Ungewisse Zeiten: Der chinesische Modemarkt rätselt über seine Millennials
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Die Zukunft von Chinas Modesektor ist unsicher, obwohl das Land bereits in diesem Jahr die Vereinigten Staaten als weltweit größten Bekleidungsmarkt überholen könnte.
Viele chinesische Modeunternehmen müssen noch herausfinde, wie sie die rund 410 Millionen nach 1980 geborenen chinesischen Konsumenten ansprechen können. Antworten zu finden wird entscheidend für ihre Zukunft sein. Denn steigende Lohnkosten in China erhöhen den Druck auf die Bekleidungsindustrie, ihre eigene Marken zu schaffen oder zu schärfen. Auch der Slogan “Hi Me!” der Chic Shanghai, der größten chinesischen Modemesse, unterstrich wie wichtig es ist, die individualistisch geprägten, heimischen Millennials und nachfolgende Generationen, zu verstehen.
"Der Wandel, dem sich unsere Branche und die Gesamtwirtschaft gegenübersieht, ist so steil wie eine Klippe", sagte Zhao Weiguo, Professor an der Modefakultät der Zhejiang Sci-Tech University, bei einer Präsentation auf der Messe, die vom 12. bis 14. März stattfand. "Eine große Kluft tut sich zwischen Vergangenheit und Zukunft auf und jeder steht vor der Frage, wie er sie überwinden kann."
Steigender Druck aus dem Markt
China könnte 2019 die USA als größten Modemarkt der Welt überflügeln, sagte das Beratungsunternehmen McKinsey im November voraus. Aber der Wandel des Landes vom führenden globalen Bekleidungshersteller zum größten Modemarkt der Welt wird für viele chinesische Hersteller angesichts des intensiven Wettbewerbs keine leichte Aufgabe sein.
Es besteht kein Mangel an Produzenten, wie die Zahl der Aussteller auf der Chic zeigt. Im Vergleich zum vergangenen Jahr stieg die Zahl der Aussteller um 14 Prozent auf 1.365 und das inmitten der anhaltenden Umwälzungen des chinesischen Modemarktes. "Der Markt und die Unternehmen stehen unter großem Druck", sagte Chen Dapeng, Vizepräsident der chinesischen National Garment Association und Ausrichter der Messe auf einer Pressekonferenz.
Die Verbraucher neigten dazu, sich auf die Qualität anstatt Quantität der Kleidung zu konzentrieren, erklärte er. Gleichzeitig hat der technologische Fortschritt die Art und Weise, wie Konsumenten Kleidung kaufen, erheblich verändert.
Zukünftig werden Technologien wie Künstliche Intelligenz Unternehmen helfen, ihre Kunden gezielt anzusprechen und Überbestände zu vermeiden, während die Automatisierung die Kosten steigender Löhne begrenzt — außerdem möchten jüngere Menschen oft nicht mehr im Textilsektor arbeiten. Ein Teil der derzeit in China produzierten Bekleidung wird Chen zufolge zukünftig in Mittwestchina, Südost- und Südasien sowie Nordafrika hergestellt werden.
”China ist das größte Fertigungsland der Welt, da ist es unmöglich, dass die gesamte Produktion ins Ausland verlagert wird", sagte er. “Aber wir müssen auch die Wertigkeit der Produkte durch Design verbessern."
Millennials verstehen lernen
Während Chinas Technologiesektor internationale Schwergewichte wie Huawei oder Alibaba hervorgebracht hat, hat eine heimische Modemarke es noch nicht zu einem ähnlichen Status gebracht.
Weiche Kaschmirmäntel in allen Farben und Formen, die an vielen Ständen auf der Chic ausgestellt werden, sowie üppige Daunenjacken lassen keine Zweifel an der Qualität der chinesischen Hersteller, die oft für internationale Premium-Labels produzieren. Um mehr im Bekleidungsgeschäft zu verdienen, müssen die Unternehmen in der Wertschöpfungskette nach oben klettern, das erfordert jedoch ein Design und vor allem eine Marke, die den Verbraucher anspricht. Hier ist es auch wichtig, die sich rapide verändernden und vielfältigen Anforderungen der nach 1980 geborenen Altersgruppen zu verstehen, die ihren westlichen Pendants ähneln und doch ihre eigenen Merkmale besitzen. Und die Kaufkraft dieser Gruppe wird in den kommenden Jahren noch weiter zunehmen.
“Im Internetzeitalter und mit den Millennials haben chinesische Modefirmen noch ein riesiges Potenzial vor sich. Es warten gute Geschäfte auf uns, wenn wir schaffen es zu heben”, sagte Lu Shan, Vice President des im chinesischen Chengdu ansässigen Modekonzerns Rady Boer Enterprise, in seiner Präsentation auf der Chic.
Laut Lu sprechen viele etablierte einheimische chinesische Marken Verbraucher aus kleineren Städten oder die in den siebziger Jahren oder früher geborenen Verbraucher an. Diese schätzen oft Produkte, die ihren wirtschaftlichen Status unterstreichen, den sie in den letzten zwei Jahrzehnten mit dem steilen wirtschaftlichen Aufstieg Chinas errungen haben. Im Gegensatz dazu wurde die Millenniums-Generation bereits in den relativen Wohlstand und das Internetzeitalter hineingeboren. Sie leiden vielmehr unter einem Gefühl der Unsicherheit und des Drucks, ihren Lebensstandard inmitten steigender Immobilienpreise in größeren Städten zu halten — was ihre Vorliebe für Online-Shopping, globale Marken, unschuldige kindliche Motive und Wohlfühlprodukte erklären könnte.
Vielfältig und vielversprechend
“Am Anfang war es nicht einfach, aber wir haben den Markt jetzt gut verstanden", sagte Designer Miao Jie aus Guangzhou über sein Label EMC, das er 2012 gegründet hat. Seine Kollektion mischt Streetwear mit traditionellen Einflüssen, wie zum Beispiel ein besticktes Phönix-Motiv auf einer Jeansjacke oder ein Kleid mit beige-schwarzen Karos und Mandarinkragen. Während seine eigene Marke 20 Prozent des Umsatzes erwirtschaftet, erzielt sein Unternehmen immer noch den größten Teil seines Umsatzes mit der Fertigung für andere Marken.
Miao Jie zeigt seine Marke im Bereich "Impulse" auf Chic, der den Fokus auf heimisches Design aus China gelegt hat. Auf die Frage, wie sich die Designsprache aus China weiter entwickeln könnte, antwortete er: "Wir brauchen Zeit zum Entwickeln und Nachdenken, aber wir stehen auch unter dem Druck, unseren Lebensunterhalt zu bestreiten."
Die enorme Größe des chinesischen Modemarktes kann für ausländische Unternehmen einschüchternd und vielversprechend zugleich sein. Der Markenmix im glitzernden Schanghaier Einkaufszentrum HKRI Taikoo Hui, das 2016 eröffnet wurde, zeigt die Chancen für internationale Unternehmen deutlich. Läden internationaler Luxusmarken wie mittelpreisiger Labels, von Coach über Issey Miyake bis zu Geox und Denham säumen die unteren Stockwerke. Gleichzeitig lässt die 322.000 Quadratmeter große Mall aber auch Raum für Stores kleinerer Designer wie den des deutschen Labels Damir Doma, in dem eine weiße Baumwollbluse mit Knotendetails an der Taille für mehr als 4000 Yuan (520 Euro) erhältlich ist. In derselben Mall finden sich auch sogenannte chinesische Designerlabels wie AUN, die ab 1500 Yuan erhältlich sind.
Die chinesischen Konsumenten kaufen bewusster und differenzierter ein, da reicht es schon seit längerem nicht mehr aus, bloß auf eine westliche Brand zu setzen: "Schauen wir uns die italienischen Marken an", sagte eine Einkäuferin, die einen roten Rollkoffer hinter sich her schleppt, zu ihren beiden Begleitern vor dem italienischen Pavillon auf der Chic. "Nee, lassen wir das lieber, es hat doch keinen Sinn", antworteten ihre Kollegen. "Diese Kleidung passt den Chinesen nicht gut und alles wird doch sowieso in China hergestellt.”
Dennoch dient die Messe Chic nach wie vor als Ausgangsbasis für internationale Marken, die in den chinesischen Markt vordringen wollen. "Viele chinesische Kunden kaufen in unserem Geschäft in Frankfurt ein", sagte Achim Bruder, Geschäftsführer des deutschen Lederwarenherstellers Abro, auf seinem Messestand. "Deshalb wissen wir, dass es in China Kunden für unsere Marke gibt und es ist ein wirklich großer Markt."
Der riesige und vielfältige Markt wird auch von internationalen Marken als Chance wahrgenommen, ihre Nische zu finden. "Die Chinesen werden als Konsumenten immer bewusster. Sie entwickeln auch mehr Liebe zum Detail", sagte Francesco Carpineti, kaufmännischer Leiter des italienischen Schuhherstellers Future Fashion. Das Unternehmen hat bereits damit begonnen, seine personalisierbaren, maßangefertigten Schuhe in chinesischen Kaufhäusern zu vertreiben. "Es ist auch eine Chance für kleinere Projekte wie unseres."
FashionUnited hat die Chic Shanghai auf Einladung der Veranstalter hin besucht.
Foto: FashionUnited, Weixin Zha