Berlins Fetischmode bricht aus der Clubszene aus
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Auf jedem seiner Besuche in Berlin spürt Ronen Shaham den Drang nach Freiheit, der den Computeringenieur aus Los Angeles dazu bringt, seine seine Arbeitskleidung gegen etwas Lässigeres eintauscht: ein Spitzenhemd, eine Nietenhalskette und ein Rock mit Seitenschlitz.
Die Berliner Clubs, die weltweit für ihre Extravaganz bekannt sind, haben einen tabulosen, vom Fetischismus inspirierten Stil geprägt, der Leder und Latex großzügig einsetzt und Accessoires verwendet, die zwicken, drücken und kneifen.
Die sogenannte "Fetischmode" hat ihre eigenen Geschäfte und bekannten Designer:innen und steht im Mittelpunkt der beiden großen Sommerfeste der Stadt: die Technoparade im Juli und der Berliner Pride-Marsch, einer der größten in Europa, am Samstag.
In dieser sommerlichen Party-Saison haben Shaham und seine Partnerin Lulu Neel beschlossen, ihre jüngste Pilgerreise nach Berlin zu unternehmen.
Das Paar verliebte sich vor drei Jahren in die Stadt, als sie auf eine Gemeinschaft von Clubgänger:innen stießen, "die sich so viel besser kleideten, als ich es je gesehen hatte", sagt Lulu.
„Ich wollte so gekleidet sein“, sagt die junge Frau, die sich tagsüber auf digitales 3D-Design spezialisiert hat und bei einem Event des aufstrebenden Clublabels 'The Code' eine schwarze Halskette mit Metallringen trägt.
Lila und Schwarz
Shaham und Neel haben ihren Look im Laufe mehrerer Besuche in der deutschen Hauptstadt verfeinert. Er sagt, er habe eine Vorliebe für Latex, Spitze und Harnesse und stelle gerne seine Tätowierungen zur Schau. In Berlin "kann man so leben und auf die Straße gehen, in den Uber steigen und sich frei fühlen", sagt der 45-Jährige.
„Die Clubs, die Nächte, die Magazine, die man hier findet – unsere Kund:innen sagen, es gibt nichts Vergleichbares in Paris, Rom, Mailand, Argentinien oder Neuseeland“, sagt Gisela Braun, deren Boutique Schwarzer Reiter einer der Tempel der Fetischmode in Berlin ist.
Das Geschäft, das vor 14 Jahren eröffnet wurde, ist in Lila und Schwarz gehalten und präsentiert seine Waren stolz im Schaufenster, das auf eine Straße im Stadtzentrum blickt.
„Wir wollten einen Ort, an dem man sich wohlfühlt, an dem man seine Hemmungen vergisst, mit einem Hauch von Luxus und Eleganz“, sagt Braun.
In ihrem Atelier schneidern und nähen die Schneider:innen von Schwarzer Reiter ihre eigene Accessoire-Linie – zumeist aus Leder –, die sie unter den Nachtschwärmer:innen der Stadt bekannt gemacht hat.
„Als die Clubs nach der Pandemie wieder eröffnet wurden, hatten wir sechs Monate lang Warteschlangen vor dem Laden. Die Leute warteten manchmal 40 Minuten“, so Braun.
Nach drei Jahren voller Stillstand spreche die Nachfrage für ein "großes Bedürfnis, das Fleischliche, Wilde neu zu entdecken", sagt Carl Tillessen, Trendexperte am Deutschen Mode Institut (DMI).
Eine zügellose Generation
Die Modewelt hat sich dem Trend nicht verschlossen, und die größten Designer haben hemmungslose Schauen veranstaltet: Diesel verteilte bei den letzten Kollektionen Sexspielzeug und Kondome, während Tommy Hilfiger ein Model in voller S&M-Ausrüstung vorstellte, das eine Peitsche schwang.
Es sei "keine schlechte Sache", dass der Modetrend ein größeres Publikum finde, meint der 34-jährige argentinische Juwelier Augusto Talpalar, der in Berlin lebt.
„Alles, was populär wird, wird von der Gesellschaft eher akzeptiert", sagt er. Die neue Generation von Berlinern erstaunt Christopher Bauder, der sagt, er habe mehr als 20 seiner 50 Jahre auf diesem Planeten in den "dunklen Techno-Clubs" der Hauptstadt verbracht.
„Die Art, wie sie sich bewegen, ihre Sexualität und ihr Sinn für Mode haben etwas Natürliches“, so der Multimedia-Künstler. „Minimalistische Kleidung zu tragen oder gar nackt zu sein, war früher etwas ganz Außergewöhnliches. Man konnte es nur in bestimmten Clubs und in bestimmten Situationen erleben. Heute, ganz normal in Berlin. Heute ist es auf jeder Party möglich. Ich finde es toll." (AFP)