zeitfenster jedoch nicht auch die Gefahr, dass sich die Seek ein Stück weit “verläuft”?
Uns ist völlig klar, dass sich innerhalb dieses Zeitraums von vier bis fünf Wochen zwei bis maximal drei Kernzeiten herauskristallisieren werden. Das können wir bereits jetzt absehen, aber ob dann eine Brand zu diesem Zeitraum einfach nur einen Tag, oder einen Morgen, Mittag oder Abend ein Event macht oder eine Woche da ist, das bleibt ihnen überlassen. Und wir unterstützen natürlich mit allem, was wir haben.
Es wird jedoch nur wenige Marken geben, die ganz lange bleiben. Wir können uns jedoch sehr wohl vorstellen, dass einige Marken sich mehrmals im Laufe des Zeitraums einmieten. Aktuell stehen wir noch vor einer riesigen Koordinationsaufgabe. Für uns wäre es sicherlich einfacher, wenn sich alles in zwei Tagen bündeln ließe, doch dem ist nicht mehr so und wir maßen uns nicht an, für alle einen Zeitpunkt zu entscheiden. Daher brauchen wir nun lediglich Klarheit über das Entscheiden unserer Partner:innen und einen gewissen Vertrauensvorschuss.
Sie sprachen gerade Klarheit an, inwiefern gibt es diese für Besucher:innen? Woher weiß man, wann man welche Marke vor Ort antreffen wird?
Wir versuchen so schnell wie möglich ein Programm mit den anwesenden Marken und den dazugehörenden Daten zusammenzustellen, aber realistisch wird sich das natürlich noch bis kurz vor knapp verändern. Daher ist es umso wichtiger, dass die Brands rechtzeitig kommunizieren, denn es kann sich wirklich keiner mehr erlauben, sich da einfach irgendwo hinzustellen und auf Wunder zu hoffen.
Apropos Marken, wird sich der Markenmix in der kommenden Saison verändern? Oder bleiben Ihnen die Partner:innen trotz Wandel treu?
Wir gehen davon aus, dass der Markenkern gleich bleiben wird, würden uns jedoch auch freuen, wenn noch mehr dazukommen, insbesondere in Richtung des späteren Datums, also auch Richtung Fashion Week. Wenn es etwas femininer werden würde, wäre das toll. Etwas mehr Womenswear, aber auch ein paar Agenturen, das wäre sicherlich sinnvoll.
Sie sprachen gerade die Fashion Week an, gibt es Pläne, die Türen der Seek auch jungen Berliner Designer:innen und aufstrebenden Talenten der Fashion Week zu öffnen?
Es besteht ein guter Kontakt zum Fashion Council Germany und da gibt es auf alle Fälle auch einen Bedarf von vielen Brands, die etwa bislang nicht mit Agenturen zusammenarbeiten, vielleicht weil sie noch nicht unbedingt super kommerziell aufgestellt sind, aber trotzdem echt Hilfe brauchen, auch mit dem wirtschaftlichen Teil und damit mit Einkäufer:innen und Stores in Kontakt zu kommen.
Das ist oftmals ein Manko, das wir einfach auch in unserer ganzen Historie mit aufstrebenden Designer:innen gelernt haben. In den seltensten Fällen sind die Leute, die wahnsinnig kreativ sind, auch superfit, wenn es um den Sales-Part geht. Und das ist natürlich schade und dementsprechend würden wir uns sehr freuen, wenn das auch so aufgeht, dass diese Chance dementsprechend genutzt wird, insbesondere, da die neue Location uns ermöglicht, auch diese Marken abzubilden. Unterm Strich kann man sich mit zwei Kleiderstangen in einem Community-Space einmieten, oder eben einen eigenen Raum in einen Showroom verwandeln oder eine Direct-to-Consumer-Aktivierung machen.
Dennoch hat das Image von Berlin als Mode- und Messestadt zuletzt gelitten und doch hält die Seek an ihrer Heimat fest. Warum?
Ich bin davon überzeugt, dass es keine andere Stadt in Deutschland gibt.
Außerdem ist es auch ganz klar, dass auch Berlin an sich immer polarisiert, schon aus Berlins Historie heraus. Uns kann man jedoch nicht nachsagen, dass es hier je langweilig war. Kaum eine andere Stadt ist so wahnsinnig inspirierend, frei, jung und wenn wir uns nach vorn bewegen wollen, alle miteinander, muss man da aus seinem Kokon herauskommen und sich genau darauf einlassen. Das bedeutet nicht, dass man ins Berghain gehen oder mit der U8 fahren und sich von Junkies anpöbeln lassen muss. Aber er sollte bedeuten, dass man bereits ist, Berlin – und auch uns – mit einer neu gefundenen Offenheit entgegenzublicken.
Wir wollten uns mit der Wahl unserer neuen Location daher auch gezielt nicht isolieren, sondern mitten in Berlin platzieren. Es geht darum, die Energie und den Vibe der Stadt zu vermitteln, Internationalität und auch diese sympathische Dreckigkeit, auch wenn es in unserer Nachbarschaft nicht mal so dreckig ist, wir jedoch trotzdem mit der Seek „mitten im Leben“ stehen.
Sie sind auch in bester Gesellschaft, der Voo Store etwa ist nur einen Katzensprung entfernt. Wird es eine Zusammenarbeit geben?
Genau, der Voo Store ist direkt nebenan und Yasin Müjdeci (Anm. d. Red.: Gründer des Stores) ist selbst der größte Fan der Straße und des Kiez. Eine konkrete Zusammenarbeit ist aktuell nicht geplant, aber er fand es toll, dass wir nebenan ziehen, und wir haben ihn auch früh in unsere Pläne involviert. Außerdem ist der Store auch ein Sinnbild für jene Marken, und vor allem den Vibe, den die Seek traditionell anstrebt. Und natürlich ist ein Besuch bei Voo in Berlin immer Teil des Pflichtprogramms, also können die Besucher:innen direkt zwei Fliegen mit einer Klatsche schlagen.
Zu guter Letzt, was wünschen Sie sich für die bevorstehende Ausgabe der Seek?
Ich würde mir wünschen, dass wir uns alle mal wieder an die Nase packen und uns von diesem Klammergriff und den vorgefertigten Meinungen, die uns alle umgeben, wieder frei machen. Was bringt es uns, alles schlechtzureden und immer das Gras grüner woanders zu sehen? Ich wünsche mir Commitment und Unterstützung. Ich wünsche mir im Eigeninteresse, dass die Leute sich überlegen, was sie brauchen und die neue Variante der Seek annehmen, wenn es zu ihnen passt. Zudem würde ich mich freuen, wenn wir ins Gespräch gehen würden, wenn es noch nicht 100 Prozent perfekt ist. Vielleicht stimmen schon 80 Prozent, und die restlichen 20 können wir gemeinsam entwickeln.