Da die Frühjahr/Sommer 2023-Ausgabe der Londoner Modewoche in die Zeit der Staatstrauer um Königin Elizabeth II. und ihre Beerdigung fiel, war ungewiss, wie die Veranstaltung verlaufen würde, insbesondere nachdem große Häuser wie Burberry und Raf Simons abgesagt hatten. Doch aufstrebende Londoner Designer:innen von Molly Goddard bis Edward Crutchley stellten ihre Kollektionen vor und zollten gleichzeitig einer Königin Tribut, die sich für Kreativität und Design stark machte.
Auch wenn die Modenschauen inzwischen nach Mailand umgezogen sind, haben die Kollektionen von Molly Goddard, Erdem, Edward Crutchley, Rejina Pyo und Bora Aksu einen bleibenden Eindruck hinterlassen.
Der Ausgangspunkt für die SS23-Kollektion von Molly Goddard war der rote Teppich vor der Zeit des Internets, als „man sich eher für die Party und für sich selbst schick machte“. Eine Ära, fügte Goddard hinzu, in der es nicht ums „Posieren“ ging und in der die Menschen aussahen, als hätten sie mehr Spaß.
Die Designerin verwies auch auf die Arbeit des Modeschöpfers Charles James und die Art und Weise, wie er mit Formen und Proportionen spielte, als Inspiration für diese Saison. Goddard fügte in den Notizen zur Show hinzu, dass sie daran interessiert sei, „die Stoffe bis zum Äußersten auszureizen, die Qualitäten jedes Stoffes zu nutzen und ihn die Arbeit machen zu lassen“.
Das Ergebnis war eine fröhliche, kompromisslose Explosion von Farben und Volumen, wie man sie von Goddard gewohnt ist. Es gab farbenfrohe Tüllkleider und Slips, aber auch aufwändig geschnittene Abendkleider aus Baumwolle und Ballkleider aus Jersey. Daneben gab es schlichte Schneidereien, gestrickte Kapuzenpullover, geraffte Bomberjacken und kitschig bedruckte Oberteile mit Rüschenbesatz und passenden Röcken.
Goddard beendete die Show mit einem klassischen Brautkleid, einem überlebensgroßen Tüllkleid für eine moderne Braut, das vor der Kulisse des Seymour Leisure Centre grandios aussah.
Bild: Erdem SS23 von Jason Lloyd Evans
Für die Frühjahr/Sommer-Kollektion 2023 erforschte Erdem die Restaurierung von Kunst und verbrachte Zeit mit Restaurierungsexperten im British Museum, dem Tate, V&A und der National Gallery.
„Das Wissen, das Geschick und die Hingabe, die bei der Restaurierung erforderlich sind, sind sowohl eine viszerale als auch eine technische Form der Kreativität“, erklärt der Designer in seinen Anmerkungen zur Show. „Sie erfordert forensische Leidenschaft; einzelne Stücke können von einem einzigen Restaurator bis zu 20 Jahre lang bearbeitet werden. Die Kollektion untersucht den Raum zwischen Sorgfalt und Besessenheit im Streben nach Bewahrung“.
Bild: Erdem SS23 von Jason Lloyd Evans
Im Rahmen seiner Recherchen wurde er Zeuge, wie ein besticktes Kleid aus dem 18. Jahrhundert mit einem komplexen Tüllunterbau wiederbelebt wurde, und dies inspirierte ihn zu einer Kollektion, die den Raum zwischen Sorgfalt und Besessenheit im Streben nach Bewahrung untersucht. Dies wurde in eine Erkundung des Unerledigten übersetzt, in Stadien der Rekonstruktion wie ausgefransten Säumen, verblassten Textilien und dem Hinzufügen von Patchwork-Reparaturen zu Kleidern. Erdem überzog einige Looks sogar mit Tüllschleier-ähnlichen Beuteln, als ob er sie vor den Naturgewalten schützen wollte.
Erdem widmete seine SS23-Show auch Ihrer Majestät, der Königin, mit einer Reihe von Trauerkleidern mit schwarzem Schleier.
Bild: Erdem SS23 von Jason Lloyd Evans
Edward Crutchley
Bild: Edward Crutchley SS23
Woolmark-Preisträger Edward Crutchley ließ sich bei seiner SS23-Kollektion vom altgriechischen Meeresgott Proteus inspirieren und erkundete verschiedene Arten von Kleidern, von aufwendigen Roben über Body-Con-Kleider bis hin zu kristallverzierten Strings und schalenlosen BHs.
Crutchley, der mit Kim Jones bei Dior und Louis Vuitton zusammenarbeitete, zeigte mit einem neuen schimmernden Cloqué-Jacquard, warum er ein Meister der Stoffmanipulation und -beschaffung ist. Der Stoff wurde exklusiv für die Kollektion entwickelt, eine neue Interpretation von Cloqué als Doppelgewebe mit einem Jacquard-Effekt voller Couture-Sensibilität. Für einige Looks wurde Aluminium verwebt, um einen Crinkle-Effekt zu erzeugen, während in anderen Fällen Lurex einen schillernden Glanz bot, um die Kraft des Meeres zu vermitteln.
Bild: Edward Crutchley SS23
In der gesamten Kollektion betonte Crutchley die sich verändernde Natur des Meeres, inspiriert von Wellen, Quallen in Bewegung und Wasserpflanzen, die sich unter Wasser bewegen, um fließende und ätherische Silhouetten zu schaffen. Es gab körperbetonte Strickkleider mit holografischen Paillettenwellen, handgestickten Falten und Perlenverkrustungen, und andere, die dem Meeresboden nachempfunden waren, mit Luftblasenausschnitten.
Daneben gab es auch eine Reihe von tiefblauen Looks, von einem Minikleid mit Rüschenärmeln bis hin zu einem langen Regenmantel und einer Bomberjacke aus Nylon mit Wassereffekt, das mit einem facettierten Garn hergestellt wurde, das das Licht bricht. Zum Finale präsentierte Crutchley Couture-Kleider aus farbveränderndem Lurex und Seide, die selbst unter dem grellen Licht einer Tiefgarage wunderschön schimmerten.
Bild: Edward Crutchley SS23
„Ich versuche nicht so zu tun, als würde ich Couture machen, aber ich habe im letzten Jahr Erfahrungen darin gesammelt, die meine Herangehensweise geprägt haben“, erklärte Crutchley in den Notizen zur Show. „Couture ist für mich der Ort, an dem man seine Ideen an den weitesten Punkt vorantreiben kann. Die Arbeit erreicht das höchstmögliche Niveau, soweit man sich das vorstellen kann. Ich habe weniger Angst.“
Rejina Pyo
Bild: Rejina Pyo
Für SS23 ließ sich Rejina Pyo von einem Tolstoi-Zitat inspirieren – „Man kann in dieser Welt großartig leben, wenn man weiß, wie man arbeitet und wie man liebt“, und dass es, da vor mehr als 100 Jahren geschrieben, sich nicht auf Frauen bezog.
Mit diesem Hintergedanken präsentierte Pyo eine Feier der Frauen und was es bedeutet zu lieben und zu arbeiten, zwei Eckpfeiler unserer Menschlichkeit laut Freud. Das Ergebnis war eine Kollektion voller femininer Schnitte, von kurzen Röcken bis hin zu drapierten Hosen, neben ihren charakteristischen skulpturalen Formen und transparenten Oberteilen, Röcken und Kleidern mit Knöpfen, die mit oder ohne Slips getragen werden können.
Bild: Rejina Pyo SS23
Die Kollektion umfasste auch weiße und zweifarbige Patchwork-Modelle aus Biodenim in bequem sitzenden Größen und mit handgefransten Details, ebenso wie Bademode aus recyceltem Nylon mit Doppelträgern und schulterfreien Modellen, die mit einem charakteristischen Ring aus Kunstharz versehen waren.
SS23 umfasste auch eine neue Reihe von geknoteten Taschen, die in den Größen „Object box“ und „Crossbody bucket“ gezeigt wurde, sowie eine neue Handtasche mit Kette und eine aktualisierte „Banana“-Tasche mit neuen Riemendetails.
Bild: Rejina Pyo SS23
Bora Aksu
Bild: Bora Aksu
Der in London ansässige türkische Designer Bora Aksu präsentierte für die Frühjahr/Sommer-Kollektion 2023 eine „anachronistische Traumwelt“, die von den Werken des Schriftstellers Henry Darger und den Aquarellen des Künstlers Marcel Dzama inspiriert wurde und die Beziehung zwischen Unschuld und Perversion erforscht. Dies wurde in „Stücken gezeigt, die die Grenze zwischen dem Zarten und dem Entschlossenen überschreiten“, erklärte der Designer in den Anmerkungen zur Show, während er auch die Weiblichkeit in den Mittelpunkt des kreativen Prozesses stellte.
Bild: Bora Aksu
Aksu setzte auch die in den vorangegangenen Saisons eingeführten Ideen von Eskapismus und folkloristischem Geschichtenerzählen fort, wobei militärisch inspirierte Designelemente wie Medaillons, Schärpen und Schneidereien mit den für ihn typischen Rüschen- und Tüllschichten, malerischen Motiven und der pastellfarbenen Farbpalette kontrastierten.
Auch in dieser Saison hat Aksu wieder nachhaltige Designpraktiken in seine Arbeit einfließen lassen. Viele der in der Kollektion verwendeten Seiden und Satins stammen von Rollen ausgemusterter Designs und beschädigten Materialien.
Bild: Bora Aksu
Dieser Artikel erschien ursprünglich auf FashionUnited.uk. Übersetzt und bearbeitet von Simone Preuss.