Techtextil & Texprocess: Nachhaltigkeit, Digitalisierung und neue Gesetze verändern die Textilbranche
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Alle Bereiche der Textilindustrie stehen derzeit vor großen Umwälzungen. Die beiden Schwestermessen Techtextil und Texprocess präsentierten in Frankfurt am Main zahlreiche neue Ideen und Lösungen für die vielfältigen Herausforderungen der Branche. Vom übergreifenden Thema Nachhaltigkeit bis hin zu Digitalisierung, Automatisierung und KI.
Wer einen Blick in die Zukunft der Textilindustrie werfen möchte, wurde auf der Techtextil / Techprozess, die letzte Woche in Frankfurt am Main zu Ende ging, fündig. Zu allen großen Zukunftsthemen wie Nachhaltigkeit, Recycling, neue Gesetzgebung, Digitalisierung, Automatisierung und künstliche Intelligenz konnte man sich auf der Messe umfassend informieren. Rund 38.000 Besucher:innen aus 102 Ländern war das umfangreiche Angebot der 1.700 Aussteller eine Reise nach Frankfurt wert, das sind 29 Prozent mehr als bei der letzten Veranstaltung. Die Top-Ausstellernationen waren laut Messe Frankfurt Deutschland, Italien, China, Frankreich und die Türkei. Ausstellerwachstum erfolgte unter anderem aus Ägypten, China, Indonesien, Kosovo, Luxemburg, Moldau und Thailand.
Lohnkosten vs Automation: Vollautomatische Konfektion dauert noch
Viele Aussteller waren mit vorsichtigem Optimismus nach Frankfurt gekommen. Schließlich ist die wirtschaftliche Lage in der Bekleidungsindustrie derzeit nicht unbedingt rosig. „Vor dem Hintergrund des aktuellen Branchenumfelds waren unsere Erwartungen eher verhalten“, erklärt Michael Kilian, COO des Nähmaschinenherstellers Dürkopp Adler. „Die Messe hat diese wirklich übertroffen. Europa war komplett da, aber auch der Mittlere Osten, Bangladesch, Indien, Pakistan, die USA und Mexiko.“ Seine Kund:innen waren vor allem an Automation und Prozessoptimierung interessiert und suchten nach Lösungen, um noch effizienter zu produzieren.
Doch die Vollautomation der Nähereien ist noch nicht in Sichtweite, auch wenn das vor einigen Jahren noch so klang. Vedat Irey, Global Sales Manager von Pfaff, ist da realistisch: „Alles ist möglich, aber dann kostet die Jeans 10.000 Euro.“ Solange Unternehmen immer wieder Länder mit noch niedrigeren Lohnkosten finden, sind der Automatisierung klare wirtschaftliche Grenzen gesetzt. Gerade erst habe ihm ein Produzent aus Indien erzählt, dass dieser in Äthiopien eine neue Fabrik aufbauen wolle, weil dort die Lohnkosten nur halb so hoch seien wie in Indien. Gleiches gelte für die Idee des Nearshoring. „Ich sehe nicht, dass mehr Produktionsbetriebe in Europa entstehen, und Marken versuchen, ihre Produktion nach Europa zu verlagern“, so Irey. „Im Moment wollen die Firmen eher Geld verdienen als neue Risiken eingehen.“
Additive Druckverfahren für völlig neue Optiken und Funktionen
Ein relativ neues Feld bei der Bedruckung von Textilien liegt in digitalen, additiven Drucktechniken. Das Interessante daran: Die Muster lassen sich innerhalb kürzester Zeit herstellen und auf Stoffe drucken, und sie erlauben völlig neue Strukturen. Das israelisch-US-amerikanische Unternehmen Stratasys zeigte bunte Blumendrucke mit Stachelstruktur, wobei jeder einzelne Stachel unterschiedlich gefärbt war. Solche Textilien mit aufgedruckten Oberflächenstrukturen, die bis zu mehreren Millimetern hoch sein können, sind nicht nur ein echter Hingucker, sondern auch hochfunktional. „Beispielsweise kann man damit Regenrinnen aufdrucken, damit das Wasser seitlich an der Jacke runterläuft“, sagt Hannes Kalz von Stratasys. Das Unternehmen kommt aus dem Prototypenbau von Sneakern und dem 3D Offset Druck und sieht in der Technologie eine große Zukunft. Stratasys liefert Maschinen und Systemtechnik, nutzen kann sie jeder Konfektionär. Bislang interessieren sich vor allem High-Fashion Brands für die Technologie, weil so ein 3D-Muster bis zu acht Stunden braucht, bis es fertig gedruckt und ausgehärtet ist. Ab sofort können jedoch auch ganze Kleidungsstücke auf den Drucker gelegt werden, nicht nur einzelne Stoffteile, wie bisher. „Damit werden wir massentauglicher“, erklärt Kalz weiter.
Auch flachere Drucke mit Struktur, beispielsweise mit Pinselduktus, geben einem Stoffmuster mit Blumen eine ganz neue Dimension, wie beispielsweise beim Druckspezialisten Kornit Digital. Dieselbe Maschine, die die Textur druckt, ist auch diejenige, die die Farbe darüber druckt.
Biobasierte, biologisch abbaubare Kunstfasern und neue Lösungen für PFAS
Nachhaltigkeit war das alles beherrschende Thema der Messe. „Es gibt eigentlich keinen Aussteller mehr, der nicht in irgendeiner Form nachhaltigere Lösungen präsentiert“, erklärt Bernd Müller, Nachhaltigkeitsberater der Messe Frankfurt. Viele Unternehmen präsentierten neue biobasierte Kunststoffe, wie beispielsweise die schillernden Pailletten auf Zellulosebasis von Radiant Matter aus Großbritannien. Auch die biologische Abbaubarkeit bleibt ein wichtiges Thema bei den Kunstfasern. Das Unternehmen Fiber Partner aus Dänemark hatte seine Botschaft auf die T-Shirts seiner Mitarbeitenden gedruckt: „Polyester is no longer immortal“, konnte man da beispielsweise lesen. „Es gibt immer mehr Produkte, die biologisch abbaubar sind“, sagt Lars Rindebaek und nennt als Beispiel sogar Windeln. „Wir können inzwischen alle Fasern so ausrüsten, dass sie biologisch abbaubar sind.“ Die Lebensdauer der Textilien leide darunter nicht. „Baumwolle oder Schafwolle bauen sich viel schneller ab als Polyester, das hat keinen Einfluss auf die Lebensdauer der Kleidung“, so Rindebaek. Das ganz große Interesse zeige die Bekleidungsindustrie jedoch noch nicht, obwohl die biologische Abbaubarkeit für die Begrenzung von Microplastik wichtig wäre.
Die Innovationen von morgen gab es vor allem an den Ständen der Forschungsinstitute zu begutachten. So präsentierte die Innovationsplattform Biotexfuture des Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen University (ITA) beispielsweise Sportstrümpfe aus CO2-Abgasen mit dem Sockenspezialisten Cep, zellulosebasiertes Füllmaterial, das leichter und wärmer ist als Daune sowie ein neues Bio-Coating, das als wasserabweisende Ausrüstung eine biobasierte Alternative zu den schädlichen PFAS werden könnte. „Wir haben von der Chemieindustrie jahrelang gehört, dass es nichts besseres gibt als PFAS“, erklärt Nicole Espey vom ITA. Erst jetzt, wo das EU-weite Verbot dieser Chemikalien droht, bewege sich die Branche. „Man sieht: Sobald die Regulation kommt, setzt das Prozesse der Innovation frei. Freiwillig passiert leider viel zu wenig.“
Auch das belgische Unternehmen AGC Plasma Technology Solutions, das eigentlich aus der Glasindustrie kommt, präsentierte eine neue Vakuumtechnologie zur giftfreien wasserabweisenden Beschichtung von Stoffen. Die Technologie existiert seit Jahrzehnten und wird zur Beschichtung von Fensterscheiben genutzt. Sie kommt völlig ohne Wasser oder Trocknungszeiten aus und ermöglicht wasserabweisende Coatings im Nanometerbereich. „Wir sind auf der Suche nach Kooperationspartnern aus der Textilindustrie“, erklärt Jeroen Schotsaert von AGC.
Suche nach neuem Elasthan
Derzeit macht insbesondere auch die Politik Druck, um Veränderungen in der Textilbranche zu beschleunigen: So steht beispielsweise die klassische Elastan-Produktion durch Lösungsmittelspinnen in der Europäischen Union kurz vor dem Aus, weil zur Herstellung Lösungsmittel benötigt werden, die als gesundheitsschädlich gelten und bereits teilweise Ende des letzten Jahres in der EU verboten wurden. Neben dem Institut für Textiltechnik ITA, das daran forscht, Schmelzspinnverfahren für Elasthan zu entwickeln, die ohne Lösungsmittel auskommen, präsentierte das taiwanesische Unternehmen Hermin eine neuartige Ausrüstung, die Naturfasern elastisch macht. Das Verfahren wurde per Zufall entdeckt und kann für alle Naturfasern angewendet werden, von Baumwolle über Seide bis hin zu Leinen.
Recycling: Das Top-Thema der Messe
Recycling gehörte innerhalb des Themenfeldes Nachhaltigkeit zu den Top-Themen der Messe. Egal, ob es sich um das Recycling von Textilien, von Abfällen anderer Branchen oder von Abgasen handelt, die Bandbreite der Möglichkeiten wird sichtbar größer. Dennoch steckt das Recycling noch in den Kinderschuhen, denn gerade einmal ein Prozent der Textilien stammt aus dem Textile-to-Textile-Recycling, in das unsere Textilien künftig mehrheitlich gehen sollen. In vielen Ländern mit Textilproduktion werden derzeit neue Recycling-Lieferketten aufgebaut, beispielsweise in der Türkei und in Portugal. In Portugal nimmt sich Textilunternehmen und Wäschespezialist Impetus dieser Aufgabe an und experimentiert zudem mit recyclingfähigen Produkten aus Monomaterial. Nur das Gummiband kann noch nicht aus Monomaterial hergestellt werden, deshalb wird es mit einem löslichen Spezialgarn des Schweizer Anbieters Climatex angenäht. So kann es im Recyclingprozess leicht vom Rest abgetrennt werden.
Das Recycling von Post-Consumer-Textilien gehört zu den Größten Herausforderungen der Branche. Bevor es soweit ist, haben viele Hersteller damit begonnen, für ihre Produktionsabfälle Recyclinglösungen zu entwickeln. So recycelt der Garnhersteller und Weber Velener Textil aus dem Münsterland die Reste auf den Garnrollen, anstatt sie kostenpflichtig zu entsorgen. „Auf diese Weise können wir im Jahr etwa 150 bis 200 Tonnen Garn recyceln“, sagt Matthias Anlauf von Velener Textil. Für den italienischen Wollspezialisten Lanificio Bigagli ist das Wollrecycling hingegen ein alter Hut. „In Prato machen wir das schon seit Jahrzehnten“, erklärt Sales Manager Alessandro Gucci. Recycelt werden auch hier vor allem Produktionsreste, doch zunehmend kommt auch Post-Consumer-Kleidung zurück in den Kreislauf. Eine gute Sortierung sei hier enorm wichtig: „Die Supply Chain muss enorm sicher sein, damit wir keine schädlichen Stoffe im Endprodukt haben.“